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o •' ^i
FORSCHUNGEN
ZÜE DEUTSCHEN
LANDES- UND VOLKSKUNDE
Di AUFTRAGE DER
CENTRALKOMMISSION FÜR WISSENSCHAFTLICHE
LANDESKUNDE VON DEUTSCHLAND
UERAUSOEOEBEN VON
D« A. KIRCHHOFP,
PB0FE880R DER ERDKUNDE AN DER UNIVERSITÄT ZU HALLE.
SIEBENTER BAND.
' MIT 8 KARTEN, 8 LICHTDRUCKTAPELN UND 18 TEXTILLÜSTRATIONEN.
■ ••.— »^^^s»— •• ■-
^'STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1893.
LSocnii.ls:^
Drndi d«r Unloa Deatach« yorUgagweUachmft in Statt^urt.
Inhalt.
Seite
•' 1. Die Volksdichte im Grossherzogthum Baden. Eine anthropo-
geographifiche Untersuchung, von Professor Dr. Ludwig Neu-
mann in Freiburg i. B. Mit 2 Karten 1—172
c 2. Die Verkehrsstrassen in Sachsen und ihr Einflnss auf die
Städteentwickelung bis zum Jahre 1500, von Dr. A. Simon
in Auerbach. Mit 1 Karte 173—272
j 8. Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens, von Dr.
Arthur Gloj in Kiel. Mit 2 Karten und 4 Teztillustrationen . 273—316
^ 4. Nadelwaldflora Norddeutschlands. Eine pflanzengeographische
Studie, von Dr. F. HOck in Luckenwalde. Mit 1 Karte . . . 317—372
o 5. Rügen. Eine Inselstudie, von Professor Dr. Rudolf C^redner
in Greifswald. Mit 2 Karten, 3 Lichtdrucktafeln und 14 Tezt-
illustrationen 373—494
J.
DIE VOLKSDIGHTE
IM
GßOSSHERZOGlTUM BADEN.
EINE ANTHR0P06E06RAFHISGHE ÜNTERSÜGHÜNa.
VON
D« LUDWIG NEUMANN,
a.o. PROFESSOR DER GEOGRAPHIE AN dSR UNIVERSITÄT FREIBURG I. B.
MIT EINER HÖHENSCHICHTENKARTE UND EINER VOLKSDICHTEKARTE
BADENS IN 1 : 300 000.
"••H$i3S$<-»»»'
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1892.
L^oc^lh^S'T
Drack der Umon Deutsche VerlagsgesellBCbaft in Stuttgart»
Inhalt.
Vorwort
I. Litteraturverzeichnis
II. Allgemeiner Teil . .
1. Einleitung: Siedelungen, Volksdichte, Dichtekarten im
allgemeinen
2. Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Umgrenzung und natflr-
liehe Gliederung des Gebietes
8. Klimatische Zustäjade der einzelnen Landesteile . . .
4. Hydrographische Verhältnisse, besonders der Rheinebene
5. Geschichtliche Uebersicht der Besiedelung des heutigen
Badens
6. Volksverteilung und zahlenmässige Darstellung derselben
III. Tabellen über die Flächen, Volkszahlen und Volksdichten der
Landestefle und Höhenstufen
IV. Spezieller Teil
1. Die Dichtekarte, ihre Herstellung und Aufgabe
2. Die Volksdichte der einzelnen Landesteile . .
A. Fränkische Stufenlandschaften
B. Odenwald
C. Kraichgauer Hügelland
D. Schwarzwald
a) östlicher
b) nördlicher
c) mittlerer
d) südlicher, und Klettgau
E. Baar
F. Die weitere Umgebung des Bodensees . . .
G. Rheinebene und Kaiserstuhlgebirge . . . .
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V. Schlussbemerkungen 168 [168]
Vorwort.
Schon im Jahre 1887, bald nachdem meine Orometrie des
Schwarzwaldes erschienen war, beschäftigte ich mich mit dem Ge-
danken, für dieses Gebirge eine Bevölkerungsdichtigkeitskarte zu ent-
werfen, mit besonderer Berücksichtigung der Höhenlage der Wohnorte.
Xach mancherlei üeberlegungen, Plänen und Entwürfen entschloss ich
mich, die Arbeit auf ganz Baden auszudehnen, das mir in der Viel-
gestaltigkeit seiner Bodenformen und klimatischen Verhältnisse eine so
seltene Menge von Daseinsbedingungen und damit von Voraussetzungen
für die verschiedenartigsten Entwickelungsstufen der Siedelungen im ein-
zelnen und der Volksverteilung im ganzen zu bieten schien, dass es
sich nach meiner Meinung wohl verlohnen dürfte, die Dichtegrade der
Bevölkerung auf ihre geographischen Voraussetzungen zu prüfen und
dabei in erster Reihe den Gesichtspunkt der Höhenlage im Auge zu
behalten.
Da die Grundlage der ganzen Untersuchung, die hier beigegebene
Höhenschichtenkarte im Massstabe von 1 : 300 000, erst neu geschaffen
werden musste (vgl. S. 23), und da hierzu keinerlei Hilfskräfte
zur Verfügung standen, da ausserdem meine Zeit durch die früheren
Verpflichtungen gegen die Schule neben denjenigen gegen die Universität
sehr stark in Anspruch genommen war, so schritt die Arbeit nicht ge-
rade rasch voran; doch war im Juli 1889 die Höhenschichtenkarte voll-
endet, und es konnte nunmehr an die Verarbeitung des statistischen
Materials gegangen werden. S. 52 ff. geben über die Art und den
Umfang dieses zweiten Teiles der Arbeit, der gegen VP^eihnachten 1889
abgeschlossen werden konnte, Aufschluss. Jetzt erst, nachdem also
auch die Volksdichtekarte fertig vorlag, konnte der vorliegende Text
geschrieben werden, und damit gelangte ich zum Abschluss kurz vor
Ostern 1890.
Die ganze Untersuchung war von vornherein den „Forschungen*
zugedacht und versprochen ; denn als ein Beitrag zur deutschen Landes-
und Volkskunde, was sie neben einem Beitrag zur Methodik der Volks-
dichtekarten sein soll, gehört sie in diese verdienstvolle Sammlung.
>> Ladwig Neumann, Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. Tg
Xim stellten sich aber der VeröflPentlichung ganz ungeahnte Schwierig-
keiten in den Weg, indem die technische Herstellung der beiden vom
Text nicht zu trennenden Karten allzu grosse Opfer materieller Art
Ton Seiten des Verlags der , Forschungen* erforderte.
Das war der Grund, warum die Veröffentlichung sich so lange
verzögerte, und sie wäre auch jetzt wohl noch kaum möglich geworden,
wenn nicht das Grossherzoglich badische Statistische Bureau, unterstützt
vom Ministerium des Innern und demjenigen der Justiz, des Kultus und
Unterrichts, in grossherziger Weise Mittel flüssig gemacht hätte, um
die diesen hohen Behörden wertvoll erscheinenden Karten herausgeben
und somit auch weiteren Kreisen zugänglich machen zu können.
Für dieses wichtige Entgegenkommen ist der Verfasser den ge-
nannten Ministerien zu ebenso grossem Dank verpflichtet, wie er ihn
dem Vorstande des Grossherzoglich badischen Statistischen Bureaus,
Herrn Geheimerat Dr. Har deck in Karlsruhe, schuldet für die üeber-
lassung vielfachen offiziellen Zahlenmaterials, für die Vermittlung un-
entbehrlicher statistischer und kartographischer Hilfsmittel von Seiten
der Regierungen der Nachbarstaaten, und endlich für seine Bemühungen
um die Publikation der beiden Karten selbst.
Während der Verhandlungen über die Art der Veröffentlichung
ging nun die Zeit bis jetzt dahin. Kleinere Arbeiten und Aufsätze ver-
wandten Inhalts, die vor 1892 erschienen, konnten im Text ab und zu
noch nachträgliche Erwähnung finden. Doch verzichtete ich, um die
Arbeit , so wie sie einmal fertig vorlag , nicht prinzipiell ändern zu
müssen, und insbesondere in Rücksicht auf die Dichtekarte, die nicht
mehr geändert werden konnte, darauf, im Text grössere Neueinschal-
tungen zu machen, wie sie insbesondere durch das Erscheinen von
Ratzeis Anthropogeographie , II. Teil , vielfach wünschenswert ge-
worden wären.
Möge die vorliegende Arbeit, wenn sie auch in ihrer gesamten
Anlage nicht durchweg mit Ratzeis Ideen übereinstimmt, doch als eine
geographische im Sinne der modernen Anthropogeographie aufge-
nommen werden. Möge es ihr auch beschieden sein, anregend zu
wirken auf dem Gebiete der speziellen Landeskunde, auf dem noch so
viel zu thun ist und das einer der wichtigsten Grundsteine bildet am
herrlichen Bau der Geographie.
Freiburg, August 1892.
Der Verfasser.
L üebersiclit der benutzten litteratur.
1. Ammon, Otto: lieber anthropologische Untersuchungen in Baden. Tage-
blatt der Heidelberger Naturforscherversammlung von 1889, S. 279 ff. (Der
Bericht ist bedeutend gekürzt ; der Vortitiff selbst und die ausgestellten Karten
boten fär die angeregte Frage wesentlich mehr.)
'2, Ammon, Otto: Verschiedene Aufsätze zur Anthropologie Badens. Beilage
zur Münchner Allgemeinen Zeitung 1888: Nr. 27. 31. 34. 39; 1890: Nr. 10.
184. 300.
3. Andree, R., und Peschel, 0.: Physikalisch-statistischer Atlas des Deut-
schen Reiches. Bielefeld und Leipzig 1878. Darin Blatt 15: Dichtigkeit
der Bevölkerung im Deutschen Reiche von J. J. Eettler, 1: 3000000, nebst
Text, S. 38—43.
4. Andrian, Freiherr F. v. : Ueber den Einfluss der vertikalen Gliederung
der Erdoberfläche auf menschliche Ansiedelungen. Mitteil. d. anthropolog.
Ges. zu Wien, Bd. VI, Nr. 1 u. 2. Wien 1876.
5. Baden: Das Grossherzogtum Baden in geographischer u. s. w. Hinsicht.
Karlsruhe 1885.
6. Baden: Beiträge zur Hydrographie des Grossherzogtums Baden. Heraus-
gegeben vom Centralbureau für Meteorologie und Hydrographie. 2. Heft:
de Niederschlagsverhältnisse. Karlsruhe 1885. 3. Heft: Die Korrektion des
deutschen Oberrheins. Karlsruhe 1885.
7. Baden: Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung des Grossherzogtums
Baden. Herausgegeben vom Handelsministerium. Heft 39: Gemeinde- und
Ortsverzeichnis nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1875. Karlsruhe 1878.
Heft 44: Berufsstatistik. Karlsruhe 1885.
S. Baden: Beiträge zur Statistik des Grossherzogtums Baden. Herausgegeben
vom Statistischen Bureau. Neue Folge, 2. Heft: Die Volkszählung vom
1. Dezember 1885. Ortsverzeichnis. Karlsruhe 1889.
9. Baden: Jahresbericht des Gentralbureaus für Meteorologie und Hydrographie
im Grossherzogtum Baden. Karlsruhe 1883 u. ff.
10. Baden: Neue topographische Karte vom Grossherzogtum Baden in 1 : 25 000,
170 Blatt in Kupferstich, 3 Farben und Höhenkurven von 10 zu 10 m. Karls-
ruhe 1875-1886.
11. Baden: Statistisches Jahrbuch für das Grossherzogtum Baden. XVU, 1886;
XX, 1889 ; XXI, 1890.
12. Baden: Statistische Mitteilungen Über das Grossherzogtum Baden. Bd. V,
1886/87; Bd. VI, 1888/89; Bd. VII, 1890/91.
13. Baldow, W.: Ansiedelungen an der mittleren Oder. Diss. Halle 1886.
14. Becker, F.: Höhenschichtenkarte vom Grossherzogtum Hessen. Heraus-
gegeben von der grossh. hess. Centralstelle für Landesstati-stik. Darm-
stadt 0. J.
8 Ludwig Neumann, Tg
15. Behm und Wagner: Die Bevölkerung der Erde II; Petermanns Geogr.
Mitteil. Ergänzungsheft 35, Gotha 1874; daraus besonders wichtig: Behm,.
Die Verteilung der Menschen über der Erde (S. 91—102); dito IV, Ergän-
zungsheft 49, Gotha 1876, nebst Karte: Die Dichtigkeit der Bevölkerung in
Vorderindien.
16. Behm: Die Landschaften des Deutschen Reiches nach ihrer Volksdichtigkeit.
Petermanns Geogr. Mitteil. XX, Gotha 1874, S. 1 ff. ; mit Karte.
17. Berichte: veröffentlicht vom Verein für Sozialpolitik, XLI, 3. Bd.: Aus
der Hausindustrie im südwestlichen Schwarzwald. Leipzig 1889. Darin:
a) Muth: Die Bürst^nfabrikation, S. 65—78;
b) Hubbuch: Die ührenindustrie, S. 79—102;
c) Schott: Die Holzschnitzerei, S. 103—112.
18. Bezzenberger, Prof. Dr. A.: Die kurische Nehrung und ihre Bewohner.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde III, 4. Stuttgart 1889.
19. Bücher: Prof. Dr. Karl, Die Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt am
1. Dez. 1888. Mit 8 Karten. Basel 1890.
20. Burgkhardt, Dr. J. : Das Erzgebirge. Eine orometrisch-anthropogeogra-
phische Studie. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde UI, 3.
Stuttgart 1888.
21. Chavanne: Die Verteilung und Bewegung der Bevölkerung Frankreichs
in ihrer Wechselbeziehung zum Boden des Landes. Deutsche Rundschau
f. Geographie u. Statistik V. Wien 1883.
22. Cotta, V. B.: Deutschlands Boden, 2. Ausgabe. Leipzig 1858.
23. Delitsch, Prof. Dr. : Kartographische Darstellung der Bevölkerungsdichtig-
keit von Westdeutschland auf Grund hypsometrischer und geognostischer
Verhaltnisse. Nebst 4 Karten in Buntdruck. Leipzig 1866.
24. D i e t e r i c i , C. F. W. : Die Bevölkerung der Erde. Petermanns Geogr. Mitteil.
1859, S. 1 ff. Besonders beachtenswert das Kärtchen von A. Petermann und
dessen Anmerkung S. 1 u. 2.
25. Eck, Dr. H.: Geognostische üebersichtskarte des Schwarzwaldes. 2 Blatt
in 1:200000. Lahr 1887.
26. F r a a s , Dr. Oskar : Geognostische Wandkarte von Württemberg, Baden und
Hohenzollem. 1 : 280 000. Stuttgart 1882.
27. Gelbke, C. : Volksdichte des Mansfelder See- und des Saalkreises. Diss.
Halle 1887.
28. Görcke, M. : Beiträge zur Siedelungskunde des Mansfelder See- und des
Saalkreises. Diss. Halle 1889.
29. Gothein, Prof. Dr. E. : Die Naturbedingungen der kulturgeschichtlichen
Entwicklung in der Rheinebene und im Scmwarzwald. Verh. d. VlI. deutsch.
Geographentages zu Karlsruhe, S. 53—93. Berlin 1887.
80. Gülden pennig, Dr.: Ueber die Besiedelung der Meerbusen. Progr.
Pyritz 1883.
81. Hahn, Prof. Dr. F. G. : Die Städte der norddeutschen Tiefebene. For-
schungen zur deutschen Landes- und Volkskunde I, 3. Stuttgart 1885.
32. Hessen: Grossh. Topographische Karte von, 1:50000. Blatt 25—31.
33. Hoff mann, Prof. Dr. H.: Vergleichende Phänologische Karte von Mittel-
europa. Petermanns Geogr. Mitteil. 1881, S. 19 ff., sowie Tafel 2.
34. Honsell, M. : Der natürliche Strombau des deutschen Oberrheins. Verh.
des VII. deutschen Geographentags zu Karlsruhe, S. 33 — 52. Berlin 1887.
35. Jansen, Prof. Dr. K. : Die Bedingtheit des Verkehrs und der Ansiedelungen
der Menschen durch die Gestaltungen der Erdoberfläche, nachgewiesen an
der cimbrischen Halbinsel. Kiel 1861.
36. Jans e n , Prof. Dr. K. : Poleographie der cimbrischen Halbinsel. Forschungen
zur deutschen Landes- und Volkskunde I, 8. Stuttgart 1886.
37. Jordan, Prof. Dr. W. : üebersichtshöhenschichtenkarte von Baden und
Württemberg nebst Hohenzollem. 1 : 400 000. 2. Aufl. Karlsruhe 1878.
38. Kirchhoff, A.: Länderkunde des Erdteils Europa, L Bd., I.Hälfte. Wien
und Prag 1887. Darin:
Penck, A. : Das Deutsche Reich.
39. K h 1 , J. G. : Der Verkehr und die Ansiedelungen der Menschen in ihrer Ab-
hängigkeit von der Gestaltung der Erdoberfläche. Dresden und Leipzig 1841.
9] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 9
40. Krön es, Prof. Dr. F. v.: Die deutsche Besiedelung der östlichen Alpen-
länder. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde III, 5. Stutt-
gart 1889.
41. Küster, Dr. Emil: Zur Methodik der Volksdichtedarstellung. Ausland 1891,
S. 154—158; 166—170.
42. Küster, Dr. Emil: Die deutschen Buntsandsteingehirge, ihre Oberflächen-
gestaltung und anthropogeographischen Verhältnisse. Forschungen zur deut-
schen Landes- und VolksKunde IV, 4. Stuttgart 1891.
43. Löwl, Prof. Dr. F.: Siedelungsarten in den Hochalpen. Forschungen zur
deutschen Landes- und Volkskunde II, 6. Stuttgart 1888.
44. Lüddecke, Dr. R.: Entwickelung der Besiedelung der Vereinigten Staaten.
Petermanns Geogr. Mitteil. Bd. 34, Gotha 1888, S. 129 ff.; mit Karte.
45. Mayr, G.: Zur Verständigung über die Anwendung der geographischen
Methode in der Statistik. Zeitschr. d. Königl. bayr. Statistischen Bureaus.
München 1871.
46. Mayr, G.: Gutachten über die Anwendung der graphischen und geographi-
schen Methode in der Statistik. Zeitschr. des Königl. bayr. Statist. Bureaus.
München 1874.
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des Vereins der Geographen an der Universität Wien. Wien 1889.
48. Müllner, J. : Die Verteilung der Bevölkerung Tirols nach den Höhen-
verhältnissen der bewohnten Fläche. Ber. d. XVI. Vereinqahrs d. Geogr.
a. d. Univ. Wien. Wien 1891.
49. Näher, J. : Ueber den Kulturzustand des oberen Rheinthaies zur Römer-
zeit. Zeitschr. f. wissensch. Geogr. IL Lahr 1881.
oO. Neumann, Prof. Dr. L. : Orometrie des Schwarzwaldes. Geogr. Abhand-
lungen, herausg. von Prof. Dr. A. Penck, I, 2. Wien 1886.
51. Neumann, Ptof. Dr. L. : Orometrische Studien im Anschluss an die Unter-
suchung des Kaiserstuhlgebirges. Zeitschr. f. wissensch. Geogr. Bd. VI. 1889.
52. Oppermann, Dr. K. : Die Thäler des Taunus und ihre anthropogeogra-
phische Bedeutung. Jahresber. d. Frankf. Ver. f. Geographie u. Statistik.
51. u. 52. Jahrgang. Frankfurt 1888.
53. Penck, Prof. Dr. A. : Der Flächeninhalt der österreichisch-ungarischen
Monarchie. Sitzungsber. d. Kaiserl. Akad. d. Wissensch. zu Wien, Bd. XCVIH.
Wien 1889.
54. Platz, Prof. Dr. Ph. : Geologische Karte des Grossherzogtums Baden in
1:400000. (Beilage zu: Das Grossherzogtum Baden. Karlsruhe 1885.)
55. Platz, Prof. Dr. Ph. : Orographisch-geologische Uebersicht des Schwarz-
waldes. Deutsche geogr. Blätter, herausg. von der Geogr. Gesellschaft zu
Bremen, Bd. X, Heft 3. 1887.
56. Ratzel, Prof. Dr. Fr. : Anthropogeographie, 1. Bd., Stuttgart 1882; 2. Bd.,
Stuttgart 1891.
57. Ratzel, Prof. Dr. Fr. : Höhengrenze und Höhengürtel. Zeitschr. d. Deutsch,
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58. R a v n : Statistik Tabelvaerk, udgivet af det Statist. Bur. Ny Raekke, Bd. XII.
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59. Regel, Dr. Fr.: Die Entwickelung der Ortschaften im Thüringer Wald.
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60. Rheinstrom, der, und seine wichtigsten Nebenflüsse. Im Aufkrag der
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61. Riel, W. H.: Land und Leute. Stuttgart 1861.
62. Röscher, W. : Die geographische Lage der grossen Städte. Im Neuen
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63. Schimmer, G. A. : Die Ergebnisse der Bevölkerungsbewegung in Nieder-
Oesterreich, Tirol und Vorarlberg im Jahre 1885 nach der Höhenlage der
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64. Schneider, P.: Die Siedelungen an Meerbusen. Diss. Halle 1882.
65. Sprecher von Bernegg, H. : Die Verteilung der bodenständigen Be-
völkerung im rheinischen Deutschland im Jahre 1820. Diss. Göttingen 1887.
10 Ludwig Neumann, Die Volksdicbte im Grossherzogtum Baden. [10
66. Steinhauser, A. : lieber Einführung der Quadratminute und Quadrat-
sekunde als Einheiten des geographischen Flächenmasses bei Ausmittelung
der Bevölkerungsdichte. MitteiL d. k. k. geogr. Ges. zu Wien. 1863.
67. Steinhauser, A.: Die Verteilung der Bevölkerung Niederösterreichs nach
der Höhe der Wohnorte. Blätter d. Ver. f. Landeskunde von Niederöster-
reich, neue Folge, XIX. 1885.
68. Steinhauser, A. : Ueber relative Bevölkerung und ihre Darstellung auf
Karten. Deutsche Rundschau f. Geographie u. Statistik IX, 3. 1887.
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Bd. VL Weimar 1888.
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71. Walker, Francis, A. : Ninth Gensus; Vol. IL Statistiks of the population
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census (June, 1, 1870), IV. Washington 1872.
72. Wagner, Dr. E. : Archäologische Karte des Grossherzogtums Baden. Karls-
ruhe 1888.
73. Württemberg, Das Königreich Württemberg. Eine Beschreibung von
Land, Volk und Staat. Stut^art 1882—1886.
74. Württemberg, Horizontalkurvenkarte vom Königreich Württemberg,
1 : 25 000. Herausg. von der Königl. württemb. Eisenbahnbaukommission.
(Von 600 Blättern etwa 70 fertig.)
75. Württemberg, Höhenschichtenkarte in l : 200 000, Terrainstufen von 100 m
Vertikalabstand, 2 Blatt, umfassend die Atlasblätter:
a) Freudenstadt, Horb, Tübingen, Obemdorf, Balingen, Ehingen;
b) Schwennin^en, Tuttlingen, Friedingen, Hohentwiel, beide nur im Manu-
skript, nicht im Druck vorhanden.
76. Württemberg, Topogr. Atlas in 1:50000, Blatt 14. 15. 16. 2L 22. 23.
24. 29; ebenfalls mit eingezeichneten farbigen Höhenschichten von 100 m
Distanz ; Manuskriptkarten.
n. Allgemeiner Teil.
1. Einleitung: Siedelungen, Yolksdiehte, Dichtekarten im
allgemeinen.
Wenn wir immer wieder und wieder auf längst begangenen Pfaden
die seit den frühesten Tagen der Kindheit bekannten Gaue d^s Heimat-
landes durchwandern und dabei auch für die Lage und Art von dessen
Siedelungen offenes Auge haben, handle es sich nun um ein einsames
Gehöfte inmitten seiner Ackerfluren, Wiesen, Weiden und Wälder, um
eine Mahl- oder Schneidemühle am rauschenden Bergbach, um einen
kleinen Weiler, ein Dorf, ein Landstädtchen oder um eine grössere
Stadtanlage, so werden wir auf die Frage nach den Gründen, welche
den ersten Ansiedler zur Wahl gerade dieser jeweils vor uns liegenden
Oertlichkeit und nicht einer andern in der näheren oder weiteren Umgebung
für seine Niederlassung bestimmt haben können, nur sehr selten die
Antwort schuldig bleiben müssen. Ja noch mehr. Wir werden nicht
nur Gründe für die Zweckmässigkeit der betreffenden Ortswahl anzu-
geben in der Lage sein, wir werden vielmehr, sobald unser Blick für
derartige Untersuchungen nur einigermassen geübt, und unsre allge-
meinen landeskundlichen Kenntnisse umfangreich genug geworden sind,
bald zu der Einsicht kommen, dass diese Wahl im gegebenen Falle
die bestmögliche war, d. h. wir werden erkennen, dass jede Einzel-
siedelung gerade da, wo sie sich findet, besser begründet ist als an
irgend einer andern Stelle ihrer näheren Umgebung, einzelne Ausnahmen
natürlich zugegeben.
Da fast alle Ansiedelungen in dem Gebiete, von dem im folgenden
allein die Rede sein wird, nach der Zeit ihrer Entstehung auf viele
Jahrhunderte zurückgehen, so sind naturgemäss auch die Lockmittel,
welche zu ihrer Gründung führten, sehr einfache. In einem Gebiete,
dessen Boden ausreichenden Lebensunterhalt für den Ansiedler und seine
Angehörigen gewährleistet, ist zunächst einer solchen Stelle der Vorzug
einzuräumen gewesen, welche mehr als andre Schutz gegen die Ele-
mentargewalten z, B. des Wassers, Schutz gegen schädliche klimatische
12 Ludwig Neumann, [12
Einflüsse und Sicherheit gegen räuberische und feindliche Nachbarn
bot; die Rücksicht auf die Möglichkeit des Verkehrs mag sich bei den
ersten und ältesten Siedelungen nur in sehr bescheidenen Grenzen Geltung
verschafft haben.
Treffen wir auf eng begrenztem Gebiete zahlreiche und in ge-
deihlichem Zustande befindliche Niederlassungen einander nahe gerückt,
so schliessen wir niemals fehl, wenn wir dieselben als durch das glückliche
Zusammenwirken mehrerer oder vieler dieser begünstigenden Umstände
begründet auffassen, und genaueres Zusehen wird uns diese Gründe
jeweils offenbaren. Auch die kräftigere Entwickelung aufblühender und
die weitere Umgebung wirtschaftlich wie politisch beherrschender Haupt-
orte, soweit diese nicht ihr Bestehen auf den Zufall einer Herrscherlaune
zurückzuführen haben, findet zumeist in einer Begünstigung durch ört-
liche Verhältnisse ihre ungezwungene Erklärung. Stets musste eine
ertlichkeit mit besserer orographischer, hydrographischer und klimato-
logischer Ausstattung, mit ergiebigerem Boden, an günstigerer Verteidi-
gungs- und Verkehrslage mehr Ansiedler anziehen und damit besser
gedeihen als eine weniger gut qualifizierte benachbarte Ansiedelung. So
mussten sich sehr frühe schon die Hauptunterschiede herausbilden, die
wir heute noch sehen. Wenn auch nach der Zeit und der Art ihrer
ersten Anlage nicht wesentlich verschieden, sind doch die einen der
ursprünglichen Einzelgehöfte oder kleinen Dorfanlagen bis zur Stunde
solche geblieben, an andern Orten haben sich dieselben zusammen-
geschart, verdichtet und vergrössert, aus dem Gehöfte wurde ein Weiler,
aus dem Weiler ein kleines, aus diesem ein grosses Dorf. Eine jegliche
Kultursteigerung hat zur unumgänglichen Voraussetzung die Volksver-
dichtung ; wo diese letztere sich vollzog, da musste es bald zur Arbeits-
teilung, und damit zum Gewerbebetrieb und zum Handel kommen, und
jetzt erst trat die Rücksicht auf die Mittelpunkte von Gewerbe und
Handel und auf die Wege des weiterblickenden Verkehrs in den Vorder-
grund der Siedelungsfrage, während sie zuvor nur eine untergeordnetere
Bedeutung gehabt hatte.
Sind auch durch Naturgewalten — Murbrüche, Bergschlipfe, Erd-
beben, Wasserfluten — , sodann durch Zerstörung im Kriege, auch durch
freiwilliges Verlassen (Auswanderung) manche ältere Besiedelungen zu
Grunde gegangen und nicht mehr aufgebaut worden, so ist die Zahl
dieser Fälle im Vergleich zu der Anzahl der aus alten Zeiten zu uns
übergekommenen Siedelungen, wenn wir nämlich unsre Betrachtung auf
Deutschland, und für diese Arbeit speziell auf Südwestdeutschland be-
schränken, jedenfalls verhältnismässig gering; die Anzahl und Ver-
teilung der vorhandenen Siedelungen giebt uns daher ein im
Aeusseren zutreffendes Bild auch von dem ursprünglichen
Umfang der Besiedelung überhaupt.
Nach einer Hinsicht allerdings ist dieses Bild nicht genau. Denn
im Laufe der Geschichte hat sich, wenn auch die Lage und die Zahl
der Wohnorte von einem gewissen Zeitpunkt ab nicht stark schwankte,
doch ihre Grösse sehr verändert, bald aufwärts, bald abwärts. Würden
wir also, um den hier auftretenden Gegensatz uns bildlich vor Augen
zu führen, auf ein und derselben kartographischen Grundlage die Siede-
131 I^iG Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 13
langen etwa am Ende des 13., des 16. und des 19. Jahrhunderts ein-
tragen, so würden wir im grossen und ganzen für diese in Wirtschafts-
fülu-ung und Kultur so verschiedenen Epochen dieselbe Karte erhalten.
Die geographische Verteilung der Siedelungen hat sich in ihren Grund-
zügen unverändert erhalten. Würden wir aber für die genannten drei
Zeitpunkte Volksdichtekarten entwerfen, vorausgesetzt, dass uns einiger-
massen brauchbares Zahlenmaterial zur Verfügung stünde, so erhielten
wir nicht nur graduell, sondern ihrem inneren Wesen nach verschiedene
Darstellungen; je weiter wir uns von den Zeiten der ersten, ursprüng-
lichen Niederlassungen gegen unsre Tage hin entfernen, desto mehr
treten zu den einstens in erster Reihe massgebenden Gründen der Orts-
wahl und Ursachen der Ortsentwickelung andre hinzu, die eben selbst
wieder in der sich langsam steigernden Volksdichte, und von dieser
bedingt in der schon früh, und je später um so eindringlicher als
zweckmässig erkannten Arbeitsteilung und in der natumotwendigen
Herausbildung von Industrie und Handel mit ihren Mittelpunkten und
Verkehrsstrassen gelegen sind.
Eine Volksdichtekarte, für welche wir die Bevölkerungs-
zahlen der Gegenwart zu Grunde legen, muss daher, wenn sie anders
nach geographisch richtigen Gesichtspunkten entworfen ist, die Ver-
teilung der Bewohner eines Landes nach Massgabe der sie
bedingenden natürlichen Ursachen zur Anschauung bringen,
Ursachen, welche zum Teil seit den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart
fortwirken — diese sind in erster Reihe zu erkennen in der räumlichen
Verteilung der Siedelungen — , und andere, welche erst später, vielleicht
erst in der Gegenwart hinzugekommen sind, also wesentlich die neu-
zeitliche Ausgestaltung des Fabrikbetriebes in Technik und Industrie
und der grossartige, moderne Verkehr; diese finden ihren beredten Aus-
druck in der Volkszahl der Siedelungen
Die Siedelungslehre, als deren Begründer wir wohl in Rücksicht
auf zahlreiche seiner Hinweise auf die Naturbedingtheit der Anlage und
Geschichte menschlicher Niederlassungen Karl Ritter ansehen dürfen,
ist in unsern Tagen vielfach gepflegt und neuerdings in manchen wert-
vollen Einzelbeiträgen gefördert worden. Es möge hier nur an die
Werke und Arbeiten von von Cotta, Kohl, Ratzel, Riel; Baldow,
Bezzenberger, Görcke, Gtildenpennig, Hahn, Jansen, Löwl,
Regel, Röscher, Schneider u. a. m. erinnert werden, wobei noch
zu bemerken ist, dass diese Liste durchaus keinen Anspruch darauf
erhebt, vollständig zu sein. Die Titel der hierher gehörigen Veröffent-
lichungen der genannten Verfasser sind in dem Litteraturverzeichnis
S. 7 — 10 genau angegeben.
Der vorliegenden Arbeit ist nun nicht das Ziel gesteckt, nach dem
Muster von Kohl und im Sinne von Hahn oder Regel für jede
Einzelsiedelung oder jede Siedelungsgruppe Badens die Ursachen auf-
zudecken, welche geschichtlich erwiesenermassen zu ihrer Gründung
geführt oder ihr mehr oder weniger lebhaftes Aufblühen bewirkt, oder
welche, wenn die Geschichte uns im Stich lassen sollte, nach dem
Gesamtbilde ihrer Lage und Anlage ihr zu Dasein und Blüte verholfen
haben können. Eine derartige, gewiss sehr verdienstliche Arbeit liegt
14 Ludwig Nenmann, [14
nicht in der Absicht des Verfassers. Derselbe hat sich vielmehr eine
andere, allgemeinere Aufgabe gestellt, welche wesentlich in der Her-
stellung und kritischen Beleuchtung einer Volksdichte-
karte seines Heimatlandes besteht. Dass diese Arbeit keine kleine und
uninteressante sei, möge den folgenden Blättern darzuthun gelingen!
Unter Bevölkerungsdichtigkeit oder Volksdichte, auch relativer
Bevölkerungszahl eines Gebietes verstehen wir bekanntlich die durch-
schnittliche oder mittlere Zahl der Bewohner auf der Flächeneinheit,
am bequemsten also auf dem Quadratkilometer. Dieselbe findet sich
mühelos als Quotient der absoluten Volkszahl des zu untersuchenden
Gebietes durch den Flächeninhalt, und hiemach ist ihre Ermittelung
eine ganz elementare Rechnungsoperation. So hat nach der Volks-
zählung vom 1. Dezember 1885 das Grossherzogtum Baden bei
15081,20 qkm und 1601255 Einwohnern eine Volksdichte von 106
pro qkm ^), das Königreich Sachsen eine solche von 212, Mecklenburg-
Strelitz 34, Belgien 200, Russland 16 u. s. w. Schon derartige einfache
Angaben haben ihren Wert; denn sie bilden einen bequemen zahlen-
mässigen Ausdruck der anthropogeographischen Wirkungen gewisser,
allbekannter Verhältnisse; ohne Nötigung und Zwang denken wir bei
vorstehender Zahlenreihe an die reichen Bodenschätze und die gewaltig
entwickelte Industrie Belgiens und Sachsens, an die klimatischen Schärfen
Russlands, an den Gegensatz von Klima, Bodenform, Bodenbebauung
und Verteilung des Grundbesitzes in Süd- und Norddeutschland.
Eine Dichtigkeitskarte des Deutschen Reiches, in welcher die
relativen Volkszahlen der 26 Einzelstaaten durch verschiedene Farben
angedeutet wären, würde mit einem Blick gewisse der oben bezeichneten
Gegensätze zur Anschauung bringen und gewisse Hauptgrundlagen des
Volkstums in Klima, Bodenform, Bodenbeschafi^enheit u. s. w. in ihren
ursächlichen Zusammenhängen hervortreten lassen. Aber doch nur sehr
unvollkommen I Denn die politischen Grenzen umschliessen zumeist
überaus verschiedenartige Gebiete, aber keine geographischen Einheiten.
Ausserdem kommt in den angeführten Fällen bei der grundverschiedenen
Grösse der 26 Einzelstaaten hinzu, dass wir bei den kleinen und kleinsten
derselben in unsem Relativzahlen recht spezielle, bei den grösseren und
grössten sehr verallgemeinerte Werte vor uns haben, so dass beide
Gruppen überhaupt kaum miteinander verglichen werden können.
Diesem Uebelstande lässt sich aber abhelfen und ist oft abgeholfen
worden, indem man nicht die Staaten als Ganzes sich gegenüberstellt,
sondern deren kleinste Verwaltungseinheiten, die Kreise, Bezirke oder
Aemter, d. h. im allgemeinen gleichartige und gleichwertige Grössen,
bei denen eine vergleichende Gegenüberstellung zulässig erscheint.
Bis zu einem gewissen Grade lässt sich diesen politischen Einheiten
wenigstens im Flachlande auch die geographische Homogenität nicht
absprechen ; (eine Volksdichtekarte mit Zugrundelegung der Bezirke wird
also die Verteilung der Bevölkerung wohl schon besser darstellen, sie
wird schon zu anschaulicheren und überzeugenderen Ergebnissen führen ;
*) Am 1. Dezember 1890 war die Volkszahl in Baden auf 1656817 Ein-
wohner, die Dichte also auf 110 (genau auf 109,86) gestiegen.
15] I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 15
allein die wirkliche, natürliche Yolksverteilung kann sie eben doch noch
nicht geben, yielmehr wird sich ihre Darstellung von derselben um so
weiter entfernt halten, je weniger sich die Bezirkseinteilung an die
natürlichen Bodenformen und Elimabedingungen anzuschmiegen ver-
standen hat, je weniger die Verwaltungseinheiten geographische Ein-
heiten, d. h. natürlich begrenzte Länderindiyiduen sind.
Zwei Beispiele, die dem im folgenden zu behandelnden Stoffe
entnommen sind, mögen das ausführlicher darthun. Im Kreise Eonstanz
liegt das Bezirksamt Engen mit einer mittleren Volksdichte von 55 auf
das Quadratkilometer. Dieser politische Bezirk breitet sich quer durch
das fruchtbare Gebiet des Hegaus und über den unwirtlichen Rücken
des Jura hinüber bis zum Donauthal und an dessen Nordgehänge aus.
Er umfasst also vier nach Bodenbeschaffeuheit , Höhenlage und Klima
verschiedene Teile, deren Volksdichte, wie sich später (S. 75 ff.) er-
geben wird, der Reihe nach 88, 45, 122, 43 beträgt. Aus dem nach
der politischen Umgrenzung gewonnenen Mittelwert 55 können wir aber
auf die wirkliche Verteilung der Bevölkerung gar keinen Schluss ziehen.
Dasselbe lässt sich an einem beliebigen derjenigen Bezirke zeigen,
welche Gegenden der Rheinebene und des Schwarzwaldes zugleich um-
fassen. Nehmen wir z. B. Achern (gegenüber von Strassburg); der
Mittelwert der Volksdichte ist hier 124, aber die freie Rheinebene hat
119, der Gebirgsfuss und die unteren Thalmündungen 276, die Schwarz-
waldvorhügel 208, das Gebirge selbst von unten nach oben in Stufen
von 100 zu 100 m 76, 45, 22, 10, 4, 0.
Diese Beispiele genügen zu dem Erkenntnis, dass man, sobald es
sich um eine — kurz gesagt — wissenschaftliche Volksdichtekarte
handelt, auf die Zugrundelegung der Verwaltungsbezirke verzichten
muss. Das ist eine verhältnismässig schon lange gewonnene Einsicht,
aber trotzdem ist, weil eben alles statistische Urmaterial, die Volks-
zahlen wie die Flächeninhalte, an die Verwaltungsbezirke geknüpft und
von ihnen nur überaus mühsam loszuschälen ist, der Versuch noch nicht
gerade oft und folgerichtig durchgeführt worden, unter völliger Be-
freiung von politischen und Verwaltungsgrenzen eine Volksdichtekarte
herzustellen. Oder, um das Kind beim richtigen Namen zu nennen, es
ist verschiedenfach ähnliches wie soeben ausgesprochen worden, es wurde
gegen die Zuhilfenahme politischer Rücksichten zu unsem Zwecken
geeifert, um dann schliesslich durch irgend ein Hinterpförtchen dieselben
doch wieder aufzunehmen und zur Grundlage der Arbeit zu machen.
Für unser Gebiet ist in dieser Hinsicht zunächst zu erwähnen die
Arbeit von Delitsch: „Kartographische Darstellung der
Bevölkerungsdichtigkeit von Westdeutschland auf Grund
hypsometrischer und geognostischer Verhältnisse. Nebst
4 Karten in Buntdruck. Leipzig 1866."
Ausgehend von der reichen geognostischen und orographischen
Gliederung Deutschlands und anschliessend an die Wort« Cottas: „Der
Boden, den wir bewohnen, ist nie ohne Einfluss auf unsre Zustände
und Sitten; er ist eine der unveränderlichsten Ursachen der nationalen
Entwickelung,* stellt sich der Verfasser die Aufgabe darzuthun, wie die
Bevölkerungsdichtigkeit in natürlichem Zusammenhang mit Bodenhöhe,
Xg Ludwig Neumann, MO
Bodenform und geoguostischer Beschaffenheit steht. Im Berichte fiber
die herzustellende Dichtekarte bespricht er sodann die einzuschlagenden
Wege, von denen der erste, nämlich die Zerlegung in Einzelgebiete
von mathematischer Form, als ganz ungeeignet sofort fallen gelassen
wird; der zweite Weg, die Abgrenzung der Bezirke nach den Höhen-
verhältnissen oder den geognostischen Formationen, wird in üeberein-
stimmung mit Steinhauser zwar als lohnend durch die Resultate, die
er liefert, aber als mühsam, zeitraubend und am wenigsten lukrativ
bezeichnet. Durchgeführt wird diese zweite Methode trotz des Titels
der Arbeit nicht, vielmehr wird die Volksdichte einfach nach politischen
Bezirken oder nach Gruppen von solchen ermittelt. Wenn nun auch
Delitsch durch die Art seiner Gruppierung natürlich Zusammengehöriges
zu verbinden, natürlich Getrenntes auseinander zu halten suchte, so
konnte das nach der gewählten Grundlage nur sehr unvollkommen
gelingen. Die Dichtekarte zeigt nirgends einen inneren Zusammenhang
mit der Höhenschichten- oder mit der geognostischen Karte. Es ist
auf ihr z. B. unmöglich, Schwarzwald und Rheinebene zu trennen;
denn die Dichtigkeitsgebiete gehen vom Rhein quer durch die Ebene
bis zum Kamm des Gebirges oder über denselben hinüber; die Fläche,
welche in der Umgebung von Karlsruhe mit einem einzigen Dichtigkeits-
grad bezeichnet ist, umfasst vollständig unbewohnte Buntsandsteinhoch-
flächen im Schwarzwalde neben dicht bevölkerten Thalgründen und Ebenen.
Dasselbe gilt für alle andern seiner Flächen ebenso, die Karte entspricht
daher jedenfalls nicht dem ihr vom Verfasser gesetzten Ziel, wobei aber
zu bemerken ist, dass der die Karte begleitende Text in Auffassung
und methodischer Anordnung diese Mängel so viel als möglich auszu-
gleichen bemüht ist.
Wie schon bemerkt, hat sich Delitsch nicht für die oben nur kurz
angedeutete Art der Dichtigkeitsbestimmung mittels regelmässiger, Fi-
guren, in welche das ganze zu untersuchende Gebiet eingeteilt wird,
erwärmen können. Später ist diese Methode mehrere Male an-
gewendet worden, nämlich von Kettler auf einem Teil seiner Dichte-
karte des Deutschen Reiches (Text zum physikalisch- statistischen Atlas
des Deutschen Reiches, S. 41), wo für Quadrate von je 4 Quadratminuten
Inhalt die relative Dichte berechnet wird, von Gelbke (S. 5 ff.), der
ein regelmässiges Sechseck von 7,2 qkm Flächeninhalt zu Grunde legt,
und von Träger (S. 169 ff.), der ein Quadrat von 5 km Seitenlänge
als Einheit benutzt. Selbstverständlich sind diese regelmässigen Figuren
nur Mittel zum Zweck; ist für jede derselben die Dichte bestimmt, so
werden diejenigen mit gleicher Dichte zusammengefasst und die so er-
haltenen Gebiete durch „Kurven" umschlossen, welche nun so weit als
möglich verallgemeinernd unter selbstverständlichem Verzicht auf die
Form des Polygons sich an das Bodenrelief anzuschmiegen suchen.
Sicherlich kommt man so unabhängig von der Verwaltungseinteilung
zu Dichtegebieten, bei denen aber die Grösse, Lage und Gestalt der
ursprünglichen Einheiten und die dem subjektiven Ermessen grossen
Spielraum lassende Kurvenziehung eine gewisse Vorsicht in der Sclüuss-
beurteilung auferlegt.
Wir wenden uns nun zu einer Reihe von Arbeiten und Karten,
171 Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 17
welche alle die Grenzen ihrer Dichtigkeitsgebiete durch „Kurven"
ziehen, die ihrerseits in der verschiedensten Art und Weise zu stände
kommen. Die Geschichte und Litteratur der neueren Dichtigkeitskarten
hängt aufs engste mit den Fortschritten zusammen, welche in der
Legung der Kurven gemacht wurden. Zeitlich geordnet sind die wich-
tigsten einschlägigen Arbeiten (vgl. Litt.-Verz. S. 7 — 10) diejenigen von
Ravn, Steinhauser, Walker, G. Mayr, Behm und Wagner, Behm,
Kettler, Sprecher von Bernegg, Lüddecke. Da besonders Kett-
ler und Sprecher von Bernegg diese Geschichte ausführlich mit-
teilen, soll dieselbe hier nicht nochmals erörtert werden ^), vielmehr sei
nur kurz darauf hingewiesen, dass, „indem man die für möglichst kleine
Verwaltungsbezirke ausgerechneten und auf die Karte aufgetragenen
Dichtigkeitsziffern nur als Handhabe benutzte, um danach erst durch
das Zeichnen der Kurven sich von den administrativen Grenzen los-
zusagen, man es erreichte, die wirkliche geographische Verteilung der
Bevölkerung, je nach der Grösse des Massstabes mit entsprechender
Generalisierung, wiederzugeben ** .
Die Hauptsache bei der Methode des Kurvenzeichnens ist bei
Behm, Kettler und Sprecher von Bernegg das eingehende Studium
zuverlässiger Terrainkarten — Sprecher benutzt sogar nur topographische
Karten — um die Wohnorts- und Volksverteilung möglichst den Boden-
verhältnissen anzupassen und nach diesen die Dichtigkeitsgrade ab-
zustufen.
„Bei der Bestimmung des Dichtigkeitsgrades gab die Dichtigkeits-
ziffer des Bezirks direkt die Farbe an, da wo es sich um weite Gebiete
von gleichmässiger Dichtigkeit handelte. In der Mehrzahl der Fälle
aber, wo nämlich der Bezirk von mehreren Kurven geschnitten wird,
gewährte jene Ziffer nur den ersten Anhaltspunkt, die wirkliche Dichte
mit annähernder Sicherheit direkt aus der topographischen Karte heraus-
zulesen. Hier tritt nun die letztere in ihrer Bedeutung für unsre
Zwecke scharf hervor . . . Damit aber die hierbei nicht zu vermeidenden
Fehler nach oben und unten auf möglichst enge Grenzen beschränkt
würden, bildete eine Rechenprobe den Schluss.* (Sprecher S. 12.)
Diese Probe wird an dem Beispiel des württembergischen Oberamtes
Wangen im Algäu durchgeführt; sie scheint so bezeichnend, dass sie
hier ausführlich mitgeteilt werden soll.
„In dem genannten Bezirk lässt es das Studium der topographi-
schen Karte rätlich erscheinen, fünf verschiedene Dichtigkeitszonen zu
unterscheiden, für welche sich bei Abschätzung der Flächen und nach
*) Nachdem die Höhenschichten- und Volksdichtekarte, welche diesen Unter-
suchungen zu Grunde liegen, seit mehr als Jahresfrist vollendet waren und auch
der vorliegende Text längst seinen Abschluss gefunden hatte ^ stiess, wie im Vor-
wort bemerkt, die Veröffentlichung auf unerwartete Schwierigkeiten. In der Zeit,
welche bis zur endlichen Drucklegung verstrich, erschien der Aufsatz von Dr. Emil
Küster: Zur Methodik der Volksdichtendarstellung, Ausland 1891, S. 154 — 158,
166—170, welcher ebenfalls ausführlich auf die Geschichte und Theorie der Dichte-
karten eingeht und manchen Gesichtspunkt giebt, der von grossem Wert ist. Ich
verweise hier gerne auf diese Kü st ersehe Untersuchung und ihre zahlreichen
Litteraturangaben , welche mancher einschlägigen Arbeit gedenken, auf die oben
keine oder nur nebensächliche Rücksicht genommen ist.
ForBcImngen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VIT. 1. 2
18 Ludwig Neumann, [18
Bestimmung des Dichtigkeitsgrades für dieselben folgende absolute
Werte ergeben: Von Ost nach West folgen
50 qkm mit dem Dichtigkeitston — 20, also ungefähr 10, giebt 500 Einwohner,
20 , , , , 80-100, , . 90, , 1800
100 „, , „ 40— 60, , , 50, , 8000
40 , , , „ 20— 40, , „ 30, . 1200
40 , , , , 60— 80, , . 70 . 2800
zusammen 310 qkm und 14300 Einwohner. Da nun die wirklichen
ZifiPem 360 qkm und 18000 Einwohner sind, so ist Areal sowohl als
Dichtigkeit zu niedrig geschätzt. Ein erneutes Zurateziehen der topo-
graphischen Karte bestimmt mich indes, den Verlauf der Kurven, bis
auf einige unbedeutende Aenderungen im Südwesten, sowie die an-
genommenen Dichtigkeitstöne beizubehalten, so dass zur Korrektur nur
eine verbesserte Abschätzung der Flächen übrig bleibt. Es ergeben
sich nunmehr für die Dichtigkeitsstufe von
40—60 : statt 160 190 qkm, also 9500 Einwohner,
60—80: , 40 50 , , B500
Die oben durch Rechnung gewonnene Summe von 310 qkm und
14 300 Einwohnern erhöht sich somit auf 350 qkm und 16500 Ein-
wohner. Der noch verbleibende Fehler von 10 qkm und 1500 Ein-
wohner kann he\ der Dehnbarkeit der wirklichen Dichtigkeit innerhalb
der von 20 zu 20 fortschreitenden Zonen vernachlässigt werden, ohne
dass zu besorgen ist, dass das Gesamtbild der Dichtigkeit des Bezirks
und der ganzen Landschaft von der Wirklichkeit sich allzusehr entfernt.
Bei dieser Methode liegt der Schwerpunkt durchaus auf geo-
graphischem Gebiet, in der topographischen Karte, und dem statistischen
Material fallen nur Hilfsdienste zu.''
Die Methoden des Kurvenziehens, welche „dem individuellen Moment
einen überaus breiten Spielraum lassen*^, können jedenfalls nicht als genau
in zahlenmässigem Sinn bezeichnet werden. Ist doch in obigem Beispiel
Sprechers der Fehler in der Schlusssumme der Flächen 2,8 ®/o, in der-
jenigen der Einwohner 8,3 %. Und dabei ist, entsprechend dem grösseren
Kartenmassstab, Sprecher jedenfalls viel sorgfältiger vorgegangen alsBehm
und Kettler, die nur Uebersichtskarten, aber keine topographischen für
das Studium des Terrainbildes zu Rate gezogen haben. Wie weit die drei
Bearbeiter die Volksverteilung als eine naturgemässe zur Darstellung
brachten, zeigt ein Vergleich der Karten (Behm 1874, 1:3 700000;
Kettler 1878, 1:3000000; Sprecher 1887, 1:1000000) auf den ersten
Blick. Während bei Behm sich kein einziges der dicht bevölkerten
Schwarzwaldthäler aus der menschenleereren gebirgigen Umgebung ab-
hebt, ebensowenig das Neckar-, Main- und Tauberthal; während die
Bodenseeufer ebenso dünn bevölkert erscheinen wie z. B. Randen und
Jura, ist bei Kettler allerdings schon ein grösseres Eindringen in die
topographischen Einzelheiten zu erkennen; Bodenseeufer und Kinzig-
thal treten in ihrer Bedeutung hervor, aber Neckar-, Main- und Tauber-
thal nicht; dagegen erscheint die Rheinebene in ihrer gegenüber der
einfachen Darstellung bei Behm weit getriebenen Spezialberücksichtigung
der Einzelzustände vollständig falsch aufgefasst. Sprecher kommt mit
19] Die Volksdichte im Grosaherzogtum Baden. 19
seiner steten Betonung der topographischen Karte der absoluten Wahr-
heit viel näher als seine Vorgänger, besonders in den Einzelteilen der
Ebene und am Gebirgsrand, der bei ihm zum erstenmal in seiner ganzen
Bedeutung hervortritt. Sehr mangelhaft sind dagegen auch hier noch
die inneren Gebirgslandschaften aufgefasst, die überall die etwas freie
Behandlung des statistischen Urmaterials und trotz aller topographischen
Karten ein mangelndes Eingehen auf Höhenverhältnisse und geologischen
Bau durchblicken lassen.
Trotzdem soll der Sprecherschen Arbeit die verdiente Anerkennung
nicht vorenthalten werden. Sie ist nach all ihren Vorläufern ein höchst
wertvoller ^^Beitrag zur Anthropogeographie des südwestlichen und west-
lichen Deutschlands*^, aus dem gewiss sehr viele reichliche Anregung
geschöpft haben ^). Und speziell das eine darf hier nicht verschwiegen
werden, dass, abgesehen von dem in den allgemeinsten Grundzügen
schon seit Jahren gehegten Plan, gelegentlich einmal der Frage nach
der Abhängigkeit der Volksdichte von der Höhe näherzutreten, die
Sprechersche Arbeit in erster Reihe dazu Veranlassung gegeben hat,
diesen Plan so auszuführen, wie es in der hier vorliegenden Arbeit ge-
schehen ist.
2. Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Umgrenzung und natürliche
Gliederung des Gebietes.
Die Aufgabe, deren Lösung hier versucht wird, ist die folgende:
Wie verteilt sich die gegenwärtige Bevölkerung des
Grossherzogtums Baden unter dem Einfluss der orographi-
schen und hydrographischen Lage, der Höhe, des Klimas, der
Bodenbeschaffenheit und Bodenbebauung, endlich unter Be-
rücksichtigungdergrossen Verkehrsstrassen und der modernen
Ausgestaltung der Grossindustrie?
Nach dem Wortlaute dieser Fragestellung erwächst dem Verfasser
zuvörderst die Pflicht, sich gegen den naheliegenden Vorwurf zu recht-
fertigen, es Verstösse gegen frühere Ausführungen, wenn er die Be-
völkerungsdichtigkeit eines Staates, nämlich des Grossherzogtums
Baden, zum Gegenstand der Untersuchung mache, da bei einer der-
artig bestimmten Aufgabe die Rücksichtnahme auf politische Grenzen
nicht umgangen werden kann. Das ist, soweit nämlich nicht* der
Bodensee und Rhein die wenigstens mit einigem Recht als natürlich
zu bezeichnende Landesgrenze bilden, richtig. Allein das Missliche,
was auf diese Weise den folgenden Untersuchungen immerhin anhaften
mag, wird dadurch auf ein verschwindendes Mass beschränkt, dass dem
Verfasser vom ganzen Gebiet des Landes eine beinahe vollständig zu
nennende Kenntnis aus eigener Anschauung zur Verfügung steht, wäh-
rend das von den Nachbarstaaten nicht in demselben Grade gesagt
*) Auch Küster sagt a. a. 0. S. 169: Dass die Sprechersche Karte den
Anforderungen, die wir an eine vollkommene Volks dich tekarte glaubten stellen
zu müssen, am besten entspricht, leuchtet ein.
20 Ludwig Neumann, [20
werden kann, obschon die anstossenden Grenzgebiete aer Schweiz, des
württembergischen und hohenzoUerischen Oberschwabens sowie des
hessischen Odenwaldes als mehrfach von ihm durchstreift bezeichnet
werden dürfen. Die Autopsie ist aber mit Recht als eine sehr wich-
tige, in weitaus den meisten Fällen sogar als eine unentbehrliche Vor-
aussetzung der geographischen, ganz besonders der landeskundlichen
Litteratur zu betrachten, und es stünde um diese letztere vielleicht
vielfach besser in Bezug auf ihre Gründlichkeit und Zuverlässigkeit,
wenn manche Ergebnisse gelehrter Citate durch diejenigen eigenen
Waiderns und Sehens ersetzt würden. Dieser Gesichtspunkt wirkte
mit bestimmend auf die Beschränkung der vorliegenden Arbeit auf das
Gebiet, dem sie gewidmet ist.
Dazu kommt sodann noch ein weiterer Punkt. Das Urmaterial
für Volksdichtestudien liegt, man mag die Sache anfassen wie man
will, in der Statistik und in der Karte. Nun sind aber die Original-
werte der statistischen Aufzeichnungen in den einzelnen Ländern viel-
fach nach recht verschiedenen Gesichtspunkten gewonnen, verarbeitet
und veröffentlicht, so dass es sich, da diese Urmaterialien für eine und
dieselbe Untersuchung nach der ganzen Art ihres Ursprungs und ihrer
Zusammenstellung möglichst einheitlich sein müssen — es wird das
im folgenden besonders für die Wohnorte von Wichtigkeit sein — ,
empfahl, die Arbeit auf ein Gebiet zu beschränken, von dem völlig
einheitliche statistische Werte zur Verfügung standen, also auf den
einen politischen Staat Baden. Doch wurde, während also Text und
Tabellen nicht über die Landesgrenzen hinausgehen, auf der Dichte-
karte wenigstens versucht, die nächstliegenden Gebiete der Schweiz,
Württembergs, HohenzoUerns, Hessens und Bayerns auf Grund der G e-
meindebevölkerungszahlen mit zu berücksichtigen. Es konnte
so das Gesamtbild anschaulicher gemacht werden.
Und da die Dichtekarte die einzelnen Dichtegrade doch nur in
grösseren Zwischenräumen zur Darstellung bringen kann, von 25 zu
25 oder 50 zu 50 Einwohnern auf den Quadratkilometer, so besitzen
die graphisch dargestellten, gemeindeweise gewonnenen Dichte werte
der anstossenden Nachbargebiete genügende Genauigkeit. Auch für
diese Regionen bis auf die Wohnorte zurückzugehen, dazu mangelte
dem Verfasser, der all das gewaltige Karten- und Zahlenmaterial allein
bewältigen musste, die Zeit.
Bezüglich der kartographischen Grundlagen ist das Folgende zu
bemerken :
Für Baden hat man seit wenig Jahren in dem neuen topographi-
schen Atlas in 1:25 000 ein prachtvolles, einheitliches Kartenwerk zur
Verfügung, das insbesondere für die vorliegende Arbeit, in welcher der
Höhenlage der Ansiedelungen ein ganz besonderes Augenmerk ge-
schenkt werden soll, durch seine farbigen Höhenkurven von 10 zu 10 m
eine unentbehrliche Voraussetzung war. Für Württemberg liegt eine
gedruckte Höhenschichtenkarte nicht vor; die von der königl. württem-
bergischen Eisenbahnbaukommission (bezw. von Oberbaurat von Mor-
lok) bearbeitete und lierausgegebene Horizontalkurvenkarte in 1 : 25 000
erscheint so langsam, dass erst etwa der achte Teil der Blätter vollendet
21] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 21
ist. Ein gleicbmässiges Hinausgehen über die badischen Qrenzen war
hiemach ein Ding der Unmöglichkeit (vgl. auch S. 20).
Endlich fällt noch entscheidend in die Wagschale, dass sich das
Grossherzogtum Baden infolge seiner reichen orographischen und geo-
logischen Gliederung auf das denkbar einfachste und naturgemässeste
in eine grössere Anzohl von deutlich hervortretenden und klar von-
einander zu trennenden Länderindividuen mit den verschiedensten Natur-
bedingungen zerlegen lässt, die nun, jedes einzelne für sich, als streng
typisch für die Ansiedelung gelten können. Ihre gegenseitige Ab-
grenzung aber kann überall ausschliesslich nach geographischen Ge-
sichtspunkten durchgeführt vrerden, ohne dass auch nur an einer
einzigen Stelle auf politische oder administrative Grenzen Rücksicht
genommen zu werden braucht. Dass die so gewonnenen natürlichen
Landesteile jeweils auf einer Seite an einen Nachbarstaat grenzen,
thut der Allgemeinheit der Betrachtung und ihrer Resultate keinen
Eintrag.
Es wird im ganzen Verlauf der vorliegenden Arbeit innerhalb
der natürlichen Gebiete, wie sie sich als Grundlage der verschiedenen
Stufen der Volksdichte herausschälen, und in der Art, wie die Dichtig-
keitsgrade ermittelt werden, nirgends auf die administrative Einteilung
zurückgegangen werden; die beigegebene Volksdichtekarte ist also,
ganz wie Behm, Kettler, Sprecher und Träger es anstrebten, nur
der Ausdruck des Einflusses der natürlichen Voraussetzungen auf die
Zahl der Landesbewohner.
Durch diese kurzen Bemerkungen möge die Beschränkung der
Arbeit auf ein politisch begrenztes Ländergebiet gerechtfertigt er-
scheinen.
Die beiliegende Dichtekarte sollte vor allem die Verteilung der
Bevölkerung nach der Höhenlage zur Anschauung bringen. All-
gemeine Gesichtspunkte über die Abhängigkeit des Menschen nach
Volkszahl und Kultur von der Höhenlage der Wohnorte sind mehrfach
entwickelt worden. 1876 hat Andrian (vgl. Litt.-Verz.) sich ganz
speziell mit dem Einfluss der vertikalen Gliederung der Erdoberfläche
auf menschliche Ansiedelungen beschäftigt und über die Ortswahl der
frühesten Ansiedler in Tief- und Hochland, Gebirg- und Hügelland-
schaft eine Reihe von Sätzen ausgesprochen, die sich grossenteils mit
den allgemeinen Entwickelungen in der Einleitung zu den vorstehenden
Ausführungen (S. 11 — 15) decken. Es möge gestattet sein, hier nur die
folgenden herauszugreifen, welche besonders bedeutungsvoll erscheinen:
»Wir können behaupten, dass die menschliche Arbeitskraft stets
die Tendenz hat und gehabt hat, die relativ besten und fruchtbarsten
Erdteile zuerst für sich auszubeuten. Zur Erklärung der Abweichungen
von diesem Gesetz sind wir jedoch genötigt, einen andern Faktor ins
Auge zu fassen, nämlich die Konkurrenz der Menschen untereinander.
Zu allen Zeiten und in allen Ländern ist das Aufblühen der Ansiede-
lungen abhängig von der Sicherheit des individuellen Besitzes. Für
die Wahl des Siedelungspunktes giebt die Fruchtbarkeit nur dann den
Ausschlag, wenn daselbst eine schwache Konkurrenz vorhanden ist,
wenn dieselbe schon in die höhere Formen des Verkehrs übergegangen
22 Ludwig Neumann, [22
ist, oder wenn der Occupierende so übermächtig auftreten kann, dass
jeder Widerstand leicht gebrochen werden kann.'* (Andr. S. 12 — 13.)
Bezüglich der Siedelungsbedingungen, welche einzig und allein in
den Verschiedenheiten des Bodenreliefs gegeben sind, f&hrt Andrian
(S. 14 — 17) aus, dass Ebenen sich für die Nomaden besonders günstig
gestalten wegen der grossen Leichtigkeit, welche sie der Fortbewegung
und Verteidigung gestatten. Beim Uebergang zu festen Siedelungen
führt die Rücksicht auf Sicherheit und Verteidigung früh zu grösseren
Ortsanlagen, und die Wahl der jeweiligen Oertlichkeit richtet sich aus
denselben (Gründen auf Punkte, welche in benachbarten Wäldern, Sümpfen,
Seeen oder Flüssen einen Schutz gegen feindliche Annäherungen besitzen.
Dem gegenüber begünstigt das Gebirge kleinere Einzelsiedelungen; je
grösser die Unebenheiten, desto leichter und erfolgreicher die Ab-
sonderung; in den natürlichen Verteidigungsmitteln des Bodenreliefs
liegt der Grund für früh entwickelte feste Sitze, zu denen übrigens
auch die Schwierigkeit der Fortbewegung drängt. Siedelungen an auf-
fallend schwer zugänglichen Punkten sind in allen Gebirgsländem —
man denke nur an die Alpen — überaus häufig, sie erklären sich nach
den angedeuteten Gesichtspunkten mühelos.
„Die volle Bedeutung der Plastik unsrer Erdrinde für die mensch-
lichen Eulturformen — und hierher gehören in erster Reihe Art und
Zahl der Siedelungen — tritt erst durch die Betrachtung des geo-
graphischen Zusammenhanges der einzelnen Glieder hervor/
Dieser Gedanke erwies sich für die Art der Durchführung der
vorliegenden Arbeit besonders fruchtbar.
Des weiteren möge hier erinnert werden an Ratzeis ,,Anthropo-
geographie**, besonders an Band I, S. 311 if., und an desselben Ver-
fassers „Höhengrenze und Höhengürtel* (vgl. Litt.-Verz.). Der zweite
Band der Anthropogeographie, welcher im Sommer 1891 erschien, sah,
wie im Vorwort zu der vorliegenden Arbeit ausgeführt ist, das Manu-
skript derselben seit mehr als Jahresfrist vollendet, und nach reiflicher
Ueberlegung entschloss sich der Verfasser, an der abgeschlossenen Ar-
beit nichts mehr zu ändern, obschon die Abschnitte über die Bevölke-
rung der Erde, die Dichte derselben, die Wohnplätze der Menschen,
die Lage der Städte, den Verkehr, die Wege in dem geistvollen Werke
des Leipziger Geographen vielfach Gelegenheit gegeben hätten zu frucht-
baren Bemerkungen. Besonders wäre hier einzugehen gewesen auf das
Verhältnis der Statistik zur Geographie und auf die Methodik der Volks-
dichte- oder Bevölkerungskarten, über welche Ratzel auch auf dem
internationalen Geographen-Eongress in Bern (August 1891) an der
Hand einer nach seinen Prinzipien (Anthropogeogr. II S. 190 fif.) her-
gestellten Bevölkerungskarte Sachsens gesprochen hat. Die vorliegende
Karte Badens hat nach des Verfassers Meinung neben den Batzelschen
Ausführungen ihre volle Berechtigung.
Mit der „Bevölkerungsbewegung" in ihrer Abhängigkeit von der
Höhenlage der Wohnorte in Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg be-
fasst sich Schimmer (vgl. Litt. Nr. 63) in sehr verdienstvoller Weise.
Da es hier weder beabsichtigt wurde, noch durchführbar war, neben
den Bevölkerungszahlen auch die Zahlen der Trauungen, Geburten,
23] I^ie Volkadichte im Grosaherzog^um Baden. 23
Sterbfalle, der Kindersterblichkeit u. s. w. zu Rate zu ziehen, so mag
nur kurz darauf hingewiesen werden^ dass die Schimmersche Arbeit
sehr viel wertvolle Gesichtspunkte bietet, die dem Geographen ebenso
interessant sein werden als dem Statistiker, und dass sie insbesondere
das Verdienst hat, auf die medizinische Seite unsrer Frage und auf die
einschlägige Litteratur aufmerksam zu machen, sowie in Deutschland
die Bedeutung der grossen Arbeiten des Italieners Zampa^) ins rich-
tige Licht gestellt zu haben.
Um fUr Baden den Zusammenhang des Bodenreliefs und der Yolks-
dichte zahlenmässig untersuchen und feststellen zu können, musste vor
allen Dingen eine für die vorliegenden Zwecke benutzbare üebersichts-
höhenschichtenkarte hergestellt werden. Zwar haben wir die Jordansche
Höhenschichtenkarte (vgl. Litt.- Verz.) in 1 : 400000 mit Höhenkurven von
200 zu 200 m, welches Werk seiner Zeit dem Verfasser als Grundlage
für seine Orometrie des Schwarzwaldes diente. Allein bei mehrfachen
Versuchen, in diese Karte die Wohnorte und ihre Bevölkerungszahlen
einzutragen, erwies sich ihr Massstab als zu gering, und dann er-
schien auch die Höhenstufe von 200 m zu gross für eine anschauliche
Darstellung der Volksverteilung. Es musste also eine neue Karte mit
niedereren Höhenstufen und in grösserem Massstab hergestellt werden.
Zu diesem Zweck wurden zuerst von sämtlichen 170 Blättern des badi-
schen topographischen Atlas in 1:25 000 ebensoviele Pausen gezeichnet,
welche ausser den liandesgrenzen und den hauptsächlichen Flussläufen
nur die Höhenkurven von 100 zu 100 m enthielten. Diese 170 Blätter
mussten sodann auf ein einziges, für welches der Massstab 1:300000
nach mehrfachen Versuchen als ausreichend gefunden worden war,
reduziert werden, das autographisch vervielfältigt die kartographische
Grundlage der weiteren Arbeit bildete. Ein Exemplar der so erhaltenen
Kurvenkarte wurde als Höhenschichtenkarte koloriert, und dabei ergab
sich selbstverständlich die Notwendigkeit, die Höhenkurven in die nächst-
liegenden Teile der Nachbarländer, also über die Schweizer Grenze im
Kanton Basel, Schaff hausen und Zürich, über die hohenzoUerische,
württembergische, hessische und bayerische Grenze hinüber zu ziehen.
Doch möge hier betont werden, dass die Niveaulinien ausserhalb Badens
nur da den Anspruch auf Genauigkeit erheben dürfen, wo zu ihrem
Entwürfe sichere Grundlagen geboten waren. Das war der Fall für
den ganzen rechtsrheinischen Anteil der Schweiz, der vollständig auf
den badischen topographischen Karten enthalten ist, für die tief in
badisches Gebiet einspringenden Teile von Württemberg und Hessen
aus demselben Grunde, sowie für alles eingezeichnete württembergische
(und hohenzoUerische) Gebiet südlich von Pforzheim, für welches mir
durch die Zuvorkommenheit des Königl. württemb. statistischen Landes-
amtes die im Litt.-Verz. unter Nr. 75 u. 76 genannten, nur handschrift-
lich vorhandenen Karten gütigst zur Verfügung gestellt wurden.
^) Zampa, Dr. R. : 1. La demografia italiana, studiata piu specialmente.
in riguardo all' azione dei monti e delle pianure sulla vita del uomo. 1881.
2. Inchiesta sulle condizioni igieniche e sanitarie dei communi del Regno d'Italia
1886.
24 Ludwig Neumann, [24
Für Hessen bot die Beckersche Höhenschichtenkarte mit 125 m
Schichthöhe und der topographische Atlas keinen sicheren Anhalt, so
dass für etwas weiter von der badischen Grenze abliegende Landes-
teile ebenso wie für die kleinen bayerischen Grenzstreifen und die
württembergischen Stufenländer zwischen Tauber und Enz unsre Zeich-
nung nur Annäherungen bietet. Bei der sehr einfachen Gestaltung der
Oberflächenformen in diesen Gegenden sind aber die Abweichungen
jedenfalls keine grossen.
In diese Höhenschichtenkarte wurden weiterhin zahlreiche Höhen-
punkte und Höhenzahlen, sodann die Eisenbahnen und alle Gemeinden
des Landes mit entsprechenden Signaturen für ihre Grösse (1 — 500 ,
501—1000, 1001—2000, 2001—6000, 6001—20000, 20001 und mehr
Einwohner) eingetragen, um so einen ersten Ueberblick über die Ver-
teilung wenigstens der Hauptsiedelungen nach ihrer Grösse und ihrer
Höhenlage zu erhalten. Diese Höhenschichtenkarte bildet die erste Bei-
lage dieser Arbeit. Bezüglich ihrer Höhenzahlen möge hier wie auf
der Karte selbst daran erinnert werden, dass alle Angaben auf Normal-
null (N.N) bezogen, also um 2,02 4 m oder rund 2 m kleiner sind, als
die Angaben des topographischen Atlas. Da aber neuerdings alle Höhen-
angaben im Eisenbahn-, Strassen- und Wasserbau ebenso wie in der
meteorologischen Litteratur auf N.N bezogen werden, so schien es besser,
hier sich der neuesten, offiziellen Werte zu bedienen, die die älteren
doch in absehbarer Zeit aus allen Veröffentlichungen verdrängen werden.
Auf unsrer Karte treten je nach der Erhebung, Gestalt und
Flächenausdehnung der einzelnen Höhenstufen eine Reihe von oro-
graphisch deutlich zu unterscheidenden Landesteilen klar hervor. Es
sind dies
1. Die nordöstliche Stufenlandschaft zwischen Main und
Neckar;
2. der Odenwald zu beiden Seiten des unteren Neckars;
3. das Kraichgauer Hügelland im Süden des Odenwaldes
i bis zum Schwarzwald;
4. die Rheinebene;
5. der Schwarzwald;
6. die Hochebene der Baar im Osten des Schwarzwaldes und
an der oberen Donau;
7. der südliche Teil des badischen Jura im Klettgau zwischen
dem Rhein und dem Schweizer Kanton SchafiFhausen ;
8. der Jura längs der Donau vom Randen bis in die Gegend
von Sigmaringen;
9. die Hochebene des Hegau es zwischen Oberrhein und Jura;
10. das Linzgauer Bergland im Norden des Bodensees.
Auf einem anderen Blatte der Kurvenkarte wurden weiterhin nach
Fraas, Platz und Eck die Grenzen der wichtigsten geologischen
Formationen eingetragen, so dass der Zusammenhang der Bodenplastik
mit dem Bodenbau anschaulich hervortrat. Jetzt war es nicht mehr
schwierig, die oben aufgezählten, zunächst nur ganz allgemein nach
dem orographischen Bau des Landes unterschiedenen 10 Gebiete auch
geologisch zu definieren und durch Kombination der orographischen
25] I^iö Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 25
Gesichtspunkte mit den geologischen bestimmte Grenzlinien zwischen
ihnen zu ziehen.
Hiemach ist die nordöstliche Stufenlandschaft identisch mit dem
badischen Anteil an der fränkischen Muschelkalkplatte; ihre
Westgrenze ist dahin zu verlegen, wo die Muschelkalkbedeckung des
Buntsandsteins ihr Ende erreicht, d. h. etwa an die Linie Wessenthal-
Walldürn-Buchen-Bödigheim-Neckargerach, welche im Westen und Osten
beinahe genau mit der Höhenlinie von 200 m, in der Mitte mit der-
jenigen von 300 m zusammenfällt. Das Buntsandsteingebirge
des Odenwaldes hebt sich von den fränkischen Terrassenlandschaften
ab sowohl nach seiner besonders im Westen bedeutenderen Höhenent-
wickelung, als im reicheren Relief und im Gesteinsmaterial. Die der
Bodenbedeckung nach nicht wesentlich ausgedehnten Granite und
Porphyre im westlichen Odenwald von Handschuchsheim bei Heidel-
berg bis zur hessischen Grenze wurden nicht als besondere Gebirgsgruppe
ausgeschieden. Im Süden vom Buntsandstein des Odenwaldes breitet sich
von der Linie Neckargerach- Wiesloch an das sanftwellige Kraich-
gauer Hügelland aus; eine niedrige, schwach gegliederte Muschel-
kalk- und Keuperlandschaft, zum Teil mit diluvialen Bildungen, beson-
ders mit Löss bedeckt; am Westrande bei LangenbrUcken zeigen sich
auf engem Räume jurassische Bildungen. Als orographische Grenze
dieser Landschaft gegen die in Form, Bodenbeschaffenheit und Höhe
verwandten fränkischen Stufen ergiebt sich bequem das tief einschnei-
dende Neckarthal, bezw. dessen Westrand von Neckargerach nach
Süden bis zur Landesgrenze.
Im Süden des Pfinzthales, längs der Linie Durlach-Pforzheim,
steigt aus dem Hügelland rasch der in der Hauptsache aus Gneis und
Granit aufgebaute Schwarzwald empor, dessen Grundgebirge beson-
ders im Norden, sowie an den Rändern vielfach mit mesozoischen Bil-
dungen bedeckt ist. Orographisch zerfällt derselbe deutlich in vier
verschieden hohe und verschieden gestaltete Teile, den östhchen im
Osten der Murg, den nördlichen zwischen Murg und Einzig, den
mittleren zwischen Enizig, Dreisam und Wutach, den südlichen zwischen
Dreisam, Wutach und Rhein.
Während in der Orometrie des Schwarzwaldes die Grenzen dieser
vier Gruppen genau den genannten Flüssen entlang gelegt wurden, er-
gab die Rücksicht auf die nicht zu trennenden, dichten Thalbevölke-
rungen, dass hier die Grenzen an den Thalgehängen entlang gezogen
werden mussten. Die geologische Einzelcharakterisierung der Teile
des Schwarzwaldes und die Darstellung des Einflusses der Boden-
beschaffenheit auf die Besiedelung findet sich im zweiten Hauptteil
S. 106 ff.
Im Westen vom Odenwald, Kraichgauer Hügelland und Schwarz-
wald breitet sich die Diluvial- und Alluvialebene des Rhein thales
aus, als deren Ghrenze gegen die genannten höher gelegenen Landes-
teile im Norden die Höhenkurve von 200 m, und vom Austritt des
Elzthales ab diejenige von 300 m gewählt werden konnte. Aus der
südlichen Rheinebene ragt inselartig das kleine Vulkangebirge des
Kaiserstuhls auf, das ebenso wie einige niedere Bodenerhebungen
26 Ludwig Neamami, [26
in seiner Nähe, wie Tnniberg und Nimberg, mit diesen gemein-
schaftlich zur Darstellung kommen soll.
Die Hochebene der Baar lehnt sich yom Wutachthal ab längs
der Linie Röthenbach-Zindelstein-St.-Georgen bis zum Schiltachthal an-
nähernd der Höhenkurve von 900 m entlang im Osten an den mitt-
leren Schwarzwald an und besteht ausser einem nicht sehr breiten
Buntsandsteinstreifen am Schwarzwaldrand in der Hauptsache aus einer
wenig gegliederten Muschelkalkplatte, die sich schwach nach Osten bis
gegen den oberen Neckar und den Fuss des Jura hin senkt.
Elettgau und Jura sind Landesteile, in welchen das Gebirgs-
system des Tafeljura in höheren Stufen über das umliegende Gebiet
aufragt. Im Hegau haben wir teils Molasselandschaft, teils das Ge-
biet des alten Rheingletschers, vereinzelt auch vulkanische Böden; die
ganze Gegend ist ein sanft vom Rheinthal gegen den Jura nach Nor-
den ansteigendes Stufenland, überragt von einzelnstehenden Basalt- und
Phonolithkegeln .
Ganz ähnlich ist das Linzgauer Bergland im Norden des
Bodensees (393 m) gestaltet, nur fehlen hier die vulkanischen Bildungen,
und das Relief des Bodens ist bei mächtigerem Aufstreben in die Höhe
kräftiger und gegliederter als im Hegau. Als Nordgrenze dieser bei-
den letztgenannten Lande steile gegen den Jura kann die Höhenkurve
von 700 m von der Schweizer Grenze im Norden von Schaffhausen
(Wiechs), bis zur hohenzoUerischen Grenze im Norden von Messkirch
(Engelwies) gelten, während Hegau und Linzgau durch die 500 m-
Kurve, die von Ludwigshafen am Nordwest^nde des Ueberlinger Sees
bis zur hohenzoUerischen Grenze bei Mahlspüren verläuft, voneinander
getrennt werden.
üeber die orographische Gestaltung der so umgrenzten 10 Gebiete
mögen die folgenden zwei Tabellen I und II Auskunft geben. Dieselben
enthalten die absoluten und die prozentisch ausgedrückten Flächeninhalte
der einzelnen Höhenstufen jedes Landesteiles als Ergebnis planimetri-
scher Vermessung auf Grundlage der beiliegenden Höhenschichtenkarte
in 1 : 300 000 ; im Interesse grösserer Genauigkeit wurden die Inhalte
der höchstgelegenen Teile des Odenwaldes über 500 m, die des nörd-
lichen Schwarzwaldes über 1000 m, des mittleren über 1100 ra, des
südlichen über 1200 m, sowie diejenigen der Hegauer Vulkankuppen
auf den erwähnten Pausen der topographischen Karte in 1 : 25000
planimetriert.
Da es sich bei der vorliegenden Arbeit nicht darum handeln
konnte, den Gesamtflächeninhalt des Grossherzogtums Baden kritisch
zu untersuchen — dazu wäre die Auswertung der Inhalte aller 170
Blätter der topographischen Karte durchaus erforderlich gewesen — ,
so wurde die auf Grund einer früheren Berechnung des alten topo-
graphischen Atlas in 1 : 50 000 gewonnene und allgemein angenommene
Zahl von 15081,9o qkm (nach Abrechnung des Anteils am Bodensee) als
feststehend angesehen und durch Umfahren der Grenze auf der Höhen-
schichtenkarte unter Einrechnung aller Exklaven im Auslande und nach
Abrechnung aller ausländischen Enklaven im badischen Gebiet die
planimetrische Einheit mit Zugrundelegung der oben angeführten
271 I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 27
Flächenzahl bestimmt, wonach es nun einfach war, die Inhalte der
einzelnen Höhenstufen der zehn Landesteile zu ermitteln.
Längs des Rheines von der Schweizer Grenze unterhalb Basel
bis zur elsässisch-bayerischen Grenze bei Lauterburg wurde die Hoheits-
grenze, d. h. der mittlere Lauf („Thalweg") des korrigierten Rheines
festgehalten, und nicht die Gemarkungsgrenze, die an vielen Stellen
über den Rhein herüber und hinüber greift, so dass viele badische
Rheinufergemeinden kleinere Teile ihrer Gemarkung im Elsass, und
elsässische Gemeinden ebensolche in Baden liegen haben. Auf Ueber-
sichtskarten ist es immer schwierig, diese Zickzacklinien der Gemar-
kungsgrenze genau einzutragen, die ihren Ursprung in dem schwanken-
den Rheinlaufe vor der Korrektion haben. Zwischen Baden und Rhein-
bayern fallen die Hoheits- und Gemarkungsgrenzen im Thalwege des
Rheines zusammen; die Flusskorrektion hat daher hier mehrfache Ge-
bietsaustausche beider Staaten nötig gemacht. So liegt auf der rechten
Rheinseite ein kleiner Gebietsteil Bayerns, der in die Festungswerke
von Germersheim einbegriflfen ist, und auf der linken Seite ist die
frühere Kollerinsel badisch. (Vgl. Der Rheinstrom S. 288 ff. ; Das
Grossherzogtum Baden, S. 6 und 7.)
In den Arealen der Rheinebene sind auch diejenigen des Kaiser-
stuhles enthalten; bei der Kleinheit dieses Gebirges schien diese Zu-
sammenfassung zulässig, die eine weitergehende Zerlegung in kleinere
Landesteile überflüssig machte. Da die Umgrenzung hier in einigen
ganz unwesentlichen Punkten von der in den „Orometrischen Studien**
(S. 368) gegebenen abweicht, da insbesondere die vom Kaiserstuhl
etwas entfernt liegenden," isolierten Vulkanberge von Breisach und
Limburg dem Hauptgebirge zugerechnet wurden, so erklärt sich hier-
aus die etwas abweichende Angabe des Flächeninhaltes in der Höhen-
stufe HI.
Dass ebenso die Flächenzahlen der einzelnen Schwarzwaldgruppen
und ihrer Höhenstufen von denen in der „Orometrie des Schwarz-
waldes" (S. 224) mehrfach abweichen, erklärt sich für die höheren
Stufen aus der hier gewählten und oben erwähnten Zugrundelegung
genaueren Kartenmaterials, im übrigen aber daraus, dass hier überall
der württembergische Schwarzwald ausgeschlossen, dass die Baar als
selbständiges Gebiet in Rechnung gezogen ist, sowie dass die Westgrenze
des Gebirges überall mit Höhenkurven zusammenfallt, was in der Oro-
metrie nicht der Fall ist, und dass endlich auch die Umgrenzung der
vier Teile des Gebirges, wie schon erwähnt, etwas anders als nach
ausschliesslich orographischen Gesichtspunkten gezogen werden musste.
Der Bodensee hat bei mittlerem Wasserstande eine Meereshöhe von
393 m, während der Rhein oberhalb des Wasserfalles bei Schaffhausen
eine solchä von 383 m besitzt. Es liegt demnach zwischen Rhein- und
Bodenseeufer einerseits und zwischen der 400 m- Isohypse anderseits
ein schmaler Landstreifen, dessen Breite an sehr vielen Stellen so ge-
ring ist, dass sie bei nur einigermassen rasch ansteigendem Ufer nicht
einmal auf der topographischen Karte in 1:25 000 zur Darstellung
kommen konnte. Nur in der Gegend von Konstanz, von Radolfzell
und an der Einmündung der Stockach in den Ueberlinger See ist die
I
28 Ludwig Neumann, r28
Fläche zwischen dem Seeufer und der 400 m-Linie etwas grösser.
Wegen der absoluten Kleinheit dieses Landstreifens und wegen der
faktischen Unmöglichkeit, seinen Flächeninhalt genau zu ermitteln,
wurde auf eine Grössenangabe für denselben verzichtet und im Hegau
und Linzgau das gesamte Areal vom Ufer des Rheins und Bodensees
ab bis zur 500 m-Kurve der Höhenstufe V zugerechnet.
Es ist dieser Uferstreifen von Schaffhausen bis Immenstadt an der
badisch- württembergischen Grenze die einzige Fläche des Landes, bei
deren Inhaltbestimmung von der strengen Begrenzung durch Höhen-
kurven abgegangen werden musste. In den folgenden Tabellen er-
scheint hiernach im Hegau und Linzgau die Stufe V um ein kleines
zu gross, und die Stufe IV ist gar nicht vorhanden; in der Wirkung
auf die Gesamtsumme der Areale für das ganze Land ist dieser un-
vermeidliche Fehler verschwindend klein.
Die in der letzten Kolumne der Tabelle II angegebenen Mittel-
höhen der betreff^enden Gebiete wurden auf graphischem Wege (vgl.
,Orometrische Studien" S. 375) bestimmt, die gefundenen Werte aber
stets auf die nächste durch 5 teilbare ganze Zahl abgerundet, da
die so erzielte Genauigkeit für die hier vorliegenden Zwecke völlig
ausreicht.
3. Klimatische Zustände der einzelnen Landesteile.
Die klimatischen Verhältnisse Badens (vergl. auch: Der Rhein-
strom, S. 137 — 148) und seiner zehn Landesteile lassen sich durch die
Ergebnisse der Untersuchungen an den badischen und an den benach-
barten ausserbadischen meteorologischen Stationen ziemlich vollständig
charakterisieren. Dieselben sind in erster Reihe abhängig von der Lage
der Hauptgebirge zu den vorherrschenden Windrichtungen, sodann von
der Höhenentwickelung der einzelnen Gebiete und von der flächenhaften
Ausdehnung der verschiedenen Höhenstufen. Gegenüber den Wirkungen
dieser Ursachen treten diejenigen des geographischen Breitenunter-
schiedes durchaus zurück. Derselbe beträgt zwischen der südlichsten
Station Meersburg am Bodensee und der nördlichsten Wertheim am
Main 2® 04' oder rund 230 km, so dass, wenn wir 0,4® C. Wärme-
abnahme für den Breitegrad in südnördlicher Richtung annehmen, die
nördlichen Landesteile um 0,8 ® C. kälter sein müssteil als die südlichen
unter sonst gleichen Voraussetzungen. Doch ist dieser Unterschied in
keiner Weise nachweisbar, denn er wird mehr als ausgeglichen durch
die wesentlich tiefere Lage der nördlichen Landesteile gegenüber den
südlichen. Als herrschende Windrichtungen machen sich solche mit
einer westlichen, und in zweiter Reihe solche mit einer östlichen Haupt-
Komponente geltend, und unter diesen überwiegen wieder die reinen Süd-
west- und Nordostwinde. Da nun Schwarzwald und Odenwald eine nur
wenig von dem Meridian abweichende Hauptrichtung, nämlich die nord-
nordöstliche haben, so liegen die fränkischen Stufenlandschaften, ferner
Baar, Hegau, Linzgau und Jura im Windschatten für den Südwest,
während sie umgekehrt dem Nordost viel mehr ausgesetzt sind als die
Rheinebene. Diese letztere befindet sich sozusagen ganz unter der Ein-
29]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
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6) Klettgau u.
tachthal . .
7)Baar . . .
8) Hegau . .
9) Jura . . .
10) Linzgau . .
5) Oestlicher
Nördlicher
Mittlerer
Südlicher
1) Frankische Stufen-
landschaften . .
2) Odenwald . . .
3) Kraichgauer Hü-
gelland ....
4) Rheinebene u. Kai-
serstuhl ....
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31] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 31
Wirkung feuchtwarmer Südwestwinde und ist vor dem trockenen und
kälteren Nordost mehr oder weniger geschützt. Dass Gebirgsthäler,
welche der Richtung der Hauptwinde parallel laufen und an nicht allzu
hohen Gebirgskämmen ihren Ursprung haben, den Austausch der Luft-
strömungen zwischen den östlichen und westlichen Landesteilen erleich-
tem, wie das ebenso auch bei dem niederen Eraichgauer Hügellande
der Fall ist, versteht sich von selbst.
Im allgemeinen kann man sagen, dass der grössere Teil Badens
zu den klimatisch meistbegünstigten Gebieten Deutschlands gehört, wie
das die Betrachtuog der unten folgenden Tabellen genauer erweisen wird.
Für die Beurteilung der Wärmeverhältnisse sind diejenigen
badischen meteorologischen Stationen beigezogen worden, welche in
dem Sammelwerk ^Das Grossherzogtum Baden'' S. 73 aufgezählt sind.
Von diesen sind in neuerer Zeit Schweigmatt und Badenweiler ein-
gegangen, während Todtnauberg am Südwestabhang des Feldberges,
1021 m hoch, und Gengenbach im Einzigthal, 181 m hoch, hinzu-
getreten sind. Die Beobachtungen dieser zwei neuen Stationen er-
strecken sich aber erst über einen so kurzen Zeitraum, dass sie nicht
gut mit den übrigen zusammengestellt werden konnten. An württem-
bergischen Stationen wurden nach dem Werke: „Das Eönigreich Würt-
temberg, eine Beschreibung von Land, Volk und Staat', Bandl. S. 218,
diejenigen in Hausen ob Verena im schwäbischen Jura, Freudenstadt
im östlichen Schwarzwalde, Heilbronn im Neckarthal und Mergentheim
im Tauberthal beigezogen. Danach verteilen sich die benutzten Sta-
tionen folgendermassen :
Meersburg, 408 m, Nordufer des Bodensees, Linzgau.
Hausen ob Verena, 854 m, schwäbischer Jura.
Donaueschingen, 692 m, Donaugebiet, Baar.
Villingen, 717 m, Brigachgebiet, Baar.
Höchenschwand, 1013 m, südlicher Schwarzwald, Hochfläche.
Schopfheim, 385 m, südlicher Schwarzwald, Wiesenthal.
Schweigmatt, 735 m, südlicher Schwarzwald, Bergabhang über Schopf-
heim.
Badenweiler, 421 m, südlicher Schwarzwald, Terrasse am Westabhang
des Gebirges.
Freiburg, 293 m, Rheinebene, Westfuss des Schwarzwaldes, Dreisam-
thalmündung.
Freudenstadt, 733 m, östlicher Schwarzwald, Hochfläche.
Baden, 206 m, nördlicher Schwarzwald; unteres Oosthal nahe der
Rheiuebene.
Earlsruhe, 123 m, Rheinebene.
Bretten, 189 m, Eraichgauer Hügelland, Saalbachthal.
Mannheim, 117 m^), Rheinebene.
Heidelberg, 123 m, Mündung des Neckarthals in die Rheinebene;
Fuss des Odenwaldes.
') Die meteorologische Station befand sich in der Zeit der hier zu verwendenden
Beobachtungen im Gebäude des Realgymnasiums; der Boden der Stadt liegt nur etwa
97 m hoch.
32
Ludwig Neumann,
[32
Heilbronn, 166 m, Neckarthal an der Grenze des Kraichgauer und
fränkischen Hügellandes.
Buchen, 332 m, fränkisches Stufenland, Hochfläche.
Wertheim, 144 m, fränkisches Stufenland, Mainthal an der Tauber-
mündung.
Mergentheim, 221 m, fränkisches Stufenland, Tauberthal.
Die folgende Tabelle UI zeigt die Wärmeyerteilung für das ganze
Jahr und die einzelnen Jahreszeiten (Winter = Dezember, Januar,
Februar u. s. w.) nach den Beobachtungen, welche an den badischen
Stationen in den Jahren 1871 — 1880 angestellt und auf den Durch-
schnitt von Karlsruhe für den Zeitraum 1841 — 1880 reduziert worden
sind. Die Zahlen können daher als 40jährige Normalwerte angesehen
werden. (Grossh. Baden, S. 74 — 76.) Diesem langjährigen Mittel gegen-
über erschien es nicht notwendig, die neueren Beobachtungen von
1881 — 1888 aus den Jahresberichten des Centralbureaus für Meteoro-
logie und Hydrographie im Grossh. Baden mit zu berücksichtigen. Die
württembergischen Stationen geben die Wärmeverteilung nach Reduktion
auf das 50jährige Stuttgarter Mittel 1826—1875. (Kgr. Württ. I. Bd.,
S. 211—213.)
Tabelle HL
Wämievertellung (C®).
Stationen
Meeres-
höhe (m)
Winter
Frühling
Sommer
Herbst
Jahr
Meersburg . . .
408
0,6
9,.
18,5
10,1
9,6
Hausen ob Verena
854
— 1,2
5,.
13,9
6,6
6,8
Donaueschingen .
692
-2,1
6,5
15,7
7,1
6,8
Villingen ....
717
— 2,0
6,5
15,«
7,0
6,8
Höcbenschwand
1013
— 1,1
5,s
14,6
6,8
6,5
Scbopfheim . . .
385
0,1
9,4
18,8
9,5
9,8
Schweigmatt
735
1,1
8,2
17,0
9,5
9,0
Badenweiler . .
421
1,7
9,5
18,5
10,8
10,0
Freiburg . .
293
2.1
10,6
19,8
11,0
10,9
Freudenstadt
733
— 1,6
6,0
15,8
7,0
6,7
Baden ....
206
1,5
9,4
17,9
10,0
9,7
Karlsruhe . .
123
1,«
10,2
19,0
10,8
10,8
Bretten . .
189
1,2
9,7
18,6
9,9
9,9
Mannheim .
112
1,»
10,9
19,9
10,9
10,9
Heidelberg .
123
2,2
10,6
19,1
10,9
10,7
Heilbronn . .
166
0,2
9,8
18,0
9,2
9,2
Buchen . .
332
— 0,8
8,2
17,2
8,4
8,4
Wertheim
144
0,6
9,8
17,9
9,2
9,8
Mergentheim
221
-0,4
8,8
18,0
8,7
8,8
Aus der Vergleichung der tiefstgelegenen Station Mannheim mit
der höchstgelegenen Höchenschwand ergiebt sich in fast genauer üeber-
einstimmung mit den Resultaten der württembergischen Stationen (Kgr.
Württ. I, S. 219; vgl. auch die Angaben für die Schweiz; der Rhein-
SS]
Die Volkadichte im Grossherzogtum Baden.
33
ström, S. 138); dass für je 100 m Erhebung die Temperatur ab-
nimmt
im Jahr um 0,5o® C,
im Winter um 0,32^ C,
im Frühling um 0,6o^ C,
im Sommer um 0,6 o® C,
im Herbst um 0,45® C.
Hiernach sind die folgenden Normaltemperaturen der Höhenstufen
des Grossherzogtums Baden berechnet worden:
Tabelle IV.
Normaltemperaturen der Höhenstufen (G®).
Höhenstufe
(m)
Winter
Frühling
Sommer
Herbst
Jahr
1500
— 2,6
2,6
11,6
4..
4,0
1400
-2,3
3,2
12,2
5,0
4,5
1300
— 2,0
3,8
12,8
5,5
5,0
1200
— 1,7
4,4
13,4
5,9
5,6
1100
-1,3
5,0
14,0
6,4
6,0
1000
-1,0
5.«
14,6
6,8
6,5
900
-0,1
6,2
15,2
7,8
7,0
800
-0,4
6,8
15,8
7,7
7,s
700
-0,1
7,4
16,4
8,2
8,0
600
0,3
8.0
17,0
8,6
8,5
500
0,6
8,6
17,6
9,1
9,0
400
0,9
9,2
18,2
9,5
9,6
300
1,2
9,8
18,8
10,0
10,0
200
U
10,4
19,4
10.4
10,5
100
1,9
11,0
20,0
10,9
11,0
Aus vorstehenden Werten lässt sich nun leicht für die einzelnen
meteorologischen Stationen die entsprechende Normaltemperatur ab-
leiten. Die Vergleichung dieser Normalzahlen mit denjenigen der Ta-
belle UI fuhrt auf eine Differenz, welche zweckmässig als lokale Ab-
weichung bezeichnet wird, und die ein bequemes Mittel an die Hand
giebt, die Wärmeverhältnisse der einzelnen Stationen und ihres Gebietes
gegeneinander abzuwägen. Ein positiver Wert für die lokale Ab-
weichung drückt aus, dass die betreffende Station nach ihrer Höhen-
lage zu warm, eine negative, dass sie zu kalt ist. In der folgenden
Tabelle V sind nur die badischen Stationen zusammengestellt, weil die
württembergischen infolge des von den badischen abweichenden Zeit-
raumes, über den sich die Beobachtungen erstrecken, in diesem Falle
nicht ohne weiteres vergleichbar sind.
Forschangen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VII. i.
34
Ludwig Neumann,
[34
Tabelle T.
Normaltemperaturen der badisclien Stationen nnd lokale
Abweichungen (C).
o
:0
Winter
Frühling
Sommer
Herbst
Jahr
•
•
•
Station
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•
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Ä
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Meersburg ....
408
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— 0,3
9,«
-0,1
18,2
+ 0,3
9,5
+ 0,6
9,5
+ 0,1
Donaueschingen .
692
-0,1
— 2,0
7,5
-1,0
16,5
— 0,8
8,2
-1,1
8,0
-1,2
Villingen . . .
717
-0,1
-1,9
7,3
— 0,8
16,8
-0,7
8.1
-1.1
7,9
-1,1
Höchenschwand
1013
-1,1
0,0
5,6
0,0
14,6
0,0
6,8
0,0
6,8
0,0
Schopfheim . .
385
0,»
— 0,8
9,3
+0,1
18,8
0,0
9,6
-0,1
9,6
+ 0,8
Schweigmatt . .
735
-0,.
--1.B
7,3
+ 1,0
16,2
--0,8
8.0
-f-1,5
7,8
+1,2
Badenweiler .
421
0,8
--0,9
9,1
+ 0,4
18.1
-0,4
9,4
0,9
9,4
+ 0,6
Freiburg . .
293
1.«
--0,9
9,9
+ 0.7
18,8
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10,0
1,0
10,0
+ 0,»
Baden ....
206
1.»
0,0
10,4
-1,0
19,4
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10,4
-0,4
10,5
— 0,8
Karlsruhe . .
123
1.8
-0,2
10.9
-0,7
19,9
— 0,9
10,8
— 0,5
10,9
— 0,6
Bretten . . .
189
l,e
-0,4
10,5
— 0,8
19,5
— 0,9
10,5
— 0,6
10,6
— 0,6
Mannheim . .
112
1.»
0,0
10,9
0,0
19,9
0,0
10,9
0,0
10,9
0,0
Heidelberg
123
1.»
-h0,4
10,9 —0,8
19,9
-0,7
10,8
+ 0,2
10,9
-0,2
Buchen . . .
332
1.1
-1,4
9,6—1,4
18,8
-1,3
9.8
-1,4
9,8
-1,4
Wertheim . .
144
1.'
-1,1
10,7
-1,4
19,7
-1,8
10,7
-1,5
10,8
-1,5
Diese Uebersicht giebt zu folgenden Bemerkungen Anlass:
Das Bodenseeufer im Linzgau und Hegau hat zwar etwas zu
kalten Winter und Frühling, was sich aus der teil weisen, in seltenen
Fällen auch vollständigen Eisbedeckung des Sees und aus der zum
Schmelzen nötigen Wärmemenge erklärt; dagegen ist der Sommer um
ein weniges, der Herbst aber beträchtlich zu warm, was seine Ursache
in der dem Lande gegenüber langsamen Abkühlung der grossen Wasser-
fläche hat; diese hohe Sommer- und Herbsttemperatur ist es, welche
den Weinbau am ganzen Seeufer entlang ermöglicht und damit zur
Erhöhung der Volksdichte dieses Gebietes wesentlich beiträgt. Als
mittlere Jahrestemperatur des durchschnittlich 595 m hohen Linzgaues
kann man 8,5 o C. annehmen, während dieser Wert im Hegau bei 505 m
mittlerer Erhebung 9^ C. beträgt.
Der Jura ist durch die Station Hausen ob Verena charakterisiert.
Bei einer Mittelhöhe von 750 m kommt ihm eine Jahrestemperatur von
etwa 7,5 ® C. zu ; die Sommer sind kühl, die Winter dagegen etwas ge-
mildert ; es macht sich bei der die Stufenländer im Süden und Norden
des Gebirges tiberragenden Höhenlage desselben die Temperaturumkehr,
die bei dem höheren Schwarzwalde allerdings in viel stärkerem Grade
zur Geltung kommt, wenigstens einigermassen bemerklich.
Auf der im Mittel 770 m über dem Meer liegenden Hochfläche
der Baar haben wir die Stationen Donaueschingen und Villingen. Alle
Jahreszeiten, besonders aber die Winter, sind hier wesentlich kälter,
als es der Höhenlage allein entspricht. Die Baar ist der rauheste Teil
35] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 35
des Landes. Aehnlich wie sie ist das fränkische Stufenland im
Nordosten beschaffen; auch hier erscheinen alle Jahreszeiten der ge-
ringen Höhenlage gegenüber als zu kalt; doch tritt in dem Gegensatz
von Wertheim und Buchen die Begünstigung des Main- und Tauber-
thaies im Vergleich zur Hochebene deutlich hervor, üeber die Wärme-
verhältnisse des Odenwaldes lässt sich nichts Zahlenmässiges aus-
sprechen; denn die einzige in seinem Gebiet, bezw. an seinem Rande
gelegene meteorologische Station, Heidelberg, ist eine Thalstation und
teilt im wesentlichen die Eigenschaften der Rheinebene. Im ganzen
scheint der östliche, wenig gegliederte und in seinen Bodenformen an
die fränkischen Stufen erinnernde Odenwald auch deren Klima zu teilen;
der westliche Gebirgsteil dagegen nimmt in seinen tieferen Lagen, be-
sonders längs der Bergstrasse, Anteil an den Vorzügen der Rheinebene,
während die der Fläche nach ganz geringfügigen höheren Gebirgsteile
ziemlich rauh zu sein scheinen.
Das Kraichgauer Hügelland (Bretten) bildet eine niedere
Schwelle von 230 m Mittelhöhe zwischen Odenwald und Schwarz wald.
Auch hier erscheinen, oflFenbar infolge des ungehindert von dem frän-
kischen Plateau herüberwehenden und sich bei der fast gleichen Meeres-
höhe beider Gebiete in seiner Natur nicht verändernden Nordostwindes
alle Jahreszeiten als zu kühl, doch immerhin noch so temperiert, dass
die Nähe der Rheinebene in ihren Wirkungen deutlich zu erkennen ist.
Der Schwarzwald erhebt sich von 200 bis zu 1493 m. Die
Wärmeverhältnisse sind also sehr ungleich; nimmt doch die mittlere
Jahreswärme vom Gebirgsfuss bis zum Feldberggipfel um volle 6,5 ® C.
ab, und die der vier Jahreszeiten in entsprechendem Massstab. Der
Südwestrand des Gebirges (Badenweiler und Freiburg) erfreut sich durch
alle Jahreszeiten einer ganz ausserordentlichen thermischen Begünsti-
gung, die ihren Grund in dem Schutz vor Winden aus dem nordöst-
lichen Quadranten und in der Nähe der burgundischen Pforte findet,
jenes breiten Eintrittsthores für den wärmebringenden Südwest. Auch
das Rheinthal von Basel (rund 250 m) bis zum Fusse des Rheinfalles
bei Schaffhausen (ca. 360 m) erweist sich seiner tiefen und geschützten
Lage entsprechend als sehr begünstigt. Der kühle Frühling und Sommer
bei ganz normalem Winter in Baden-Baden wird auf die weit ausge-
dehnten Wälder in der Umgebung zurückgeführt werden müssen.
Bodenseegegend, Hegau, Klettgau, Rheinthal bis Basel und Südgehänge
des Schwarzwaldes stehen noch merklich unter dem Einflüsse des Alpen-
föhn, der zur Erhöhung der Temperaturen nicht unwesentlich beiträgt.
(Siehe: Der Rheinstrom S. 141.)
Die höheren Gebirgsteile stehen unter dem mildernden Einfluss der
Temperaturumkehr, die erst seit dem abnormen Winter 1879/80 in
ihrer ganzen Bedeutung erkannt, seither aber in jedem Winter kürzere
oder längere Zeit hindurch beobachtet worden ist. Es mögen hier einige
Mitteilungen des Centralbureaus für Meteorologie und Hydrographie
im Grossherzogtum Baden (Karlsruher Zeitung, Beilage zu Nr. 45,
15. Febr. 1889) Platz finden, und zwar zunächst die folgende Zusam-
menstellung :
\
r
3G
Ludwig Neuinanu,
[36
Höhe (m)
Monatsmittel des Dezembers
normal 1888
Orösste Wärme
des 1 S.Dez. 1888
Höchenschwand
Todtnauberg .
Schopfheim . .
Karlsruhe . .
1013
1021
385
123
— 1.7
-1.4
— 0,9
+ 0,8
1,8
+ 3,»
-0,4
+ 0,2
-f 7,1
-h 11,1
+ 1.«
- 2,5
„Die Erklärung dieser abnormen Wärmeverteilung findet sich un-
schwer, wenn man ins Auge fasst, unter welchen Umständen sie ein-
tritt. Ein Gebiet mit hohem und gleichmässig verteiltem Barometer-
stand verleiht der Atmosphäre das Gepräge des Ruhezustandes ; da nun
ausserdem gleichmässige Verteilung hohen Barometerstandes meist von
hellem Wetter begleitet ist, so bringt sie im Winter durch beträcht-
liche Ausstrahlung der Wärme meist strengen Frost. Aus den Ge-
bieten des hohen Luftdruckes fliesst die Luft am Boden nach allen
Seiten hin ab, und zum Ersatz hierfür werden die oberen Schichten heran-
gezogen, welche somit eine absteigende Bewegung annehmen müssen.
Dabei verdichten und erwärmen sie sich. Dass diese Erwärmung sich
nicht auch den Thälem mitteilt, erklärt sich ungezwungen aus dem
Umstände, dass die Luft an den Hängen herabgleitend allmählich mehr
und mehr eine wagrechte Bewegung annimmt und schliesslich über der
durch Ausstrahlung erkalteten, also dichteren Luftschicht am Boden hin-
fliesst. So ist es erklärlich, dass Kessellagen und von Höhen ein-
gerahmte Hochflächen, in denen die kalte Luft, ohne abströmen zu können,
liegen bleibt, seltener und schwächer an der wohlthätigen Erscheinung
der Temperaturumkehr teilnehmen. Die Baar, eine breite und flache
Thalmulde zwischen Schwarzwald und Jura, verdankt dieser Lage ihre
harten Winter- Das rund 300 m höher gelegene Höchenschwand ist
während des ganzen Winters wärmer als. die Baar, da von dem Höchen-
schwander Berg die kalte Luft nach allen Seiten ungehindert abfliessen
kann.** Auf dieselbe Weise ist der auffallende Wärmegegensatz des
Winters von Schopfheim und Schweigmatt zu erklären, sowie die That-
sache, dass sehr oft im Winter die Kuppen, Gehänge und freien Hoch-
flächen des Gebirges höhere Wärme besitzen als die Thäler und die
Ebenen am Fuss des Gebirges. Die regelmässig mehrmals in der kalten
Jahreszeit sich einstellende Temperaturumkehr trägt ausserordentlich
viel dazu bei, die Höhen — und das gilt vom Schwarzwalde in aus-
gedehntester Weise — wohnlich zu machen und sie den Thälem mit
ihren wochenlang andauernden Kälteperioden und dichten Nebeln gegen-
über einladender erscheinen zu lassen. Betrug doch z. B. in der Zeit
vom 14. bis zum 24. Dezember 1888 der Wärmeüberschuss der Schwarz-
waldhöhen über die meist in dichte Nebel gehüllten Thäler im Mittel
über 6^, und einigemale stieg er sogar bis auf 13^. Dasselbe wurde
in den Wintern 1889 auf 1890 und 1890 auf 1891 wieder fest-
gestellt.
Die verhältnismässig dicht zu nennende, Bevölkerung der höheren
Schwarzwaldteile, besonders im Süden des Gebirges, erscheint hiernach
37]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
37
klimatologisch betrachtet nicht so abnorm, wie das auf den ersten Blick
der Fall sein möchte.
Vom unteren Wutachgebiet und Klettgau liegen die nächsten
meteorologischen Stationen ziemlich entfernt. Bei der Höhenlage und
Exposition des Gebietes nach Süden nehmen die tieferen Lagen desselben
an den Vorzügen des oberen Rheinthaies teil; die höheren Lagen von
500 m Meereshöhe und mehr teilen das Klima des Hegaus.
Für die Rheinebene kann als mittlere Jahrestemperatur 10 — 11°C.
angegeben werden. Sie ist der wärmste Teil Badens und einer der
begünstigtsten Deutschlands mit heissen Sommern und im allgemeinen
milden Wintern. Der nördliche Teil um Mannheim ist der wärmste;
dann scheint gegen Süden zu ein Gebiet sich einzuschieben, in welchem
die Wirkung des niederen Kraichgauer Hügellandes in der Nähe sich
geltend macht; wenigstens zeigt sich Karlsruhe in allen Jahreszeiten
der berechneten Temperatur nach etwas zu kühl, wobei übrigens auch
die grosse negative Abweichung im Frühling und Sommer ähnlich wie
bei Baden durch den ausgedehnten Haardtwald, der die Stadt nach
allen Seiten umgiebt, einen Teil ihrer Erklärung finden kann. Die
Stationen Heidelberg und Freiburg, und noch mehr Baden, liegen zu
nahe am oder zu tief im Gebirge, als dass sie die Verhältnisse der
freien Ebene rein zur Darstellung brächten; sie repräsentieren die kli-
matischen Zustände am Rande der Ebene, also in einer Landschaft,
die in jeder Beziehung als der herrlichste Garten des Landes gelten kann.
Was nun weiterhin die Niederschlags Verteilung betriflft, so
sind in Tabelle VI nach dem 2. Heft der Beiträge zur Meteorologie
und Hydrographie des Grossherzogtums Baden (S. 59) die Nieder-
schlagsmittel flir 1871 — 83 zusammengestellt; da aber diese Periode
als eine abnorm niederschlagsreiche bezeichnet werden muss, so sind
die Werte nach den Ergebnissen der Karlsruher Beobachtungen auf den
42jährigen Zeitraum von 1841 — 83 reduziert worden durch Verkleine-
rung im Verhältnis 1140 : 876. Endlich giebt die Tabelle auch noch
die jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge, in Prozenten ausge-
drückt, für die Jahre 1871-83.
\
Tabelle VI.
Niedersclilagsmengen in MilUmetem und ihre jahreszeitliclie Verteilung
in Prozenten.
Niederschi agsmen ge
Jahreszeitliche Verteilung in Prozenten
Station
1871
bis
1883
1841
bis
1888
auf Mann-
heim be-
zogen
Winter
Frühling
Sommer
Herbst
Meersburg . .
Donaueschingen .
VilUngen . . .
Höchenschwand .
1053
958
1018
1687
808
716
772
12iy7
1,07
1,16
1,88
1
18,1
14,3
16,1
19,3
28,4
24,3
21,8
20,2
86,4
84,9
84,4
28,7
27,1
26,5
27,7
81,8
r
38
Ludwig Neiunann,
[38
Niederschlagsmenge
Jahreszeitliche Verteilung in Prozenten
Station
1871
1841
auf Mann-
bis
bis
heim be-
Winter
Frühling
Sommer
Herbst
1883
1883
zogen
Schopfheim . .
1458
1119
1,6S
17,5
22,8
29,7
30,0
Schweigmatt . .
1719
1319
1,98
19.1
23,8
28,5
28.6
Badenweiler . .
1241
952
1,43
15,0
22,8
35,.
27,1
Freiburg . . .
1273
976
1,46
14.4
26,0
32.3
27,4
Baden ....
1719
1319
1,9^
19,1
22,4
30,4
28,1
Karlsruhe . . .
1140
876
1,81
17,9
21,8
^tOj"^
26,8
Bretten ....
943
704
1,06
18,0
22,2
32,6
27.2
Mannheim . . .
864
665
1,00
15,7
19,7
36,9
27,7
Heidelberg . .
963
720
1,08
19,1
21.2
31,8
27,9
Buchen ....
1112
854
1,28
21,6
20,1
28,3
30,0
Wertheim . . .
993
740
1,11
18,5
19,8
33,5
28,7
„Nun haben wir aber für die Beurteilung der Niederschlags-
verhältnisse nicht nur die vorstehenden Stationen zur Verfügung, sondern
viel mehr. Baden allein hat im ganzen 47 Regenbeobachtungsstationen,
dazu können noch benutzt werden 24 nahe der badischen Grenze ge-
legene ebensolche Stationen in Württemberg, 9 in Bayern, 4 in Hessen,
25 im Elsass, 36 in der Schweiz, 1 in Vorarlberg und 3 in Hohen-
zoUern. (Beiträge zur Hydrographie u. s. w., 2. Heft, S. 12.) Auf
Grund dieses umfassenden Beobachtungsmaterials kann nun zunächst
über die geographische Verteilung der Niederschläge in Baden
das Folgende ausgesprochen werden, was sich wesentlich an die eben
genannte Quelle (S. 12 ff.) und an die demselben Heft beigegebenen
Regenkarten anlehnt, wobei noch bemerkt werden möge, dass die
Regenhöhen des Textes nach dem Durchschnitt 1841 — 83 bestimmt
sind. (Vergl. auch: Der Rheinstrom, S. 142 ff., und zugehörige Nieder-
schlagskarte für die Jahre 1870 — 85.) Längs des Rheines dehnt sich
ein schmaler Streifen von 450 — 600 mm jährlicher Niederschlagsmenge
von Basel bis gegen Mannheim zu aus; östlich an diesen anschliessend
finden wir eine Fläche von 600 — 750 mm ebenfalls als schmales Land
in der Rheinebene von der Schweizer bis zur hessischen Grenze; ein
breiterer Streifen derselben Niederschlagshöhe zieht sich durch Hegau,
Jura und nördliches Linzgau. Relativ grosse Verbreitung hat das
Gebiet mit 750 — 900 mm jährlicher Niederschlagshöhe; es breitet sich
hauptsächlich am Westfuss des Schwarzwaldes, im Eraichgau, in den
tieferen Lagen des Odenwaldes und des fränkischen Stufenlandes, endlich
am Ostabfall des Schwarzwaldes, in der Baar und im Norden des
Bodensees aus. Niederschlagshöhen zwischen 900 und 1050 mm zeigen die
niedereren Gebirgsregionen des Schwarzwaldes, sowie die hochgelegenen
Teile des westlichen Jura im Norden, des Odenwaldes und des fränki-
schen Stufenlandes. Die Haupterhebungen des Schwarzwaldes sind durch
inselförmige Gebiete mit rasch von 1050 — 1200, und von 1200 — 1350 mm
und mehr zunehmender Niederschlagshöhe gekennzeichnet. Die Region
der Maximalniederschläge liegt im Hauptmassiv des südlichen Schwarz-
waldes um den Feldberg herum."
39]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
39
V Diese Verteilung der Niederschläge zeigt eine so deutliche Ab-
hängigkeit von der Meereshöhe, dass die Regenkarte eine unverkennbare
Aehnlichkeit mit der Höhenschichtenkarte besitzt. Auf die physikalische
Ursache dieser ganz allgemeinen meteorologischen Erscheinung braucht
hier nicht eingegangen zu werden; nur sei kurz darauf hingewiesen,
dass die Zunahme der Niederschläge sich schon bei der Annäherung
an das Gebirge deutlich zu erkennen giebt, wie die allgemeine Regen-
Terteilung in der Rheinebene uns dies aufs genaueste vor Augen führt,
wie es aber auch aus folgender Zusammenstellung zu ersehen ist, welcher
die Niederschlagshöhen von 1875 — 79 für fünf von West nach Ost auf-
einander folgenden Stationen zu Grunde liegen:
Meereshöhe
m
Jährliche
Niederschlags-
menge
mm
Relative
Niederschlags-
menge
Alt-Breisach .
Auggen . . .
Badenweiler
Höchensch wan d
Donaueschingen
193
290
421
1013
692
649
1072
1316
1879
1073
100
165
203
290
165
Die Rheinebene im Windschatten der Vogesen und ihrer nörd-
lichen Fortsetzungen, ebenso die östlichen badischen Landesteile im
Windschatten von Schwarzwald und Odenwald sind auffallend nieder-
schlagsarm, und zwar die Rheinebene viel mehr als die Landschaften
des Süd- und nordöstlichen Badens, entsprechend der grösseren Höhen-
differenz zwischen Vogesenkämmen und Rheinebene einerseits, Schwarz-
wald und seinen östlichen Vorlagen anderseits. Im Gegensatz zu
Vogesen und Schwarzwald zeigt der in rein nordöstlicher Richtung ver-
laufende Jura an seinen Hängen weder eine nasse noch eine trockene Seite ;
nur die den Siidwestwiuden gegenüber exponierte Erhebung des Randen
im Norden von Schaffhausen vermag am Südwestrande reichlichere
Niederschläge zu veranlassen. Das kleine Gebiet reichlicheren Nieder-
schlags am Nordufer des Bodensees endlich dürfte wohl sein Dasein
ebenfalls dem Südwestwinde verdanken, welcher den auf der Seefläche
aufgenommenen Wasserdampf an den hochgelegenen Stufen des Linz-
gaues wieder abgiebt. Schliesslich mag es dahingestellt bleiben, ob nicht
grosse Waldungen wenigstens lokal — im höheren Schwarzwalde, in der
Umgebung von Baden-Baden , auch bei Karlsruhe u. a. 0. — insofern
2ur Erhöhung der Niederschlagsmenge beitragen, als sie die bei nacktem
Boden starke Insolation verringern, und als infolgedessen die geringere
Wärmeausstrahlung der Kondensation des Wasserdampfes weniger ent-
gegenwirkt, als dies auf kahlen Flächen der Fall sein würde.''
„Was weiterhin die jahreszeitliche Verteilung der Nieder-
schläge betrifft, so liegt Baden in der grossen mitteleuropäischen
Provinz der Niederschläge zu allen Jahreszeiten mit im allgemeinen
Torherrschenden Sommerregen. Nur auf dem hochgelegenen südlichen
r
40
Ludwig Neumann,
[40
Schwarzwaldmassiv (Höchenschwand, Schweigmatt, Schopfheim), auf dem
höheren nördlichen Schwarzwald und auf den oberen Stufen der frän-
kischen Terrassenlandschaft (Buchen) rückt das Niederschlagsmaximum
in den Herbst und zwar dem Monat nach in den Oktober, in Buchen
sogar in den November, offenbar unter dem Einfluss der im Herbst
ganz besonders vorherrschenden Luftströmungen aus Südwest, welche^
da die Maximalzone der Niederschläge bei der sinkenden Temperatur
nach unten gerückt ist, ihren Wasserdampf an den ihnen im Wege
liegenden Höhen abgeben, während die tiefer liegenden Landesteile im
Windschatten von Vogesen und Schwarzwald gelegen sind, also geringere
Niederschlagsmengen empfangen als im Sommer. '^
Zur Charakterisierung des Klimas unsrer Gebiete ist wichtiger als
die Schneemenge, auf die hier nicht eingegangen werden soU, die
Zeitdauer der Schneefälle innerhalb der einzelnen Landesteile. Die
folgende kleine Zusammenstellung (gekürzt aus: Der Rheinstrom, S. 146),.
welcher Mittelzahlen der Reihe von 1879 — 1885 zu Grunde liegen, ist
für unsre Zwecke sehr anschaulich:
Gebiet
Erster
Letzter
Zeit, inner-
halb welcher
Schnee fallt
Tage
Schneefreie
Zeit
Schnee fällt am
Tage
Bodenseegegend (Meersburg)
Jura (Schopf loch)
Südlicher Schwarzwald (Höchen-
Bchwand
Südliche Rheinebene (Basel) . .
Nördliche Rheinebene (Frankfurt)
4. Nov.
20. Okt.
14. Okt.
1. Nov.
10. Nov.
9. April
8. Mai
21. Mai
24. April
5. April
156
200
219
174
146
209
165
146
191
219
Betrachtet man im volkstümlichen Sinne als Winter die Zeit,.
innerhalb welcher Schnee fällt, so zeigen unsre Zahlen, dass auf dem
hohen Schwarzwald der Winter 2 V« Monate, auf dem Jura fast 2 Monate
länger dauert als in der unteren Rheinebene, welche ihrerseits auch
gegenüber der oberen Rheinebene noch um fast einen Monat kürzeren
Winters begünstigt ist. Die Bodenseegegend erscheint auch bei dieser
Betrachtungsweise wieder als ganz besonders durch langen und warmen
Herbst ausgezeichnet.
Die Dauer der schneefreien Zeit, in welcher sich die Fruchtreife
und Ernte zu vollziehen hat, ist für den Anbau und die Besiedelung
klimatisch wohl der wichtigste Faktor. Wir sehen, wie diese Periode
trotz der Kleinheit unsres Gebietes in sehr weiten Grenzen schwankt,
deren Extreme und wichtigste Daten oben zusammengestellt sind. Wir
sehen auch deutlich, wie diese Grenzen in erster Reihe von der Höhen-
lage, dann aber auch von den früher gekennzeichneten Verhältnissen
der geographischen Wärmeverteilung und der Windrichtung, sowie von
speziellen topographischen Zuständen (grosse Wasserfläche des Boden-
sees) abhängen.
41] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 41
Einen sehr bedeutungsvollen Gesamtausdruck findet der klimatische
Zustand eines Gebietes in den phänologischen Erscheinungen,
im Zeitpunkt des Aufblühens wichtigerer Gewächse. Ein systematisches
phänologisches Beobachtungsnetz besteht in Baden nicht; es muss daher,
um wenigstens einige Hauptdaten geben zu können, auf Hoffmanns
Pbänologische Karte von Mitteleuropa (siehe Litt.) zurückgegriffen werden.
Statt wie bei Hoffmann die Eintrittszeiten der Aprilblüten auf Giessen
zu beziehen, sind dieselben unten auf Heidelberg bezogen worden. Die
Zahlen geben an, um wie viel Tage sich die Aprilblüten gegenüber
denjenigen von Heidelberg verfrühen (+) oder verspäten ( — ):
Friedrichshafen, Bodenseegebiet — 6 Tage.
Reichenau, » — 3
Ochsenhausen, Linzgau — 21
Schwenningen, Baar — 22
Tuttlingen, Donauthal — 23
Schaffhausen, Rheinthal — 6
Rafz, Klettgau, nahe Schaffhausen — 9
Lohn, Randen, „ „ — 20
Basel, Rheinthal — 3
Freudenstadt, östlicher Schwarzwald (Hochfläche) . . — 31
Calw, östlicher Schwarzwald (Nagoldthal) .... — 3
Heilbronn, Neckarthal
Bruchsal, Westrand des Kraichg. Hügellandes . .
Siedelbrunn, vorderer Odenwald, nördlich vom Neckar — 20
Birkenau, » „ (Weschnitzthal) ... — 5 ,
Bensheim, „ „ Bergstrasse .... -|- 2 ,
Darmstadt, untere Rheinebene — 2
Pfeddersheim, „ „ — 3
Würzburg, fränkisches Stufenland (Mainthal) ... — 5
Der Gebirgsfuss am Ostrande der Rheinebene erscheint nach dieser
Zusammenstellung als der weitaus begünstigtste und geschützteste Landes-
teil, in welchem die Blüte zuerst zur Entwickelung kommt, und zwar
ist entsprechend der tieferen Lage der Norden (Bruchsal, Heidelberg,
Bensheim) etwas früher daran als der höher gelegene Süden (Basel).
Mit der Entfernung vom Gebirgsfuss tritt eine kleine Verspätung ein
(Darmstadt, Pfeddersheim), während tief gelegene Thäler des westlichen
Hügellandes (Heilbronn) an den Vorzügen der Bergstrasse teilnehmen.
Je mehr man sich nach Osten von der Rhein ebene wegbewegt, desto
mehr treten auch in den tieferen Thälem Verspätungen ein (Würzburg),
und der Odenwald hat trotz seiner geringen absoluten Höhe und der
grossen Nähe der Rheinebene sowohl in niederen wie in höheren Lagen
Verspätungen (Birkenau, Siedelbrunn), die von unten nach oben rasch
zu bedeutender Grösse anwachsen. Für den hohen Schwarzwald fehlen
Beobachtungsstationen; doch zeigt das Verhalten von Freudenstadt,
wie gross der Unterschied der Blüteneintrittszeiten zwischen Rheinebene
und Gebirge ist. Der Gegensatz von Hochfläche und tiefer Thallage
auch für den der Rheinebene gegenüber weniger günstigen Ostabhang
des Schwarzwaldes tritt durch die Vergleichung von Freudenstadt und
Calw klar zu Tage.
n
n
•n
n
42 Ludwig Neumann, ["42
Das obere Rheinthal und die Uferlandschaften des Bodensees
(Basel, Schaffhauseu, Reichenau, Friedrichshafen) sind in ihrer Vege-
tationsentwickelung trotz höherer Lage dem westlichen Qebirgsfuss
gegenüber nicht sehr stark benachteiligt; es macht sich hier offenbar die
südliche Exposition, vielleicht auch der Föhn günstig geltend. Sobald man
aber die Hochflächen und Gebirge besteigt, so findet sich dasselbe
Verhältnis wie in der Umgebung von Heidelberg. Hier fallen bei den
geringen Entfernungen von Schaffhausen besonders das nicht sehr hoch
gelegene Elettgau (Rafz) und der hohe Randen (Lohn) auf, dann ganz
besonders die höheren Teile des Linzgaues (Ochsenhausen) und endlich
die Baar, in welcher Donauthal und eigentliche Hochfläche (Tuttlingen
und Schwenningen) gleich ungünstig daran sind.
In diesen so verschiedenen Eintrittszeiten der Aprilblüten spiegelt
sich die Strenge und Dauer des Winters, damit ein überaus wichtiger
klimatischer Faktor sehr deutlich ab, ein Faktor, der wegen seiner
Bedeutung für die Vegetationsdauer der Nährpflanzen in erster Reihe
die Wirkung des Klimas auf die Siedelungen zum Ausdruck zu bringen
geeignet ist.
Durch diese kurz gefassten Ausführungen erscheinen die klima-
tischen Bedingungen der einzelnen Landesteile so weit dargestellt, dass
es möglich ist, bei den später folgenden Untersuchungen über die
Ursachen der verschiedenen Volksdichtengrade auf dieselben zurück-
zugreifen.
4. Hydrographische Verhältnisse, besonders der Rheinebene.
Die vorstehenden Entwickelungen haben die seit geschichtlicher
Zeit als unverändert anzusehenden Grundzüge der Höhenverhältnisse
und der orographischen Gliederung, des geologischen Baues und der
klimatischen Zustände Badens in dem Umfange klarzulegen versucht,
wie sie für die Besiedelung von Bedeutung sind. Die Fragestellung
(S. 19), welche die Richtung und Ausdehnung dieser ganzen Arbeit
bestimmt, führt nun naturgemäss weiter zu einer kurzen üebersicht der
hydrographischen Beschaffenheit, die logischerweise als Folge-
erscheinung der Niederschlagsverhältnisse aufzufassen ist. Die Entstehung
der einzelnen Wasseradern und Thalrinnen ist hier nicht von Belang,
sondern nur die Wirkung ihres Vorhandenseins auf die Besiedelung.
Im Schwarzwald und Odenwald, in den östlichen Hügelländern und auf
der Hochebene der Baar sind die Linien der Wasserläufe als bequemste
Zugänge zuerst beschritten und zuerst besiedelt worden. An ihnen
liegt auch heute die Mehrzahl aller Niederlassungen überall, wo nicht
die Natur des Thalbaues dies verhindert hat und das ist in hervor-
ragendem Masse nur der Fall im südlichen Schwarzwalde bei denjenigen
Thälern, welche oberhalb Basel in den Rhein einmünden. Diese Thäler
tragen den Charakter des Jugendlichen, Unfertigen deutlich zur Schau;
sie kommen aus hochgelegenen, sanftgeneigten Thalmulden und ver-
stärken ihr Gefälle nach unten, so dass sie in diesen unteren Thalstrecken
tief und schluchtartig ausgesägt erscheinen und neben dem reissenden
Strome kaum der Strasse genügenden Platz übrig lassen. Nur selten
43] I^ie Yolksdichte im Grossherzogtum Baden. 43
und vereinzelt finden sich in kleinen Ausweitungen zerstreute Wohn-
stätten oder unbedeutende Dorfschaften; die grosse Mehrzahl der Sie-
delungen liegt in dieser Gegend oben auf den sonnigen Hochflächen,
die sich zwischen den Thalrinnen ausbreiten. Dass einmal, sobald
überhaupt die Zahl der Siedelungen einige Grösse, also die Yolksdichte
einen nennenswerten Grad erreicht hatte, die Frage des Verkehrs mächtig
fördernd auf die Weiterentwickelung der Wohnorte einwirken musste, ist
schon ausgesprochen worden. Dass wir also auch, abgesehen von der
erwähnten Ausnahme, die grösseren und ansehnlicheren Niederlassungen
des Gebirges und der Hügelländer im allgemeinen längs der natürlichen
Verkehrswege der gangbaren Thäler finden, versteht sich von selbst,
ebenso, wie es aus demselben Grunde nichts Verwunderliches hat, dass
die Bodenseeufer und das obere Rheinthal vom Bodensee bis Basel in
mächtiger Weise volksverdichtend gewirkt haben.
Wie im einzelnen Exposition und Bestrahlung, Thalrichtung und
Neigung, Steilheit der Gehänge, BeschafiFenheit der Thalsohle, Beziehung
zwischen Thalrichtung und vorherrschender Windrichtung, Niederschlags-
verhältnisse neben der Gesteins- und Bodenbeschaffenheit die Frucht-
barkeit und Ergiebigkeit des Bodens und damit die Volksdichte be-
stimmen, das hat in einem andern Gebiete Opp ermann (vergl. Litt.)
sehr schön nachgewiesen. Für die wenigen Thäler und Thalgebiete
des Taunus war es möglich, in betreff jeder einzelnen Gemeinde die
Anbau Verhältnisse, die Ernte- une Obsterträgnisse zu ermitteln und
hiemach in Verbindung mit dem Hinweis auf die mehr oder weniger
entwickelten Verkehrsbeziehungen Schlüsse auf die Besiedelung jedes
Thaies und auf seine Volksdichte zu ziehen, die durchaus befriedigend
ausfallen. Für das ganz wesentlich grössere Gebiet Badens die Unter- .
suchung in ähnlicher weitläufiger Weise durchzuführen, wäre für einen
Einzelnen unmöglich; es kann aber als eine sehr lohnende Arbeit für
Sonderuntersuchungen bezeichnet werden , die Siedelungsverhältnisse
verschiedener Thalgebiete in den einzelnen Teilen Badens einer Bear-
beitung im Sinne Oppermanns zu unterziehen.
Sehr wichtig für unsre Frage gestaltet sich das hydrographische
Moment in der Rheinebene zwischen Basel und der hessischen Grenze.
Während nämlich, abgesehen von einzelnen Flusslanfverbesserungen, die
seit alters her zum Zwecke der Entsumpfung, der Holzflösserei und
auch der Schiffahrt (Neckar, Main), dann besonders erst in den letzten
Jahrzehnten zur Sicherung und Verbesserung von Grund und Boden
vorgenommen worden sind, innerhalb der Gebirge und des Hügellandes
der hydrographische Gesamtzustand seit der geschichtlichen Zeit im
Grunde unverändert blieb, ist die Rheinebene seit den Tagen der ersten
Ansiedelung in ihrer ganzen Natur völlig umgestaltet worden. In vor-
römischen Tagen, für welche nur von einer ziemlich dünn gesäten
Bevölkerung gesprochen werden kann, ist natürlich keine Möglichkeit
vorhanden gewesen, den natürlichen Lauf des Rheines und seiner Neben-
flüsse innerhalb der Ebene künstlich zu beeinflussen. Wir können also ohne
Einschränkung der Allgemeinheit unsrer Untersuchung die Zustände
zur Römerzeit als die ursprünglichen ansehen. Ueber diese geben uns
Näher und Honsell (vgl. Litt.-Verz.; siehe auch die hydrographische
44 Ludwig Neumann, [^44
Beschreibung des Rheiristromes, S. CO — 60 und 177 — 180) Auskunft.
Nach den genannten Quellen floss der Rhein vor 1800 Jahren im all-
ji^emeineii in demselben Bett, in welchem wir ihn zu Anfang unsres
Jahrhunderts vor der grossen Rheinkorrektion finden. Als echter
Wildstrom änderte er aber innerhalb seines breiten Ueberschwemmungs-
gebietes seinen Wasserlauf vielfach; ist doch infolge solcher Strom-
verlegungen die Bergstadt Breisach im Laufe der Geschichte wiederholt
vom rechten aufs linke Flussufer geschoben oder zur Insel gemacht
worden.
Von Basel bis in die Nähe des Kaiserstuhls hat sich der Rhein
in den von ihm aufgeworfenen Schuttkegel alpiner Geschiebe eine tiefe
Rinne erodiert und so den Gegensatz zwischen dem Hochufer und dem
tiefliegenden Ueberschwemmungsgebiet gebildet, wie wir ihn z. B. auf
der Eisenbahnfahrt von Basel nach Norden, besonders in der Umgebung
des Isteiner-Klotzes so scharf ausgeprägt sehen können. Auf dieser
Strecke besitzt der Strom in seinem Ueberschwemmungsgebiet keine
geschlossenen Ufer, vielmehr haben wir es mit einem Gewirr von Strom-
armen und Giessen, Inseln und Kiesgründen mit zusammen 1 — 2 und
mehr Kilometer Breite zu thun. Denselben Charakter des Stromlaufes
finden wir auch dem Kaiserstuhl entlang auf der kurzen Strecke der
indifferenten oder Nullarbeit des Rheines. Von hier ab und weiterhin
verschwinden die Hochgestade bis unterhalb der Kinzigmündung, von wo
ab sie wieder zum Vorschein kommen; ihre eigentliche Ausbildung
finden sie aber erst weiter nördlich, etwa von der Rench ab bis zur
hessischen Grenze. Auf dieser langen Erstreckung im Norden des
Kaiserstuhls, wo bei vermindertem Gefälle nicht nur keine Erosion
stattfindet, wo vielmehr der Fluss die von oben herab mitgebrachten
Geschiebe ablagert, also sein Bett erhöht — daher das Fehlen der
Hochufer — ändert er mit der Zeit den Charakter der eigentlichen
Wasserrinne: er sammelt seine Fluten in ein geschlossenes Bett, das
abwärts von der Murgmündung in weiten, vielfach scharf gebogenen
Windungen die Niederung ausfüllt. Die Auswaschung der unteren
Rheinniederung zwischen ihren Hochufern ist durch das wechselvolle
Spiel dieser Serpentinen entstanden ; der ziemlich gleichmässige Abstand
der beiden Hochgestade mit ihren Buchten und Landzungen, besonders
zwischen Lauterburg und Germersheim, lässt erkennen, dass der Strom
einst in viel weitern Windungen floss, die genau den jetzigen Biegungen
des Hochufers entsprechen; dies letztere ist demnach nur durch Ab-
tragung von Seiten des fiiessenden Wassers entstanden. (Honsell,
Natürl. Strombau, S. 35—49, nebst Karte.)
Diese Beschaffenheit des Stromes und seiner Ufer lassen es natur-
gemäss erscheinen, dass die Siedelungen unterhalb des Hochufers, wo
dieses vorhanden, sehr selten, und dass sie auch längs der flachen Uftjr-
linie vom Kaiserstuhl bis über die Kinzig hinaus nur spärlich ge-
zählt sind.
Es war lange Zeit hindurch die Ansicht verbreitet, dass der Rhein bis
zur Römerzeit und noch später in drei parallelen Armen durch die Ebene
nach Norden geflossen sei. Besonders Tulla, der geniale Schöpfer der
Rheinkorrektion, hat die Theorie der drei Rheine durch seine Autori-
45] I^iö Volksdichte im Grossberzogtum Baden. 45
tat lange geschützt. Der mittlere Arm sollte im ganzen dem jetzigen
Laufe entsprechen, der westliche in der Richtung der 111 durchs Elsass
geströmt, und der östliche den Hauptarm oberhalb des Kaiserstuhls
verlassen haben, um von hier ab dem Fusse des Schwarz waldes entlang
nach Norden zu ziehen, so dass sämtliche Flüsse und Bäche des
Schwarzwaldes, ja vielleicht sogar noch der Neckar demselben zu-
geströmt wären. Heute wird dieser Ansicht die andre entgegenge-
stellt (vgl. Näher, S. 180; Honsell, Nattirl. Strombau, S. 44), dass das
zweifellos längs des Gebirgsfusses vorhandene Gewässer alter Zeit,
dessen Dasein auch urkundenmässig erhärtet ist, indem z. B. eine In-
schriftentafel in Ettlingen diesen Ort als Schiffsstation bezeichnet, und
indem Gewandnamen bei Muggensturm, in der Nähe von Rastatt, in
dieser Gegend Bindeplätze für Flösse erkennen lassen, u. a. m. — dass
dieses Gewässer nicht als Rheinarm gedeutet werden könne; „vielmehr
fehlte es auf dem ehemaligen Seeboden der jetzigen Rheinebene an der
Querneigung, die notwendig gewesen wäre, damit die aus den Seiten-
thälern austretenden Wasser in der Richtung ihres Thallaufes nach
dem in der Mitte des Hauptthaies liegenden Strom abflössen. Die
Wasser mussten deshalb an den Tbalmündungen sich ansammeln und
der Längsneigung des Hauptthaies folgend, nach Norden ihren Abfluss
nehmen, d. h. dem Bergfuss entlang. Durch die an den Thalmün-
dungen hervortretenden Schuttkegel war der Abfluss vielfach gehemmt,
und so entstanden seeartige Bildungen und Sümpfe. Die Spuren dieses
breiten Gewässers sind heute noch deutlich zu erkennen durch Wiesen,
Brüche und nasse Waldungen; vor einigen hundert Jahren noch war
die Bahn des „Ostrheins'* durch kleine Seeen und Fischweiher bezeich-
net. Es besteht auch kein Zweifel darüber, dass dieses Gewässer einst
durch künstliches Zuthun beseitigt, dass der Unterlauf der Seitenflüsse
durch Menschenhand geöffnet worden ist. Bezeichnend ist insbesondere,
dass diese Flüsse meist da einmünden, wo das Hochufer des Rheines
sich dem Bergfusse am meisten genähert hat, wo also der Graben am
kürzesten geworden ist. Die „Landgräben" der Rheinebene sind nichts
als solche Ableitungen.
Ueber den Neckar hinab hat sich jenes Gewässer am Bergfusse
nicht ausgedehnt, denn dieser Fluss hat einen ausgedehnten Schuttkegel
bis zum Hauptstrom selbst vorgestreckt und ihn zum weiten Ausbiegen
nach Westen gezwungen. Dagegen mussten sich auch der Bergstrasse
entlang die Odenwaldgewässer zu einem flussartigen Gebilde stauen, in
welches sich zeitweise die Fluten des Neckar, wenn er über sein nied-
riges, rechtsseitiges Ufer bei Ladenburg austrat, ergossen haben mögen,
um nach Norden abzufliessen. Ebenso mag auch der Rhein selbst,
hoch angeschwollen, von dem Geröllkegel oberhalb des Kaiserstuhls
dann und wann seine Wassermassen über die Ebene hin in das Rinnsal
am Bergfusse ergossen haben.
5. Geschichtliche Uebersicht der Besiedelang des heutigen Badens.
Neben den früher besprochenen allgemeinen Zuständen haben
diese hydrographischen Verhältnisse die Besiedelung in ganz hervor-
4G Ludwig Neumann, [46
ragendem Masse beeinflusst, wie ein Blick auf die vorgeschichtliche und
die ältere geschichtliche Entwickelung derselben darthut. Als Quelle
für die folgende kurze Zusammenfassung dienten Wagners archäo-
logische Karte des Grossherzogtums Baden, sowie das Sammelwerk »Ds^
Grossherzogtum Baden** in seinem Abschnitt über Geschichte und Alter-
tümer (bes. S. 139— 183 0-
Neben den vereinzelten, der ältesten Steinzeit angehörigen
Funden von zum Teil unveränderten, zum Teil bearbeiteten Renntier-
knochen und -Geweihen, von Steinwerkzeugen, Thonscherben und Holz-
kohlen aus dem Löss der Rheinebene bei Munzingen am Tuniberg
(Amt Freiburg), und neben ähnlichen Funden im Kesslerloch bei
Thayingen (Kanton Schaffhausen), unmittelbar an der badischen
Grenze, Funden, welche uns die älteste Spur von Besiedelungen so-
wohl in der Rheinebene als im Hegau verraten, sind die zahlreichen
Reste der jüngeren Steinzeit und der älteren Metallzeit, wie
sie uns in den Pfahlbauten erhalten blieben, die Hauptzeugen alter
Niederlassungen. Es ist hier nicht der Ort, von der Art und Ver-
schiedenheit der gefundenen Gegenstände selbst zu sprechen; für den
vorliegenden Zweck sind nur die Oertlichkeiten der Pfahlbauten von
Wichtigkeit. Wir finden dieselben am Bodensee und zwar bei Hagnau,
Haltnau, Unteruhldingen, Seefelden, Maurach, Nussdorf, Sipplingen,
Ludwigshafen, Bodmann, Wallhausen, Dingeisdorf, Litzelstetten, Mainau,
Konstanz; am Untersee bei Hegne, Aliensbach, Markelfingen, Itznang,
Hornstaad, Gaienhofen, Hemmenhofen und vor allem bei Wrangen;
ferner am Mindelsee auf der Bodanhalbinsel, bei Rielasingen an der
Aach und bei Dürrheim in der Nähe der Neckarquelle.
Diese Pfahlbaureste beweisen uns das Vorhandensein einer ver-
hältnissmässig schon ziemlich verdichteten Bevölkerung am Bodensee,
in den Niederungen des Hegau und in den tiefer gelegenen Teilen der
Baar für eine Zeit, die jedenfalls weit vor der römischen Invasion liegt.
Geräte, Gefässe, Waffen und Schmuckgegenstände, die mit den-
jenigen der Pfahlbauten vollkommen übereinstimmen, aber fem vom
Wasser und ohne eigentliche Pfahlbaureste gefunden wurden, lassen
darauf schliessen, dass in denselben Tagen der jüngeren Steinzeit und
der darauf folgenden Metallzeit auch festländische Siedelungen bestan-
den, von denen grössere, nämlich sogenannte Depotstellen (Handels-
niederlagen, Metallgussstätten) nachgewiesen sind bei Kaltbrunn auf
der Bodanhalbinsel, bei Salem im unteren Linzgau, bei Unadingen in
der Nähe von Hüfingen, bei Istein nördlich von Basel, bei Ettlingen,
zwischen Weiher und Stettfeld (Amt Bruchsal) am Rande des Kraich-
gauer Hügellandes, bei Friedrichsfeld am unteren Neckar und auf der
Schauenburg bei Dossenheim an der Bergstrasse.
Ueber die „vorrömische Metallzeit** geben weiterhin Haupt-
aufschluss die Gräberfunde in den Flachgräbern, Urnenfeldern und
Hügelgräbern. Erstere sind gefunden worden zu Merzhausen bei Frei-
*) Karl Bissinger, Bilder aus der Urgeschichte des badischen Landes.
Badische Neujahrsblätter, herausgeg. von der bad. histor. Kommission, Karls-
ruhe 1891, ist erst erschienen, nachdem vorstehender Abschnitt geschrieben war.
47] Die Volkadichte im Grossherzogtum Baden. 47
bürg, zu Heitersheim (Amt Staufen), bei Lörrach und bei Weilheim
(Amt Waldshut), also am Südabfall des Schwarzwaldes und an dessen
südwestlichem Hügelsaum. Urnenfelder sind nachgewiesen zu Hut-
tenheim und Oftersheim auf dem Rheinhochufer in der unteren Ebene,
sowie zu Gottmadingen im Hegau; die im ganzen häufigen Hügel-
gräber (119 Gruppen mit über 600 Hügeln, deren Grösse bis zu 90m
Durchmesser und 8 m Höhe anwächst) , fehlen durchaus im hohen
Schwarzwald, in der mittleren Rheinebene zwischen Elz und Pfinz, so-
wie im hohen Odenwald. Sehr reich dagegen sind an ihnen die weitere
Umgebung des Bodensees, Linzgau, Hegau und Jura in allen Höhen-
lagen, das Kraichgauer Hügelland und die ihm benachbarten Teile der
unteren Rheinebene. Von den übrigen Landesteilen haben die Baar,
die Ostabdachung des Schwarzwaldes, das Klettgau, das obere Rhein-
thal und sein Gebirgsrand wenig, die westlichen Vorhöhen des süd-
lichen Schwarzwaldes und die obere Rheinebene bis gegen Lahr etwas
mehr, das Neckarthal vereinzelte und die fränkische Hochebene wenig
Hügelgräber. Es scheinen hiernach in der vorrömischen Zeit die höheren
Gebirge und die den Ueberschwemraungsgefahren ausgesetzten Teile
der Rheinebene beinahe oder vollständig unbewohnt gewesen zu sein.
Zum gleichen Ergebnis führt uns auch die geographische Verteilung
der ziemlich zahlreichen Ringwälle; das Vorhandensein der vereinzelt
vorkommenden Hochäcker zeigt, dass jene alte Bevölkerung sich mit
Ackerbau befasste; den Betrieb der Viehzucht können wir aus Tier-
resten in Gräbern und Opferstätten schliessen, Geräte und Schmuck aus
Metall, Glas, Bernstein, dann die vorhandenen Münzen weisen auf Ge-
werbefleiss, Handel und Verkehr, also auf eine sehr weit entwickelte
Bildungsstufe jener ältesten Bewohner, die wir als Kelten zu betrachten
gewohnt sind.
Beim Eindringen der Römer finden wir die Kelten von den Ger-
manen verdrängt, die 58 vor Chr. unter ihrem Führer Ariovist durch
Cäsar vom linken Rheinufer aufs rechte zurückgedrängt wurden; später
finden wir am Rheinknie von der Neckarmündung bis zur oberen Donau
die Markomannen, die aber im letzten Jahrzehnt vor Christi Geburt
unter Narbod nach Böhmen auswanderten, um sich vor der drohenden,
römischen Vergewaltigung zu schützen. Nach ihrem Abzug war das
Land nur noch sehr dünn bevölkert, und unter diesen wenigen Volks-
resten scheinen auch noch Kelten gewesen zu sein, die sich wahrschein-
lich vor der Flut des germanischen Einfalles in die zuvor unbewohnten,
versteckten Thalwinkel des Gebirges zurückgezogen hatten, von wo sie
sich bei langsamer Vermehrung allmählich auch in das Innere des
höheren Schwarzwaldes ausbreiteten, so dass sie den Grundstock der
allerdings erst viel später nachweisbaren Gebirgsbevölkerung bilden.
Wenigstens scheinen anthropologische Aufnahmen und Untersuchungen
der neuesten Zeit (vgl. die im Litteraturverzeichnis erwähnten Arbeiten
von Ammon) darauf hinzuweisen, dass die heutigen Schwarzwälder einem
andern Volksstamme angehören, als die Bewohner der Ebene und des
Hügellandes.
Die Römer betraten badisches Gebiet zum erstenmal im Jahre 1^>
vor Chr., indem Tiberius in diesem Jahre vom Bodensee bis zur „Donau-
48 Ludwig Neomann, [48
quelle'' vorrUckte. Von jener Zeit ab war das sQdöstliche Baden ein
Teil der Provinz Rbätien. Die Besetzung des übrigen Landes erfolgte
um die Mitte des ersten Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung, aber erst
unter Domitian und Trajan wurde der grosse Grenzwall angelegt und
vollendet, der vom Mittelrhein in südöstlicher Richtung bis Regensburg
sich erstreckte und die ,agri decumates*", das Zehntland, einen Teil
der 9 Germania superior*", vom freien Germanien trennte. Der limes
romanus schneidet Baden in der Linie Osterburken- Walldürn und lässt
nur den äussersten Nordosten des Landes ausserhalb der römischen
Machtsphäre liegen. Reste von römischen Strassen, Befestigungen,
Militärstationen, Brücken, bürgerlichen Niederlassungen, Bädern (Baden-
Baden und Badenweiler) und Eultusstätten geben ein deutliches Bild
von der römischen Machtentfaltung und Kultur am Oberrhein. Acker-
bau und Viehzucht waren auch jetzt die Hauptbeschäftigungen; sehr
entwickelt war sodann das Baugewerbe, wie zahlreiche Ziegelbrennereien
beweisen; daneben blühten Steinhauerei, Töpferei, Metallgewerbe, Berg-
bau (Wiesloch), Handel und Verkehr.
Römische Reste verschiedenster Grösse und Bedeutung finden sich
sehr häufig am Bodensee (Eonstanz), im Linzgau, Hegau, Klettgau und
in der Baar, besonders längs der Strasse, die von Vindonissa (Windisch
bei Brugg an der Aare) nach Norden ins Neckargebiet f&hrte ; dann im
oberen Rheinthal zwischen Waldshut und Basel, am Westabhang des
Schwarzwaldes (Badenweiler) von Basel bis zur £lz und in der vor-
liegenden Rheinebene (Alt-Breisach), im unteren Einzigthal und an
seinen Umrandungen, am Schwarzwaldfusse von Lahr bis Bühl und zum
Teil auch in der nahen Ebene; ganz besonders in der Umgebung von
Baden, am Nordrande des Schwarzwaldes von Ettlingen bis Pforzheim
und rings um diese Stadt herum, in der unteren Rheinebene (Heidel-
berg und Ladenburg), im Kraichgauer Hügelland und nach Osten bis
zum limes (Osterburken). Es sind im ganzen gegen 150 Trümmer-
und über 100 Fundstellen, die nur den höheren Schwarzwald, die un-
günstigen Teile der Rheinebene und den inneren Odenwald unbewohnt
erscheinen lassen.
Die römische Kultur erreichte ihren Höhepunkt zu Anfang des
dritten Jahrhunderts ; in den langdauemden und heftigen Kämpfen mit
den Alemannen ging sie allmählich unter, und nach Valentinian (375) ist
nur noch dessen Sohn Gratian einmal auf das rechte Rheinufer hinüber-
gedrungen. Seither war das Zehntland für die Römer verloren, und
zu Anfang des fünften Jahrhunderts nahm auch ihre Herrschaft am
Bodensee (Rhätien) ein Ende; dass von den vielen römischen Anlagen
so gut wie nichts unzerstört erhalten blieb, erklärt sich aus der Art
der Kampfführung jener Tage zur Genüge.
Die nachrömische, alemannische Besiedelung ist also erst der
wirkliche Ausgangspunkt der heutigen Niederlassungen und damit auch
der Entwicklung der jetzigen Volksverteilung und Volksdichte ge-
worden, wobei aber doch festzuhalten ist, dass die neuen Herren des
Landes ihre Wohnstätten zumeist an den von den Kelten und dann
von den Römern ausgewählten, und von diesen als günstig erkannten
Oertlichkeiten aufschlugen, da sie hier überall wertvolle Vorarbeiten
49] ^i^ Yolksdichte im Grossherzogtum Baden. 49
zu ihrer eigenen gedeihlichen Entwickelung vorfanden, wie ausgerottete
Wälder, gepflegtes Ackerland, Bewässerungsgräben, Wege u. s. w.
Trotz des fast absoluten Untergangs der älteren Kelten- und Germanen-,
sowie der jüngeren Römerkultur, besteht demnach doch eine gewisse
Kontinuität der Siedelungen von den frühesten bis auf diejenigen
unsrer Tage.
Seit 496, in welchem Jahre Chlodwig die Alemannen schlug,
mussten sich diese in die Gebiete südlich der Murg und Oos zurück-
ziehen, während der Sieger, welcher seine Herrschaft über das ganze
Land ausdehnte, die nördlichen Teile desselben seinen Franken und
Chatten zum Wohnsitz anwies. Der Gegensatz zwischen Franken und
Alemannen, d. h. zwischen der Bevölkerung nördlich und südlich der
Murg und Oos ist heute noch in mancherlei Hinsicht wohl erkennbar.
Nicht nur dass die volkstümliche Scheidung zwischen unter- und Ober-
land mit der genannten Grenzlinie genau zusammenfällt, ist hier von
Interesse, vielmehr vollzieht sich längs derselben auch die Trennung
der Dialekte in deutlich wahrnehmbarer Weise. Auch die Bauart der
Häuser ändert sich ; im Norden haben wir mächtiges Ueberwiegen der
fränkischen Haus- und Hofanlage, im Süden das alemannische Haus;
endlich, und das ist für unsre Zwecke die Hauptsache, zeigt sich bei
der fränkischen Bevölkerung die Neigung zu grösseren, geschlossenen
Weiler- und Dorfanlagen, denen gegenüber die Einzelsiedelungen nicht
nur in der Ebene, sondern auch im Gebirge der Zahl nach sehr zu-
rücktreten, während diese im alemannischen Oberlande, soweit nicht
die Rheinebene das Abgehen von der allgemeinen üebung rätlich er-
scheinen liess, sehr zahlreich sind. Es ergiebt sich aus der Verfolgung
dieser Thatsache die unwiderlegliche Erkenntnis, dass neben den natür-
lichen Bedingungen auch alte Stammesgewohnheiten, aus früheren
Wohnsitzen mitgebrachte Ueberlieferungen bei der Art der Anlage von
Neusiedelungen mitwirken. Allerdings ist dieses historische Moment
starker Variabilität fähig, je nach den Bedingungen, welchen sich die
Ansiedler gegenübergestellt sehen, und so findet sich trotz des unver-
kennbaren Gegensatzes zwischen fränkischen und alemannischen Siede-
lungen bei den letzteren doch das oben Gesagte (vgl. Andrian), be-
stätigt, dass die der Stammeseigentümlichkeit entsprechenden Einzel-
siedelungen um so häufiger, die geschlossenen Wohnorte um so seltener
werden, je mehr die Bodenform dazu drängt.
Bis zum Zerfall des Karolingerreiches stand nun das südwest-
liche rechte Rheinufer unter fränkischer Hoheit ; es wurde in von frän-
kischen Grafen verwaltete Gaue geteilt, deren Namen sich vielfach bis
zur Stunde erhalten haben (Kraichgau, Klettgau, Hegau, Linzgau u. a.).
An Städten waren nur die früheren römischen Niederlassungen Kon-
stanz, Breisach und Ladenburg vorhanden, sowie die jüngeren Bodmann
an der Nordwestecke des Ueberlinger Sees, Säckingen, Kinzigdorf (das
jetzige Ofienburg) und Bruchsal. Ueber die Lage der übrigen Wohn-
orte, sowie über den Kulturzustand ihrer Bewohner, geben in erster
R^he die alemannischen und fränkischen Reihengräber Aufschluss,
die an etwa 100 Stellen gefunden wurden und den Beweis liefern, dass
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VII. 1. 4
50 Ludwig Neumann, |"50
in den Tagen von der Yölkerwanderung bis zum Ausgange der Karo-
linger eine vergleichsweise hohe Bildungsstufe erreicht war.
Wieder sind es die Gebiete um den Bodensee; die tieferen Stufen
des Linzgau und Hegau, aber auch der höhere Jura (Riedöschingen,
Fützen), das Donauthal, die Baar, dann aber zum erstenmal die Hoch-
flächen des südöstlichen Schwarzwaldes (Cöggingen, Löiftigen, Göech-
weiler, Bonndorf, Lembach, Brunuadern), das Wutachthal, Klettgau
und obere Rheinthal, darüber der Dinkelberg und dahinter das Wiesen-
thal, dann die südwestlichen Vorhöhen des Schwarzwaldes, dessen un-
tere Thaltrichter und die vorliegende Rheinebene, die nördliche Rhein-
ebene über dem Hochgestade, das Kraicbgauer Hügelland und die
fränkischen Stufenländer, wo wir die Spuren der nachrömischen Neu-
besiedelung finden. Ganz oder fast menschenleer, oder doch wenigstens
nicht von Germanen besiedelt, waren im früheren Mittelalter noch die
mittleren Teile der Rheinebene, sowie die inneren Gebiete des Oden-
waldes und Schwarzwaldes.
Was den letzteren betrifft, so hat er, wie schon ausgeführt, wahr-
scheinlich eine dUnngesäte Bevölkerung von Kelten besessen, welche
sich seiner Zeit vor der Römergefahr in die schwer zugänglichen Thäler
des Gebirges geflüchtet hatten. Erst in viel späterer Zeit sind diese
ausgesprochen dunkeläugigen, schwarzhaarigen RundkÖpfe in Berührung
mit den helläugigen, blonden Langköpfen der eben erwähnten Gebiete
getreten. Während unter 100 Schädeln der alemannisch-fränkischen
Reihengräber Ii0,i Langköpfe und 9,3 Rundköpfe sich flnden, zeigt das
jetzt lebende Geschlecht nur noch 15,9 reine Langköpfe, dagegen 32, i
Rundköpfe. Der Schwarzwald erscheint daher als ein Ausetrahlungs-
mittelpunkt von keltischen Rundköpfen, die erst im langsamen Verlauf
der Jahrhunderte seit der Periode der Reihen gräberkultur aus dem Ge-
birge heraustraten und sich mit den Langköpfen der begUnstigteren
Landesgegenden, d. h. mit den jüngeren germanischen Ansiedlem
mischten ').
In die Zeit gegen Ende der Reihengi^berkultur fallt die Einfüh-
rung des Christentums; die ältesten Klostemiederlassungen des achten
und neunten Jahrhunderts liegen alle im Gebiete der genannten, schon
bewohnten Gegenden, erst St. Trudpert im Münsterthal und St. Blasien
im obern Albthal (zehntes Jahrhundert) zeigen, dass die Kulturpioniere
des früheren Mittelalters ihren Weg in das Innere und auf die Höhen
des Waldgebirges gefunden hatten. Im elften Jahrhundert entstanden
die Klöster St. Georgen, St. Peter, St. Märgen. Friedenweiler, St. Ulrich,
und mit diesen Gründungen ging Hand in Hand die Waldausrottung,
"" ' achung und Besiedelung, die jetzt erst die zuvor fast gänzlich
hnten Bergregionen belebte.
ie Besiedelung der Rheinebene in ihrem Mittelstreifen ist teil-
loch wesentlich jüngeren Datums, da die Besiegung der hier
ntretenden Schwierigkeiten Jahrhunderte hindurch tüchtige und
51] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 51
ausdauernde Arbeit erforderte. Aber auch heute noch finden sich
zwischen dem Gebirgsfusse und dem Strome grosse Walddistrikte, welche
mit unbedeutenden Unterbrechungen in der ganzen Süd-Nord-Erstreckung
zu verfolgen sind, und in welchen wir einen Ueberrest des ältesten
Zustandes der Rheinebene vor uns haben, während die Besiedelungen
ringsum und überall sonst im Lande das ursprüngliche Aussehen der-
selben wesentlich verändert haben; an Stelle des einst alles be-
deckenden Waldes war in einer den wirtschaftlichen Ansprüchen ent-
sprechenden Weise die Verteilung von Wald, Weide, Wiese, Ackerland
getreten; im einzelnen hing die Art der Bodenbebauung und das
Flächenverhältnis der verschiedenartig benutzten Gelände natürlich von
der Bodenbeschaffenheit ab und gestaltete sich je nach dieser ver-
schieden.
Der Zustand der landwirtschaftlichen Flächen, wie er sich etwa
im 13. Jahrhundert herausgebildet hatte, erhielt sich im wesentlichen
bis tief ins 18. Jahrhundert hinein, und trotz mancherlei wirtschaft-
licher Rückschläge und trotz der Schädigungen, welche die Kriegs-
läufte des Mittelalters und der ihm folgenden Jahrhunderte unver-
meidlich brachten, haben wir auch in Bezug auf die Siedelungen eine
im allgemeinen kontinuierlich zu nennende Weiterentwickelung, die im
Zusammenhang darzulegen nicht der hier gestellten Aufgabe entspricht.
Es hat sich vielmehr im Verlauf der vorstehenden Ausführungen nur
darum gehandelt, im Anschluss an die gegebene Allgemeinübersicht der
natürlichen Verhältnisse des Bodens, der Höhenlage, des Klimas und
der Bewässerung zu zeigen, welche Landschaften von frühester Zeit ab
den Ansiedlern als die geeignetsten zu Niederlassungen erschienen sind.
Das gegenwärtige Jahrhundert und insbesondere die letztver-
gangenen Jahrzehnte haben vieles an den überlieferten Zuständen ge-
ändert durch die Neueinführung oder den sehr intensiven Anbau von
wertvollen Handelsgewächsen, durch die gewaltige Entwicklung und
die Zentralisation der Industrie, durch die modernen Verkehrsmittel,
durch den Maschinenbetrieb auch in der Landwirtschaft, bei welchem
viele Kräfte frei geworden sind, die sich nun andern Erwerbszweigen
zuwandten und in grosser Zahl in die Städte übersiedelten, daher auch
in der Gegenwart das gegen früher so bedeutend geänderte Verhältnis
der ländlichen zur städtischen Bevölkerungszahl.
6. TolksTerteiliing und zahlenmässige Darstellung derselben.
Wenn Sprecher von Bern egg in seiner mehrfach erwähnten
Arbeit die Verteilung der bodenständigen Bevölkerung im Jahre 1820
untersucht und zur Darstellung bringt, so ist es seine Absicht, wie er
dies auch ausspricht, alle die genannten Einflüsse der neueren Zeit und
ihrer wirtschaftlich umgestaltenden Kräfte zu eliminieren und nur die
Wirkungen des Bodens auf die Besiedelung klarzulegen. Durch Herein-
ziehung der gegenwärtigen Verhältnisse in die vorliegende Arbeit unter-
scheidet sich dieselbe also prinzipiell von jener Vorläuferin, ganz ab-
gesehen von den andern Gebietsabgrenzungen und von der eingehenden
52 Ludwig Neumann, [52
Berücksichtigung der Höhenverhältnisse, welche die Hauptgrundlage
der beiliegenden Dichtekarte abgegeben hat.
In Tabelle I (S. 29) sind bereits für die verschiedenen Landes-
teile und ihre Höhenstufen in übersichtlicher Zusammenfassung die
Flächeninhalte mitgeteilt. Zur Ermittelung der Volksdichte jedes Flächen-
stückes ist zunächst die absolute Volkszahl desselben festzustellen. Diese
konnte nun aber nicht ohne weiteres aus der Volkszahl der Gemeinden,
wie dieselbe in den Statistischen Mitteilungen für das Grossherzogtum
Baden (Bd. V, Jahrgang 1887, Nr. 1, S. 6—16) nach der Volkszählung
vom 1. Dezember 1885 enthalten ist, entnommen werden, und zwar
aus folgenden Gründen:
Nur ein Bruchteil der politischen Gemeinden stellt einen einheit-
lichen Wohnplatz dar; die meisten derselben bestehen aus mehreren
oft in beträchtlicher Entfernung voneinander liegenden Einzelwohn-
orten, zwischen welchen die 100 m- Höhenkurven und die Grenzlinien
der unterschiedenen Landesteile trennend durchlaufen. Es musste also
notwendig auf die „Wohnorte" zurückgegriffen werden, wenn eine be-
friedigende Genauigkeit in den Volkszahlen und in den aus ihnen ab-
geleiteten Dichtigkeitsgraden erzielt werden sollte. Die Aufstellung
eines genauen und vollständigen Ortsverzeichnisses ist in Baden zum
erstenmal auf Grund der Volkszählung von 1875 durchgeführt worden
(vgl. Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung des Grossherzog-
tums Baden. Heft 39). Es wurden damals gezählt 7697 Wohnorte,
darunter 115 Städte, 1608 Dörfer, 648 Weiler, 1085 Zinken,
227 Gruppen von Höfen, 403 Gruppen von Häusern, 12 Gruppen von
Mühlen, 1429 einzeln gelegene Höfe, 1669 einzeln gelegene Häuser
und 501 einzeln gelegene Mühlen.
„Weiler und Zinken sind Ortschaften, die nach der Grösse und
Bedeutung zwischen dem mehr oder weniger geschlossenen Dorfs und
der Gruppe von zwei oder nur wenigen Häusern und Höfen liegen.
Als Weiler gilt ein solcher Ort, wenn seine Häuser mehr auf einem
Haufen, als Zinken (Ausläufer, Anhang), wenn sie mehr zerstreut oder
in lockerer Reihe, z. B. längs eines Thalgrundes gelegen sind. Die
ortsübliche Bezeichnung ist übrigens nicht ganz feststehend, und viel-
fach ist die Grenze zwischen beiden Arten von Wohnorten schwer zu
ziehen; ebenso ist es oftmals nicht leicht zu entscheiden, ob Häuser
oder Häuserkomplexe, welche von andern Wohnorten nicht allzuweit
entfernt liegen, als selbständige Wohnplätze zu gelten haben oder
nicht. **
Für den vorliegenden Zweck war jedenfalls eine möglichst weit-
gehende Zerlegung, wie sie eben nur ein Ortsverzeichnis giebt, am
wünschenswertesten, und im allgemeinen konnte dieses als der wirk-
lichen Verteilung der getrennt liegenden Wohnorte entsprechend be-
trachtet und als geeignete Grundlage der weiteren Untersuchungen be-
nutzt werden. Die Ergebnisse der Volkszählung von 1885, auf welche
im folgenden ausschliesslich Rücksicht genommen werden soll, waren
bei Beginn dieser Arbeit noch nicht nach den Volkszahlen der Wohn-
orte zur Veröffentlichung gelangt. Dagegen war es durch die zuvor-
\ommende Liebenswürdigkeit des Vorstandes des badischen „Statistischen
53] I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 53
BQreaus", des Herrn Geheimrat Dr. Hardeck in Karlsruhe, ermöglicht
worden, dass die handschriftlichen Zusammenstellungen der Bevölkerung
aller Wohnorte nach dem Stande vom 1. Dezember 1885 benutzt werden
konnten.
Erst im Sommer 1890, als vorliegende Arbeit abgeschlossen, aber
noch nicht veröflFentlicht war, erschien das Ortsverzeichnis für 1885
mit den nach Wohnorten verteilten Bevölkerungszahlen, die ich zuvor
im Manuskript hatte benutzen können, im Druck, und zwar als 2. Heft
der neuen Folge (der ganzen Reihe 48. Heft) der „Beiträge zur Stati-
stik des Grossherzogtums Baden*^. (Karlsruhe 1890.)
Diese Neuaufstellung der Wohnorte stimmt mit jener von 1875
nicht mehr genau überein, sie enthält vielmehr um 596 Wohnorte mehr,
von denen der grösste Teil den Zinken und den einzelnen Höfen und
Häusern zugehört. Während seit 1875 eine gewisse, wenn auch nicht
grosse, Anzahl von Wohnorten einging, weil einzelne Höfe und Häuser
verlassen und abgebrochen wurden, um das betreffende Gelände auf-
zuforsten, weil femer durch Feuer oder sonst zerstörte oder baufällig
gewordene Häuser nicht wieder hergestellt, oder weil seither selb-
ständige Wohnorte von benachbarten grösseren Ortschaften aufgesogen
wurden, so ist doch die so bedingte Verminderung der Wohnorte gering
gegenüber der bedeutenden Vermehrung derselben, welche durch ge-
nauere Ermittelung bei den neuen Volkszählungen und durch sorgfältige
Benutzung und Interpretation des vorhandenen Kartenmaterials ge-
wonnen worden ist. Gegenüber der älteren badischen Karte in 1:50 000
enthält die neue in 1:25 000 bedeutend mehr getrennte Ortsnamen und
Ortszeichnungen, sie gewährt auch durch die Sorgfalt ihrer Einträge
überall ein bestimmtes Urteil darüber, ob eine Oertlichkeit, die bisher
mit einer andern unter gemeinsamem Namen zusammengefasst war,
als selbständig anzusehen ist oder nicht. Zu diesen Ergebnissen des
Kartenstudiums kamen noch Anfragen bei Gemeinde- und Staats-
behörden, so dass das jetzige, hier zu Grunde gelegte Ortsverzeichnis,
wenn vielleicht auch nicht als endgültig abgeschlossen, so doch als
wesentlich verbessert und zuverlässiger angesehen werden darf als das-
jenige von 1875.
Gegenüber den Zahlen von 1875, die oben (S. 52) schon mit-
geteilt wurden, enthält das Ortsverzeichnis von 1885 folgende Angaben:
Städte 114 (115), Dörfer 1614 (1608), Weiler 650 (648), Zinken 1167
(1085); Gruppen von Höfen 209 (227), von Mühlen 17 (12), von
Fabriken 3 (0), von Häusern 421 (403); einzelne Höfe 1569 (1429),
Mühlen 536 (501), Fabriken 39 (0), Schlösser und Burgen 27 (0),
Häuser 1927 (1669) zusammen 8293 (7697).
Hierzu möge noch bemerkt werden, dass die Verminderung der
Städte durch die Vereinigung von Karlsruhe und Mühlburg hervor-
gerufen wurde und dass unter den einzelnen Häusern 695 einzeln ge-
legene Bahnwartshäuser inbegri£Pen sind.
Es war nun auf Grund dieser offiziellen Quellen zunächst not-
wendig, die Bewohnerzahl jedes Wohnortes auf die oben (S. 23) ge-
nannten 170 Pausen der topographischen Karte an der richtigen Stelle
einzutragen. In der Rheinebene, wo weit ausgedehnte Flächen dieselbe
54 Ludwig Xemnann, [54
Höhenlage besitzen, nämlich unter 100 m, von 1<X> — 200 m, von 200
bis 300 m über dem Heere, war häufig eine kleine Erleichterung dieser
nicht geringen Mühe gestattet, indem die einzelnen Wohnorte einer
Gemeinde zumeist zwischen denselben Höhengrenzen gelegen sind. Da
hier ausserdem auf die einzelnen Gemeinden nur wenige getrennte
Wohnorte kommen, im Mittel etwas fiber zwei« so war hier das Ein-
tragen von keiner besonderen Schwierigkeit begleitet, und es kann ge-
sagt werden, dass die Verteilung der Gemeinden, wie sie auf den bei-
gegebenen Karten zur Darstellung gekommen ist. die Lage und An-
ordnung der Siedelungen selbst beinahe vollständig wiedergiebt.
Wesentlich anders gestaltete sich aber die Sache in den Hügel-
ländern imd Gebirgen: kommen im weiteren Umkreise des Bodensees
durchschnittlich 5, im Amtsbezirk Pfullendorf aber 8. im nordöstlichen
Hügellande 2 — 3, am Süd- und Westfusse des Schwarzwaldes 3 Wohn-
orte auf die Gemeinde, so ist es bei dem unebenen Terrain, um das
es sich hier überall handelt, und bei dem häufig sehr grossen Abstände
der Einzelorte einer Gemeinde voneinander unvermeidlich, dass sie sich
über mehrere Höhenstufen verteilen; sie müssen al.<o notwendig alle
getrennt zur Einzeichnung gelangen.
Noch schwieriger liegen die Verhältnisse in manchen Teilen des
inneren und höheren Schwarzwaldes. Als Typus mag hier der Amts-
bezirk Wolfach gelten. In dessen Gebiet das rund 456 qkm umfasst,
die sich vom mittleren Kinzigthal (200 m) bis zu den Höhen des Eniebis
(975 m) an der württembergischen Grenze ausdehnen, wohnen in 24 Ge-
meinden 25 482 Einwohner, die sich aber auf 472 Wohnorte verteilen.
Hat also eine Gemeinde durchschnittlich 1002 Einwohner, so kommen
auf einen Wohnort 54 solche, oder jede Gemeinde hat im Mittel
20,6 Wohnorte; einzelne derselben besitzen aber viel mehr, so hat z. B.
die Gemeinde Bergzell 32, Gutach 30, Lehengericht 54. Kinzigthal gar
56 getrennt liegende Weiler, Zinken, Häuser, Mühlen, Häuser- oder
Mühlengruppen, die sich durch 5 Höhenstufen verteilen. Im Amts-
bezirk Triberg verteilen sich die 21074 Einwohner sogar auf 501 ge-
trennte Wohnorte, so dass auf einen solchen nur 42 Einwohner kommen.
Im Bezirk Neustadt hat ein Wohnort im Mittel 43 Einwohner. Nur
die Einzeichnung jedes einzelnen Wohnortes gab also hier die Möglich-
keit, die Volkszahlen der Höhenstufen zu bestimmen. Aehnlich wie in
den genannten Bezirken liegen die Dinge in etwa einem Drittel des
Landes; es war also eine ziemlich zeitraubende Arbeit, die Volkszahlen
und ihre Summen nach den einmal gewählten Abgrenzungen zu er-
mitteln.
Dazu gesellte sich noch eine weitere Schwierigkeit. Zuweilen
läuft eine Höhenkurve durch einen geschlossenen Wohnort hindurch,
so dass alle statistischen Urmaterialien im Stiche lassen, weshalb zu
einem Interpolationsverfahren geschritten werden musste. Die topo-
graphische Karte giebt nach der Zahl der Häuser oberhalb und unter-
halb der Höhenlinie, sowie nach der leicht zu ermittelnden durch-
schnittlichen Bewohnerzahl der Häuser, oder bei grösseren Orten nach
A^w% geometrischen Verhältnis, in welchem die Isohvpse die Fläche der
^ft teilt, einen Anhaltspunkt, wie viel Bewohner der oberen, wie
551 I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 55
riele der unteren Höhenschichte zuzuweisen sind. Zu streng genauen
Zahlen kann dies Verfahren nicht führen, ein besseres ist aber nicht
vorhanden, und so bleibt nichts übrig, als sich mit der so gewonnenen
Annäherung zu begnügen. Gross kann übrigens in den Summen die
Abweichung von der vollen Genauigkeit schon deshalb nicht sein, weil
der angegebene Fall verhältnismässig doch nicht gerade oft eintritt,
und dann, weil es sich doch immer nur um Orte mittlerer Grösse
handelt, von denen wohl bei dem willkürlichen Teilungsverfahren ebenso
oft ein kleiner Bruchteil der Einwohner längs einer Isohypse zu tief
als zu hoch eingetragen und zur Summeuziehung verwendet wird. Ein
Fehler von 1600 Einwohnern — und ein solcher kann bei den ge-
gebenen Verhältnissen im Einzelfalle niemals vorkommen — würde
das Prozentverhältnis der Einwohnerzahlen nur um eine Einheit der
ersten Decimalen verschieben. Die Mängel des obigen Verfahrens sind
daher als sehr klein in Bezug auf ihre Gesamtwirkung anzusehen. Die
Additionen wurden nicht auf den 170 Pausen in 1:25000, sondern
auf der Uebersichtskarte in 1 : 300 000 vorgenommen, so dass nach den
schon gezogenen Hauptgrenzen der Gruppen und nach den etwa nötig
fallenden Unterabteilungen derselben die absoluten Bevölkerungszahlen
aller natürlich begrenzten Gebiete mit einem solchen Grade von Ge-
nauigkeit erhalten wurden, wie er ohne ien eingeschlagenen Weg nicht
hätte erreicht werden können.
Als die auf vorstehende Weise aus den Wohnorten gewonnenen
Einwohnerzahlen der Landesteile nach ihren Höhenschichten zur Summe
vereinigt wurden, ergab sich als solche statt des richtigen Wertes
1 601 255, wie er aus der Volkszählung von 1885 hervorgegangen war,
die Zahl 1592 740, also um 8515 oder um 0,5 3 V zu wenig. Wenn
man bedenkt, dass diese Summe aus mehr als 8000 Posten gebildet
ist, die weitaus zum grössten Teil sehr kleine Zahlen sind, und die
aus 170 Einzelblättern und 14 Höhenschichten zusammengesucht werden
mussten, während die Originalliste derselben 99 Seiten gross Quart
mit je 3 Spalten ausfüllt, so wird dieser Fehler als begreiflich er-
scheinen, um ihn auszugleichen, wurden die erhaltenen Werte ent-
sprechend erhöht. Die Einwohnerzahlen der Schichten über 1000 m
wurden wiederholt bestimmt und sind absolut richtig.
Hiernach giebt die vorliegende Arbeit zum erstenmal für ein
grösseres Gebiet die genaue Verteilung der Bevölkerung nach der
Höhenlage innerhalb zusammenstossender natürlich begrenzter Bezirke.
Allerdings hat A. Steinhauser (vgl. Litt.) die Verteilung der Be-
völkerung Niederösterreichs nach der Höhe der Wohnorte dar-
gestellt imd damit eine der vorliegenden analoge Aufgabe behandelt
für ein Gebiet, das nach Penck (vgl. Litt.) eine Fläche von 19853,49 qkm
bedeckt, also um rund 4800 qkm grösser ist als das Grossherzogtum
Baden. Allein Steinhauser sagt selbst, dass er sich mit Schätzungen
zufriedenstellte, weil die vorhandenen Karten entweder nicht ausreichten,
oder in ihren Abgrenzungen und Namengebungen sich mit denjenigen
des Ortsrepertoriums nur sehr wenig in Uebereinstimmung bringen
Hessen. Steinhausers Ergebnisse bauen sich daher bei weitem nicht
auf so eingehende und umfassende Behandlung des Karten- und Zahlen-
56 Ludwig Nenmann, [56
materials auf, wie die hier za entwickelnden. Ausserdem ist noch bei-
zufügen, dass Steinhauser nur die absoluten Yolkszahlen und nicht
auch die Volksdichte bestimmt, und dass er auf eine graphische Dar-
stellung seiner Zahlenwerte verzichtet. — Sodann hat J. Burgkhardt
in seiner orometrisch-anthropogeographischen Studie über das 6742,25 qkm
einnehmende Erzgebirge die Volksverteilung, Yolksdichte sowie die
Lage und Grösse der Ortschaften mit Rücksicht auf die Höhenlage
untersucht, dabei aber nur zwischen Nordwest- und Südostseite des
Gebirges unterschieden und die politischen Bezirke — die sachsischen
Amtshauptmannschafben und die böhmischen Gerichtsbezirke — als
Unterabteilungen der genannten zwei Hauptgruppen benutzt. Eine
Zerlegung des Erzgebirges in natürliche Gebiete, wie sie im Vor-
stehenden f&r Baden gegeben worden ist, entfallt bei Burgkhardt, dessen
Arbeit im übrigen als ein sehr wertvoller Beitrag zur deutschen Landes-
kunde und zur Methode der anthropogeographischen Forschung an-
zusehen ist. Es wird später, besonders bei der Besprechung der Be-
Yölkerungsyerhältnisse des Schwarzwaldes, auf dieselbe zurückgekonuggn
werden müssen. Auch an die (S. 43) genannte Arbeit Oppermanns
möge hier nochmals erinnert werden, sowie an Zampas demographische
Studien über das Königreich Italien (vgl. S. 23).
War einmal die absolute Bevölkerungszahl der einzelnen Höhen-
stufen innerhalb der zehn Landesteile gegeben, so war daraus die
relative bezw. die Volksdichte in bekannter Weise abzuleiten.
Im fränkischen Stufenlande, im Kraichgauer Hügellande,
im Klettgau, auf der Baar und auf dem Jura geben die Höhen-
kurven an sich schon so bequeme Grenzlinien, dass von weiteren Unter-
abteilungen in diesen räumlich auch nicht sehr ausgedehnten Land-
schaften abgesehen werden konnte. Nach Lage und Bedeutung der
grösseren Orte tritt in den genannten Gegenden auf unsrer Dichtig-
keitskarte ohne weiteres der Einfluss der Hauptthäler als der wichtigeren
Verkehrslinien dem Hügellande oder den höher gelegenen Stufen
der Gebirge und Hochebenen gegenüber hervor. Grössere Industrie-
mittelpunkte haben die genannten Landschaften nicht, ihre Bevölke-
rung kann also auch für die Gegenwart noch als eine in der Hauptsache
bodenständige betrachtet werden.
Der badische Odenwald zerfällt durch den Neckarlauf von
Neckargerach bis Heidelberg und durch das Hereinragen hessischen
Gebietes von Nord nach Süd bis zum Neckar in der Gegend zwischen
Neckargemünd und Eberbach in drei getrennte Teile, den vorderen
Odenwald südlich vom Neckar, den vorderen Odenwald nördlich vom
Neckar und den östlichen oder hinteren Odenwald. Die zwei letz-
teren dieser drei Teile steigen vom tiefliegenden Flussthale steil
und rasch empor, verlieren sich aber auf der dem Flusse abgewandten
Seite in sanft wellenförmige Hochflächen und erreichen an der Ver-
breitungsgrenze des Buntsandsteins im Süden und im Osten ihr Ende.
— Der östliche Odenwald und die zunächst anstossenden Muschel-
kalkfilächen des Frankenlandes bis zur Tauber werden oftmals unter
dem Namen ^ Bauland*^ zusammengefasst. Es hat diese volkstümliche
Verknüpfung zweier der Bodenbeschaffenheit nach verschiedener Ge-
57] I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 57
biete zu einem einzigen Ganzen eine gewisse innere Berechtigung, da
der geologischen Formationsgrenze keine in die Augen fallende Aende-
rung der Bodenformen und der allgemeinen Höhenlage entspricht. Nur
der vordere Odenwald nördlich des Neckar zeigt bei tiefliegenden
Thälem kräftigere Gliederung im Ganzen und besonders grösseren Formen-
reichtum seiner Höhen, was sich aus den hier auftretenden Porphyren
und Graniten im Gegensatz zu den einförmigen Buntsandsteinb'änken
des übrigen Gebirges zur Genüge erklärt. Die Hauptlebensader dieser
ganzen Landschaft ist das Neckarthal, das durch die Höhenkurven von
200 und 300 m die Bedeutung seiner Sohle und seiner Abhänge für
die Besiedelung den höheren Gebietsteilen gegenüber deutlich charak-
terisieren lässt. Der Westabhang teilt die Vorzüge des langen Berg-
saumes am Rande der Rheinebene und findet im Zusammenhang mit
dieser eingehende Besprechung.
Im Hegau, auf der diesem zugerechneten Bodanhalbinsel zwischen
dem üeberlinger- und Untersee, rings um den Schienerberg zwischen
den beiden Armen des Untersees, und ebenso auch im Linzgau zeigt
in Bezug auf die Anzahl, Grösse und Bedeutung der Ansiedelungen das
Ufer des Sees und des diesem entströmenden Rheines einen so be-
deutenden Einfluss, dass längs dieser Gestade ein Uferstreifen Landes
vom dahinter liegenden Gebiet abgetrennt wurde, weil die Zahl der
Wohnorte und die von ihr bedingte Volksdichte hier unter Bedingungen
steht, welche im Hinterlande nicht mehr zur Geltung kommen. Dieser
Uferstreifen hat im Mittel eine Breite von etwa anderthalb Kilometern. —
Dass im Norden des Bodensees vom Linzgau im engeren Sinne, d. h.
von dem in seinen Bodenformen lebhaft gegliederten Gebiete der Be-
zirksämter Ueberlingen und Pfullendorf, das wesentlich flachere Hoch-
land im Flussgebiet der Ablach abgesondert wurde, welches sich im
grossen Ganzen mit dem Bezirksamt Messkirch deckt und vom eigent-
lichen Linzgau durch hohenzoUerisches Gebiet getrennt ist, erwies sich
nach den Bodenformen als zweckmässig.
Die vier Hauptteile des Schwarzwaldes — östlicher, nördlicher,
mittlerer und südlicher Abschnitt des Gebirges — machten in Rück-
sicht auf die Bodenform, und hier besonders nach der Ausgestaltimg
der Thäler, sodann in Rücksicht auf die Bodenbeschaffenheit und die
Verkehrslage die Schafi^ng von Unterabschnitten nötig, in welchen die
Besiedelung sich verschieden entwickelt hat. So wurden im östlichen
Seh war zw aide die Buntsandsteinfiächen bei Pforzheim und in den
umliegenden Landschaften zwischen Enz, Nagold und Wurm, welche
durch weit nach Westen vordringendes wUrttembergisches Gebiet vom
übrigen badischen Schwarzwalde getrennt sind, als Ganzes für sich be-
trachtet; die Haupterhebung des östlichen Schwarzwaldes ist zwischen
der Pfinz und Murg gelegen, steigt in den Höhen von Nord nach Süd
bedeutend an und lässt am tiefen Einschnitt des Murgthales das grani-
tische Grundgebirge zu Tag treten, das in den höheren Teilen von
schwach geneigten Buntsandsteintafeln überdeckt ist. Der nördliche
Teil des Gebietes zwischen Alb und Pfinz ist eine wenig über 300 m
gelegene Hochebene, auf welcher der Buntsandstein unter dem Muschel-
kalk vielfach verschwindet. Um die besonders im unteren Murgthal so
58 Ludwig Neumann, [f)8
dichte Bevölkerung als einheitliche darstellen zu können, wurde die
Grenze des östlichen und nördlichen Schwarzwaldes nicht orograpbisch
der Tiefenlinie des Thaies entlang gezogen, sondern im Westen des
Murgthales längs der 500 m-Isohypse, so dass also auch noch die
Höhen zwischen der unteren Murg und der Oos dem östlichen Gebirgs-
teile zuzurechnen waren.
Ebenso wurde auch, um die wichtige Tbalfurche und Verkehrs-
linie des Kinzigthales, welches die naturgemässe Grenze des nördlichen
und mittleren Schwarzwaldea ist, in ihrer aothropogeographischen Be-
deutung völlig würdigen zu können, diese Grenze vom Flusslauf weg
an den südlichen Thalrand, und zwar an die Höhenkurve von 400 m,
bezw. 300 m verlegt. Die Nordwesthälfte des nördlichen Schwarz-
waldes besteht, einzelne räumlich nicht sehr belangreiche, zerstreute
Porphyrdurchbrüche und die Bildungen des Rotliegeuden in der Gegend
von Baden, abgerechnet, zumeist aus Qranit, die SUdosthäifte aus Gneis;
in beiden Gebieten aber sind die breiten Höhenrücken längs der Wasser-
scheiden mit den Schiebten des Buntsandsteins überlagert, soweit diese
eben nicht der Denudation zum Opfer gefallen sind.
Wie die Dichtigkeitskarte im östlichen und nördhchen Teile des
Gebirges ausser den schon genannten Thälem auch alle übrigen von
einiger Bedeutung hervorzuheben gesucht hat, so war das auch im
mittleren Schwarzwalde der Fall, wo besonders die Thäler der
Schutter, Elz, Dreisam und Brege mit ihren alten Verkehrsstrassen
ihrer erösseren Volksdichte entsprechend sichtbar zu machen waren.
gegen die Baar im Osten und gegen den südlichen Schwarz-
er Gegend der oberen Wutacb konnte bequem die 900 m-
lange Erstreckung festgehalten werden, und im Süden ist es
■Linie, welche vom oberen Anfang des Höllenthals ab bis zum
des Schauinslandes dem mittleren Schwarzwalde noch das
isamthal und seine Südränder zuweist. Von dem höheren
ist sich ganz natürlich die niedere HUnersedelgruppe
lern unteren Kinzig- und dem Elzthal ab, deren Osthälfte
das übrige Gebiet des mittleren Scbwarzwaldes — mit Aus-
Granitregion in der Umgebung von Triberg — aus Gneis
ist, während der westliche, der Rbeinebene zugekehrte Teil
)ffenburg und Emmendingen eine breite Buntsandsteindecke
a deren Westrand einzelne Schollen von Muschelkalk sich
aben. Die höchsten Erhebungen sind mit Porphyrkuppen
südliche Scbwarzwftld zeigt im Norden der Linie Müll-
lU-Titisee seine Höhen wesentlich aus Gneis aufgebaut, im
elben aus Granit; doch finden sich in der Gegend der Wehra,
Murg und der oberen Alb bis zum Rhein bei Säckingen und
lOch ziemlich ausgedehnte Gneisgebiete, im Osten und Süden
Muschelkalk von der mittleren Wutach bei Gdndelwangen
Nähe der ÄlbmUndung breite nach Süden abfallende Hoch-
ährend in diesem Gebiete der Buntsandstein räumlich nicht
idehnt ist; eine grössere Verbreitung hat derselbe dagegen
lenzUgen nördlich vom unteren Wiesenthal. Dieses tritt mit
59] I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 59
seiner dichten Bevölkerung auf der Karte ebenso klar hervor wie die
dünn bevölkerte unwohnliche Kalkfläche des Dinkelberges zwischen
Wiesen- und Rhein thal, wie dieses letztere selbst und die es begleitenden
Vorbergreihen jurassischer, tertiärer und diluvialer Natur zwischen Basel
und Müllheim. Weiter als bis zu den genannten wichtigsten Momenten
der Bodenbeschaffenheit konnte die Dichtekarte nicht auf die geologische
Beschaffenheit eingehen; mehr Einzelheiten hätten hier das Bild nur
an üebersichtlichkeit verlieren lassen. Der Gegensatz in der Verkehrs-
bedeutung der schluchtartigen Gebirgsthäler im Südosten und der
breiteren Thalböden im Südwesten, endlich die Strasse des Rheinthaies
selbst treten aufs schärfste hervor.
Am schwierigsten gestaltete sich die graphische Wiedergabe der
Volksdichte in der Rheine bene. Die wichtigsten Fingerzeige, welche
schliesslich auch allein zu einem annehmbaren Ziele führten, wurden
hier aus der Betrachtung der oben geschilderten hydrographischen Ver-
hältnisse und aus der Geschichte der Besiedelung, wie sie ebenfalls kurz
mitgeteilt worden ist, gewonnen. Hiernach wurden als prinzipiell von
allen andera Teilen der grossen Ebene verschieden die eigentlichen
Ueberschwemmungsgebiete des Stromes unterhalb des Hochufers, wo
ein solches vorhanden ist, und die Umgebung des inselartig aus der
Ebene aufragenden Kaiserstuhlgebirges sowie dieses selbst abgetrennt;
sodann zeigte ein Blick auf die Anordnung der Siedelungen, dass der
Gebirgsfuss von der hessischen Grenze bis in die Gegend von Schliengen
(zwischen Müllheim und Basel) in so mächtiger Weise volksverdichtend
gewirkt hat — was unter Berücksichtigung der Bodenverhältnisse, der
klimatischen Begünstigung, der Verkehrslage an der alten „ Bergstrasse ^
von Basel nach Mitteldeutschland, der so überaus zahlreichen Thal-
mündungen nicht anders erwartet werden kann — , dass ein Streifen
Landes am Rande des Gebirges der ganzen Länge der Ebene nach
von dieser auszuscheiden und als Gebiet für sich zur Darstellung zu
bringen war. Hiernach blieb dann im Süden des Kaiserstuhls und von
der Renchmündung nordwärts ein mittlerer Streifen der Ebene zwischen
Hochufer und Gebirgsfuss übrig, der unter ganz eigenartigen Be-
dingungen steht; wo das Hochufer fehlt, also vom Kaiserstuhl bis zur
Rench, konnte die ganze Ebene westlich vom Gebirgsfuss bis zum Strom
selbst als einheitlich aufgefasst werden. Der Kaiserstuhl,, die Elz,
Kinzig, Murg, die Lage von Karlsruhe, der Neckar geben entsprechende
Grenzen zur Querteilung, und so giebt unsre Dichtekarte die Hauptteile
der badischen Rheinebene nach den wechselnden Dichtigkettsgraden der
Bevölkerung in klar übersichtlicher Weise wieder.
War somit eine Gruppenbildung der verschiedenen Landesteile
gewonnen, welche geeignet erscheinen konnte, die Volksverteilung in
Berücksichtigung aller sie wesentlich beeinflussenden Gesichtspunkte
zur Anschauung zu bringen, so handelte es sich bei Bestimmung des
Dichtegrades, d. h. der Volkszahl, welche durchschnittlich auf je einen
Quadratkilometer kommt, also bei Berechnung des Quotienten aus der
absoluten Volkszahl durch die Fläche des von ihr bewohnten Gebietes,
noch um die Frage, ob jeweils die ganze Fläche und die ganze
Volkszahl in Rechnung gezogen werden darf, oder welche
Ludwig; Neumann,
[00
Teile derselben ausgeschieden werden sollen. Diese Frage
hat einzugehen auf die Behandlung der Wälder, des Unlandes und
der Städte.
Was zunächst die Wälder betrifft, so ist festzuhalten, dass sie
ursprünglich das ganze in Rede stehende Gebiet bedeckten, soweit es
nicht vom Siessenden oder stehenden Wasser, von FelsabstUrzen oder
zu steilen Bergabbängen eingenommen ist, und dass sie erst im all-
mählichen Verlaufe der Besiedelung so weit zurückgedrängt wurden, als
der Boden zu andrer Benutzung brauchbar schien. Der gegenteilige
Fall, dass nämlich einstens besiedelte Landstriche wieder aufgeforstet
werden, kommt zwar nicht gerade selten vor, und ein Vergleich der
älteren topographischen Karte in 1:50000 mit der neuen giebt ab und
zu Belege fUr die bekannte Thatsache, dass — besonders im inneren
Odenwalde und im höheren Schwarzwalde — früher vorhandene Einzel-
höfe, deren Besitzer nur mit schwerer Not der Ungunst des Bodens
die Mittel zum dürftigen Lebensunterhalt entrissen hatten, von der
Verwaltung der Staatsforsten angekauft und abgerissen wurden, und
dass wir jetzt Wald finden, wo vor einigen Jahrzehnten Ackerland,
Wiesen und Weidfeld sich um ein einsames Gehöfte ausbreiteten. In
der Gesamtwirkung auf die Volksdichte ist aber dieser Vorgang doch
nur als unbedeutend zu bezeichnen, wie durch ihn auch das Verhältnis
der Wald- zu den eigentlichen Anbauflächen nicht gerade wesentlich
; geht doch dieser vereinzelten Wiederaufforstung die Ur-
an andern Orten ununterbrochen parallel. Immerhin zeigt
kleine Zusammenstellung, welche dem C. Bande der Sta-
itteilungen Über das Grossherzogtum Baden {1889, S. If*)
ist, dass der Staatsverwaltung in neuester Zeit ernstlich
ninderwertige Bodenflächen durch Aufforstung nutzbringend
Dabei ist zu beachten, dass unter „beholzter Fläche" der
^ald und der Hackwald verstanden sind.
Jahr
BehoMe Fläche
inqkm
BehoUteFläche
in ",0 der Lan-
ilesflkthe
1874
1887
1888
5IG9,.
5359,»
5432,.
5433,f
35.19
35,«
36,«
30,59
1 der Wald, abgesehen von vereinzelt liegenden Forsthäusem,
von Wald- und Holzarbeitern, kleinen Waldkolonieen fast
bewohnt angesehen werden kann, dürfte es nicht als un-
in, wenn für jeden der gewonnenen Bezirke das Areal des
der Gesamtfläche in Abzug gebracht und die Dichtigkeits-
nur auf Grund der wirklich bebauten Flächen vorgenommen
(>!] Die Volksdichte im Grosaherzogtum Baden. (31
würde, wobei dann die Waldfiächen als unbewohnte auf der Karte ein-
zuzeichnen wären. Allein abgesehen davon, dass man dann auch die
Fläche des gesamten Unlandes, d. h. des nicht landwirtschaft-
lich produktiven Bodens der Wege, Steinbrüche, Kies- und Lehm-
gruben, der Felsen, Sandschollen, des stehenden und fliessenden Wassers
in Teichen, Weihern, Gräben, Bächen, Flüssen abziehen müsste, eine
Fläche, die nach der oben genannten Quelle (S. 23) rund 568 qkm oder
nicht ganz 3,8 ^/o des Landes bedeckt, erscheint die Ausscheidung von
Wald und Unland schon aus dem einfachen Qrunde undurchführbar,
weil die nach politischen Bezirken zusammengefassten Flächensummen
von Wald und Unland sich unmöglich auf die im Vorstehenden ge-
wählten Unterabteilungen und Höhenstufen der zehn Landesteile ver-
teilen lassen.
Wird hiemach für die Gebirge, Hochebenen und Hügelländer,
wo ein Ausscheiden von Wald und Unland unmöglich ist, die Volks-
dichte für die ganze Fläche eines jeden Gebietsteiles und einer jeden
Höhenstufe bestimmt, so muss konsequenterweise auch in der Rhein-
ebene, in welcher es verhältnismässig leicht anginge, aus der topo-
graphischen Karte die grossen Walddistrikte auf unsere Dichtekarte zu
übertragen und das Areal derselben von der Dichtigkeitsbestimmung
auszuschliessen, dasselbe Verfahren wie in den andern Landesteilen
eingeschlagen werden. Es hat dies den unverkennbaren Nachteil, dass
der Gegensatz der wirklich bebauten und der beholzten Flächen
graphisch nicht sichtbar hervortritt, was um so wünschenswerter wäre,
als der geschichtliche Gang der Besiedelung in der Rheinebene, wie er
oben zur Sprache kam, sich in dem Gegensatze des Gebirgsfusses, des
Geländes am Hochufer und der zwischenliegenden Waldregion deutlich
widerspiegeln Hesse. Allein die Einheitlichkeit der Auffassung der
Volksdichte, welche es eben nicht zulässt, für den einen Landesteil
die Flächengrundlage der Dichtebestimmung anders zu wählen als
für die übrigen, zwang dazu, auf den angedeuteten Vorteil zu ver-
zichten.
Auf der andern Seite scheint es auch durchaus wesentlich, die
Flächen des Waldes und des Unlandes bei der Dichtebestimmung mit
zu berücksichtigen. Denn es ist — um zuvörderst von dem letzteren
zu sprechen — kein auch nur einigermassen ausgedehntes Gebiet denkbar,
auf dem nicht ein Bruchstück der Gesamtfläche zur Benutzung irgend
welcher Art durchaus ungeeignet erscheint, sei es ein Felsabhang, eine
Geröllablagerung, ein Sumpf, u. s. w.
Da nun aber unter den in der Statistik angegebenen landwirt-
schaftlich unproduktiven Flächen auch das Wegland, die Steinbrüche,
Kiesgruben, Lehmgruben, femer alles fliessende und stehende Wasser
inbegriffen ist, und da gerade das Vorhandensein der genannten Vor-
kommnisse unter Umständen für die Anlage von Siedelungen in hohem
Grade ausschlaggebend werden kann, wie z. B. der Hinweis auf die
überaus zahlreichen Gewerbe- und Fabrikbetriebe darthut, welche den
Wasserkräften der Schwarzwaldthäler ihr Dasein verdanken, so wäre
es nicht zweckentsprechend, diese Flächen des Unlandes und des
Wassers bei der Dichtebestimmung auszuschliessen ; hängt doch manch-
Ö2 Ludwig Neumann, [62
mal die Volkadichte gerade von ihnen ab. Aehnlich liegen die Ver-
hältnisse beim Walde, Ist derselbe auch an sich ein direktes Hindernis
der Besiedelung, und kann er auch als ganz oder doch als beinahe
ToUständig unbewohnt angesehen werden, so ist er doch fOr die Be-
völkerung und ihre Verteilung von allergrüsster Wichtigkeit und kann
daher bei der vorliegenden Untersuchung nicht einfach unberücksichtigt
bleiben.
3ge der ausgedehnten Waldungen in der Ebene wie im
läftigt viele Bewohner der ihnen benachbarten Wohnorte,
isbedingungen daher in erster Reihe vom Vorhandensein
bhängen. Der Wald hat die Holzflfisserei ins Leben ge-
nit viele Siedelungen, deren Insassen von ihr den Lebens-
vannen, entstehen lassen; ihm verdanken die Überaus
^ewerke ihr Dasein, die im Schwarzwalde eine typische
geworden sind, auf ihn sind die Holzschnitzerei und die
ührmacherei zurückzuführen.
in ist der Wald, der über ein Drittel des Landes bedeckt,
;nrund 1600 Gemeinden Badens nur bei wenig über 300, also
derselben fehlt, überall, auch da, wo er wie im HUgel-
L einigen Teilen der Rheinebene nur parzellenweise vor-
Ir die Bewohner neben Äckerbau, Viehzucht und Gewerbe-
den HolzerlfSs allein eine wichtige Einnahmsquelle seit
wesen und bis heute geblieben, auch wenn auf die oben
1 ihm hervorgerufenen Erwerbsthätigkeiten und Qewerhe-
keine Rücksicht genommen wird.
sen Gründen scheint es nicht nur gestattet, sondern sogar
ezejgt, bei der Dichtebestimmung neben dem Dnlande
dflächen der einzelnen Bezirke mit in Rechnung zu ziehen;
ei der Spezialb eh'achtung der Landesteile jeweils einen
ind der Untersuchung bilden.
■Stellung von Volksdichtekarten hat von jeher die Be-
' Städte einige Schwierigkeit gemacht. Sollen durch
Zusammenstellungen die Volksdichten grösserer Länder-
vergleich gebracht werden, so wird man nicht an ein
ler städtischen Bevölkerung aus der gesamten Volkszahl
■auchen, da in diesem Falle alle Faktoren, welche die
Grösse der Siedelungen beeinflussen, durch eine einzige
Behauung gebracht werden, die nun für sich allein die
) und die politische Machtstellung der betreffenden Länder
;u fuhren geeignet erscheinen kann. Anders liegt die
fllr natürlich abgegrenzte kleinere Gebiete die Dichte der
graphisch dargestellt werden soll. Da würde es zu völlig
;ellungen führen, wenn die Bewohnerzahl grösserer Wobn-
■s also der Städte, mit derjenigen der benachbarten Land-
ngefasst und aus der so erhaltenen Summe die Dichte
sere Flache bestimmt würde. Nehmen wir, um diese
klarzulegen, das Beispiel von Mannheim. Diese grösste
befindet sich in demjenigen Teile der Rheinebene, welcher
m -Isohypse gelegen ist. Dieser tiefst gelegene Teil
63] I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. (53
Badens umfasst 242,39 qkm und zählt im ganzen^ die Stadt eingerechnet,
80 973 Einwohner, die Volksdichte derselben ist also im Mittel 334
pro qkm. Diese Zahl aber entspricht der wirklichen Volksverteilung
in keiner Weise, wie schon ein Blick auf die grossen Waldungen des
Gebietes und die weit auseinander gelegenen Orte desselben zeigt.
Zunächst lässt sich von der ganzen in Rede stehenden Fläche der
Uferstreifen am Rheine unterhalb des Hochufers mit seiner dünnen
Bevölkerung ausscheiden; wir haben hier 93,7 2 qkm und 2964 Ein-
wohner, also eine Dichte von nur 32 ftlr den qkm; die Bevölkerung
wohnt hier, wie diese Zahlen zeigen, zehnmal weniger dicht, als es
obiger Mittelwert ausdrückt. Trennen wir nun weiterhin von der übrigen
Fläche unsres Gebietes das etwa 6,25 qkm bedeckende Stadtgebiet ab,
so bleiben 142,35 qkm über dem Hochufer mit 16736 Einwohnern
übrig, was für diese Fläche eine Dichte von 118 pro qkm ergiebt.
Während nun der Landstreifen unter dem Hochufer sich von Neckarau
ab etwa 40 km weit südwärts bis gegen Linkenheim in der Nähe von
Karlsruhe erstreckt und sich in seinen Siedelungsbedingungen von der
grösseren Stadt seiner ganzen Ausdehnung nach als gänzlich unabhängig
erweist, ist die übrige Fläche von 142,3 5 qkm in zwei verschiedenartige
und verschieden grosse Teile zu zerlegen. Der eine liegt zwischen
dem Gebirgsfusse bei Weinheim und der hessischen Grenze, ist durch
hessisches Gebiet von Mannheim und seiner Umgebung getrennt und
für die wenigen Bewohner der zwei hier liegenden Höfe (Rennhof und
Waldershof) viel mehr auf Weinheim als auf Mannheim angewiesen.
Wir haben hier 26,io qkm, 38 Einwohner und eine mittlere Dichte
von 1,4 pro qkm. Der andre Teil mit 116,25 qkm, 16698 Einwohnern
und einer Mitteldichte von 145 pro qkm ist in den fernsten Punkten
seiner Umgrenzung höchstens etwa 11 — 12 km von der Stadt entfernt
und breitet sich halbkreisähnlich um sie als ihren Mittelpunkt aus.
Er ist, wie dies auch die grossen Volkszahlen gerade der zunächst bei
Mannheim gelegenen Gemeinden (Neckarau 5283, Käferthal 4928 Ein-
wohner u. a. m.) ausweisen, in seinen Daseinsbedingüngen durchaus
von dieser Stadt abhängig, was sich schon daraus deutlich erkennen lässt,
dass die Bevölkerungszahlen der Stadt und ihrer Nachbarorte seit
Jahrzehnten in übereinstimmender Weise gewachsen sind.
Während bei allen bisher erschienenen Volksdichtekarten grösseren
Massstabes (vgl. oben S. 17) die Städte beziehungsweise die grösseren
Ortschaften gänzlich ausgeschieden sind, so dass dieselben wirklich nur
die Verteilung der nicht städtischen Bevölkerung darstellen, wobei als
untere Grenze der auszuscheidenden grossen Wohnorte bald die Volks-
zahl von 2000 Einwohnern, bald die von 5000, bald eine noch grössere
Zahl festgehalten wird, und während die solchen Karten beigegebenen
Texte mit Recht darauf hinweisen, eine Berücksichtigung dieser grösseren
Wohnorte, mit andern Worten eine Verteilung ihrer Bevölkerung über
ein mehr oder weniger ausgedehntes Gebiet, das mit der betreffenden
grösseren Oertlichkeit gar nichts in seinen die Bevölkerungsdichte be-
dingenden Verhältnissen gemein hat. gebe ein gänzlich unzutreffendes
Bild der Besiedelungsverhältnisse, scheint es immerhin von Wichtigkeit
festzuhalten, dass bei einer solchen Ausscheidung eben nicht die ganze
04 Ludwig Neumann, [64
Bevölkerung des betreffenden Landes, sondern nur ein Bruchteil der-
selben zur Darstellung kommt. Wollte man z. B. in Baden aus den
angedeuteten Gründen die Orte über 2000 Einwohner eliminieren, so gäbe
die Karte nicht die Verteilung von 1601255 Einwohnern nach dem
einzelnen Dichtegrade, sondern nur diejenige von 966095 Einwohnern
oder 63,3 ^o der Gesamtbevölkerung; wollte man etwa nur die grös-
seren Städte über 10000 Einwohner ausschliessen , so kämen nur
1 332 066 Einwohner oder 83,« ®/o zur Darstellung u. s. w. (Stat. Mitt. V,
1887, S. 17.) Die Bevölkerung der grossen Orte macht hiemach einen
so bedeutenden Bruchteil der Gesamtbevölkerung aus, dass ihr Aus-
scheiden jedenfalls die Folge hat, dass die graphische Darstellung der
übrigen, also der rein ländlichen Bevölkerung, nicht mehr als das Bild
der wirklich vorhandenen Verteilung der gesamten Bewohnerschaft
eines Landes, und um diese handelt es sich doch, angesehen werden
darf. Da nun diese städtische Bevölkerung wesentlich als gewerbe-
treibende und als Handel und Verkehr bestimmende gelten darf, während
bei ihr die Landwirtschaft nur noch von geringer Bedeutung ist, so
darf sie hier, wo eben allen Momenten, welche die Volksdichte beein-
flussen, Rechnung getragen werden soll, unbedingt nicht ausgeschlossen
werden.
Dazu kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt. Wie schon oben
bei Erwähnung des Beispieles von Mannheim angedeutet wurde, kann
die Bevölkerung einer grösseren Stadt nicht absolut an sich betrachtet
werden, sondern nur in Rücksicht auf ihre nähere Umgebung und die
Siedelungen derselben. Denn, da die Stadt die alltäglich nötigen
Nahrungsmittel für eine grosse, dicht zusammenwohnende Volkszahl
nicht hervorzubringen im stände ist, erhöht sie als stets sicherer Ab-
nehmer den Wert der landwirtschaftlichen Produkte und der sie er-
zeugenden Flächen in ihrer Umgebung, sie wirkt damit fördernd auf
den landwirtschaftlichen Betrieb in den nahe gelegenen Landorten, sie
begünstigt also eine verstärkte Ansiedelung derselben. Anderseits ist
sie ein stets bequem erreichbarer Markt für alle industriellen Waren,
welche die Landbevölkerung nicht hervorbringt, sie lässt die Bewohner
der Nachbarschaft an den Vorzügen ihrer Lage im Mittelpunkt wichtiger
Handels- und Verkehrslinien teilnehmen, sie gewährt ihren zahlreichen
Arbeitern in der Umgebung billige Wohnungen und die Möglichkeit
eines kleinen Grundbesitzes, wie sie der Landbevölkerung Arbeit und
höheren Lohn, als er draussen bezahlt werden kann, bietet — kurz,
die Stadt ist für ihre Umgebung ein so wichtiger Faktor des gesamten
wirtschaftlichen Lebens, dass ihre Berücksichtigung zum Zwecke richtiger
Beurteilung der Volksdichte auch in den ländlichen Bezirken absolut
unentbehrUch ist. Ohne eine grosse Stadt im Mittelpunkt wäre die
Volksdichte ringsum eine andre, als sie thatsächlich ist. Schliesst man
die Stadt aus, um zur Darstellung der Volksverteilung der , boden-
ständigen** oder ländlichen Bevölkerung zu gelangen, so muss man
folgerichtig überall in der Umgebung von Städten auch den von diesen
abhängigen Bruchteil der ländlichen Bevölkerung ausscheiden. Das ist
aber bis jetzt nie geschehen, es wird auch nicht geschehen, weil es
eben nicht möglich ist. Soll nun aber die Dichtekarte die Verteilung
65]
Die Yolksdichte im Grossherzogtum Baden.
65
der gesamten Volkszahl, wie sie sich - unter dem Einflüsse natürlicher
Ursachen geschichtlich entwickelt hat, also insbesondere auch unter der
Einwirkung von Industrie, Handel, Verkehr, Verkehrslinien und -Mittel-
punkten, so scheint es dazu nur den einen Weg zu geben, dass man
die grossen Volkscentren als Punkte intensivster Bevölkerungsdichtigkeit
besonders kräftig hervorhebt, ihr Areal, d. h. das Weichbild der be-
treffenden Stadt von demjenigen der Umgebung abtrennt, die Fläche
dieser Umgebung ihrerseits aber wieder von entfernter liegenden Ge-
genden so weit ausscheidet, als der unmittelbare Einfluss der Stadt in
wirtschaftlicher Beziehung wirkt, so dass die in ihren Siedelungs-
bedingungen von der Stadt beeinflussten Gebiete von den femer liegenden,
welche unter andern, viel selbständiger wirkenden Ursachen stehen,
getrennt zur Darstellung gelangen. Um hiemach auf das vorhin ge-
wählte Beispiel zurückzukommen, würden jetzt die Dichteverhältnisse
der Rheinebene unterhalb der 100 m- Isohypse in folgender Weise zu-
sammenzustellen sein:
Fläche
in qkm
Volkszahl
Yolksdichte
pro qkm
1. Mannheim, Stadt
2. Statische Umgebung
3. Uferstreifen unter dem Rheinhochufer . .
4. Zwischen dem Gebirgsfusse und der hessi-
schen Grenze
6,26
116,»
93,72
26,10
I 242,ss
61273
16698
2964
38
80973
(9948)
145
3,2
1,4
(334)
Noch möge bemerkt werden, dass das hier bezeichnete Gebiet 4
auf der beigegebenen Yolksdichtekarte nicht besonders henror-
tritt. Wegen seiner Kleinheit und seiner eigentümlichen Lage erscheint
es mit dem Streifen Landes längs der Bergstrasse zu einem Ganzen
vereinigt, was um so eher zulassig ist, als die Höhenkurve von 100 m
an dieser Stelle weder der Bodenform noch dem Klima nach irgend
welche einschneidende Bedeutung hat.
Wird das über die Städte Gesagte mit früheren Ausführungen
über die Darstellung der Verkehrslinien der Hauptgebirgsthäler und
des Gebirgsrandes im Osten der Rheinebene zusammengefasst, so ergiebt
sich, dass eine derartige Hervorhebung der Städte und ihrer Umgebung
wesentlich dazu beiträgt, ja sogar, dass sie der einzige Weg ist, die
Siedelungen und ihre Dichte neben allen andern, oft erwähnten Ge-
sichtspunkten auch nach demjenigen der modernen Industrie und der
Yerkehrscentren der Qtegenw&rt anschaulich zu machen.
Eine Frage ist jetet nur noch die, bis zu welcher Grössengrenze
herab die Hervorhebung der Städte in der oben angedeuteten Weise
n5tig erscheint. Diese Frage ist offenbar für verschiedene Kartenmass-
stabe und in verschiedenen Ländern nach der jeweiligen Natur der Orte
und ihrer mehr oder weniger weit reichenden Bedeutung verschieden
ÄU beantworten. Um ihr Ar Baden gerecht werden zu können, möge
Forschungen zur dentschen Landes- und Volkskunde. Vn. i. 5
66
Ludwig Neumaim,
[66
die folgende kleine TabeUe (nach Stat. Mitt. Bd. V, 1887, S. 17) hier
Platz finden:
Tabelle TU.
O.Z.
Einwohner-
zahl der ein-
zelnen Ge-
meinden
Badens
Zahl der
Gemein-
den
Darunter
Städte
Einwohner
im ganzen
1885
Prozente der
Gesanit-
bevOlkerung
Durchschn itt-
liche Einwoh-
nerzahl einer
Gemeinde
1
unter 100
36
2556
0,.
711
2
100—250
195
1
35973
2,2
184^302
3
250—500
459
4
170196
10,6
371
4
500—1000
482
5
341716
21,8
709
5
1000—2000
304
37
415674
26,0
1367
6
2000—4000
106
47
281285
17,6
2656
7
4000—6000
7
3
33205
2,0
4744
8
6000—10000
7
7
52081
3,8
7440
9
10000—20000
4
4
50781
•3,«
12695
10
über 20000
5
5
217808
13,6
43562
1605
103
1601255
100
(998)
Der Gegensatz von Stadt- und Landgemeinden lässt völlig im Stich;
denn es wäre fQr die vorliegenden Zwecke sicherlich völlig ungerecht-
fertigt, jeden Ort, der im Verlauf früherer Jahrhunderte irgend einmal
Stadtrechte erworben hat, der vielleicht auch einmal mit Mauern um-
geben und den umliegenden Dörfern Schutz zu gewähren bestimmt war,
als Mittelpunkt der Volksverdichtung im oben entwickelten Sinn auf-
zufassen. Betrachten wir die kleinen und mittleren Städte von heute,
so können unbedenklich die 47 Städte mit weniger als 2000 Einwohnern
in ihrer Bedeutung fQr die Bevölkerungsdichtigkeit den Landorten
gleichgestellt werden. Unterscheidet sich doch ihre Bevölkerung von
derjenigen der 1476 Landgemeinden derselben Grössenstufe höchstens
dadurch, dass in den Stadtgemeinden neben der auch hier vorherr-
schenden Landwirtschaft etwas mehr Gewerbebetrieb gefunden wird als
in den eigentlichen Landorten. Der unterschied ist aber nur ein gra-
dueller, der oft genug äusserlich kaum sichtbar hervortritt, so dass der
unkundige Besucher häufig nach dem Augenschein nicht wird ent-
scheiden können, ob er eine „Stadt* oder einen Landort betreten hat.
Unter den zehn kleinsten Städten mit weniger als 1000 Einwohnern
möge übrigens hier, nebenbei bemerkt, die erste der Reihe, Hauen-
stein bei Waldshut mit 157 Einwohnern, aus dem Grunde Erwähnung
finden, weil sie die kleinste OerÜichkeit im Deutschen Reiche ist, welche
den Namen einer Stadt zu führen die Berechtigung hat.
In den zwei nächsten Ortsklassen von 2000 — 4000 und von
4000 — 6000 Einwohnern haben wir 59 Land- und 47 Stadtgemeinden,
beziehimgsweise 4 Land- und 3 Stadtgemeinden. Es überwiegen also
auch hier noch die Landgemeinden mit ihrer weitaus zum grössten
67]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
67
Teil auf landwirtschaftliche Beschäftigung angewiesenen Beyölkerung.
Doch ist zu beachten, dass in manchen dieser Orte lebhafte Industrie-
betriebe sich entwickelt und viel gewerbliche und in den Fabriken
thatige Arbeiter sich angesiedelt haben. Es ist daher auch hier der
Unterschied zwischen Stadt und Land kein so einschneidender mehr wie
in früheren Jahrzehnten, was auch mehr und mehr in der äusseren
Erscheinung, in der Bauart zu Tage tritt. Neben den Städten Schwet-
zingen mit 4944, Eberbach mit 4857 und üeberlingen mit 4006 Ein-
wohnern handelt es sich in der obersten hier in Betracht kommenden
Stufe um die Landorte Neckarau mit 5283 und Eäferthal mit 4928
Einwohnern, die gänzlich als von Mannheim abhängig angesehen werden
dürfen, um Hockenheim mit 4621 Einwohnern, das als einer der Haupt-
orte des pfölzischen Anbaues von Handelsgewächsen, besonders von
Tabak gelten muss, und um Brötzingen mit 4566 Einwohnern, das an
den Industrieen Pforzheims regsten Anteil nimmt und völlig unter dem
Einfluss dieser Stadt steht. Wie diese grössten Landorte unter den
genannten Einflüssen an Yolkszahl gewachsen sind, und wie ganz be-
sonders erst die Verhältnisse der letzten Jahrzehnte umgestaltend ge-
wirkt haben, zeigt folgende üebersicht:
1812
1852
18G4
1875
1885
(1890)
Neckarau . .
Käferthal . .
Hockenheim .
Brötzingen .
1235
2015
2413
3879
5288
1021
1828
2859
4036
4928
1506
3091
3548
4176
4621
1079
1
1621
2604
3890
4516
(6202)
(5842)
(4956)
(5161)
Als Mittelpunkte der Volksverdichtung im oben festgestellten
Sinne können demnach diese Landorte nicht aufgefasst werden ; deshalb
geht es auch nicht an, die drei Städte Schwetzingen, Eberbach und
üeberlingen, welche der Volkszahl nach mit den genannten Landorten
auf gleicher Stufe stehen , von der umgebenden Landbevölkerung ab-
zusondern ; denn es wäre dies ein Messen mit zweierlei Mass. Was hier
von den Gemeinden mit 4000—6000 Einwohnern gesagt ist, gilt in
viel höherem Masse noch von denjenigen mit 2000 — 4000 Ein-
wohnern. Es bleiben daher nur die 16 Städte mit mehr als 6000 Ein-
wohnern übrig — Landorte gab es bei dieser Stufe 1885 nicht
mehr — , welche als Mittelpunkte von Industrie, Handel und Verkehr
in der Art und Weise, wie sie oben entwickelt wurde, gelten müssen,
deren Fläche und Einwohnerzahl demnach als Centren intensivster
Volksdichte in die Karten einzutragen, und deren Umgebungen nach
ihren eigentümlichen Verhältnissen von den übrigen Flächen mit länd-
licher Bevölkerung abzutrennen waren, soweit dies nach den natür-
lichen Bedingungen der Bodengestaltung u. s. w. sich als möglich erwies.
Die 16 grössten Städte, von denen weiterhin wegen ihrer Wirkung
auf die Umgebung noch eingehender gesprochen werden muss, sind in
der folgenden Tabelle zusammengestellt, deren erste Kolumne die
68
Ludwig Neumann,
[68
wirklich vorhandene Einwohnerzahl der Stadtgemeinde enthält, während
die zweite Kolumne die Einwohnerzahl der Stadt als Wohnort wieder-
giebt. Dabei ist zu bemerken, dass zum „Wohnort'' Karlsruhe einige
bewohnte Gebietsteile anstossender Gemeinden hinzugerechnet sind, die
unmittelbar zur Stadt gehören, obschon sie auf ländlichen Gemarkungen
liegen, und dass mit Heidelberg die Gemeinde Neuenheim, welche mit
der Stadt nur einen Wohnort bildet, zusammengefasst ist ^), aber so,
dass von der erhaltenen Einwohnersumme die Zahl der über 200 m
hoch Wohnenden in Abrechnung kam, da diese letzteren einer anderen
Höhenstufe zufallen als die eigentliche Stadt. Bei Rastatt wurde der
Ort Rheinau, der zur Stadtgemeinde gehört, zur Umgebung gerechnet;
in der Gemeinde Villingen zählt die Stadt im engsten Rahmen 5827
Einwohner, zerstreute Wohnorte, die zu ihr gehören und zum Teil
nahe am Weichbild der Stadt, zum Teil sehr weit von ihm abliegen,
313 Einwohner. Es wurde hier die eigentliche Stadt mit ihrer aller-
nächsten Umgebung zu 6000 Einwohnern angenommen, die übrigen
140 Bewohner der Gemeinde wurden der weiteren Umgebung zugerechnet.
Die Stadt Konstanz wird von der 400 m-Isohypse mitten durch-
schnitten. Es wurde hier in Uebereinstimmung mit den Ausführungen
auf Seite 27 die Einwohnerzahl der Stadt, soweit sie einen geschlossenen
Wohnort darstellt, der Höhenstufe von 400 — 500 m zugerechnet, wie
dies für das gesamte Seeufer ebenfalls zur Durchführung kam. Weiter
von ihr abliegende Einzel Wohnorte, die zur Stadtgemeinde gehören,
wurden der Umgebung in den jeweiligen Höhenstufen zugerechnet, wie
dies auch bei allen übrigen Städten, die hier aufgezählt sind, der Fall ist.
Tabelle vm.
Einwohnerzahl
Einwohnerzahl
O.Z.
Namen
der
der Stodt als
Stodtgemeinde
Wohnort
1
1
Mannheim
61273
61272
2
Karlsruhe
61066
61138
3
Freiburg
41340
41104
4
Heidelberg
26938
28680
5
Pforzheim
27201
27079
6
Eonstanz
14601
14423
7
Baden
12779
11100
8
Rastott
11743
11459
9
Bruchsal
11658
11613
10
Lahr
9937
9332
11
OflFenburg
7759
7759
12
Durlach
7656
7517
13
Weinheim
7595
7549
14
Lörrach
6795
6795
15
Ettlingen
6199
6199
16
Villingen
6140
6000
*) Neuenheim ist seit 1. Januar 1891 auch politisch mit der Gemeinde Heidel-
berg vereinigt worden.
(}0] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. (59
Gehen wir nun zu einer kurzen Darstellung der Umgebungen
dieser 16 Städte und zur Bestimmung ihres Umfanges über, so ist oben
(S. 62 und 65) für Mannheim schon entwickelt worden, dass als
stadtische Umgebung das Gebiet unterhalb der 100 m-Kurve von der hes-
sischen Grenze bis Neckarau einschliesslich gelten muss. Für Wein he im
kann die Umgebung aufgefasst werden als der Gebirgsfuss des Oden-
waldes von der hessischen Grenze südwärts bis zu demjenigen Gebiete,
das in der Interessensphäre Heidelbergs gelegen ist. Am Fusse des
forstenreichen Odenwaldes zieht sich hier die alte Verkehrslinie der
9 Bergstrasse*' entlang. Ungefähr im Mittelpunkt der badischen Berg-
strasse liegt Weinheim, mit welchem der ganze Gebirgsfuss die sonnige
Lage, das üppige Gelände und den reichen Anbau desselben gemein hat.
Als Umgebung Heidelbergs wurde aus der Ebene und dem
Neckarthal ein Kreis mit dem Radius von c. 5 km ausgeschnitten, während
die naheliegenden Gebirgsteile als dem Odenwalde zugehörig in Rech-
nung gebracht und betrachtet wurden, wie dies auch bei Weinheim
geschehen war. Bei Bruchsal konnte in entsprechender Weise durch
einen Kreis von 5 km Radius die Umgebung abgegrenzt werden, wobei
aber wieder die über 200 m gelegenen Gebietsteile nicht eingerechnet
wurden.
Die drei Städte Karlsruhe, Durlach und Ettlingen liegen so
nahe bei einander, dass in Rücksicht auf das zwischen denselben und
rings um sie verlaufende, reich verzweigte Verkehrsnetz das ganze
Gebiet zwischen dem Gebirgsfusse des Schwarzwaldes und des Kraich-
gauer Hügellandes auf der einen und dem Rheine auf der anderen Seite
als von allen drei Städten gleichmässig abhängig gelten kann. Als
Xordgrenze dieses Flächenstückes kann eine Linie gelten, die etwa
6 km von der Linie Karlsruhe-Durlach absteht, als Südgrenze eine
Linie, die wenig südlich von Ettlingenweiler und Daxlanden verläuft.
AIb Umgebungen von Rastatt, Baden, Offenburg und Lahr konnten
im aUgemeinen Kreise mit verschieden grossen Radien 3,5 — 5,5 km
angenommen werden, wobei aber im ersten Falle der Rhein, in den
drei letzten Fällen der Gebirgsfuss zu Abweichungen von der Kreis-
linie zwangen. Bei Pforzheim ist die von der Stadt direkt ab-
hängige Umgebung in der Hauptsache auf das Enzthal nebst den
Mündungen des Wurm- und Nagoldthales unterhalb der 300 m- Linie
beschränkt, bei Fr ei bürg ist es in der Ebene ein Halbkreis von 5 km
Radius, im Gebirge das Dreisamthal und die benachbarten Thal-
mündungen zwischen 300 und 400 m Seehöhe, bei Lörrach das untere
Wiesenäbal unterhalb der 300 m- Linie. Rings um Villingen ist die
Bevölkerung gerade in der Nähe der Stadt so dünn verteilt , dass hier
eher das Gegenteil von einem volksverdichtenden Einflüsse derselben auf
ihre Umgebung zum Ausdruck zu gelangen scheint; darum konnte hier
eine solche von der Stadt bedingte Umgebung nicht ausgeschieden
werden, und die ganze Höhenstufe der Baar zwischen 700 und 800 m
Meereshöhe erscheint darum ungeteilt. Für Konstanz endlich wurde,
da das zum Teil moorbedeckte und ziemlich dünn bevölkerte Innere
der Bodanhalbinsel an den Vorzügen der Stadtnähe und an den Ver-
kehrsvorteilen des Seeufers wenig teilnimmt, die Umgebung als identisch
70 Ludwig Neumann, Die Yolksdichte im Grossberzogtum Baden. [70
mit dem Uferstreifen angenommen, der schon oben (S. 57) zur Sprache
gekommen ist. Stadt und Land stehen hier nach all ihren Daseins-
bedingungen gleichmässig unter dem fördernden Einäuss des Sees, den
die Dichtekarte deutlich genug zum Ausdruck bringt, und von dem
weiter noch eingehender die Rede sein soll.
Nachdem so die Grundzüge der Einteilung des Landes in natürliche
Bezirke und in deren Unterabteilungen gewonnen worden sind, wobei
ganz besonders auch der Yerkehrslage und der modernen Industrie die
gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wurde, soll nun in den folgenden
Tabellen dasjenige Zahlenmaterial niedergelegt werden, über dessen
Gewinnung bereits oben ausführlich alles Nötige gesagt und das die
Grundlage für die Herstellung der Dichtekarte geworden ist.
In Tabelle IX u. ff. ist entsprechend der Tabelle I als Höhen-
stufe I diejenige unter 100 m, als Höhenstufe U die von 100 — 200 m
u. s. w. bezeichnet; diese Bezeichnungsweise wird im folgenden beibe-
halten werden. Der Deutlichkeit und Uebersichtlichkeit halber sind die
Flächeninhalte, Volkszahlen und Volksdichten in zweifacher Weise zu-
sammengestellt worden, in Tabelle IX nach Landesteilen, in Tabelle X
nach Höhenstufen geordnet; durch den Hinweis in der ersten Kolumne
sind die Werte der Tabelle X direkt mit jenen der Tabelle IX ver-
gleichbar gemacht. Die kürzer zusammengefassten Uebersichten XI
und Xn geben eine Rekapitulation von IX und X, und zwar nach
absoluten Werten wie nach Prozenten. Es sind hier für Landesteile
und für Höhenstufen die Hauptsummen und Hauptdurchschnittswerte je
auf einem Blatte vereinigt. Die Kolumne „Dichte** enthält in Tabelle XII
nicht die absolute, sondern die relative Bevölkerungsdichtigkeit; z. B.
bedeutet in der letzten Kolumne dieser Tabelle der Wert 0,7 4 beim
fränkischen Stufenlande, dass hier die Volksdichte den Mittelwert 0,7 4
des Landesdurchschnittes von 106 Einwohnern pro qkm besitze, d. h.
0,7 4 . 106 = 78; dagegen geben die Werte 3,7; 1,2; 0,5; 0,o8 der
Dichte in den Höhenstufen H bis V an, dass die mittlere Dichte des
Landesteiles in der untersten Stufe um das 3,7 fache übertroffen werde,
in der folgenden um das 1,2 fache u. s. w.
Bei den Relativzahlen der Tabelle XII genügt eine Genauigkeit
von einer Decimalstelle, nur in der Hauptsumme wurden deren zwei
berechnet.
nL Tabellen über die Flächen« Yolkszahlen nnd Volks-
dicbten der Landesteüe nnd Höbenstnfen.
Tabelle DL
Flächenmlialt, Volkszahl und Yolksdiclite Badens, nach den natfirliohen
Bezirken des Landes nnd nach deren ünterabteilnngen angeordnet
O.Z.
L and esteile
Höhen- 1
stufe 1
Fläche II
qkm 1
Bevölke-
rung
Dichte 1
pro qkm 1
A. Fränkische Stufenlandsohaften zwischen Neciiai
•
und Main.
1
Mainthal
U
30,91
9277
300
2
m
II
m
17,50
45,90
127,28
270
14102
7724
16
3
Tauberthal
307
4
, Östliche Gehänge
61
5
V 9 9 ......
. IV
136,S6
4120
30
6
, westliche Gehänge und Nebenthälei
• m
157,99
13532
86
7
Hochfläche zwischen Tauber, Jagst und Neckai
• IV
712,17
27114
38
8
9 II II s a a
V
22,7t
140
6
9
Nebenthäler von Neckar, Jagst und Kocher. .
m
189,07
23616
125
10
Neckarthal, kleine Gebiete an Jag^ und Kocher,
»
Exklave Schlüchtern
n
63,S9
17401
275
Summe A.
1503,S4
117296
78
B. Odenwald.
•
1
Neckarthal von Neckargemünd bis Neckargeracl
L 11
60,90
12391
203
2
Vorderer Odenwald, nördlich vom Neckar .
111
71,58
3251
45
3
9 9 9 9 9
IV
64,99
1747
27
4
9 9 9 9 9'
V
49,09
505
10
5
9 r 9 9 9
VI
5,45
6
,1 , südlich „ „
111
58,18
3004
52
7
9 9 9 9 9
IV
54,98
759
14
8
a » 9 9 9'
V
17,88
151
8
9
9 9 9 9 9
VI
l,tT
5
4
10
Oestlicher Odenwald
lU
58,81
4088
76
11
9 9
IV
228,56
11336
49
12
9 9 • •
V
172,69
9741
56
13
9 9
VI
56,54
2685
47
14
9 «9 •
vn
0,05
Summe
B.
—
895,91
49663
55
Ludwig Neumanu,
f) Von l(H>-200 m SeehShe.
Heidelberg (mit Neoenheira), unter 200 m . .
Umgebung von Heidelberg
Weinheim
Bergstraue
Uebrige Fläche im Norden des Neckars . . .
UebirgafuBB zwiBchen Heidelberg und Brucbsal
Ebene vom N^ar bis gegen Karlsruhe, Aber
dem Hochufer
Ebene vom Neckar bis gegen Karlsruhe, unter
dem Hochufer
Bruchsal
Um^bung von Bruchsal
GebiTgsfuis zwischen Bruchsal und Durlach . .
KarUrohe
Durlach
Ettlingen
Umgebung dieser drei Stftdte, Aber dem Hochufer
Ebene zwischen Karlsruhe und Rastatt, Ober dem
Hochnfer
Ebene zwischen Karlsruhe und Rastatt, unter dem
Hochufer
Rastatt
Umgebung von Rastatt, über dem Hochufer
Baden' unter 200 m' . . . . '. , ," . . .
Umgebung von Baden, unter 200 m . , . .
Ebene südlich von Rastatt, unter dem Hochufer
Gebirgsfuss zwischen Baden und Offenburg . .
Ebene zwischen Hochufer und Gebirgsfuss, von
der Murg bis zur Kinzig
Offenburg
Umgebung von Offenburg
Gebirgsfuss bis Lahr
Lahr
Umgebung von Lahr
Gebirgsfuss bii Enmiendingen
üebrige Ebene bis zur Elz
Uebrige Ebene von der Elz bis zun Fuss des
Eaieeretuhlgebirges
242," 8097S 334
17068
7549
10768
6480
74916
13
11618
6817
12364
. 61138
7517
5309
11459
114ti
lUOO
3162
1823
35114
8741
9332
11788
20272
27440
7071
73]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
73
O.Z.
Landesteile
OXm
n
•SS
so S
32
Uebrige Ebene rings um den Eaiserstuhl . .
Kaiserstuhlgebirge
n
II
■ ^
Ebene südlich vom Eaiserstuhl
Summe C ß, einschliesslich 36 — 39, Eaiserstuhl
Summe C ß, ohne 36 — 39, also Rheinebene allein
Y) Von 200—300 m Seehöhe.
Mündung des Elzthales und Gebirgsfuss bis Frei-
burg
Freiburg
Umgebung von Freiburg in der Ebene . . .
Ebene von der Elz bis gegen den Tuniberg .
Gebirgsfuss von Freiburg bis Schliengen . . .
Ebene von Freiburg bis Schliengen, über dem
Hochufer
Ebene von Freiburg bis Schiengen, unter dem
Hochufer .
Summe C, den Eaiserstuhl eingeschlossen
D. Kralchgauer HQgelland.
Elsenzthal
Eraich- und Saalbachthal
Pfinzthal
Eigentliches Hügelland
. „ am Neckar
. , nördlich von Pforzheim
Summe D.
E. Sohwarzwald.
a) Im Norden und Osten der Murg.
Pforzheim
Umgebung von Pforzheim
Höhen zwischen Enz, Nagold und Wurm . .
9 * II S » 9 • *
1» » » II H 1» • •
„ . Pfinz und Alb
n Murg
Unteres Murgthal
Zwischen Alb und Murg, mittleres Murgthal und
seine Gehänge
Oberes Murgthal und seine Gehänge . . . .
, , , „ , bis zur Oos
Im Osten der Murg
■ » « «
» n n »
l ] l l cHohioh)*. ; *. ; '. ! !
Ea.
35
36
37
SS
39
40
2
3
4
5
6
1
2
3
4
5
6
2
H
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
II
72,66
in
57,67
IV
24,18
V
6,77
VI
0,38
n
84,98
15811
9346
6326
218
162
74
II
2638,08
2550,08
527462
518116
ni
»
1»
*
36,48
4,76
38,87
82,78
90,81
13086
41104
5071
5628
18659
«
144,99
17712
•
33.89
19
207
203
359
8674
130
68
206
122
0,»
II III II 431,96|101279| 235
228
220
224
219
53
12
54
97
3313,31
755462
n
130,90
28792
II
116,86
26084
IT
32,37
7059
HI
699,81
36758
IV
11,06
137
IV
63.18
3422
1053,07
102252
III
2,50
27079
UI
28,89
5504
IV
53,68
1843
V
48,18
4831
VI
10,00
719
in
72,81
7748
IV
62,90
4791
V
32,58
1111
II
28,18
10947
III
68,7 6
4772
IV
29,36
2532
V
30,71
1991
VI
21,38
89
vn
12,19
7
vin
14,45
7
IX
22,18
X
18,97
12
10832
194
25
100
72
106
76
34
388
69
86
05
4
0,6
0,:>
0,6
I
— 556,96 734831 132
74
Ludwig Neumann,
V*
1
O.Z.
Landesteile
CT Qj
^1
6
'X o
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
18
14
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
1
2
ß) Nördlicher Schwarzwald zwischen Morg und
Einzig.
Unteres Kinzigthal
Von der Murg bis zur Einzig
Einzig^hal und seine Abhänge
Höhen zwischen Baden und Offenburg. . . .
Nordrand des unteren Einzigthals
Oberes Einzigthal und seine Ränder ....
Höhen zwischen Oos und Eonzi^ (württ Grenze)
, , Murg und 8chiltach ....
» y> »» « ••..
I» » fi» a ....
» 1» ji » n . • . .
H 1» HU fl ....
H II ^11 9 «...
Höhen zwischen Murg und Schiltach (Homis-
grinde) _^ ._
Eß.
f) Mittlerer Schwarzwald zwischen Einzig und
Dreisam.
Gebirgsrand von der Einzig bis zur Elz . . .
Hünersedelgruppe
T •
»
9
»
Elzthal und Umrandung
Dreisamthal und Umgebung von Freiburg . .
, n Umrandung
Elz und Dreisamgebiet
Von der Schiltach bis zur oberen Elz ....
Schiltachthal
• ••
Höhen zwischen Einzig und Dreisam ....
» I» »t « ■•*••
H » » 1» JI • • • •
Bregthal und Umrandung
« » a ........
Höhengebiet
" (Eandel)* .* .' ! .' ! .' .' .' .'
Et-
2) Südlicher Schwarzwald zwischen Dreisam,
Wutach und Rhein.
Steilufer des Rheins von Schliengen bis Efringen
Ebene zwischen Efringen und Basel, unter dem
Hochufer
Gebirgsfuss zwischen Efringen und Basel . .
XII
II
28»6s
HI
106,59
III
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IV
76,T9
IV
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IV
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111
71
35
20
30
292
119
18
16
3
39
138
96
160
75]
Die Yolksdichte im Grossherzogtum Baden.
75
O.Z.
Landesteile
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
1
2
3
4
1
2
3
4
5
6
1
2
Lörrach
Umgebung von Lörrach
Höhenaaum von Freibur^ bis Schliengen . . .
Yorhöhen zwischen Schliengen und Lörrach
Wiesenthal
Schönberg und Gebirge von IiVeiburg bis Liel
Wiesenthal und seine Umrandung
Rheinthal von Grenzach bis Murg
Südabfall des Dinkelberges
Dinkelberg
Höhen zwischen Schönberg und Hasel. . . .
Rheinthal und Höhen zwischenWehra und Wutach
Höhen zwischen Dreisam und Wehra
r
9 V II
Wehra und Wutach
. Steina
Steina
! Wutach
Höhengebiet
n
»
(Feldberg, Herzogenhom, Beleben)
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IX
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122,88
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229,55
156,55
99,88
26,87
8,87
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6795
2164
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6452
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2045
7165
12276
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3999
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3265
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6471
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7691
7396
3124
106
21
Ed.
— |;2076,«8
Summe E.
F. Klettgau und unteres Wutachthal.
Klettgau und unteres Wutachthal
» 9 H 9
II J» F 9
» » » II • • *
Summe F.
G. Hochebene der Baar.
Donaugebiet
Neckargebiet
Villingen
Hochfläche
> ......^.
Höhen im Norden von Möhringen . . . . .
Summe G.
H. Badischer Jura.
Donauthal oberhalb Sigmaringen
9 9 9
IV
V
VI
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5444,08
79,99
119,61
41,52
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IX
X
VI
VII
249,1 8
138,78
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0,80
354,61
195,11
5,59
155285
374120
9505
7981
759
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18226
16858
2464
6000
15956
8227
729,14
4,10
14,86
49505
245
589
7550
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46
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42
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71
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54
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Ludwig Neumann,
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O.Z.
Landesteile
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8
9
Vom Randen bis zur württembergischen und
hohenzoUernschen Grenze
Im östlichen Donaugebiet, beiderseits vom Fluss
Höhengebiet
» ■
Summe H.
J. Hegau nebst Bodanrucken und Schienerberg.
Bodenseeufer (ausser Eonstanz), einschliesslich der
Insel Mainau
Insel Beichenau
Eonstanz
Uebriges Gebiet
» 1»
9 Jl
» » ••
» » ......... » » '
Summe J.
K. Linzgau und Ablachgeblet.
Bodenseeufer des Linz^u
Uebriges Gebiet des Lmzgau
H M II II .......
V n » »I
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Ablachgebiet
»
» *
Summe E.
XIII
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V
VI
VII
VIII
IX
VI
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VIII
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146,8
176,9
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3,99
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193,1
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71853
8180
12249
5780
8140
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183
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47972
44
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34
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38
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356
5769
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40
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34
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52
8
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Tabelle X.
Flächeninhalt, VolkszaU nnd Volksdiclite Badens nach den Höhenstnfen
der natürlichen Landesteile geordnet.
i-
'S— a>
N C X
Cal
Ca2
Ca3
Ca4
Landesteile
I. Unter 100 m Seehöhe.
Mannheim
Umgebung von Mannheim
Unter dem Hochufer des Rheins
Zwischen dem Gebirgsfuss und der hessischen Grenze
I. II 242,8 «II 809731 334
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77]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
77
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Landesteile
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Cß34
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D3
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II. Von 100—200 m Seehöhe.
Maintbal
Tauberthal.
Neckarthal, kleine Gebiete an Jagst und Kocher,
Exklave Schluchtern
Neckarthal von Neckargemünd bis Neckargerach .
Heidelberg (mit Neuenheim), unter 200 m . . .
Umgebung von Heidelberg
Weinheim
Bergstrasse
Uebrige Fläche im Norden des Neckars ....
Gebirgsfuss zwischen Heidelberg und Bruchsal . .
Ebene vom Neckar bis gegen Karlsruhe, über dem
Hochufer
Ebene vom Neckar bis gegen Karlsruhe, unter dem
Hochufer
Bruchsal
Umgebung von Bruchsal
Gebirgsfuss zwischen Bruchsal und Durlach . . .
Karlsruhe
Dnrlach
Ettlingen
Umgebung dieser drei Städte, über dem Hochufer
. » > , unter , „
Ebene zwischen Karlsruhe und Rastatt, über dem
Hochufer
Ebene zwischen Karlsruhe und Rastatt, unter dem
Hochufer
Rastatt
Umgebung von Rastatt, Über dem Hochufer . .
, , , unter , „
Baden, unter 200 m
Umgebung von Baden, unter 200 m
Ebene südlich von Rastatt, unter dem Hochufer .
Gebirgsfuss zwischen Baden und Offenburg . . .
Ebene zwischen dem Hochufer und Gebirgsfuss,
von der Murg bis zur Kinzig
Offenburg
Umgebung von Offenburg
Gebirgsfuss bis Lahr
Lahr
Umgebung von Lahr
Gebirgsfuss bis Emmendingen
Uebrige Ebene bis zur Elz
„ , von der Elz bis zum Fuss des Kaiser-
stuhlgebirges
Uebrige Ebene rings um den Kaiserstuhl ....
« a südlich vom Kaiserstuhl ....
Elsenzthal
Kraich- und Saalbachthal
Pfinzthal
Unteres Murgthal
Unteres Kinzigthal .
n.
30,91
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60,90
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12391
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Ef 9
Landesteile
III. Von 200—300 n SeehShe.
Mainthal
Tauberthal, östliche Gehänge
^ westliche Gehänge und Nebenthäler .
Nebenthäler von Neckar, Jagst und Kocher . . .
Vorderer Odenwald, nördlich vom Neckar . . .
, , südlich , , . . .
Oestlicher Odenwald
Kaiserstuhlgebirge
Mündung des Elzthales und Gebirgsfuss bis Freiburg
Freiburg
Umgebung von Freiburg in der Ebene ....
Ebene von der Elz bis gegen den Tuniberg . . .
Gebirgsfuss von Freiburg bis Schliengen ....
Ebene von Freiburg bis Schliengen, übei>dem Hochufer
I. « » > » unter , ,
Kraichgauer Hügelland
Pforzheim
Umgebung von Pforzheim
Höhen zwsichen Pfinz und Alb
Höhen zwischen Alb und Murg, mittleres Murgthal
und seine Gehänge
Höhen von der Murg bis zur Kinzig
Kinzigthal und seine Abhänge
Gebirgsrand von der Kinzig bis zur Elz ....
Steilufer des Rheins von Schlienffen bis Efringen .
Ebene zwischen Efringen und Basel, unter dem Hoch*
ufer
Gebirgsfuss zwischen Efringen und Basel ....
Lörrach
Umgebung von Lörrach
Rhemthal von Grenzach bis Murg .... . ,
IV. Von 300—400 m Seehöhe.
Tauberthal, östliche Gehänge
Hochfläche zwischen Tauber, Jagst und Neckar
Vorderer Odenwald, nördlich vom Neckar . .
südlich , ,
Oestlicher „
Kaiserstuhl
Kraichgauer Hügelland, am Neckar ....
nördlich von Pforzheim
Südlich von Pforzheim
Höhen zwischen Pfinz und Murg
Oberes Murgthal und seine Gehänge ....
Höhen zwischen Baden und Offenburg ....
Nordrand des unteren Kinzigthales
Oberes Kinzigthal und seine Ränder ....
Hünersedelgruppe
Elzthal und seine Umrandung
Dreisamthal und Umgebung von Freiburg . .
17,60
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14
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54
25
76
86
76
77
146
16
140
131
79]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
79
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Landesteile
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£8 15
£8 18
F13
Hl
Höhensaum von Freiburg bis Schliengen ....
Vorhöhen zwischen Schliengen und Lörrach. . .
Wiesenthal
Südabfall des Dinkelberges
Rheinthal und Höhen zwischen Wehra und Wutach
Unteres Wutachthal und Elettgau . . . .. ^
IV.
V. Von 400—500 m Seehöhe.
Hochfläche zwischen Tauber, Jagst und Neckar
Vorderer Odenwald, nördlich vom Neckar . . .
, , südlich j, a ...
OestUcher ,
Kaiserstuhl
Schwarzwald, südlich von Pforzheim
Höhen zwischen Pfinz und Murg
Oberes Murgthal und seine Gehänge bis zur Oos .
Höhen zwischen Oos und Einzig (württemb. Grenze)
Hünersedelgruppe
Elzthal und Umrandung
Dreisamthal
Schönberg und Gebirge von Freiburg bis Liel . .
Wiesenthal und sein Nordwestrand
Dinkelberg
Rheinthal und Vorhöhen zwischen Wehra und Wutach
Unteres Wutachthal und Klettgau
Bodenseeufer (ausser Konstanz), einschliesslich der
Insel Mainau
Insel Reichenau
Konstanz
Uebriges Gebiet des Hegau und des Bodanrückens
Bodenseeufer des Linz^u
Uebriges Gebiet des Linzgau .
V.
VI. Von 500—600 m Seehohe.
Vorderer Odenwald, nördlich vom Neckar - . .
, , südlich „ „ ....
OestHcher ^
Kaiserstuhl
Schwarzwald, südlich von Pforzheim
Im Osten der Murg
Höhen zwischen Murg und Schiltach
Hünersedelgruppe
Elz- und Dreisamgebiet
Von der Schiltach bis zur oberen Elz
Dinkelber^
Höhen zwischen Schönberg und Hasel
Rheintbal und Höhen zwischen Wehra und Wutach
Unteres Wutachtiial und Klettgau
Donauthal oberhalb Sigmaringen
67,T2
70,17
49,81
85,00
50,00
79,20
2164,04
22,7t
49,09
17,82
172,60
6,77
48,18
32,62
30,71
144,88
140,87
69,98
32,96
44,09
59,»4
80,72
48,18
119,61
118,40
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2,50
287,70
42,09
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140
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9741
4831
1111
1991
6495
4165
4351
2788
2045
7165
1865
3423
7941
15914
1523
14423
25591
8180
12249
69
6
10
8
56
100
34
65
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84
46
120
28
71
66
134
856
5769
88
194
86
1724,12
186588
5,45
1,27
5
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2685
0,18
10,00
719
21,33
89
168,48
8740
75,13
1381
90,80
1894
42,44
827
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95,04
3999
102,72
7003
41,52
759
4,10
245
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18
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Landesteile
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ES 26
Hegau und Bodanrücken
Linzgauer Bergland
Abiachgebiet .
VI.
VII. Von 600—700 m Seehöhe.
Oestlicher Odenwald
Im Osten der Murg
Höben zwischen Murg und Schiltach
Hünersedelgruppe
Schiltachthal . . .
Höhen zwischen Einzig und Dreisam
, y, Dreisam und Wehra
„ , Wehra und Wutach
Unteres Wutachthal und Klettgau
Donaugebiet der Baar
Neckarffebiet «
Donautnal oberhalb Sigmaringen
Hegau und Bodanrücken
Linzgauer Bergland
Abiachgebiet ■ . .
VII.
VIII. Von 700—800 n Seeh5he.
Im Osten der Murg
Höhen zwischen Murg und Schütach
Hünersedelgruppe
Schütachthal
Höhen zwischen Einzig und Dreisam
Bregthal und Unigebung
Höhen zwischen Dreisam und Wehra
n ^ Wehra und Steina
• „ Steina und Wutach
Vilfingen
Hochebene der Baar
Hegau
Jura vom Randen bis zur württemb. und hohenzoU.
Grenze
Jura im östlichen Donaugebiet, beiderseits vom Fluss
Linzgauer Bergland
Abiachgebiet .
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2464
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169,87
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89,19
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6000
15956
13
7371
1819
2262
20
IX. Von 800—900 m SeehShe.
Im Osten der Murg
Höhen zwischen Mur^ und Schiltach .
, j, Einzig und Dreisam .
Bregthal und Umgebung
Höhen zwischen Dreisam und Wehra .
„ , Wehra und Steina . .
^ Steina und Wutach .
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43
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119
33
69
155
81]
Die Yolksdichte im Grossberzogtum Baden.
81
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E8 32
Landesteile
Hochfläche der Baar
Jura
Hegau
Linzgau .
IX.
X. Von 900—1000 m Seehöhe.
Im Osten der Murg ... *
Höhen zwischen Murg und Schiltach
HOhengebiet des mitÜeren Schwarzwaldes . . .
, I, südlichen , . . .
Höhen im Norden von Möhringen ......
Jura .
X.
XI. Von tOOO— 1100 m Seehöhe.
Nördlicher Scbwarzwald
Mittlerer „
Südlicher , .
XI.
XII. Von 1100—1200 m Seehöhe.
Nördlicher Schwarzwald
Mittlerer ,
Südlicher , .
xn.
Xlil. Von 1200—1300 m Seehöhe.
Mittlerer Schwarzwald
Südlicher , ^ .
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XIV. Von 1300—1400 m Seehöhe.
Südlicher Schwarzwald
XV. Von 1400—1500 m Seehöhe.
Südlicher Schwarzwald
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Fonchvogen zur dentschen Landes- und Volkskunde. YII. l.
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Landesteil
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83]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
83
XI.
Baden, nach den 10 natnrliclien Landesteilen nnd den 15 Höhensohicliten geordnet.
vn
600 bis 700 m
VTTI
700 bis 800 m
IX
800 bis 900 m
X
900 bis 1000 m
XI
1000 bis
1100 m
XU
1100 bis
1200 m
XIII
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1300 m
XIV
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1400 m
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relative Volksdiclite im GrosslierzogtunL Baden, nach den 10 natärlichen Teilen nnd
stnfen geordnet.
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IV. Spezieller Teil.
1. Die Dichtekarte, ihre Herstellung und Aufgabe.
Das Zahlenmaterial der yorstehenden Tabellen bildet die Grund-
lage für die beigegebene Dichtigkeitskarte. Das Grossherzogtum Baden
erscheint hier in 200 nach der Höhenlage und den allgemeinen natür-
lichen Verschiedenheiten abgesonderte Gebiete von durchschnittlich je-
weils 75 qkm und 8000 Einwohnern geteilt, eine Zerlegung, wie sie
weitgehender bislang bei keiner Untersuchung über Volksdichte ange-
wendet worden ist. Zur Vereinfachung und zur Elarheitserhöhung der
Karte war es nun durchaus notwendig, nur eine beschränkte Anzahl
von Dichtestufen zur Darstellung zu bringen; für deren Bestimmung
und Auswahl erwies sich die folgende Ueberlegung als massgebend.
Die gesamte Volkszahl von 1 601 255 Einwohnern auf die ge-
samte Fläche des Landes von 15 081, 20 qkm gleichmässig verteilt, er-
giebt eine mittlere Dichte von 106 Einwohnern auf den qkm. Werden
aber die oben (S. 68) genannten 16 grössten Städte mit mehr als
6000 und zusammengenommen mit 320 670 Einwohnern ausgeschieden,
so dass nunmehr allein noch die als ländlich zu bezeichnende Ein-
wohnerschaft von 1280585 Seelen auf 15043,4o qkm verteilt zur Be-
rechnung verwendet wird, so ist die Volksdichte Badens 85 pro qkm.
Obwohl nach den Ausführungen über die Behandlung der Städte auf
der Dichtekarte (S. 62 — 70) strenge genommen die letztere Zahl
von 85 Einwohnern pro qkm auf der Karte als der mittlere Wert der
Volksdichte erscheint, so ist doch die Dichtezahl 106 für das gesamte
Wirtschaftsleben des Staates die wichtigere, ja die ausschlaggebende.
Denn sie ist der Ausdruck für das Mass der auf allen Ge-
bieten des Wirtschafts- und Staatslebens wirksamen Pro-
duktion und Konsumtion. Es ist demnach naturgemäss, die Dichte
von 106, oder wenig abgerundet diejenige von 100 als die nach den
Zuständen von 1885 normale anzusehen, und hiemach alle Gebiete mit
weniger als 100 Einwohnern pro qkm als relativ dünn, diejenigen
mit mehr als 100 Einwohnern pro qkm als relativ dicht bevölkert zu
S5l Ludwig Neumann, Die Yolksdichte im Grossherzogfcum Baden.
85
bezeichnen, während Gebiete mit mehr als 200 Bewohnern auf der
Flacheneinheit als sehr dicht bevölkert gelten müssen, da sie die
Normalzahl verdoppeln oder selbst dieses Verhältnis noch überschreiten.
Innerhalb dieser Hauptgruppen schien es zweckmässig, jeweils
mehrere Unterabteilungen zu machen, wobei im allgemeinen die Dichte-
zahl von einer Stufe zur nächst höheren um 25 pro qkm zunimmt ; nur
über 200 wurde die Stufengrösse verdoppelt, und die niederste Stufe
von — 25 Einwohnern erfuhr eine Zweiteilung, wodurch es möglich
wurde, ganz oder fast ganz unbewohnte Gebiete gesondert anschaulich
zu machen. Die Dichteskala der Karte ist demnach diese:
I. Dichtestufe
IL
in.
IV.
V.
VI.
VlI.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
— 5 Einwohner auf
5-25
25-50
50-75
75-100
100-125
125-150
150—175
175-200
200—250
250—300
über 300
qkm, ganz oder fast unbevölkert
Volksdichte unter dem Lan-
desdurchschnitt, d. h. g e r i ng
Volksdichte über dem Lan-
desdurchschnitt, d.h. gross
Volksdichte über dem dop-
pelten Landesdurchschnitt,
d. h. sehr gross.
Erwies sich in Rücksichtnahme auf die Uebersichtlichkeit der
Karte eine Beschränkung auf zwölf Dichtestufen als notwendig, aber
auch als völlig ausreichend, so musste auch noch in anderer Weise an
«ine Vereinfachung der graphischen Darstellung gedacht werden, um
das Eartenbild nicht allzu bunt und vielfach auch unnatürlich erscheinen
zu lassen. So wurden zunächst überall, wo aus einer Höhenschichte
inselartig zerstreut liegende kleine Erhebungen oft nur wenige Meter
über die obere Grenzfläche aufragen, diese räumlich so unwichtigen,
eng begrenzten Bodenanschwelluagen mit der umgebenden Landschaft
durch das Dichtigkeitskolorit derselben zu einem Gebiete vereinigt^ da
sie mit ihm nach allen Gesichtspunkten, die im allgemeinen Teil unsrer
Ausführungen dargelegt worden sind, durchaus eine natürliche Einheit
bilden. Femer wurde überall, wo in steilansteigenden Gebirgsland-
schaften die einzelnen Höhenstufen als ganz schmale, rasch aufeinander
folgende Bänder erscheinen, wie besonders in manchen Teilen des mitt-
leren und südlichen Schwarzwaldes, darauf verzichtet, jedes einzelne
dieser Bänder mit der seiner Dichte zukommenden Farbe hervorzuheben.
Es hätte dies eine ganz sinnverwirrende und für die richtige Beurteilung
der Bevölkerungsverhältnisse in ihren Dichteabstufungen wertlose Dar-
stellung gegeben, statt welcher es vorgezogen wurde, grössere Gebirgs-
teile mit der mittleren Dichte des ganzen Gebietes zu bezeichnen. So
zeigt z. B. unsre Tabelle für den südlichen Schwarzwald im inneren Ge-
birge bei der Höhenstufe von 400 — 500 m (V) Volksdichten von 46
und 71, auf der Stufe VI solche von 42 und 67, auf VII von 84 und 54,
auf Vm von 49, 72 und 39, auf IX von 33, 69 und 155, bezw., wenn
das dicht bevölkerte Ackergebiet in der Umgebung von Bonndorf aus-
geechieden wird, von 54 Einwohnern auf dem qkm. Es wurde nun,
86 Ludwig Neumann, [86
um diese ganze Gegend steiler Gehänge als ein Ganzes, was sie ihren
Naturbedingungen nach auch ist, erscheinen zu lassen, für dieselbe die
mittlere Volksdichte ermittelt und alles Gebiet von 400 — 1000 m mit
dem Dichtekolorit der Stufe von 50 — 75 Einwohner auf dem qkm aus-
gezeichnet. Aehnlich wurde auch für andere, auf der Karte leicht er-
sichtliche Gebiete verfahren.
Bevor nun zum zweiten Hauptteil der Arbeit, nämb'ch zur kriti-
schen Untersuchung der Ursachen der verschiedenen Volks-
dichten übergegangen werden kann, ist es am Platz, weniges über
die Quellen der vielfach zu benutzenden Zahlen und Angaben über land-
wirtschaftliche, forstliche, Handel und Verkehr betreffende Verhältnisse
mitzuteilen. Kurz und übersichtlich berichten über diese Dinge einzelne
Abschnitte des schon mehrfach genannten Werkes : »DasGrossherzog-
tumBaden*;es handelt sich hier wesentlich um die Teile: Bevölkerungs-
statistik (S. 266—375), Landwirtschaft (S. 379—415), Forstwirtschaft
(S. 416—465), Bergwesen (S. 466—479), Gewerbe und Handel (S. 480
bis 517), Verkehrsmittel (S. 518—548). Von grossem Wert sind so-
dann die Originalmitteilungen des vom Grossherzoglichen statistischen
Bureau herausgegebenen „Statistischen Jahrbuches" (letzter Band:
XXI, erschienen 1890) und der „Statistischen Mitteilungen', vo»
denen zur Zeit der Band VI, 1888 — 1889 im Erscheinen begriffen ist.
Obwohl die Volkszählung, welche die Grundlage der Dichtekarte bildet,
diejenige von 1885 ist — die neueste hat unterdessen im Dezember 1890
stattgefunden — , erschien es doch im Interesse der Darstellung gegen-
wärtiger Zustände geboten, für die Lebensbedingungen der Bevölke-
rung jeweils die neuesten Quellen zu benutzen, also statistische Daten
bis herab ins Jahr 1889 und 1890 zu verwerten. Es erscheint dies
um so zulässiger, als die Bevölkerungsverhältnisse, insbesondere die
Volksverteilung und die Volksdichte, sich seit der letzten Zählung von
1885 nur sehr wenig geändert haben.
Von 1880—1885 stieg die Gesamtbevölkerung Badens um 31001
Einwohner oder um 1,974 ®/o; das giebt für ein Jahr einen Zuwachs von
0,395 ®/o: legen wir dasselbe Wachstumsverhältnis auch für die Jahre
seit 1885 zu Grunde, und es liegt keine Ursache vor zu der Annahme,
dass dasselbe sich wesentlich geändert habe, so erhalten wir als Be-
völkerung für 1888, 1889 und 1890 rund die Zahlen 1 620000; 1 627000;
1633000, bezw. als Volksdichte 107,4; 107,8; 108,8, woraus hervorgeht^
dass der Massstab der Dichteskala für die Gegenwart derselbe ist, wie
für das Jahr 1885 ^). Da femer die Siedelungen oder die Wohnorte
unverändert sind, während ein Unterschied gegen das letzte Zählungs-
jahr sich nur darin kundgiebt, dass die grossen Städte auch jetzt raschere»
Wachstum ihrer Volkszahl aufweisen als die kleineren, und zwar viel-
fach auf Kosten der ihre Bevölkerung nicht vermehrenden oder selbst
langsam verringernden Landorte, eine Bevölkerungsbewegung, die aber
') Die Zählung vom 1. Dezember 1890 ergab 1658817 Einwohner, d. h. eine
Dichte von 109,b6 pro qkm, also etwas mehr als nach den Zunahmeverhältnissen
von 1880 — 85 zu erwarten war, was zunächst auf eine gegen früher stärkere Ein-
''«^rung, bezw. auf schwächere Auswanderung schliessen lässt.
871 I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 87
für die kurze Zeit von 5 Jahren die allgemeinen Dichtegrade nur mini-
mal verschiebt, so ist für die vorliegenden Zwecke eine Zusammen-
stellung der Bevölkerungszahlen von 1885 mit statistischen Verhält-
nissen neueren Datums durchaus berechtigt.
Die offizielle Statistik des land- und forstwirtschaftlichen Anbaues
ist natürlich in erster Reihe an die politische Einteilung der Amts-
bezirke, bezw. an diejenige der Forstbezirke gebunden ; sie hat es bisher
nur in vereinzelten Fällen versucht, ihre Angaben nach natürlich be-
grenzten Gebieten zu machen. Erst in einem der letzten Hefte der
Statistischen Mitteilungen für das Grossherzogtum Baden (Bd. VI, 1889,
Nr. 3, S. 17) gelangen ^Geographische Gebiete** zum erstenmal
durchweg zur Darstellung. Ihre Einführung, wird dort gesagt, bezweckt
die Darstellung der landwirtschaftlichen Verhältnisse für Teile des
Landes, welche in Bezug auf Bodenbeschaffenheit, Höhenlage und Elima
gleichmässiger sind als die Bezirke und Kreise. Vor allem kam es bei
ihrer Einführung darauf an, die Rheinebene von dem Gebirge und
Hügellande zu trennen und aus letzterem eine Anzahl von Gebieten
nicht allzu verschiedener natürlicher Beschaffenheit zu bilden. Auch
die Rheinebene bietet bei ihrer grossen Längsausdehnung erhebliche
Verschiedenheiten dar und war einer Zerlegung in mehrere Teile zugäng-
lich. Bei ihrer Begrenzung ist auf die Gemeindegrenzen zurück-
gegangen worden. Da in den auf den Grenzen der natürlichen Ge-
biete gelegenen Gemeinden zum Teil noch sehr verschiedene Boden-
verhältnisse vorkommen, so sind die angenommenen Gebirgsgrenzen
nicht vollkommen genau; immerhin sind die Ungenauigkeiten nicht
mehr von grosser Bedeutung, und es findet zudem unter ihnen eine
gewisse Ausgleichung statt, indem sie bald auf die eine, bald auf die
andere Seite der wahren Grenze fallen, soweit eine solche überhaupt zu
erkennen ist, und es nicht schon wegen deren Unbestimmtheit auf eine
genaue Abgrenzung nicht ankommen kann.
Auf diese Weise ist das Land in die folgenden 11 natürlichen
geographischen Gebiete zerlegt, die aus den beigefügten Amtsbezirken
und Teilen von Amtsbezirken bestehen und den beigesetzten Flächen-
inhalt umfassen.
1 Bodenseeffeffend / ^o^stanz, Stockach, Ueberlingen, Engen, ohne
* *^ \ die im Donaugebiete gelegenen Gemeinden 1242,oo qkm
2 Donauffecrend ^ Villingen, Donaueschingen, Messkirch, Pfullen-
"«<5K<J ^ jJqj^-^ jie vorgedachten Gemeinden von Engen 1 405,7 o ,
(St. Blasien, Bonndorf, Schopf heim, Schönau
und Neustadt Waldshut und Säckingen,
- |, j ohne die im Rhemthal und Klettgau ge-
^^ I legenen Gemeinden, von Müllheim und Staufen
^ die Gebirgsgemeinden 1914,6o ^
± ViHloror x^y^f{ f Triberg und Wolfach; von Freiburg, Wald-
4. Mittlerer una j ^^^^^ Emmendingen, Ettenheim. Lahr,
waM I Offenburg , Oberkirch , Achern, Bühl, Baden
l und Rastatt die Gebirgsgemeinden ....
5,
2426,00
Kaiserstuhl ' ^^^ Breisach und Emmendingen die am Kaiser-
\ stuhl gelegenen Gemeinden 143,co
88 Ludwig Neumann, [88
6. Obere Rhein
ebene
Lörrach; von Waldshut, S&ckingen, Müllheim,
Staufen, Freiburg und ßreisach die im Rhein-
thal bezw. in der Rheinebene gelegenen Ge-
meinden 1122,to qkm
7. Mittlere Rhein- ( Kehl ; von Waldkirch bis Rastatt die Gemeinden
ebene \ der Ebene 1669,4o ,
I Karlsruhe, Schwetzingen, Mannheim ohneSchries*
heim ; von Ettlingen, Durlach, Bruchsal, Wies-
loch, Heidelberg, Weinheim die Gemeinden
in der Ebene 1366,7o .
Q T>fi ,, ir*o;/.Y, l Pforzheim, Bretten, Eppingen, Sinsheim; von
y. rnnz-u.üraicü- I D^riach, Ettiingen, Bruchsal, Wiesloch die
^^^ ( Gemeinden im Hügellande 1349,8« ,
10. Bauland
11. Odenwald
Adelsheim, Tauberbischofsheim, Wertheim, Mos-
bach und Buchen ohne die Gemeinden im
Odenwalde 1474,so
Eberbach; von Mannheim Schriesheim; von
Heidelberg und Wiesloch die Gebirgsgemein-
den ; von Mosbach und Buchen die Gemeinden
auf Buntsandstein 862,to
Das erwähnte Heft der .Statistischen Mitteilungen*, welches die
erstmalige Aufzählung und Verwendung der genannten 11 Bezirke mit-
teilt, ist etwa um ein Jahr später erschienen, als die S. 24 aufgezählten
und zur Grundlage der vorliegenden Untersuchung gewählten 10 Ge-
biete gebildet wurden; ein strenges Anpassen der einen Einteilung an
die andere war daher, nachdem die Tabellen und die Karte der Volks-
dichte bereits vollendet vorlagen, nicht mehr möglich, üebrigens hätte
auch diese neue Einteilung in natürliche Gebiete die hier gewSMte nicht
durchweg ersetzen können, da sie nicht so genau auf die Höhenlagen
Rücksicht nehmen konnte. Doch wird es vielfach möglich sein, die
beiden Einteilungsversuche aufeinander zu beziehen, indem sie wenig-
stens einigermassen sich entsprechen. Es ist z. B. das «fränkische
Stufenland' mit rund 1503 qkm fast genau dasselbe wie das obige Ge-
biet Nr. 10 der Statist. Mitteil., „Bauland*, mit rund 1475 qkm; auch
der Odenwald mit 896 bezw. 862 qkm entspricht sich in beiden Fällen
sehr gut; das «Eraichgauer Hügelland* mit 1053 qkm ist hier enger
gefasst als der «Pfinz- und Kraichgau* der Statist. Mitteil, mit
1350 qkm, indem der letztere das ganze Amt Pforzheim mit um-
fasst, dessen südliche Teile in Tabelle IX dem östlichen Schwarzwalde
zugerechnet sind, und indem die Grenze gegen die Rheinebene in Ta-
belle IX längs der weit ins Hügelland hereingreifenden 200 m -Linie
gezogen ist Die Rheinebene hat einschliesslich des Kaiserstuhls in
unsrer Begrenzung rund 3312 qkm, während die Gebiete 5 — 8 der
Statist. Mitteil, etwa 4302 qkm umfassen, also beinahe 1000 qkm
mehr; dieser Unterschied kommt von der Einrechnung des oberen Rhein-
thales vom Elettgau bis Basel, des ganzen Amtes Lörrach* und einiger
Teile von Müllheim, sowie von der im einzelnen mannigfach ab-
weichenden Abgrenzung längs der Linie von Schliengen bis zur hessischen
Grenze her.
Die Fläche der zwei Schwarzwaldgruppen in den Statist. Mitteil.
mit zusammen 4341 qkm bleibt hinter derjenigen der Tabelle IX
893 ^^^ Tolksdichte im Grossherzogtum Baden. 89
mit 5444 qkm um rund 1100 qkm zurück, was sich aus der yer-
schiedenen Zuteilung der Gegend von Pforzheim, Müllheim, Lörrach,
des oberen Rheinthaies, des Wutachihales , der gebirgigen Teile der
Aemter Donaueschingen und Yillingen erklärt. Die zwei Teile „Boden-
seegegend '^ und „Donaugegend' endlich lassen sich nur sehr schwierig
mit unsem Gebieten Baar, Jura, Hegau, Linzgau vergleichen, doch scheint
die hier gewählte Vierteilung entschieden vorzuziehen zu sein, da, um
nur eines zu betonen, die „Donaugegend'' sehr verschiedenartige Ge-
biete umfasst, nämlich den Anteil der Aemter Donaueschingen und
Villingen am Gebirge wie an der Hochebene, den Höhenzug des Jura,
das Flachland des Abiachgebietes im Amt Messkirch und endlich das
Amt Pfullendorf, das trotz seines teilweisen Hinübergreifens ins Strom-
gebiet der Donau doch viel eher mit dem südhch angrenzenden Amt
Ueberlingen eine einheitliche Landschaft bildet, nämlich den „Linzgau''
genannten Südabfall der schwäbischen Hochebene zum Bodensee.
Trotz dieses Gegensatzes ist der Versuch der amtlichen Statistik,
natürliche Gebiete einzuführen, in hohem Grade dankenswert, und es
wird sich im folgenden Gelegenheit finden, von den neugruppierten
statistischen Werten nützlichen Gebrauch zu machen.
In Bezug auf die Zuverlässigkeit der Zahlenwertc landwirtschaft-
licher Areale, die im folgenden eine grosse Wichtigkeit haben, möge
bemerkt werden, dass (Statist. Mitteil. Bd. VI, 1889, S. 60) in 1608
von den 2182 Gemarkungen Badens — viele Gemeinden haben deren
mehrere — oder in 73,7 "/o aller Gemarkungen die Katastervermessung
vollendet ist, während für das übrige Areal die Flächenangaben auf
sonstigen Vermessungen oder Schätzungen beruhen. Von dem Mangel
einer vollständig fertigen Eatastervermessung rührt es her, dass die
sich aus der Summe aller Gemarkungsareale ergebende Gesamtfläche
des Landes von der planimetrisch gefundenen Zahl von 15081,8o qkm
{vgl. oben S. 26) etwas abweicht, und zwar bleibt sie für 1888
mit im ganzen 14976,80 qkm um 104,4 o qkm oder 0,67 ^/o hinter der-
selben zurück, eine Abweichung, die nach Vollendung der Kataster-
arbeiten wohl fast vollständig verschwinden wird. Doch ist dieselbe
auch jetzt schon so klein, dass es der Genauigkeit der folgenden Aus-
führungen keinen Eintrag thun kann, wenn ohne weitere Umrechnung
die Angaben über landwirtschaftliche Areale aus den statistischen Ur-
materiidien übernommen werden ; eine durchgängige Erhöhung der be-
treffenden absoluten Zahlen um 0,6 7 ®/o würde an dem Gesamtbild der
Flächenverteilung nichts von Belang ändern können.
Für die Charakterisierung der einzelnen Landesteile nach ihren
Bodenbebauungsverhältnissen ist es von Wert, einige Landesdurchschnitts-
werte hier zusammenzustellen, da sie späterhin als Massstab benutzt
werden können. Für 1888 wird angegeben:
Landwirtschaft], »^„xu«««« Wald mit Nicht angebaute r, „ _^
Fläche Reutberge Hackwald Fläche Zusammen .
8355 qkm 513 qkm 5434 qkm 675 qkm 14977 qkm oder
55,7970 3,42 70 36,28 7o 4,60 7o 100^0
90 Ludwig Neumann, j[90
Das laudwirtschaftliclie Gelände einschliesslich der Reutberge nimmt
hiemach ^/s, der Wald über ^/s der Gesamtfläche ein, welches Verhält-
nis sich seit lange (vgl. oben S. 60) auf Kosten der landwirtschaft-
lichen Flächen zu gunsten des Waldes verschiebt. Dabei bleiben die
Reutberge mit rund 8^/2^/0 und die nicht angebauten Flächen (Haus-
und Hofplätze, Strassen, Wasser, Unland u. s. w.) mit 4V«^/o nahezu
unverändert. Die landwirtschaftlichen Flächen setzen sich nach den
Hauptkulturarten folgendermassen zusammen:
Acker Wiese Rebland J,^ J^^^ ^-^jj- ^^änd^f Sun..e
5663 qkm 1987 qkra 214 qkm 155 qkm 10 qkm 326 qkm 8355 qkm
67,8 7o 23,8 7o 2,5^0 1,9^0 0,1 7o 3,970 1007^0
Der Vergleich dieser Werte mit älteren entsprechenden zeigt, das«
Acker- und Rebfläche bei schwacher Neigung zur Abnahme sich im
grossen Ganzen fast unveränderlich erhält; stärker ist die ununter-
brochene Verkleinerung der ständigen Weiden, während Kastanien-
pflanzungen, Gras- und Obstgärten, endlich Wiesen fortwährend sich
vergrössern.
Von den 5663 qkm Ackerfläche lagen 1880 etwa 241 qkm brach,
so dass das Areal von 5422 qkm als eigentliche Anbaufläche angesehen
werden muss, eine Zahl, welche im folgenden den weiteren Untersuchungen
vielfach zu Grunde liegen wird.
Diese kurzen Angaben allgemeiner Art gentigen, um nunmehr
die spezielle Betrachtung der Naturbedingungen anzureihen, unter wel-
chen die Bevölkerung in den zehn Landesteilen steht, und die für die
Volksdichte als massgebend angesehen werden müssen.
Die Angaben über Berufsstatistik, Gewerbe, Handel und Verkehr
lassen sich besser jeweils gesondert darstellen, als dass sie hier allge-
mein zusammengefasst werden, was nur zu Wiederholungen führen
würde; dagegen wird es sich in der Folge als zweckmässig erweisen,
dass die obigen Angaben über die landwirtschaftlichen Areale als Ver-
gleichsmassstab für die einzelnen Landesteile hier vorangestellt wor-
den sind.
2. Die Yolksdichte der einzelnen Landesteile.
A. Fränkische Stufenlandschaften.
Das 1530,2 4 qkm grosse Gebiet der fränkischen Stufenlandschafben
hat eine mittlere Höhe von 300 m; bei überaus einförmiger Oberflächen-
gestalt steigen die flachwelligen Hügelreihen an keiner Stelle über
430 m, während die Hauptthäler bei einer mittleren Höhenlage von
etwa 150 m nicht bedeutend eingetieft sind. Der Wasserspiegel des
Maines liegt bei Bettingen rund 140 m, bei Freudenberg 126 m hoch;
das Tauberthal senkt sich von 194 m bei Unterbaibach bis 135 m bei
Wertheim; die Sohle des Jagstthales liegt bei Krautheim 235 m, bei
Ruchsen 178m, bei Neudenau 151 m hoch, diejenige des Kocher bei
91] Die Volksdichte im Grofißherzogtum Baden. 91
Stein hat 155 m; der Neckar endlich fällt von 143 m bei Offenau bis
zu 135 m bei Neckargerach. Der Höhenunterschied zwischen dem
tiefsten und höchsten Punkte misst fast genau 300 m. Das Klima
miiss als Terhältnismässig rauh bezeichnet werden, indem die Tempe-
raturen aller Jahreszeiten hinter den der Höhenlage entsprechenden
zurückbleiben; doch zeigen sich die Thäler den Höhen gegenüber wesent-
lich günstiger gestellt; die Niederschläge sind mit dem Landesdurch-
schnitt verglichen der Menge nach gering, aber auf den Hochflächen
etwas starker als in den Thalniederungen; auf den ersteren fällt ihr
Maximum in den Herbst, in den Thälern dagegen in den Sommer.
Der Boden ist fast im ganzen Gebiet Muschelkalk und zwar an der
Oberfläche zumeist in mergeliger Ausbildung; kleinere Flächen zeigen
den Muschelkalk von Lettenkohle überdeckt; an den Rändern und den
Sohlen der tieferen Thäler tritt der Buntsandstein, die Unterlage des
Muschelkalkes zu Tage, so besonders am Main, an der Tauber, am
Neckar und an der dem letzteren zufliessenden Elz in der Umgebung
Yon Mosbach. Diese Buntsandsteingebiete konnten unmöglich vollständig
ausgeschieden werden, obschon, wie bereits früher erwähnt, die For-
mationsgrenze zwischen Buntsandstein und Muschelkalk, soweit es immer
möglich war, als Grenzlinie unseres Gebietes gegen den Odenwald fest-
gehalten wurde.
Wichtige Hauptverkehrslinien haben das badische Frankenland
zu keiner Zeit durchzogen. Am grössten war natürlich von jeher die
Bedeutung der Wasserstrassen des Neckar und Main, die das Land aber
nur an seinen Grenzen streifen; in zweiter Reihe sind dann zu nennen
die Thäler der Tauber, der Jagst und des Kocher, von denen aber
nur das erste unser Gebiet in südnördlicher Richtung durchquert,
während die andern es kaum in einigen Punkten berühren. Mitten
durch das Hügelland geht nur eine einzige Hauptstrasse, die vom
Neckarthal über Mosbach, Adelsheim, Osterburken und Boxberg ins
Tauberthal; wie alle älteren Strassenzüge folgt sie möglichst den Höhen^
während neuerdings die derselben Hauptrichtung folgende Eisenbahn
mehr den Wasserläufen entlang zieht.
Die fränkische Muschelkalkebene, welche verhältnismässig recht
weit von der Landesmitte abliegt, ist bis zur Stunde einer der verkehrs-
ärmsten Landesteile, in welchem die Landwirtschaft weitaus die vor-
herrschende Thätigkeit der Bewohner ausmacht, während nennenswerte
Industriebetriebe und grössere Handelsunternehmungen sich zu keiner
Zeit entwickelt haben.
Die Bodenbedeckung zeigt sich aufs strengste abhängig von der
Landesnatur. Während in Baden durchschnittlich fast 56 ^/o der Ge-
samtfläche landwirtschaftlich bearbeitet und wenig über 36 ^/o mit Wald
bestanden sind, hat Franken 71 ^/o landwirtschaftliche und nur 25 ^/o
Waldfläche. Der Wald (368,8 o qkm) findet sich in grösseren Komplexen
nur auf den Sandsteinböden über dem Main- und dem unteren Tauber-
thal und an der Grenze gegen den Odenwald, sonst ist er überall stark
parzelliert und nur auf den schlechteren, steinigeren Muschelkalkböden
anzutreffen. Reutberge kommen nicht, Hack waldanlagen beinahe gar
nicht vor.
92 Ludwig Neumann, [92
Die Verteilung des landwirtschaftlichen Geländes (1046,55 qkm)
ist aus folgender Zusammenstellung zu ersehen, der die entsprechenden
Werte des Landesdurchschnittes beigesetzt sind:
Prozente der landwirtschaftlichen Fläche
in Franken: im Grossherzogtum Baden:
Acker 85 68
Wiese 9 24
Rebland 3,8 2»6
Gras- und Obstgarten 1,8 1,9
Ständige Weide ... 0,9 3,9
Für die Landwirtschaft und ihren Betrieb ist hervorragend wichtig,
dass unter der Wirkung des Anerbenrechtes die Güterzerteilung im
allgemeinen nicht so weit vorgeschritten ist, wie z. B. in der Rhein-
ebene, dass also mittelgrosse Bauerngüter vorherrschen, femer dass ein
verhältnismässig ansehnlicher Orossgrundbesitz sich in den Familien des
ziemlich zahlreichen Adels seit alters her erhalten hat, ein Besitz, für
dessen Betrieb nach Aufhebung der Leibeigenschaft im allgemeinen
überall Orosspacht eingeführt worden ist.
Während bei gleichmässiger Beschäftigung mit Ackerbau und
Viehzucht das Verhältnis der Wiesen- zur Ackerfläche etwa 1 : 3 ist,
finden wir in Franken 1 : 9,8 . Die meist nur auf den feuchteren Thal-
böden sich findenden Wiesen treten demnach sehr stark zurück; in-
folge davon ist die Viehhaltung eine relativ geringe, es fehlt daher an
ausreichendem Dünger und so kommt es, dass rund 9^/o des Acker-
landes im Jahre brach liegen, während der Landesdurchschnitt der
Brache nur etwa 4 ^/o ausmacht. Die immerhin nennenswerte Ausdehnung
des Brachlandes gestattet Schafhaltung und Schafzucht, die sonst überall
im Lande im Lauf der letzten Jahrzehnte um so mehr zurücktrat, je
stärker sich das Bedürfnis herausstellte, der anwachsenden Bevölkerung
grössere Bodennutzflächen zur Verfügung zu stellen. Die vorstehenden
kleinen Werte für die Ausdehnung des Brachlandes weisen auch deutlich
darauf hin, dass im allgemeinen wohl fast nirgends in Baden mehr
reine Dreifelderwirtschaft mit dem Turnus: Winterfrucht, Sommerfrucht,
Brache geübt wird, dass vielmehr an ihre Stelle überall die verbesserte
Felder Wirtschaft mit mehrjährigem Fruchtwechsel und seltener reiner
Brache getreten ist. Franken aber macht aus dem genannten Grunde
immerhin eine relativ noch häufige Brachzeit notwendig.
Gepflanzt werden hauptsächlich Körnerfrüchte: Spelz, Sommer-
gerste, Winterroggen, Winterweizen, dann Hafer; Kartoffeln und Futter-
früchte sind weiterhin von Wichtigkeit, wogegen die Handelsgewächse
sehr in den Hintergrund treten; Zuckerrüben, Raps, Hanf und Flachs
verdienen noch genannt zu werden, aber Tabak und Hopfen verschwin-
den fast ganz.
Die Weinkultur ist im Neckar- und Jagstthal, besonders aber an
der Tauber nicht unbedeutend, die Weine können zwar nicht mit den-
jenigen des Markgraf 1er Landes, der Off'enburger und Bühler Gegend
oder der Bergstrasse verglichen werden, doch liefern einige Lagen im
Tauberthaie recht annehmbare Erzeugnisse. Der Wert der Weinernte
93] Die Yolksdichte im Grossherzogtum Baden. 93
war im Jahre 1888 395000 Mark, im Mittel von 1865—1888 etwa
500000 Mark, d. h. 4^/o des Gesamterträgnisses in Baden.
Den geschilderten Verhältnissen entsprechend gestaltet sich auch
die Yerteilmig der Einwohner nach den hauptsächlichsten Berufs-
arten. Die Zahlen der folgenden Zusammenstellung sind den Ei^eb-
uissen der berufsstatistischen Erhebungen vom 5. Juni 1882 entnommen,
so dass sie weder mit denjenigen der Volkszählung von 1885, noch
mit den jetzigen vollständig übereinstimmen können, soweit es sich um
absolute Werte handelt. Die Kelativzahlen dagegen haben sicherlich
auch Geltung für längere Zeiträume, da sie sich bei im allgemeinen
gleichbleibenden Verhältnissen doch nur wenig verschieben können.
(Vgl. Beiträge zur Stat. d. inneren Verwaltung des Grossh. Baden,
Heft 44, Berufsstatistik, bes. S. 114 ff.; Statistisches Jahrbuch f. d.
Gr. Baden, XVII, 1884, S. 22—27.) — Noch ein anderer Missstand
haftet unseren Zahlen an. Dieselben sind nach Amtsbezirken angeordnet,
ihre Gebiete fallen also mit den natürlichen Bezirken, um die es sich
hier handelt, nicht zusammen; so müssen z. B. für die fränkischen
Stufenlandschaften die Amtsbezirke Wertheim, Tauberbischofs heim,
Adelsheim und Mosbach zusammengefasst werden, um wenigstens an-
nähernde Daten gewinnen zu können; dabei ist zu beachten, dass kleinere
Teile von Mosbach zum Odenwald und, soweit sie links vom Neckar
hegen, zum Kraichgauer Hügelland zu rechnen sind, während auf der
anderen Seite Gebietsteile des Bezirks Buchen in unser Stufenland
herübergreifen. Allerdings sind diese Abweichungen so gering, dass
die aus den vier genannten Bezirken gewonnenen Zahlen für die in
Rede stehende Landschaft als typisch angesehen werden dürfen.
Von je 1000 Einwohnern sind beschäftigt
in Baden : im fränkischen Stufenland :
in der Landwirtschaft 491 636
darunter in der Forstwirtschaft .... 7 4
im Gewerbebetrieb 316 222
mit Handel und Verkehr 90 78
in häuslicher oder wechselnder Lohnarbeit 12 7
im öffentlichen Dienst 50 30
es sind berufslos 41 27
Das üeberwiegen der Landwirtschaft gegenüber der Gewerbethätig-
keit und der Beschäftigung mit Handel und Verkehr spricht sich in
diesen Zahlen sehr deutlich aus; in der That findet sich in unserem
Landesteile ausser den überall notwendigen Betrieben für Nahrungs-
mittel, für Bekleidung und Reinigung, der Schmiede, Blechner, Schlosser
und Bauhandwerker kein Industriezweig irgendwie namhafb entwickelt
als höchstens derjenige der Steinbrecher und Steinhauer, deren es in
Baden 7,8, in Franken aber 15,5 auf 1000 Einwohner giebt. Ihre
Thätigkeit ist zumeist an das Vorkommen des Buntsandsteins am
Neckar, Main und an der Tauber gebunden. Auch die Ausbeutung
einiger Gipsgruben im Neckarthaie verdient hier Erwähnung. Von Ver-
kehrsgewerben ist an denselben Flüssen dasjenige der Schiffer und
Schiffsbauer ziemlich stark entwickelt; wir haben hier 8,3 auf 1000 Ein-
wohner, statt nur 2,5 im Landesdurchschnitt. Hiernach kann nun die
<)4 Ludwig Neumann, r94
Dichte der Bevölkerung und der Ansiedelungen im Anschluss an die
Karte besprochen werden.
Die mittlere Volksdichte der fränkischen Stufenländer (78) bleibt
hinter derjenigen des ganzen Landes (106) wesentlich zurück, sie macht
nämlich nur 74 ^/o derselben aus. In anderem Lichte erscheinen aber
diese Verhältnisse, wenn wir mit Rücksicht darauf, dass Franken keine
einzige Stadt von mehr als 6000 Einwohnern besitzt, dass seine Be-
völkerung also als eine ganz ländliche bezeichnet werden kann, der
jede grössere Industriethätigkeit fehlt, die Volksdichte mit derjenigen
des Landes nach Ausschluss der grossen Städte (85) vergleichen ; dann
lässt sich sagen, dass unsere Landschaft beinahe die normale Volks-
dichte, nämlich 92 ^/o derselben besitze, und aus dieser Thatsache ist
rückwärts zu schliessen, dass die natürlichen Voraussetzungen der An-
siedelungen als verhältnismässig günstige oder doch wenigstens als nor-
male gelten dürfen. Die Lage des Landesteiles fem von grösseren
Verkehrslinien, infolge davon der Mangel an kräftig entwickelten In-
dustrieen und endlich die landwirtschaftlichen Besitzverhältnisse sind die
Ursachen der nicht allzukräftigen Volksverdichtung. Insbesondere ist
der Grossgrundbesitz, die Orosspacht und die vielfach zum Gewohnheits-
recht gewordene Uebung des Anerbens im Gegensatz zur gleichmässigen
Verteilung des Besitzes an alle Erbberechtigten, Einrichtungen, welche
der Güt^rparzellierung und dem Grundbesitzerwerb hinderlich im Wege
stehen, in dieser Hinsicht von grosser Bedeutung. Die Natur des
Landesteiles selbst, Boden wie Klima, wären im stände, eine etwas
dichtere Bevölkerung zuzulassen.
Wie die Volksdichte sich im einzelnen nach den Unterabteilungen
des Gebietes und nach den Höhenstufen gestaltet, ist aus den Tabellen
IX — XII, sowie aus der Dichtekarte ersichtlich. Zuerst fällt hier die
Abstufung der Dichtegrade nach der Höhenlage auf. Unter 200 m.
also in den Thälem von Main, Tauber, Jagst, Kocher, Neckar haben
wir eine Dichte von 275 — 307 pro qkm, d. h. 3,7 mal so viel als dem
Durchschnitt des Landesteiles entspricht; es wohnen hier auf 9,3 ^/o der
Bodenfläche 34,8 "/o der Einwohner, so dass hier der Einfluss des
milderen Klimas (Weinbau) und der bequemen Verkehrslage, des Ver-
dienstes, den Schiffsbau und Schiffsverkehr bieten, sich sehr deutlich
geltend macht. Zwischen 200 und 300 m wohnen auf 32,7 ^/o Boden-
fiäche 38,5 ^/o der Einwohner, die Dichte ist hier im Mittel 1,» von
derjenigen des ganzen Gebietes, doch zeigen sich im einzelnen grosse
Unterschiede. Der waldreiche Buntsandsteinboden an den Gehängen
des Mainthaies hat in dieser Höhenstufe nur ein einziges kleines Dorf
sich entwickeln lassen, die Dichte ist hier nur 16 pro qkm; da-
gegen finden wir an den Ost- und Westgehängen des Tauberthaies
und in den entsprechenden kleineren Nebenthälem eine Dichte von 61
und 86, in der Umgebung von Neckar, Jagst und Kocher eine solche
von 125. Ist hier die Dichte f(ir die östlichen Gebiete annähernd jener
des ganzen Landesteiles gleich, so finden wir in der Nähe der an Be-
deutung die Tauberthalstrasse weit überragenden Verkehrslinie des
Neckars auf gleichem Boden — Muschelkalk — aber bei etwas milderen
klimatischen Zuständen eine Dichte, die schon als gross bezeichnet
95]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
95
werden kann. Ihr gegenüber tritt die Stufe über 300 m, also das
eigentliche Plateauland, ganz bedeutend zurück. Wir haben hier, wenn
wir die kleinen Gebiete über 400 m (22,7 3 qkm) einrechnen, nur noch
eine Dichte von im Mittel 37, die ebenfalls im Osten der Tauber etwas
kleiner ist als im Westen. Es wohnen über 300 m auf 58 ^/o der
Bodenfläche nur noch 26,7 "/o der Bewohner, die Dichte ist noch die
Hälfte von der mittleren des Landesteiles. Die rauhen Höhenlagen er-
scheinen, obschon sie einen grossen Teil des landwirtschaftlichen Ge-
ländes tragen, an Ansiedelungen ziemlich leer; die Bevölkerung hat hier
im allgemeinen möglichst die Thäler, Thalgehänge und flachen oberen
Thalmulden aufgesucht, wie besonders aus der topographischen Karte
^t zu ersehen ist.
Ein Vergleich dieser Dichtegrade mit denjenigen Sprechers vom
Jahre 1820 zeigt, dass, wie dies nach den geschilderten AUgemein-
Terhältnissen nicht anders erwartet werden konnte, seit über 60 Jahren
in den höheren Lagen unseres Stufenlandes die Zustände ziemlich un-
Terändert geblieben sind; Sprecher giebt hier die Dichte 40 — 60 an,
wir haben 25 — 50 und 50 — 75. Nur die Thäler haben an Volkszahl
sehr zugenommen; Sprecher giebt 160 — 200 an, wir haben im Mittel
291, wobei allerdings den verschiedenen Begrenzungen einigermassen
Rechnung zu tragen ist, sowie der, wie schon bemerkt, nicht ganz ein-
wnrfsfreien Bestimmungsart der Dichtegrade bei Sprecher.
Eine ausführliche Darstellung der Wohnorte nach Art, Zahl
und Grösse erscheint hier wie im folgenden zu mühsam und undurch-
führbar. Aber auch schon die Verteilung der Gemeinden giebt eine
weitere Illustration zu den obigen Ausführungen, wobei zu beachten ist,
dass die Höhenlage der Gemeinden nach dem Hauptkomplex derselben
bestimmt ist:
y^hl der Ge-
meindfin
Einwohnerzahl der Gemeinden
Summe der
Gemeinden
1 Gemeinde
kommt auf
unter 500
500-1000
1000-2000
über 2000
. . . qkm
unter 200 m
200— 300 m
Ober 300 m
14
33
25
11
28
63
13
9
4
3
41
70
52
3,4
7,0
16,2
72
62
26
3
163
9,2
Es überwiegen die kleinen Gemeinden ganz bedeutend, insbesondere
in den höheren Lagen; sind doch über 300 m nur noch 4 Gemeinden
mit mehr als 1000 und über 200 m keine mit mehr als 2000 Einwoh-
nern gelegen. — Weitere Einblicke in die Art der Siedelungen gewährt
die Zusammenstellung der Gemeinden und Wohnorte der vier Amts-
bezirke Wertheim, Tauberbischofsheim, Adelsheim und Mosbach, deren
Fläche allerdings, wie schon bemerkt (S. 93), nicht ganz genau mit
der unserer fränkischen Stufenlandschaften zusammenfällt. Wir haben
96
Ludwig Neuinann,
[96
Gemeinden
Wohnorte
darunter
geschlossene,
d. h. Städte
und Dörfer
zerstreute
Einwohner
eines Wohn-
ortes
einer Ge-
meinde
176
492
168 =
145 Städte,
156 Dörfer
294
ca. 250
ca. 650
Auf eine Gemeinde kommen also im Mittel nur 2,5 Wohnorte,
d. h. die geschlossenen Wohnorte sind, wenn sie auch nicht gerade die
Regel bilden, so doch yerhältnismässig häufig vertreten; auf einen ge-
schlossenen Wohnort kommen 1,8 zerstreute.
Endlich mag noch folgende Zusammenstellung Platz finden:
Von Gemeinden unter 500, von 500 — 1000, von
sind vorhanden 87 61
50 35
Darin wohnen 23 38
Bevölkerung.
Auch hier tritt das Vorwiegen der kleinen Gemeinden nach An-
zahl und Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich zu Tage: in 85 ^/o
der Gemeinden unter 1000 Einwohnern haben wir 61®/o, in 15 ^/o der
Gemeinden über 1000 Einwohnern 39 ®/o der Gesamtbevölkerung.
1000—2000,
über 2000 Einw
25
'S, d. h.
13
2^0.
30
97o der
B. Odenwald.
Die mittlere Erhebung dieses 895,9 1 qkm grossen Gebietes ist
etwa 355 m, d. h. nicht wesentlich mehr als bei den fränkischen Stufen-
landschaften, obschon die Oberflächenformen sehr verschieden sind. Der
Neckar zerteilt das Gebirgsland auf seinem Laufe von Neckargerach
(135 m) bis Heidelberg (106 m) in zwei sehr ungleich grosse Teile, die
westlich sich über der rund 110 m hohen Basis der Rheinebene erheben
und südlich vom Fluss im Eönigsstuhl mit 566 m und beim Jägerhaus
im Frohnwald mit 518 m gipfeln, während im Norden die höchsten
Punkte auf badischem Gebiete die Stiefelhöhe (587 m), der Katzenbuckel
(626 m) und der Salzlackenkopf bei Reisenbach (578 m) sind. Die
absolute Höhendifferenz des tiefsten und höchsten Punktes kann auf
520 m angegeben Werden. Die klimatischen Gesamtzustände sind schon
oben (S. 35) kurz zur Darstellung gekommen. Das Vorherrschen
des Buntsandsteines im ganzen Gebiet, hinter welchem andere Boden-
bildungen an Wichtigkeit weit zurückbleiben, wie z. B. die Granite
und Porphyre im Nordwesten und der Muschelkalk, der nicht überall
völlig ausgeschieden werden konnte, an der Grenze gegen das Bauland,
bedingt ausschliesslich die Art der Bodenbenutzung und der An-
siedelungen.
An wichtigen Verkehrslinien ist nur das Neckarthal mit seinem
Wasserweg und die alte Bergstrasse zu nennen, welche dem Fuss des
97] I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 97
Gebirges am Rande der Rheinebene entlang zieht, und welche für die
wirtschaftliche Entwickelung der Siedelungen am Gebirgsfuss und west-
lichen Gebirgsabhang insofern von höchster Bedeutung werden musste,
als sie dieselben an den Bevorzugungen der anstossenden Wohnsitze in
den Niederungen der Ebene teilnehmen liess. lieber den flachen öst-
hchen Odenwald zieht nur eine einzige Strasse von einiger Wichtigkeit,
diejenige vom Neckarthal bei Eberbach bezw. Mosbach ins untere
Tauber- und Mainthal; an ihr liegen die grösseren Landstädtchen des
Gebietes, Buchen, Walldürn, Hardheim ; Eberbach selbst, die bedeutendste
Stadt des badischen Odenwaldes, liegt am Schnittpunkte dieser von
West nach Ost laufenden und die Rheinebene mit Franken verbindenden
Strasse mit der südnördlich ziehenden, welche aus dem Herzen des
Schwabenlandes dem Fluss bis zu seinem Umbiegen nach Westen folgt,
um von hier ab über nicht zu schwierige Odenwaldhöhen ins Thal der
Mümling und des Main, nach Darmstadt, Frankfurt, Hanau und von
hier weiter nach Mitteldeutschland die Wege zu öffnen. Längs des
Neckarthaies ist die Yolksdichte eine recht ansehnliche, überall sonst
im eigentlichen Gebirge ist sie sehr gering; der Buntsandstein zeigt
hier unverkennbar seinen ungünstigen Einfluss auf die Voraussetzungen
gedeihlicher menschlicher Ansiedelungen.
60,8 ^/o des kulturfahigen Bodens sind mit Wald bedeckt, der ein
Areal von zusammen 524 qkm einnimmt, wobei 28,7 qkm Hackwald
eingerechnet sind. Die Bodennutzung durch Hackwald ist in Baden
nirgends so häufig wie im Odenwald mit seinen schlechten Böden; auf
ihr beruht wohl in erster Reihe der nicht seltene Betrieb der Loh-
gerbereien. Die Höhen zu beiden Seiten des Neckars bilden weithin
zusammenhängende Waldkomplexe, wie man sie in Baden ähnlich oder
grösser nur noch im nördlichen Schwarzwald, freilich auf derselben
Gesteinsunterlage findet. Auf den flacheren Höhengebieten, besonders
im Osten des Flusses tritt der Wald mehr zerstückelt auf und gewährt
Raum für die dürftige Feldflur der Bewohner. Die ganze landwirt-
schaftliche Fläche umfasst nur 317 qkm oder 36,8 ®/o des Areals, also
kaum zwei Drittel des Landesdurchschnitts. Davon werden benutzt
als Ackerland . . . . 73% gegen 68 % im Durchschnitte Badens
, Rebland (0,o9) , 24 ,
, Gras- u. Obstgarten 2,6 „ 1,9 „ „ „
, Ständige Weide . . 0,8 , 3,9 , „ „
Dass bei der Kleinheit der landwirtschaftlichen Fläche, bei der
Geringwertigkeit des Bodens und der weitgehenden Zersplitterung des
Grundbesitzes, wie sie das Erbrecht gestattet, kein ausreichender Lebens-
unterhalt für eine einigermassen starke Bevölkerung geboten wird, ist
ohne weiteres ersichtlich. Das Brachland mit 9,7 3 qkm = 4,2 ®/o der
Bodenfläche entspricht dem Landesmittel, zeigt aber die starke Aus-
nützung des schlechten Bodens. Die gepflanzten Halmfrüchte sind im
allgemeinen dieselben wie im östlichen Nachbarlande (S. 92), wozu
aber noch der Buchweizen kommt. Hafer allein wird so reichlich geerntet,
dass er ausgeführt werden kann. Sehr viel Fläche nehmen die Kartoffel-
äcker und die Pflanzungen von Futterfrüchten ein; die letzteren und die
Fonchiiiigen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VII. i. 7
98 Ludwig Neumann, [98
Wiesen, die zum Ackerlande im Verhältnis 1 : 3 des Landesdurchschnittes
stehen, gestatten einige Viehzucht. An Handelsgewächsen sind nur
Runkelrüben und etwas weniges an Raps und Hanf zu nennen; Flachs
und Tabak werden nur ganz untergeordnet gepflanzt. Der an den
Abhängen der tief gelegenen Thäler nur vereinzelt vorkommende und
am Gebirgsrand häufigere Weinbau tritt im inneren Odenwald völlig
zurück; eingehendere Beachtung verdient er bei Besprechung der
Bergstrasse (S. 158), dagegen erreicht im östlichen Gebirgsteü die
Obstzucht einige Bedeutung.
Was die Berufs thätigkeit der Odenwaldbewohner betrifft, so
ist ihre Darstellung insofern etwas schwierig, als nur das Bezirksamt
Eberbach als ganz im Odenwald gelegen typische Verhältnisse aufweist.
Die Bezirke Weinheim, Heidelberg, Wiesloch und Mosbach können zur
Untersuchung nicht beigezogen werden, da von ihnen jeweils der grössere
Teil ausserhalb unseres Gebirges gelegen ist. Das Bezirksamt Buchen
dagegen greift noch teilweise ins östliche Muschelkalkgebiet hinüber,
so dass seine Verhältnisse denjenigen des Odenwaldes auch nicht mehr
rein entsprechen, um aber doch auch die an der Peripherie gelegenen
Gebiete so weit als möglich mit zu berücksichtigen, wurden den fol-
genden Zahlennachweisen die Urmaterialien von Eberbach und Buchen
zu Grunde gelegt, und es wird gesagt werden dürfen, dass sie im
grossen und ganzen ein nicht unrichtiges Bild entrollen. Von je 1000
Einwohnern sind beschäftigt:
in Baden: im Odenwald
in der Landwirtschaft 491 568
darunter in der Forstwirtschaft .... 7 10
im Gewerbebetrieb 316 283
mit Handel und Verkehr 90 79
in häuslicher oder wechselnder Lohnarbeit 12 15
im öffentlichen Dienst 50 29
es sind berufslos 41 26
Die grosse Zahl der landwirtschaftlich Beschäftigten zeigt im Zu-
sammenhang mit der kleinen landwirtschaftlichen Fläche auf schlechtem
Boden aufs deutlichste, wie ungünstig die Erwerbs- und Lebensbedin-
gungen im Odenwald im allgemeinen sind. Wir haben hier den ärmsten
Landesteil Badens. Die Zahl der Gewerbetreibenden ist namhaft grösser
als auf dem fränkischen Stufenlande. Neben den überall nötigen und
darum auch überall vorkommenden Betrieben, die schon namhaft ge-
macht worden sind, finden sich hier besonders Steinbrecher und Stein-
hauer im Neckarthal (16 auf 1000), auch der Schiffsbau ist Ton
Bedeutung, wichtiger die Schiffahrt (18 auf 1000), ebenso die Herstel-
lung grober Holzwaren (9 auf 1000 gegenüber dem Landesdurch-
schnitt 4), die Müllerei (11 gegen 7) und die Lohgerberei. Auf nur
vereinzelt vorkommende andere Betriebe und auf die nicht gerade häu-
figen Fabrikanlagen im Neckarthal braucht hier nicht weiter einge-
gangen zu werden, sie sind zumeist an die bequeme Wasserstrasse als
leicht zu benutzenden und billigen Verkehrsweg geknüpft.
Den geschilderten Zuständen entsprechend, ist die Volksdichte
eine sehr geringe, nämlich im Mittel 55 pro qkm, d. h. nur 65 ^/o der
99] I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 99
Dichte Badens nach Abrechnung der Städte über 6000 Einwohnern,
oder nur die Hälfte (52 ^/o) des gesamten Landesdurchschnittes (100).
Scheidet man das als Verkehrslinie so bevorzugte Neckarthal, bezw.
das Gebiet unter 200 m, das aber immerhin in dem Buntsandsteingebiet
eine wesentlich geringere Dichte als in der südlichen Fortsetzung des
Muschelkalkgebietes (203 — 275) besitzt, aus, so erhält man als Volks-
dicbte des Gebirges im engeren Sinn nur 45, also einen nur sehr
kleinen Wert, der besser als andere Ausftlhrungen die Ungunst der
Boden- und Erwerbsverhältnisse darstellt. Im einzelnen zeigt die Dichte-
karte wieder namhafte Verschiedenheiten. Trotz dei Nähe der Rhein-
ebene und der Stadt Heidelberg, des wirtschaftlichen Mittelpunktes
der ganzen weiteren Umgebung, ist schon auf der Stufe von 200 — 300 m
im vorderen Odenwald bei dem steilen Gefälle der Gebirgsabhänge und
bei der geringfügigen Ausbildung der kleineren Gebirgsthäler die Volks-
dichte recht unbedeutend, und sie nimmt in den höheren Lagen rasch
noch weiter ab. Wir haben hier zwischen 300 und 600 m Meereshöhe
Dichtezahlen wie etwa im südlichen Schwarzwalde erst oberhalb 800 m.
In dem mehr flächenhaft ausgebreiteten, etwas waldärmeren, östlichen
Odenwald bessern sich die Verhältnisse wenigstens einigermassen. Hier
haben wir von 300 — 600 m Höhe Dichten von 7() — 49 pro qkm. Dass
in Tabelle XI von Stufe IV zu V und VI eine zunehmende Dichte zu
Tage tritt, hat seinen Grund im Bau des östlichen Odenwaldes. Hier
werden die höheren Stufen von ziemlich ebenen Flächen eingenommen,
während die tieferen bei grösserer Steilheit der Gehänge zu Siedelungen
nicht derart einladend sind, dass die tiefere Lage der höhern gegen-
über als bevorzugt erscheinen könnte, wie dies in Franken deutlich
der Fall ist.
Im Vergleich mit Sprechers Karte vom Jahre 1820 ist noch zu
bemerken, dass das Neckarthal von Neckargem und bis Neckarelz trotz
seiner gewiss auch schon zu Anfang unseres Jahrhunderts gegenüber
dem eigentlichen Gebirge wesentlich grösseren Dichte gar nicht beson-
ders hervorgehoben, sondern in die umgebenden Gebiete mit der Dichten-
stufe 20—40 pro qkm einbegriflFen ist, eine Darstellung, die den wirk-
lichen Verhältnissen so wenig entspricht, als es richtig sein kann, dass
zwischen Mosbach und Walldürn 1820 ein Dichtegrad zwischen 80 und
100 pro qkm vorhanden war, wo heute nur 50 — 75 Einwohner auf
dem qkm leben. Es zeigt sich hier deutlich, dass das (S. 17 ff.) be-
sprochene Kurvensystem stellenweise zu sehr irrtümlichen Ergebnissen
führen muss.
Wenden wir uns zu den Gemeinden und Wohnorten, so finden
wir in ähnlicher Weise wie oben (S. 95):
100
Ludwig Neumann,
[100
Zahl der Ge-
meinden
Einwohnerzahl der Gemeinden
unter 500 500-1000 |1000-2000iüber 2000
Summe der
Gemeinden
1 Gemeinde
kommt auf
. . . qkm
Neckarthal . .
Vorderer nördl
Odenwald .
Vorderer südl
Odenwald . .
Oestl.Odenwald
7
5
6
33
4
3
3
6
2
1
1
3
1
3
14
9
10
45
4,4
21,«
13,0
11.4
51
16
oder nach Uöhenstufen für den ganzen Odenwald geordnet:
unter 200 m
200—300
300—400
400-500
500—600
über 600
7
4
2
1
8
(5
2
1
17
3
2
1
15
1
l
1
4
2
—
—
78
14
17
23
18
Ü
11,»
4»*
10,8
13,3^1'^'»
10,','
51
16
78
11,5
Auch hier überwiegen die kleinen Gemeinden; es gilt dies in
ganz hervorragendem Mass von den höheren Lagen, wie ein Vergleich
der Gemeindegrössen über und unter 300 m zeigt, der aus der letzten
Tabelle sich ohne weiteres ergiebt. Die schon besprochene Spärlichkeit
der Bevölkerung drückt sich sehr anschaulich in dem Areale aus, das
durchschnittlich jeder Gemeinde zukommt, nicht nur die Ortschaften
an sich haben wenig Einwohner, sondern sie liegen auch verhältnis-
mässig weit auseinander, und zwar im gebirgigen, vorderen Odenwald
mehr als im flachen, östlichen Gebietsteile, oberhalb 300 m, viel mehr
als im Neckarthal und an den Rändern desselben.
Der Zusammenhang der Gemeinden und der Bevölkerungszahl
zeigt sich in folgender Nebeneinanderstellung, welcher, wie bei der Dar-
stellung der Berufsverhältnisse, die Bezirke Eberbach und Buchen als
die für den Odenwald typischen zu Grunde liegen:
Von Gemeinden unter 500, v. 500— 1000, v. 1000— 2000, v. 2000-4000, über 4000 Einw.
sind vorhanden 52 14 6 3 1, d.h.
Darin wohnen
68
32
19
22
8
17
4
18
OL
11«
/"
der Bevölkerung; oder kürzer gefasst, in 87 ^/o der Gemeinden unter
1000 Einwohner leben 54 >, in 13 > der Gemeinden über 1000 Ein-
wohner aber 46 ^ der Bevölkerung. In diesen Zahlen tritt der Gegen-
satz der kleinen und der grösseren Orte aufs schärfste hervor. Was
endlich die Wohnorte betrifft, so liegen in den zwei genannten Oden-
waldbezirken die Verhältnisse folgendermassen :
101]
Die Volksdichte vim Grossherzogtum Baden.
101
Gemeinden
Wohnorte
darunter
gesoblossene,
d. h. Städte
und Dörfer
zerstreute
Einwohner
eines Wohn-
ortes
einer Ge-
meinde
150
73 =
3 Städte
70 Dörfer
77
ca. 280
55Ö
Auf eine Gemeinde kommen durchschnittlich nur 2 Wohnorte;
man kann also auch vom Odenwald sagen, dass die geschlossenen An-
siedelungen den zerstreuten gegenüber verhältnismässig häufig auf-
treten, ja sogar häufiger auftreten als in Franken; denn es sind die
Zahlen der geschlossenen (73) und der zerstreuten Wohnorte (77)
nahezu einander gleich, während sie im östlichen Nachbargebiet im
Verhältnis 1 : 1,8 zu einander stehen.
C. Kraiehgauer Hügelland.
Es ist schon ausgeführt worden, dass als Westgrenze des
1053,07 qkm grossen Kraiehgauer Hügellandes ebenso wie auch des
Odenwaldes und eines grossen Teiles des Schwarzwaides die 200 m-
Kurve festgehalten wird. Infolge davon fällt die niedere Vorhügelzone,
welche vielfach den Gebirgssaum begleitet, samt den unteren Stufen
des Gebirgsabfalles in das Gebiet der Rheinebene, die am Bergfuss
zwischen Durlach und Wiesloch rund 120 m hoch liegt. Diese für die
Ansiedelungen so überaus wichtige Grenzzone zwischen Ebene und Ge-
birge wird bei Besprechung der Rheinebene tiefgehendere Rücksicht
erfordern. Unser überaus einfach gestaltetes und formenarmes Hügel-
land steigt im Bickeldorn bei Kälbertshausen auf 359 m, im Steiner-
berg bei Weiler auf 314 m, im Hohberg nördlich von Pforzheim auf
380 ra auf, bleibt also überall unter 400 m, sodass die grösste Höhen-
differenz vom Ausgang der nach Westen ziehenden Thäler bis zum
höchsten Punkt des Gebietes nur 260 m beträgt, bei einer Mittelhöhe
des ganzen Gebietes von 230 m. Bei diesen geringen Höhenunter-
schieden sind die klimatischen Zustände sehr gleichartig, sie bilden
eine Uebergangsstufe von den Verhältnissen der wenig höher gelegenen
fränkischen Stufen nach der thermisch so begünstigten Rhein ebene,
deren relative Niederschlagsarmut auch hier noch zur Geltung kommt.
(S. oben S. 35 ff.)-
Die niedere Bodenschwelle des Kraiehgauer Hügellandes setzt der
Anlage von Verkehrswegen gar keine Schwierigkeiten entgegen. Die
Landschaft ist daher von jeher ein Durchgangsland gewesen, durch
welches mehrere Hauptlinien aus den schwäbischen Becken nach der
Rheinebene führen, so die alte Hauptverkehrsstrasse aus dem Enzthal
(Pforaheim) in das Pfinzthal, welche den Schwarzwald nördlich umgeht
und ein Glied jener wichtigen Ostwestlinie bildet, die aus dem mittleren
Frankreich über Strassburg und Karlsruhe nach Stuttgart und weiter
102 Ludwig Neumann, [102
über den Jura auf die oberdeutsche Hochebene führt. Ihr folgt seit
fast 30 Jahren einer der wichtigsten Schienenstränge in Südwestdeutsch-
land. Aehnlichen Zwecken dient seit Alters her die Saalbachstrasse
von Bruchsal über Bretten nach Südosten, welche sich bei Mühlacker
mit der vorigen verbindet und das schwäbische Becken mit seinen
Hinterländern für den Verkehr nach dem Unterrhein erschliesst. Wich-
tig waren von jeher die Strassenzüge von Heilbronn nach Sinsheim
und der Elsenz entlang ins Neckarthal bei Neckargemünd und Heidel-
berg, sowie von Wimpfen und Heilbronn über Eppingen und Bretten
nach Karlsruhe, welche einen kurzen Weg von der mittleren Rhein-
ebene nach Franken öffnet. Andere weniger wichtige Linien mögen
übergangen werden; jedenfalls aber kann unser Hügelland als ein
Passageland bezeichnet werden, und dass dieser Umstand für die Siede-
lungen und die Volksdichte sehr ins Gewicht fällt, wird aus den folgen-
den Ausführungen sich ergeben.
Die Bodenbildung ist derjenigen im fränkischen Stufenlande sehr
ähnlich, indem auch hier der Muschelkalk den grössten Teil der Fläche
einnimmt, der an manchen Stellen von Keuperbildungen überdeckt ist.
Am Westrande, in der Langenbrücker Senkung, treten verschiedene
Stufen der Juraformation zu Tage, und weite Räume unsres Gebietes,
besonders in seiner westlichen Hälfte, zeigen eine ansehnliche Löss-
überlagerung. Die Landschaft eignet sich hiernach vorzüglich zum
Ackerbau, sie ist landwirtschaftlich eine der bestbestellten Gegenden
des Landes.
Nach der vom statistischen Bureau gegebenen und oben (S. 87)
mitgeteilten Einteilung Badens in natürliche Bezirke nimmt die land-
wirtschaftlich bebaute Fläche des Pfinz- und Kraichgaues 802 qkm oder
66 "/o, der Wald aber 408 qkm oder 30 ^/o des gesamten Bodens ein.
Diese Zahlen können aber für unsre Grenzen nicht ganz den Verhält-
nissen entsprechen; denn der Amtsbezirk Pforzheim, dessen südlicher,
zumeist auf Buntsandstein gelegener Teil mit seiner starken Bewaldung
hier, wie dies Bodenbau und allgemeiner orographischer Charakter be-
stimmen, ebenso wie der gebirgige Teil des Amtsbezirkes Ettlingen
dem Schwarzwalde' zugerechnet ist, erscheint mit dem genannten Ge-
biete von Ettlingen in der Gruppierung des statistischen Bureaus ganz
zum Hügellande geschlagen. Infolge davon ist der oben angegebene
Bewaldungsprozentsatz für die hier festgehaltene Begrenzung entschieden
zu gross und dementsprechend das Flächenverhältnis des landwirtschaft-
lichen Areals zu klein. Um der Wahrheit näher zu kommen, wurden
darum aus den Zuständen der ganz im Kraichgauer Hügellande ge-
legenen Bezirke Bretten, Eppingen und Sinsheim Mittelwerte berechnet,
die als der Ausdruck der für das ganze Hügelland gültigen Verhält-
nisse angesehen werden dürfen. Denn im Grossen und Ganzen unter-
scheidet sich die Art der Bodenbenützung in den. drei genannten Be-
zirken nirgends nennenswert von derjenigen, wie sie sich in den
hügeligen Teilen der Bezirke Mosbach, Wiesloch, Bruchsal und Dur-
lach im Laufe der Zeit unter der Wirkung völlig gleichartiger Natur-
bedingungen herausgebildet hat. Darnach erscheinen statt 66 "/o in
Wirklichkeit 73 "/o der Bodenfläche in landwirtschaftlicher Benutzung,
103] ^iG Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 103
und statt 30 ®/o nur 24 ^/o bewaldet; ein Zustand, der von jenem in
Franken nur sehr wenig abweicht, aber allerdings die landwirtschaft-
liche Fläche relativ noch etwas grösser, die Waldfläche noch kleiner
erscheinen lässt. Der Wald tritt an keiner Stelle in grösseren, ge-
schlossenen Flächen auf, vielmehr zeigt er sich ziemlich stark parzelliert,
ähnlich wie auf den Muschelkalkböden in Franken, wogegen grosse
Teile des Gebietes sich als zusammenhängende Ackerländereien an ein-
einander schliessen; das Wiesengelände findet sich meist auf den flachen,
feuchten Thalgründen.
Im Einzelnen ist die Verteilung des landwirtschaftlichen Bodens
die folgende:
Kraichgau : Baden :
Acker 82®/o 68
Wiese 13,4 24
Rebland 2,5 2,5
Gras- und Obst^rten .... 1,9 1,9
Standige Weide 0,i 3,9
Das fast vollständige Fehlen der Weide und die geringe Grösse
der Brache — nur 2,45 qkm oder weniger als ein halb Prozent des
Ackerlandes - zeigen den ausserordentlich intensiven landwirtschaft-
lichen Betrieb, der bei dem Verhältnis der Wiesen zur Ackerfläche
(1 : 6) auch nicht mit ähnlich ungünstigen Verhältnissen zu kämpfen
hat wie in Franken, wo dieses Verhältnis, wie oben entwickelt, den
Wert 1 : 9,3 besitzt. Die Zustände der Feldwirtschaft, der öüter-
zerteilung, des Grossgrundbesitzes und der Grosspacht sind annähernd
dieselben wie in Franken. Gepflanzt werden an Halmfrüchten besonders
Spelz, Sommergerste, Hafer, Winterroggen, Winter- und Sommerweizen,
dann Kartoffel und Futterfrüchte ; daneben treten aber auch die Handels-
gewächse mehr in den Vordergrund, als es bei den zwei zuvor be-
sprochenen Landschaften der Fall ist oder sein kann, nämlich Runkel-
und Zuckerrüben, Cichorie, Tabak, Hopfen, Raps und Mohn. Die
Verkehrsleichtigkeit, die Nähe der grösseren Märkte in der Rheinebene
und der Absatz in denselben lässt es voraussehen, dass der Anbau der
einträglichen Handelsgewächse und ihre Verarbeitung mit der Zeit noch
mehr an Bedeutung gewinnen wird. Uebrigens findet sich jetzt schon
eine grössere Cichorienfabrik in Bretten. Der Weinbau ist an den
Thalgehängen des ganzen Gebietes ein ziemlich erheblicher, doch treten
die erzielten Weine an Güte und Wert hinter andern des Landes nicht
unwesentlich zurück. Das Erträgnis wird für das Kraichgau und
Neckargebiet pro 1888 auf 442 700 M. angegeben, im Mittel von 1865
bis 1888 auf 571000 M. Auch der Obstbau ist ein wichtiger Zweig
der Erwerbsthätigkeit. —
Die Verteilung der Berufsarten in den drei für das Kraichgau
ausschlaggebenden Amtsbezirken Bretten, Eppingen, Sinsheim ist die
folgende: Von je 1000 Einwohnern sind beschäftigt
104 Ludwig Neumann, [104
in Baden : im Eraichgau :
in der Landwirtschaft 491 581
darunter in der Forstwirtachaft 7 6
im Gewerbebetrieb 316 274
mit Handel und Verkehr 90 79
in häuslicher oder wechselnder Lohnarbeit .12 8
im öffentlichen Dienst 50 32
es sind berufslos 41 26
Auch diese Zusammenstellung zeigt wieder das Ueberwiegen der
Landwirtschaft, doch tritt der Gewerbebetrieb etwas kräftiger hervor
als in Franken, wie sich dies nach den früheren Ausführungen ohne
weiteres erwarten Hess. Von Wichtigkeit in dieser Hinsicht ist neben
dem allerdings zur Zeit nur 35 Leute beschäftigenden Oalmeiwerke bei
Wiesloch, einem der wenigen Bergwerke des Landes, die grosse Saline
Rappenau mit 388 Arbeitern; dann sind an Betrieben, die neben den
überall unentbehrlichen namhaft gemacht zu werden verdienen, die
Steinbrüche besonders in den Aemtern Eppingen und Durlach zu er-
wähnen, femer eine grosse Blechwarenfabrik in Bretten, ebendort die
schon genannte Cichorienfabrik , ausserdem sind im Baugewerbe, in
Holzarbeit und Hausweberei grössere Bruchteile der Bevölkerung be-
schäftigt; all diese und andere kleinere Betriebe sind erweiterungs-
fähig und dazu angethan, die Volksverdichtung in unserm Gebiete rascher
sich steigern zu lassen als in dem sonst so ähnlichen nordöstlichen
Stufenlande, das bei seiner Abgelegenheit vom grösseren Verkehr viel
weniger zur Entwickelung von Industrieen veranlagt erscheint.
Die mittlere Volksdichte, 97 pro qkm, kommt dem Landesdurch-
schnitt schon sehr nahe, ja sie übertrifft denselben bereits wesentlich^
wenn beim Vergleich die Städte mit über 6000 Einwohner nicht mit-
gerechnet werden. Boden, Klima, Verkehrslage und beginnender in-
dustrieller Aufschwung geben die Erklärung dieser Thatsache. Sehr
gross ist aber der Unterschied der Höhenlage. Unter 200 m, also in
den breiten und geschützten Thalmulden der Elsenz, Saalbach, Pfinz
ist die Dichte im Mittel 222, über 200 m, also an den höheren Thal-
wänden und auf den weiten, flachgewellten Hochebenen, die hier, da
nur ein ziemlich kleiner Teil derselben über 300 m aufragt, als ein
Ganzes zusammengefasst werden mögen, nur 52 pro qkm; oder anders
ausgedrückt, auf 27 ^/o der Bodenfläche unter 200 m wohnen 61 ®/o der
Bevölkerung, auf 63®/o des Bodens über 200 m finden sich nur noch
39 ^/o der Bewohner, das Zusammendrängen der Bevölkerung in die
Thäler, d. h. an die bequemen Verkehrswege ist ein ganz auffallend
starkes. Sprecher von Bernegg giebt auf seiner oft genannten Karte
für das Jahr 1820 dem Saalbachthal und seiner breiteren Umgebung
eine Dichte von 120—140, dem ganzen übrigen Gebiete aber eine
solche von 80 — 100. Da seit 1820 nicht an eine prinzipielle Um-
lagerung der Volksmenge, sondern nur an eine den ursprünglich vor-
handenen Verhältnissen angepasste allgemeine Steigerung der Dichte
gedacht werden kann, wie sie sich ja zahlenmässig sehr leicht fest-
stellen Hesse, sind bei Sprecher Pfinz- und Elsenzthal nebst allen
andern Gebieten unterhalb 200 m wesentlich zu gering, die übrigen
Gebiete aber entsprechend zu stark bevölkert dargestellt. —
105]
Die Yolksdichte im Grossherzogtum Baden.
105
Die Verteilung der Bevölkerung wird noch anschaulicher, wenn
wir auch hier wieder einen Blick auf die Lage und Grösse der Siede-
lungen und Wohnorte werfen.
Zahl der Ge-
nieinden
Einwohnerzahl der Gemeinden
Summe der
Gemeinden
1 Gemeinde
kommt auf
unter 500 500-1000
1000-2000 über 2000
. . . qkm
unter 200 m
über 200 m
6
19
17
16
25
12
6
54
47
5,2
13,9
25
33
37
6
101
10,4
Die kleinsten Gemeinden überwiegen also hier nicht mehr, sondern
die dritte Ortsklasse ist diejenige, welcher die meisten Gemeinden an-
gehören. Allerdings springt ein Gegensatz zwischen Thal und Hoch-
fläche sofort ins Auge, indem oben die grösste Ortsklasse überhaupt
nicht mehr vertreten ist, wogegen hier die kleinen Gemeinden den
mittleren und grösseren gegenüber in der Mehrzahl sind. Diesen volk-
reicheren Gemeinden entsprechen aber auch grössere Gemarkungen,
wie die Zahlen der letzten Kolumne im Vergleiche mit den entsprechen-
den derselben Höhenstufen in Franken und im Odenwalde darthut.
Die grössere Dichte erscheint demnach nicht als ein ungesunder, sondern
als ein in den günstigen Naturverhältnissen und wirtschaftlichen Be-
dingungen der Landschaft begründeter Zustand. Weitere hierher ge-
hörige Gesichtspunkte geben uns die folgenden Zahlen, die den Amts-
bezirken Bretten, Eppingen und Sinsheim entnommen sind, die also
nicht dem ganzen Eraichgau entsprechen, aber als charakteristisch an-
gesehen werden dürfen, wie schon in anderm Zusammenhange betont
wurde.
Von Gemeinden unter 500, von 500—1000, von 1000—2000, über 2000 Einwohnern
sind vorhanden 15 27 28 5, d. h.
20 36 37 7%
Darin wohnen 7 27 47 19% d. Bevölkerung
In 56 ^/o der Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern finden
sich nur noch 34®/o, in 44% der Gemeinden mit mehr als 1000 Ein-
wohnern aber sind 66 ^/o der Bevölkerung, das Uebergewicht der grösseren
Orte zeigt sich auch in dieser Zusammenstellung aufs bestimmteste.
In den eben aufgeführten 75 Gemeinden finden sich zusammen
201 Wohnorte, darunter 75 geschlossene, nämlich 7 Städte und 68 Dörfer,
und 126 zerstreute; sämtliche Gemeinden haben also einen geschlossenen
Hauptwohnort, um welchen sich im Mittel noch 1,6 mehr oder weniger
getrennt liegende, zerstreute Wohnorte gruppieren; die durchschnittliche
Volkszahl einej: Gemeinde ist 1021, d. h. beinahe doppelt so viel als
im Odenwald. Auf einen Wohnort kommen im Mittel 389 Einwohner,
doch giebt diese Zahl keine richtige Vorstellung von den thatsächlichen
Verhältnissen, weil, wie auch die topographische Karte klar zeigt,
neben den grossen geschlossenen Orten nur kleinere Einzelhöfe vor-
106 Ludwig Neumann, flOÖ
kommen, während in Franken, und noch mehr im Odenwald die kleineren
Komplexe, Weiler, Zinken, Häusergruppen häufiger sind.
D. Sehwarzwald.
War es schon mit manchfachen Schwierigkeiten verknüpft, für
die bisher besprochenen natürlichen Gebiete der fränkischen Muschel-
kalkplatte, des Odenwaldes und des Kraichgauer Hügellandes die Statistik
für die vorliegenden Zwecke geeignet zu verwerten, so wird dies für
den Schwarzwald vielfach zu einem Ding der Unmöglichkeit. Denn
die Amtsbezirke und Kreise können hier nur in ganz seltenen Aus-
nahmefällen in Betracht kommen, da weitaus die meisten von ihnen
überaus ungleichartige Landschaften der Rheinebene, der Vorbergzone,
der breiten ebenen Thaltrichter und des höheren Gebirges umfassen,
so dass die aus diesen politischen Einheiten gewonnenen Mittelwerte
der Anbauflächen und der Berufszählung für uns unbrauchbar sind;
aber auch die an sich so wertvollen Angaben der statistischen Mittei-
lungen, die nach elf natürlichen Bezirken gruppiert sind, und die im
Vorstehenden mehrfach mit Erfolg benutzt werden konnten, erweisen
sich für unseren Zweck bei der hier zur Bestimmung der Volksdichte
sehr weit geführten Einteilung des Landes in kleine Einzelgebiete nur
wenig verwendbar, wegen der gänzlich verschiedenen Begrenzung der
Hauptgebiete. An Stelle unserer vier Zonen des östlichen, nördlichen,
mittleren und südlichen Schwarzwaldes mit ihren oben zur Darstellung
gekommenen Grenzen treten in den statistischen Mitteilungen nur die
zwei Regionen des mittleren und nördlichen sowie des südlichen Schwarz-
waldes hervor. Diese beiden grossen Landesteile aber umfassen in
ihren verschiedenen Höhenstufen und Bodenformen so durchaus unein-
heitlich gestaltetes Gebiet, dass die für sie zusammengefassten statisti-
schen Durchschnittswerte nicht in der Weise als charakteristisch
angesehen werden können, um aus ihnen Schlüsse für einzelne enger
begrenzte natürliche Bezirke und ihre Höhenstufen zu ziehen. Aus
diesen Gründen erweist es sich als unumgänglich notwendig, an Stelle
der schematisch-zahlenmässigen Darstellungsweise, wie sie für die drei
zuvor besprochenen Landesteile durchgeführt werden konnte, häufig
allgemeiner gehaltene Betrachtungen treten zu lassen, in welchen
Zahlennachweise nicht immer beibringlich sind, und wo eben deshalb
die Siedelungsverhältnisse und die Grade der Volksdichte aus einer
kritischen Beschreibung der Gesamtzustände abzuleiten und zu erklären
versucht werden müssen.
Nachdem im ersten Teile (S. 57 — 59) die geologischen Verhält-
nisse in grossen Umrissen schon zur Darstellung gekommen sind, ist
es hier zunächst von besonderer Wichtigkeit, unser Gebirge in seinem
orographischen Gesamtcharakter und im Verhältnis seiner Erhebung
zur weiteren Umgebung ins Auge zu fassen. Die Südgrenze, nämlich
das Rheinthal von der Wutachmündung bis Basel, hat eine Mittelhöhe
von rund 270 m (s. Platz, S. 188), die Westgrenze von Basel bis
Rastatt längs der Rheinebene eine solche von 155 m, die Nordgrenze
von Rastatt über Ettlingen, Durlach nach Pforzheim ist 195, endlich
107] I^iß Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 107
die Ostgrenze von Pforzheim durch das Nagold-, das obere Neckar-
und Wutachthal 400 m hoch. Wähend im Süden dem Rheine entlang
von Burgund und der Rheinebene her dem Fuss des Schwarzwaldes
ein seit ältesten Zeiten bekannter und mühelos zu benützender Weg
zum Bodensee und nach der oberschwäbischen Hochebene führt, und
während ebenso das Gebirge im Norden an der Grenze gegen das
Kraichgauer Hügelland den bequemsten und vielleicht den wichtigsten Weg
von West nach Ost in ganz Südwestdeutschland offen lässt, stellt es sich
in seiner ganzen Erstreckung von Süd nach Nord von der Rheinebene
aus gesehen als ein hoher Wall dar, der dem Ueberschreiten ernstliche
Hindemisse entgegenzustellen im stände zu sein scheint. In Wirklich-
keit ist dies aber durchaus nicht in sehr hohem Grade der Fall. Liegt
doch der Ostfuss des Gebirges im Mittel fast 250 m höher als der
Westrand. Dies hat zur Folge, dass der Abstieg von den Pässen der
Hauptkämme nach Osten in das Donauquellgebiet der Baar und die
schwäbischen Stufenländer des Neckarbeckens viel müheloser sich voll-
ziehen lässt, als der Aufstieg von der westlichen Rheinebene her. Dazu
kommt noch die hydrographische Eigentümlichkeit, dass infolge der
geologischen Herausbildung der jetzigen Oberflächen^estaltung die zwei
grössten Flüsse des Gebirges, die untere Murg und die Kinzig, im Osten
der Haupterhebungen entspringen und damit bequeme Durchgänge durch
dieselben erschliessen. Auch Elz und Dreisam kommen nicht etwa
von hohen, steil ansteigenden Kämmen, sondern ihr Oberlauf liegt in
weit ausgedehnten, flach abfallenden Hochebenen, die den Uebergang
von West nach Ost überaus leicht bewerkstelligen lassen. So ist der
grösste Theil des Gebirges nicht als starre Scheidewand zwischen der
Rheinebene und den schwäbischen Stufenländern wirksam geworden,
vielmehr war dasselbe von jeher ein Durchgangsland, dessen Haupt-
strassen allerdings nicht so leicht und vielfach zu benützen sind, wie
die ümgehungslinien im Süden und Norden, die aber doch verhältnis-
mässig früh dazu geführt haben, die Hauptzugänge ins Innere bekannt
werden zu lassen, zu besiedeln und von ihnen aus nach allen Seiten
das Gebirge zu erschliessen. Auf diesen Gesichtspunkten der Verkehrs-
möglichkeit beruht in erster Reihe die anthropogeographische Bedeutung
des Murg-, Acher-, Rench- und besonders des Kinzigthales mit seinen
oberen Verzweigungen; die Kniebisübergänge, an denen sich in einer
Höhe von rund 970 m all diese wichtigeren Strassen des nördlichen
Schwarzwaldes treffen, um zwischen Murg und Kinzig hindurch ins Neckar-
land hinabzusteigen, sind bekanntlich auch zu verschiedenenraalen kriegs-
geschichtlich wichtig geworden, und das Dorf Kniebis, 900 m über dem
Meere, die einzige grössere Ansiedelung von solcher Höhe im ganzen
Nordosten des Gebirges, verdankt seine Gründung auf jenem unwirt-
lichen und im übrigen wenig einladenden Gebirgsrücken nur dem Zu-
sammentreffen der genannten Uebergangslinien.
Im Süden der Kinzig waren in früheren Zeiten die oft schlucht-
artigen und steil ansteigenden Thalwege weniger aufgesucht als im
Norden, obschon auch hier die „Hochstrassen** nicht zu den Selten-
heiten gehören; es möge nur an die „Weinstrasse" von Gernsbach im
Murgthal nach Schwaben erinnert werden. Aber das eigentliche Ge-
108 Ludwig Neumann, [108
biet der Höhenwege ist der mittlere und der südliche Schwarzwald.
Man denke nur an die alten Wege aus dem Elzthal und von Simons-
wald über den Kesselberg ins Brigachgebiet, an die Strasse von Frei-
burg durch die ^ Wagensteige", den Spirzen, über den Hohlengraben
ins Bregachthal und nach Villingen, der alten Hauptstadt der Baar,
endlich an die von Freiburg über Horben, am Schauinsland vorbei ins
obere Wiesenthal und hinunter nach St. Blasien im Albthal. Heute
sind diese Wege vielfach verlassen und durch Kunststrassen den Wild-
bächen entlang ersetzt. Aber bis in die Gegenwart herein führen die
wichtigeren Verkehrswege in dem Viereck zwischen Oberrhein, Wutach,
Dreisam und Wiese alle über die freien Hochflächen des Gebirges hin,
und erst der allerneuesten Zeit blieb es vorbehalten, die wildromanti-
schen Thäler dieses Gebietes, zumeist steilwandige, wilde, tief eingesägte
Felsrunsen, durch bequeme Strassen zu erschliessen. Wie diese, im
Bau des Gebirges tief begründete Entwickelung der Verkehrswege auf
Besiedelung und Volksdichte bestimmenden Einfluss übte, zeigt im
allgemeinen schon ein Blick auf die Dichtekarte; im einzelnen wird
von diesen Wirkungen noch vielfach zu sprechen sein. Hier mag es
genügen, darauf hingewiesen zu haben, dass der Gebirgsbau und sein
Einfluss auf die Verkehrsbedingungen in den einzelnen Teilen unseres
Gebirges sehr verschiedene Bedingungen für die Ansiedelungen und
die Herausbildung der derzeitigen Volksdichte geschaffen haben: Von
Karlsruhe bis nach Basel herauf zeigen die ostwestlich aus dem Ge-
birge heraustretenden Thäler als die Hauptverkehrslinien desselben die
grössten Volkszahlen, während die Höhenrücken und Hochflächen sowie
deren Abhänge gegen die Rheinebene zu verhältnismässig nur dünn
bevölkert sind; dass hierbei auch Rücksichten auf die Gegensätze des
Klimas und der Bodenbeschaffenheit mit wirksam sind, ist selbsverständ-
lich. Ganz anders liegen die Verhältnisse im Gebiete der nach Süden
und Osten ziehenden Thäler; hier haben wir auf den freien Hochebenen
östlich der Haupterhebung des Gebirges, also in der Region der von
Süden kommenden Kinzigzuflüsse Schiltach und Gutach, in den Quell-
revieren der Elz, Dreisam, Wutach, Brege und Brieg eine Dichtigkeit der
Bevölkerung, die jener auf den tieferen Stufen der Wasserläufe nicht
nur nicht nachsteht, sondern dieselbe fast überall wesentlich übertrifll.
Wie die Dinge sich im einzelnen gestalten, soll nun im folgenden
ausgeführt werden; zuvor aber mag es gestattet sein, darauf hinzuweisen,
dass Gothein^) in seinem vortrefflichen Vortrage „Die Naturbe-
dingungen der kulturgeschichtlichen Entwickelung in der Rheinebene
und im Schwarz walde" (Vers. VII. Deutsch. Geographentag, Karlsruhe
1887) in so ausgezeichneter Weise die Grundlagen der Besiedelung in
den beiden genannten Landesteilen dargelegt hat, dass es hier wesent-
lich nur darauf ankommen kann, jene allgemeinen Ausführungen für
die Einzelgebiete zu spezialisieren und ihre Wirkung auf die Volks-
dichte darzuthun.
*) Gotheins 1892 erschienene , Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes
und der angrenzenden Landschaften* (1. Band: Städte- und Gewerbegeschichte,
Strassburg 1892) konnte in folgendem keine Berücksichtigung mehr finden.
109] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 109
a) Oestlicher Scliwarzwald.
a. Umgebung von Pforzheim.
An der schon genannten Verkehrslinie, welche an der Grenze
von Schwarzwald und Kraichgau hinziehend die Rheinebene mit Schwaben
verbindet, liegt die Stadt Pforzheim da, wo die drei ansehnlichen
Flüsse Enz, Nagold und Wurm sich vereinigen. Ob der Name der
Stadt von porta (sc. silvae nigrae oder hercyniae) oder von portus
abzuleiten ist, was auf eine Schifferstation schliessen liesse, mag füglich
dahingestellt bleiben. Jedenfalls lagen hier, wie zahlreiche Funde dar-
thun, römische Niederlassungen; die Bedeutung des Punktes, der sich
heute zur vierten^) Stadt Badens aufgeschwungen hat, ist in erster
Reihe in seiner Lage an der genannten Strasse und am Eingange in
drei Thäler zu suchen. Im 16. Jahrhundert war Pforzheim kurze Zeit
Residenz der badischen Markgrafen; wichtiger aber ist für die Ent-
wickelung der Stadt die Einführung der Edelmetallindustrie geworden ;
diese fällt in das Jahr 17(37, in welchem Markgraf Karl Friedrich die
Gründung einer Uhrenfabrik und einer damit verbundenen Quincaillerie-
fabrik veranlasste. Aus kleinen Anfängen entwickelte sich von jenem
Zeitpunkt ab in Pforzheim ein Industriezweig, der die Stadt zu einer
der ersten in Beziehung auf die Goldschmiedekunst werden Hess. Dem
entsprechend ist die Volkszahl in Pforzheim und in dem nahen Brötzingen
während des laufenden Jahrhunderts auch ganz enorm gewachsen:
Jahr 1812 1852 1864 1875 1885 Zunahme in 73 Jahren :
Pforzheim 5301 9183 16320 23692 27201 413%
Brötzingen 1079 1621 2604 3890 4566 323^0
Im ganzen zählte man 1882 in Pforzheim und Umgebung (Brötzingen,
Dill- und Weissenstein, Wtirm u. a. 0.) 307 Goldwarenfabriken mit zu-
sammen 6679 Arbeitern; zählt man deren Angehörige sowie alle Die-
jenigen hinzu, welche im Nebengeschäft mit Bijouteriearbeit thätig sind,
so kommt man auf 15 138 Einwohner des Amtsbezirks Pforzheim, oder
auf 27,5^/0 aller Einwohner, welche in diesem einen Erwerbszweig ihren
Lebensunterhalt finden.
Nimmt man dazu noch die grosse Anzahl von Arbeitern in der
Maschinenfabrikation, in der Papier- und Lederbranche und zahlreichen
andern Industrieen, endlich diejenigen, welche den lebhaften Handel
der Stadt vermitteln, so erklärt sich die starke Bevölkerung der Stadt
selbst, sowie ihrer nächsten Umgebung (194 pro qkra), worunter hier
das Gebiet des Enzthales unter 300 m Seehöhe verstanden ist, ohne
weiteres.
Dass dem gegenüber die Bevölkerungsdichte der höheren Stufen
so gering erscheint, hat seinen Grund in der BodenbeschafFenheit; nur
in den höheren Lagen im Osten, gegen die württembergische Grenze
zu, tritt der Muschelkalk zu Tage; im ganzen übrigen Gebiet herrscht
*) 1890 ist Pforzheim von Heidelberg-Neuenheim überflügelt, also wieder an
die fünfte Stelle gedrängt worden.
110 Ludwig Neumann, [110
der Buutsandstein , und demgemäss finden wir hier sehr starke Be-
waldung; macht die Waldfläche im ganzen Bezirk Pforzheim gegen
42^0 der Bodenfläche aus, so ist in dem zum Schwarzwalde gehörigen
südlichen Teil derselben dies Verhältnis wesentlich grösser, da im nörd-
lichen, zum Eraichgau gehörigen Hügellande das Ackerland durchaus
überwiegt. Im Süden der Enz zeigt die topographische Karte weit
ausgedehnte, zusammenhängende Waldflächen, unter denen das Revier
des Hagenschiesswaldes das grösste ist. Nur oben auf den Hochflächen
zwischen Enz, Nagold und Wurm sind die Wälder stellenweise aus-
gerodet; hier fluden sich die meist eng beschnittenen Acker- und
Wiesenfluren kleiner Landgemeinden. Wie wenig dieselben gegenüber
der industriellen Bevölkerung des Bezirkes von Belang sind, geht
daraus hervor, dass die landwirtschaftliche Bevölkerung desselben im
ganzen nicht einmal ganz 30 ^/o ausmacht, wovon natürlich nur der
weit kleinere Teil im Schwarzwaldgebiete wohnt. Dass die Stufe von
300 — 400 m eine geringere Dichte (25 pro qkm) aufweist als die über
400 m gelegenen Gebiete (im Mittel 94 pro qkm), ist notwendige Folge
des Gebirgsbaues; jene dünn bevölkerte Zone entspricht den steilen
Thalgehängen, an denen überall der Wald erhalten blieb, der auf den
flachen Höhen den Ansiedlem da und dort, wie oben erwähnt, hat
weichen müssen.
Was die Form der Siedelungen betrifft, so haben wir es fast
ausschliesslich mit geschlossenen Dorfanlagen zu thun, von denen im
allgemeinen die grösseren, d. h. diejenigen mit über 1000 Einwohnern
im Enzthale liegen, während die kleineren Gemeinden der zwei niedersten
Ortsklassen oberhalb 300 m gelegen sind.
ß. Zwischen Pfinz und Murg.
Südlich vom Pfinzthal dehnt sich von der Rheinebene bis zum
Albthal und der württembergischen Grenze ein niederes Hügelland aus,
das die Höhe von 300 m nirgends überschreitet, dessen Boden in den
tieferen Lagen den Buntsandstein zu Tage treten lässt, während die
höheren Flächen überall dieses Gestein von Muschelkalk, teilweise auch
von Löss bedeckt erscheinen lassen. Stiege dieses Gebiet nach Süden
zu nicht unmittelbar zu den bedeutenden Erhebungen des Schwarz-
waldes auf, und wäre es im Norden nicht durch die Tiefenlinie der
Pfinz vom Kraichgauer Hügellande getrennt, so erschiene es ganz natur-
gemäss, dasselbe diesem Landesteüe zuzurechnen, da es mit ihm in
Höhenlage, Bodenform und Beschaffenheit der Bodenbestandteile fast
ganz übereinstimmt. Von unten, von der Rheinebene aus gesehen,
macht dieser Landesteil allerdings den Eindruck, als ob er eine gänz-
lich waldbedeckte, wenig über dem Tiefland aufragende Fläche sei.
Sobald aber die waldigen Buntsandsteinhänge erstiegen sind, sieht man
ein weit ausgedehntes Ackergelände vor sich, das einer in ziemlich
zahlreichen kleineren Ortschaften verteilten Bevölkerung Lebensunter-
halt gewährt. Wenigen Einzelhöfen gegenüber überwiegen auch hier
die geschlossenen Ortschaften; wir haben 5 Gemeinden mit weniger
als 500, 4 mit 500—1000, 2 mit mehr als 1000 Einwohnern. Die
Hl] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 111
Volksdichte von 106 pro qkm entspricht dem gesamten Landesmittel,
übertrifft dasselbe aber um etwa 20 ^/o, wenn die grossen Städte nicht
mitberücksichtigt werden. Diese Dichte erscheint als verhältnismässig
gross, wenn man die grosse Verschiedenheit der Bodengüte und die
besonders nach Osten zu ziemlich ausgedehnten Waldungen ins Auge
fasst; sie erklärt sich wohl zumeist durch die Nähe der industriereichen
Städte Pforzheim, Durlach, Karlsruhe, Ettlingen, in welchen ein erheb-
licher Bruchteil der Bevölkerung ansehnlichen Verdienst findet, während
die übrigen Familienangehörigen zu Hause das Feld bestellen und als
Waldarbeiter thätig sind.
Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse weiter südwärts
bis in die Gegend von Baden-Baden. Ist der westliche Oebirgsrand
und die hügelige Umgebung des unteren Murgthales meistens löss-
bedeckt, so zeigt sich das Murgthal von Gemsbach ab bis zur württem-
bergischen Grenze in den Granit eingeschnitten, neben welchem die
Vorkommnisse des Rotliegenden nur geringe Flächenverbreitung auf-
weisen. Alle höheren Gebirgsteile gehören dem grossen Buntsandstein-
gebiet des nordöstlichen Schwarzwaldes an, das sich durch die meilen-
weit fast ununterbrochen ausgedehnten, herrlichen Hochwaldungen aus-
zeichnet, die kaum anderswo ihresgleichen finden. Wenn die Statistik
für den mittleren und nördlichen Schwarzwald im ganzen etwa 54 V
bewaldete Fläche angiebt, so ist diese Mittelzahl für das in Rede stehende
Gebiet noch zu gering, sie darf sicherlich auf etwa 60V erhöht wer-
den; bedeckt doch der Wald im Bezirksamte Baden, zu dem noch
waldarme Distrikte der Rheinebene gehören, volle 58 V des Areals!
Dass hiemach die Volksdichte in den höheren Lagen eine verschwindend
kleine ist, versteht sich von selbst. Es wohnen über 500 m zwischen
der Murg und der östlichen Landesgrenze auf 89 qkm nur noch 115 Ein-
wohner, die sich auf einige wenige Gehöfte in der weiteren Umgebung
des Hohloh (990 m) verteilen. Der weitaus grösste Hauptteil der
Bevölkerung findet sich im Murgthal und an seinen Rändern.
Das Miu'gthal ist, wie schon dargelegt worden, ein Hauptverkehrs-
weg aus den östlichen Gebieten des Schwarzwaldes zwischen den Kinzig-
quellen, dem Kniebis, dem Homisgrindenkamm und dem Höhenzuge,
welcher die Murg von der Enz trennt, nach der unteren Rheinebene.
Der Fluss selbst hat seit den ältesten geschichtlichen Zeiten als
Hauptflossweg gedient, der den beinahe unerschöpflichen Holzreichtum
der höheren Lagen auch den Niederungen zu gute kommen Hess. Die
heute noch bestehende Gesellschaft der „Murgschifferscbaft'' ist der
Rest eines alten, von jeher zunftmässig betriebenen Holzhandels; die
Gesellschaft besitzt ausgedehnte Waldflächen, den Schifferschaftswald,
beschäftigt zahlreiche Arbeitskräfte als Waldarbeiter, Flösser, Fuhr-
leute, femer andre in den vielen Sägewerken, als Händler u. s. w.
Der Wald hat hier im Verein mit der Wasserstrasse seit lange eine
ansehnliche Volksdichte ermöglicht, indem besonders längs des Fluss-
laufes zahlreiche kleine und mittelgrosse Orte entstanden, deren Be-
wohner mit der Zeit soviel Wald, als zur Lebensführung notwendig
war, ausrodeten und landwirtschaftlich bebauten. Allmählich luden die
Wasserkräfte auch zur Einrichtung anderer Industrieen ein, und so ist
112
Ludwig Neumanui
[lU
Oernsbach; der Hauptort des Thaies, heute im Besitz einer grösseren
Anzahl von Fabriken aller Art. Zu nennen ist hier auch das Eisen-
werk Gaggenau. Dass auch das Steinbrecher- und Steinhauergewerbe
zu einer gewissen Blüte gelangte, ist bei dem Reichtum an gutem
Baumaterial selbstverständlich.
Die untere, breite Thalöffnung ist ausgezeichnet durch vorzügliche
Ackerkrume (Löss), und so ist hier die Landwirtschaft zu grosser Blüte
gelangt. Das Murgthal hat von der ßheinebene bis zur Höhenkurve
von 200 m eine Dichte von 388 pro qkm, es ist das die grösste Dichte.
die im Grossherzogtum Baden sich findet, mit einziger Ausnahme der
Umgebung von Heidelberg (vgl. S. 164). Die Milde des Klimas in
diesem gesegneten Landstrich mag daraus entnommen werden, dass
neben dem Kebbau die Kultur der zahmen Kastanie zu ansehnlicher
Bedeutung gelangt ist; bedeckt dieselbe doch 62 ha der Bodenfläche.
Die höheren Stufen des Murgthales und die Ränder desselben von
der Alb bei Ettlingen bis zur Oos bei Baden sind natürlich wesentlich
dünner bevölkert; wir finden hier Dichtezahlen von 86 bis herab zu
65 pro qkm auf den Höhenstufen zwischen 200 und 500 m, ja aut
den Buntsandsteinflächen zwischen Alb und Murg, wo der Wald nur
durch die dürftigen Ackergemarkungen einiger kleinen Dörfer unter-
brochen ist, sinkt sie herab auf 34 pro qkm. Die höheren Gebirgs-
teile sind schon zur Sprache gekommen.
Untersuchen wir noch kurz die Art der Siedelungen im östlichen
Schwarzwalde, so ist das statistische Material nicht so, wie es vorliegt,
benutzbar. Denn von den vier Amtsbezirken Pforzheim, Durlach, Ett-
lingen und Rastatt, die hier in Betracht kommen, liegen in unsrem
Gebiete jeweils nur grössere oder kleinere Bruchteile. Doch zeigt die
Statistik übereinstimmend mit der Karte oder mit der Autopsie, das5
die geschlossenen Wohnorte den zerstreuten gegenüber ganz bedeutend
überwiegen. Die vier genannten Bezirke haben zusammen 118 Ge-
meinden und 306 Wohnorte, es kommen also im Mittel auf eine Ge-
meinde nur 2,6 Wohnorte; von diesen letzteren werden 123 als Städte
und Dörfer, d. h. als geschlossen aufgezählt, so dass für die zerstreuten
nur 183 übrig bleiben; was hier für die ganzen Bezirke gesagt ist
gilt auch für ihren gebirgigen Teil. — Nach der Höhenlage geordnet
gliedern sich die Gemeinden folgendermassen :
Zahl der Gemeinden
O
g
1
o
o
o
o
o
(M
1—1
o
o
o
'^
1
o
s
§
o
CO
o
o
o
-^
über 6000
Einwohner
.a
B
1 Gemeinde
auf . . . qktn
unter 200 m
200—300 „
300—400 ,
400—500 „
über 500 „
1
8
5
5
2
2
11
7
6
4
6
2
2
1
1
—
1
8
27
14
13
2
3,.
6,4
Vi -
21
26
14
2
—
1
64
8.7
113] Die Volkadichte im Grossherzogtum Baden. 113
Wie aus dieser Zusammenstellung ersichtlich, herrschen im öst-
lichen Schwarzwald nicht wie in Franken und auf dem Odenwald die
Gemeinden der niedersten Klasse von weniger als 500 Einwohnern, aber
auch nicht wie im Kraichgau jene der dritten Klasse mit 1000 bis
2000 Einwohnern vor; vielmehr sind am zahlreichsten diejenigen mit
500 — 1000 Einwohnern vertreten. Daas nicht die unterste, sondern die
zweite Höhenstufe verhältnismässig die meisten grösseren Orte auf-
weist, ist auf die in obiger Zusammenstellung hervortretende Wirkung
des dem Murgthal gegenüber höher gelegenen Enzthales bei Pforz-
heim zurückzufahren. Dieselbe Ursache bewirkt auch, dass der Höhen-
stufe von 200 — 300 m 61,4 ^/o der Gesamtbevölkerung des Landesteiles
zufallen. Wird Pforzheim mit Brötzingen ausgeschieden, so ergiebt sich
als Mitteldichte der als in der Hauptsache ländlich bezw. bodenständig
zu bezeichnenden Bevölkerung des östlichen Schwarzwaldes 82, d. h.
eine nur um weniges kleinere Zahl als diejenige ist, welche dem Landes-
mittel nach Ausscheidung der grösseren Städte entspricht. Wie rasch
die Bevölkerung nach oben zu abnimmt, erhellt auch deutlich daraus,
dass oberhalb 500 m auf 17,3 ^/o der Gesamtfläche sich nur noch l,i®/o
derselben findet, während zwischen 300 und 500 m auf 46,2 ^/o Boden-
fläche 22,6% der Einwohner und auf den tieferen Stufen der ganze
Rest von 76,3 ®/o derselben zu zählen sind.
b) Nordlicher Schwarzwald.
Sind im* östlichen Schwarzwalde die zum grössten Teil geschlossen
angelegten Siedelungen in den tieferen Lagen überaus dicht zusammen-
gedrängt, jedenfalls dichter, als dies in den zuvor besprochenen Landes-
teilen der Fall war, während schon oberhalb 500 m die Waldungen so
gut wie keine Niederlassungen mehr aufkommen lassen, so dass oben
dem Landschaftsbilde ringsum der Charakter der menschenleeren Ein-
samkeit in derselben ausgeprägten Weise anhaftet, wie in den Thälern,
und an deren Rändern lebhaft pulsierendes Leben überall unsere Auf-
merksamkeit erregt, so ändern sich beim Weitergehen zum nördlichen
Schwarzwald zwischen Murg Ufld Einzig die Verhältnisse ganz wesent-
lich. Zwar haben wir im Homisgrindenhauptkamm (Hornisgrinde
1164 m) von der Oos bei Baden bis in die Gegend des Kniebis an den
Kinzigquellen noch ähnlich wie im Osten der Murg buntsandsteinbedeckte
breite Höhenrücken, die in den höchsten Gebieten mit kahlen Moor-
flächen, an den Abhängen aber bis ziemlich weit herab mit demselben
wunderbar schönen Hochwald bedeckt sind, den wir im Forstgebiet der
Murgschifferschaft anstaunten. Mehr nach unten aber, auf dem vom
Buntsandstein freigewordenen Granitboden an der Westflanke des Ge-
birges von Bühl bis Gengenbach und auf den Gneisflächen, welche die
Rench und die nördlichen Kinzigzuflüsse Harmersbach, Schappach und
die Kinzig selbst voneinander trennen, da tritt der herrliche Hoch-
wald zurück hinter der Kultur der sogenannten Reutberge. In
dieser mittelhohen Zone des Gebirges sind „die Kämme meist schmal,
nicht zur Plateaubildung geneigt, und die Abhänge so steil, dass sie als
Wiese oder Weide zu benutzen, gleichbedeutend mit Vernichtung wäre.
Forschungen zur deutechen Landes- und Volkskunde. VII. i. 8
114 Ludwig Neumann, [114
Hier wird nun, wie es teilweise auch im Odenwald der Fall ist, alle
12 — 15 Jahre das junge Holz geschlagen, das Reisig oder der Rasen
in Haufen geschichtet und verbrannt, dann dick das Getreide eingesät,
das nur für dies eine Jahr eine durch Kälte und die alsbald wieder
mächtig aufschiessenden Unkräuter und Wurzelschosse gefährdete Ernte
giebt." Das Areal der Reutberge beträgt im Amtsbezirk
Bühl 0,95 qkm = 0,5 > der Bodenflächc
Achem .... 7,74 „ = 4,i „ ,
Oberkirch . . . 54,i8 „ = 20,4 »• »
Oifenburg . . . 24,i2 „ = 5,s , ,
Wolfach . . . 115,76 „ = 26,9 , ,
Beachtet man, dass Bühl, Achern und Offenburg grosse Gebiets-
teile in der Ebene haben, während Oberkirch und Wolfach ganz im
Gebirge gelegen sind, so erscheint die von den Statistischen Mitteilungen
gegebene Zahl 16,6 als Flächenanteil der Reutberge im nördlichen und
mittleren Schwarzwalde (404 qkm Reutberge auf 2426 qkm Gesamtfläche)
den Verhältnissen unseres Gebietes gegenüber wohl noch als zu gering.
Für den östlichen Schwarzwald war es wegen des Umstandes, dass
kein politischer Bezirk so gelegen ist, dass seine statistischen Verhält-
nisse als typisch für den Gebirgsteil gelten können, unmöglich, die Art
der Bodenbenutzung zahlenmässig auszudrücken. Für den nördlichen
Schwarzwald dagegen erscheint es zulässig, aus den an ihm beteiligten
Bezirken die zwei schon genannten: Oberkirch und Wolfach herauszu-
greifen, welche alle in unserem Gebiet vorkommenden Eulturzustände
aufweisen vom Rande der Rheinebene über die reichgesegnete Vorberg-
zone, durch sonnige Thalfluren hinauf zum Gebiet der Reutberge und
des Hochwaldes. Die Zustände in diesen beiden Bezirken können so
ziemlich vollständig als für den nördlichen Schwarzwald gültig angesehen
werden. Wir finden in ihnen nur 29,7 V ^®r Bodenfläche ständig land-
wirtschaftlich benutzt, 24,» ^/o Reutberge und 45,i ®/o Wald, während
im Landesdurchschnitt die entsprechenden Werte 55,8 , 3,4 , 36,8 ®/o sind.
Gegenüber dem Wald und der durch die steilen und steinigen Berg-
gehänge bedingten Kultur der Reutberge tritt also die eigentlich land-
wirtschaftliche Nutzfläche ganz enorm zurück; die Folge hiervon für
die Siedelungen wird weiterhin klar hervortreten.
Die Verteilung der landwirtschaftlichen Fläche selbst ist die
folgende:
Prozente der landwirtschaftlichen Fläche
im nördlichen Schwarzwald: in Baden:
Acker 50,5 68
Wiese 41.i 24
R^bland 8,5 2,5
Gras- und Obstgarten (Eastanienwald 12 ha) l,i l,e
Standige Weide 2,2 3,9
So gesegnet und ergiebig die niedere Vorberglandschaft von
Baden bis Offenburg nebst den in ihr liegenden Thalniederungen und
deren Seitengehängen ist, so rasch nimmt nach oben die Bodengüte und
damit die Ertragsfähigkeit ab. Abgesehen von vereinzelten kleineren
115] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 115
Kastanienwäldem und von den herrlichen Obstgärten am Gebirgsfuss
und auf den unteren Thalböden, denen wir einen grossen Teil des be-
rühmten Schwarzwälder Kirschenwassers verdanken, ist eine der wert-
vollsten Kulturen in diesem Landstrich die des Weines. Auf den
Durchschnitt von 1873 — 1888 bezogen, hatte die Weinernte des badi-
schen Mittellandes von Bühl bis Offenburg einen Jahreswert von 3,25
Millionen Mark; die Weine dieses Gebietes, besonders diejenigen der
Umgebung von Offenburg (Zell- Durbach), Oberkirch (Klingelberger),
Bühl (Affenthaler), sind auch ausserhalb des Landes geschätzt. Dass
diese Vorbergzone und die nach Osten führenden Thäler unter diesen
Verhältnissen wesentlich stärker bevölkert sind, als die nach oben an-
schliessende Reutbergzone, auf der zumeist neben Kartoffeln und Hafer
ausschliesslich Winterfrucht (Weizen und Roggen) gepflanzt wird, ver-
steht sich von selbst. Die Pflege von Handelsgewächsen hat fast gar
keinen Eingang gefunden. Im ganzen Gebiete fehlen grössere Städte
und Industriemittelpunkte, so dass die Bevölkerung in der Hauptsache
als eine landwirtschaftliche anzusehen ist: Von 1000 Einwohnern der
Bezirke Oberkirch und Wolfach leben 590 von der Landwirtschaft.
Doch haben sich längs der Wasserläufe da und dort, besonders im
Kinzigthal und in seinen Nachbarthälem schon seit lange, angelockt
durch die ergiebigen und billigen Wasserkräfte, meist zerstreut liegende
grössere Industrie- und Fabrikbetriebe herausgebildet; kleinere Centren
dieser Fabrikbevölkerung sind geworden: Zell am Harmersbach mit
seiner Porzellan- und Steingutfabrik und seinen Granatschleifereien,
Oppenau mit Glaswaren, Schiltach mit Wollweberei, Sägemühlen, Gengen-
bach mit Holzwaren u. a. m. Welchen Umfang das Holzgeschäft im
nördlichen wie im östlichen Schwarzwald angenommen hat, mag aus
der einen Thatsache hervorgehen, dass im Renchthal allein etwa 70
Sägemühlen gelegen sind, deren Gesamtumsatz 1882 sich auf 1,5 Millionen
Mark beziffert; davon gelangen mit der Bahn täglich 5 — 6 Wagen-
ladungen zur Versendung.
Eine Erwerbsquelle, die in früheren Jahrhunderten mehrere Neben-
thäler im Kinziggebiet belebt und denselben einen nicht unansehnlichen
Bevölkerungszuwachs gebracht hat, nämlich der Bergbau, ist heute für
die Frage nach der Volksdichtc belanglos geworden. Abgesehen von
kleineren Betrieben standen bei Haslach, im Hauserbachthal, bei Wit-
tichen und im Schappachthale besonders im 16. Jahrhundert zahlreiche
Bergwerke, in denen gediegen Silber, Silbererze, silberreiche Bleierze,
Kupfer- und Kobalterze geschürft wurden, in Thätigkeit. Bei Haslach
sollen in den besten Zeiten gegen 500, in Hauserbach 300 Knappen
beschäftigt gewesen sein. Auch nach dem 30jährigen Kriege, der auch
hier gewaltige Störungen brachte, wurden im Bezirke Wolfach viele
Erzgänge im Betrieb erhalten, im vorigen Jahrhundert waren es (Btwa 40,
im gegenwärtigen noch 11; seit den fünfziger Jahren ist der Bergbau
hier wie überall im Schwarzwald eingestellt; nur noch vereinzelte Ver-
snchsbaue sind offen gehalten, beschäftigen aber so wenig Leute, dass
sie, wie gesagt, auf die Volksverdichtung keinen Einfluss mehr üben
können. Die Bergleute sind weggezogen oder haben sich anderen Be-
rufsarten gewidmet.
ll(j Ludwig Neumann, [110
Den Boden-, Bebauungs- und Verkehrsverhältnissen entsprechend
finden wir von Baden bis Offenburg am Saum des Gebirges und in den
tieferen Lagen der aus ihm sich erschliessenden Thäler, sodann im
Kinzigthal und an seinen Rändern* eine Volksdichte von über 200 Ein-
wohnern pro qkm. Dass das untere Kinzigthal dem Murgthal immer-
hin so bedeutend an Volsdichte nachsteht — 211 gegen 888 — scheint
seinen Grund in dem verschiedenen Bau der beiden Thalböden und der
sie durcheilenden Wasserläufe zu haben. Das Murgthal öffnet sich erst
weit unterhalb Gernsbach zu breitem Thaltrichter, und auch hier noch
sind die Thalflächen zumeist stufenartig über dem Fluss derart angelegt,
dass dieser auch bei hohem Wasserstande nicht in die Lage kommt,
die ganze Thalebene unter Wasser zu setzen; die Siedelungen erscheinen
daher relativ ziemlich gesichert. Anders im Kinzigthal. Dieses bildet
schon von Hausach ab eine Fläche von sehr ansehnlicher Breite und
völlig ebener Ausbildung, in welche der Fluss nur sehr wenig eingetieft
ist. Vor der Korrektion hat daher die Kinzig nur allzu oft weite
Strecken des Thalbodens überflutet und sie auf die Dauer versumpft,
so dass die Siedelungen hier die tiefen Lagen eher meiden als aufsuchen;
in der That liegen die meisten derselben nicht im Thal, sondern an
seinem Rand.
Dieser Umstand scheint völlig ausreichend zur Erklärung der
Thatsache, dass trotz der uralten und ganz eminenten Verkehrsbedeutung
des Kinzigthales dessen unterster Teil nicht dichter bevölkert ist, als
der Thalrand zwischen 200 und 300 m Seehöhe, und dass das Murg-
thal bei klimatisch und sonst ganz ähnlichen Bedingungen eine so
wesentlich dichtere Bevölkerung birgt.
Im oberen Teile des Kinzigthales, von 300 m an aufwärts, nimmt
die Volksdichte ab bis auf 140 pro qkm; hier wie im Schiltach- und
Gutachthal und an den Abhängen all dieser Thaläste beflnden wir uns
schon vollständig im Inneren des Gebirges, die Fruchtbarkeit, die wir
in der Nähe der Rheinebene gefunden, hat hier ihr Ende erreicht, wir
sind in die Region der Reutberge eingetreten. In gleicher Höhenlage,
nämlich zwischen 300 und 400 m, finden wir an der Westseite des
Gebirges nur noch eine Dichte von 77 und 70 pro qkm; der Gegensatz
der Lössvorhügel und des eigentlichen Gebirgsfusses drückt sich hier
überaus scharf aus. Oberhalb 400 m nimmt die Dichte weiter ab auf
45, in der nächsten Stufe auf 22, dann auf 10 Einwohner pro qkm.
Ueber 700 m endlich wohnen im ganzen auf rund 230 qkm nur noch
wenig über 700 Menschen; der grösste Theil derselben findet sich an
der Grenze der Reutberg- und Waldzone zwischen 700 und 800 m, und
dann kommt hier noch das Dorf Kniebis mit im ganzen 170 Einwohnern
in Betracht, welches von der 900 m-Isohypse durchschnitten wird und
in seiner Bedeutung schon oben (S. 107) charakterisiert worden ist.
Rechnen wir die Thal- und Vorbergzone bis 400 m, die der
Reutberge bis 700 m, über welcher Höhe im allgemeinen überall zu-
sammenhängender Wald zu finden ist, so ist die Dichte dieser 3 Stufen
durchschnittlich 142, 25, 3 pro qkm, mit anderen Worten, die Siede-
lungen ziehen sich wesentlich höher am Gebirge hinauf, als im Murg-
und Enzgebiet, und auch mit dem Odenwald verglichen finden wir,
117]
Die Volksdicbte im Grossherzogtum Baden.
117
dass die Bevölkerung der Höhenlage weniger ausweicht, als es dort
der Fall ist.
Sehen wir nun zu, wie diese Bevölkerung sich auf die Siedelungen
verteilt, so ist es hier bei den vielen und kleinen Wohnorten schwierig,
die Höhenlage der Gemeinden anzugeben; nach den Hauptkoniplexen
derselben erhalten wir annähernd folgendes Bild:
Zahl der Ge-
meinden
Einwohnerzahl der Gemeinden
Summe der
Gemeinden
1 Gemeinde
kommt auf
über 500
500-1000
1000-2000 über 2000
. . . qkm
unter 200 m
200-300 ,
300-400 ,
400-500 ,
500- COO ,
über GOO ,
10
5
5
1
1
14
4
1
3
3
15
4
1
4
3
5
43
10
6
3
1
5,7
4,r,
ll.i
24,2
21
28
22
b
74
15,0
In den Zahlen der vorstehenden Tabelle finden wir zunächst eine
Bestätigung des oben über den Gegensatz zwischen Murg- und Kinzig-
thal Gesagten. Während in ersterem eine Gemeinde schon auf 3,5 qkm
kommt, so triflft im Kinzigthal eine solche erst auf 5,7 qkm, dagegen hat
hier die gesichertere Höhenstufe von 200 — 300 m relativ dichter aneinander
gereihte Siedelungen. Femer ist zu beachten, dass in der Reutbergzone
das jeder Gemeinde bezw. Gemarkung im Durchschnitt zukommende Areal
ein sehr grosses ist, wie sich das aus der Natur der Sache erklärt.
Für die höchsten Stufen analoge Verhältniszahlen auszuwerten, ist hier
so wenig wie beim östlichen Schwarzwald von Belang, da die höher
gelegenen Waldkomplexe den Gemeinden der Thäler, oft auch Korpo-
ratioiien und Privaten, nicht zum mindesten aber dem Staate und d^r
Grundherrschaft Fürstenberg gehören, also zur Anzahl der in derselben
Höhenstufe liegenden Gemeinden in gar keiner Beziehung stehen.
Die Gemeinden des mittleren Schwarzwaldes erscheinen nach obiger
Zusammenstellung mit den früher betrachteten Gebieten verglichen
verhältnismässig gross; zu gleichem Ergebnis führt auch die Betrach-
tung der zwei Bezirke Oberkirch und Wolfach, die wir als typisch für
unser Gebiet kennen gelernt haben und die uns ausserdem vor Augen
führen, wie die kleineren Gemeinden gegenüber den grösseren nur
schwach in Bezug auf ihren Anteil an der Gesamtvolkszahl ins Gewicht
fallen. In den genannten Bezirken sind vorhanden:
unter 500, von 500—1000, von 1000—2000, von 2000—4000 Einwohnern
12 18 13 2 Gemeinden, d. h.
27 40 29 4°/o. Darin wohnen
7 33 44 167o der Bevölkerung
oder in 67 ^/o der Gemeinden unter 1000 Einwohner wohnen 40 "/o, in
33 "o der Gemeinden über 1000 Einwohner aber wohnen 60 ^/o der
Einwohner.
118 Ludwig Neumann, [118
Bezüglich der Wohnorte ergeben die zwei zu Rate gezogenen Amts-
bezirke folgende Daten:
Die 45 Gemeinden zerfallen in 6 städtische und 39 ländliche, sie
haben im ganzen nur 37 geschlossene Wohnorte (6 Städte und 31 Dörfer),
dagegen 703 zerstreute Wohnorte, vom Weiler herab bis zum einzelnen
Wohnhaus. Eine Gemeinde hat im Mittel 968, ein Wohnort aber nur
59 Einwohner. Diese 740 Wohnorte sind nun über alle Höhenstufen
von der untersten bis hinauf zu derjenigen zwischen 900 und 1000 m
verteilt, und in ganz ähnlicher Weise liegen die Verhältnisse in den
übrigen hierher gehörigen Bezirksteilen von Baden, Bühl, Achern,
Offenburg, wenn auch der Bezirk Wolfach, wie in anderem Zusammen-
hang schon ausgeführt wurde (S. 54), eine ganz ausnahmsweise Stellung
einnimmt, indem er ausser ein paar geschlossenen und an Einwohner-
zahl reichen Thalgemeinden fast nur zerstreute Wohnorte kennt.
In der Vorbergzone sind es bei dem ergiebigen Boden die klein
zugeschnittenen Weinbergbesitzungen, welche eine so weitgehende Ver-
teilung der Bewohner begünstigten, im Gebirge aber sind es die fleut-
berge, Bergäcker und Weiden, welche es jedem Ansiedler wünschens-
wert erscheinen lassen, so nah als möglich bei seinem weitverzweigten,
grossen und mühsam zu bearbeitenden Grundstücke zu wohnen, daher
auch hier das Vorherrschen der zerstreuten Wohnorte, das jedem Be-
sucher dieser Gegenden sofort auffällt im Gegensatz zu allen bisher
besprochenen Landes teilen.
Finden wir im Gebirge und längs der Vorbergzone eine geradezu
auffallend weitgehende Zerteilung der Bevölkerung in kleine Einzel-
wohnorte, so macht sich am Gebirgsfuss und in den Thälern ähnlich
wie in der Ebene seit Alters ein gewisser, vielleicht auf dsis Vorbild
des benachbarten Strassburg, der natürlichen Hauptstadt der mittleren
Rheinebene, zurückzuführender Hang zu städtischem Wesen geltend, der
in den Kreisen Baden und Offenburg im Laufe der Geschichte 21 Städte
hat entstehen lassen, wovon eine grössere Anzahl sich jahrhundertelang
reichsunmittelbar erhalten hat. So liegen an der Einzig und in ihrer
Nähe in ganz geringen Abständen die Städte Offenburg, Gengenbach,
Zell am Harmersbach, Haslach, Hausach, Wolfach, Schiltach, die den
Weg von der Rheinebene nach Schwaben weisen; stieg doch die alte
Hauptstrasse aus dem Einzigthale von Schiltach bezw. von Schramberg im
Schiltachthal ab unmittelbar auf die östliche Hochebene, während das
jetzt durch die Schwarzwaldbahn erschlossene Gutachthal von Hornberg
nach Triberg und Villingen erst ziemlich spät in den grösseren Ver-
kehr gezogen wurde.
Vergleichen wir schliesslich auch hier wieder unsere Dichtekarte
mit derjenigen von Sprecher, so erscheint, da seit Anfang unseres
Jahrhunderts die Lage und Art der Siedelungen sich nicht verändert
hat, bei Sprecher die Fläche der niedersten Dichtestufe (0 — 20 Ein-
wohner pro qkm) zu gross und dadurch zu allgemein gefasst, dass
zahlreiche dicht bevölkerte Thäler aus ihr nicht ausgeschieden sind.
Auch die nächste Dichtestufe (20 — 40 Ew.), welche den Westabhang
des Gebirges von Baden bis Gengenbach ausfüllt, ist ebenfalls zu sehr
generalisiert; der von ihr eingenommene Raum zeigt in Wirklichkeit
119] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 119
die allergrössten Unterschiede; vor allem gehört hier das Renchthal
von Oberkirch aufwärts hervorgehoben. Die Dichtegrade selbst scheinen
mit den heutigen verglichen eher etwas zu gross als zu klein zu sein.
c) Mittlerer Schwarzwald.
a. Hünersedelgruppe.
Die Hünersedelgruppe ist ein ringsum von Tiefenlinien umgrenzter
und darum wohl isolierter Teil des mittleren Schwarzwaldes. An ihrer
Westseite hat die Kheinebene eine ziemlich bedeutende Steigung in
nordsQdlicher Richtung von 160 m am Ausgang des Kinzigthales bis
etwa 250 m am Ausgang des Elzthales. Aehnlich bogenförmig wie
diese Westgrenze verläuft auch die im Osten, welche bis Haslach (218 m)
dem Laufe der Einzig folgt, dann den 523 m hohen Sattel bei Pfauss
übersteigt, um bei Elzach (363 m) das Elztbal zu erreichen, dem sie
bis unterhalb Waldkirch folgt. Der höchste Punkt der Gruppe ist der
Hünersedel mit 744 m. In der Osthälfte ist das Gebirge aus Gneis
aufgebaut, der an vielen Stellen von rundlichen Porphyrkuppen überragt
wird; nach Westen zu ist das Grundgebirge überdeckt von Buntsand-
stein, teilweise auch von Muschelkalk, und am Rande der Ebene haben
wir wie weiter nördlich auch eine ziemlich breite Lösszone. Vereinzelte
nicht vom Diluvium bedeckte Bänke jurassischer Bildung sind flächen-
haft zu wenig ausgedehnt, um von allgemeinerer Bedeutung zu sein.
An der Hünersedelgruppe sind die Bezirke Oflfenburg, Wolfach,
Lahr, Ettenheim, Emmendingen und Waldkirch beteiligt; keiner der-
selben liegt aber ausschliesslich in ihr, so dass die statistischen Er-
hebungen derselben zur Charakterisierung der hier interessierenden
Verhältnisse nicht verwendbar sind. Doch lässt sich aus ihnen im
Verein mit dem Studium der topographischen Karte entnehmen, dass
auf der der Einzig und der Elz zugekehrten Seite, d. h. auf dem
Gneisboden, die Bodenbenutzung ganz analog derjenigen ist, welche
wir im nördlichen Schwarzwalde, insbesondere in den für ihn typischen
Amtsbezirken Oberkirch und Wolfach gefunden haben. Auf den Thal-
flächen längs der kleinen Nebenflüsse der Einzig und Elz Wiesenbau,
an den tief gelegenen Bergrändern Rebbau, besonders längs des unteren
Kinzigthales; darüber Ackerland und Reutberge, oben Wald. Dieser letztere
findet auf dem mittleren Buntsandsteinstreifen, der das Gebiet in seiner
ganzen nordsüdlichen Längsausdehnung durchzieht, seine grösste Ver-
breitung und nimmt nach Westen zu rasch ab, wo die Lösszone am
Gebirgsrande den Landwirtschaftsbetrieb sich intensiver und lohnender
hat entwickeln lassen. Die grösseren Orte liegen hier zumeist unter
der 200 m-Isohypse, also in dem Gebiete, das wir der Rheinebene zu-
rechnen und mit dieser besprechen werden. Doch haben wir, während
die Ostthäler alle ziemlich kurz verlaufen und mit namhaft steilem
Gefälle aus dem Gebirge herabziehen, im Westen eine Anzahl weit ins
Innere sich erstreckender, tief liegender Thäler mit schwach geneigter,
mehr oder weniger breiter Thalsohle, das Bretten-, Bleich-, Ettenbach-
und besonders das Schutterthal, in welchen die Hauptmasse der Be-
völkerung sich angesiedelt hat. Hier im Westen überwiegen auch
120 Ludwig Neumann, [120
durchaus die im allgemeinen in den Thälern und an ihren Rändern
gelegenen geschlossenen Ortschaften, während auf den nach Süden und
Osten geneigten Hochflächen die zerstreuten Wohnorte, ganz wie in
den analogen Reutherggebieten etwa des Amtes Oberkirch, durchaus
überwiegen. Die hinter der Industriestadt Lahr gelegenen Gemeinden
des Schutterthales, welches etwa an der Grenze der beiden in Boden-
form, Bodenbedeckung und Bodenbebauung so verschiedenen Seiten
unserer Gebirgsgruppe hinzieht, bilden eine Art Uebergangsstufe von
den geschlossenen Dorfschaften im Westen zu den zerstreuten Wohn-
orten im Osten. Die Zerteilung der Bevölkerung in Wohnorte kleinster
Art, in Einzelhöfe und Einzelhäuser, erreicht ihren höchsten Grad in
den Gebirgsgemeinden der Aemter Waldkirch und Emmendingen, z. B.
in Biederbach, Spitzenbach, Freiamt und Ottoschwanden. Hier ist der
Wald sehr parzelliert und überhaupt nicht stark an der Flächen-
bedeckung beteiligt, die Hochebenen weisen überall Ackerland und
Reutfelder auf. Hier steigen auch die Wohnorte bis zu den höchsten
Flächen des wenig gegliederten Gebirges auf, während auf dem Haupt-
teil der Buntsandsteinzone der Wald überall erhalten blieb und mensch-
liche Siedelungen nur sehr selten sind. Abgesehen von Lahr und seiner
Umgebung, die erst im Abschnitt über die Rheinebene besprochen
werden wird, und vom westlichen Gebirgsfuss überhaupt, in dessen
Ortschaften Industrieen aller Art sich mit der Zeit festgesetzt haben, ist
im Innern unseres Gebirgsteiles von wichtigeren Gewerbebetrieben
nirgends die Rede; höchstens verdient auch hier der Holzhandel und
die Holzverarbeitung erwähnt zu werden, sowie die Ausnutzung der
grossen und wertvollen Sandsteinbrüche, die besonders in der Nähe
von Emmendingen (Heimbach) von hervorragender Bedeutung sind.
Das so ziemlich an der Nordspitze unseres Gebietes gelegene Stein-
kohlenbergwerk bei Diersburg und Berghaupten im Amte Offenburg,
welches nach der Berufszählung von 1882 im ganzen 228 Personen
ernährt, ist mehr darum von Interesse, weil es sich hier um das einzige
nutzbare Vorkommnis von Kohle — Anthracitkohle — in Baden han-
delt, das seit 1755 ausgebeutet wird, als weil man sagen könnte, dass
dieses Bergwerk auf die Volksdichte einen entscheidenden Einfluss zu
üben im stände wäre. Es äussert sich hier ein allgemeiner Gegensatz
zwischen Baden und z. B. der preussischen Rheinprovinz oder dem
Königreich oder der Provinz Sachsen; während in den genannten und
zahlreichen anderen Ländern die Volksverteilung und Volksverdichtung
in hervorragender Weise nicht sowohl von der Bodenoberfläche als von
den Schätzen des Mineralreiches, wie sie der bergmännische Betrieb
zu Tage fördert, abhängt, so lässt sich ähnliches von Baden, wenigstens
für die Gegenwart, an keiner einzigen Stelle des Landes aussprechen;
inwieweit der erloschene Bergbau im Kinziggebiet, von dem oben schon
die Rede war, oder derjenige im südlichen Schwarzwald, von dem noch
kurz wird gesprochen werden müssen, in früheren Jahrhunderten zu
Ansiedelungen führte, entzieht sich heute der Kritik, obschon es als
durchaus wahrscheinlich bezeichnet werden muss, dass die Anlage und
der Betrieb jener alten Erzgruben Ansiedler angelockt und zur Erhöhung
der Volksdichte beigetragen habe.
121] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 121
Die mittlere Yolksdichte der gesamten Hünersedelgruppe ist sehr
gering, sie ergiebt sich oberhalb der 200 m-Isohypse , die als Grenze
gegen die Rheinebene angenommen worden ist, zu 40 Einwohner pro
qkm, also kaum zur Hälfte des Landesmittels nach Ausscheidung der
Städte von über 6000 Einwohnern. Wir erkennen in dieser kleinen
Bevölkerungszahl den Einfluss des waldbedeckten Buntsandsteins, der
bei ähnlicher Höhenlage, wie wir sie im Odenwald hatten, in gleicher
Weise wie dort wirksam ist. Dann macht sich die barbarische Art
der Bodennutzung in den Reutbergen geltend, und so kommt es, dass
in einer Höhenlage, auf der im südlichen Schwarzwald noch eine relativ
sehr ansehnliche Volkszahl unter jedenfalls nicht günstigeren Allgemein-
bedingungen lebt, nur so wenig Menschen ihr Auskommen finden können.
Von unten nach oben nimmt die Dichte im allgemeinen gleichmässig
ab; dass wir, wie Tabelle IX, E y zeigt, teilweise von unten nach oben
zu grösseren Dicbtezahlen gelangen, hat seinen Qrund in der verschie-
denen Bodenform der einzelnen Stufen; so zeigt die Karte, dass der
Stufe IV mehr Berggehänge und steile Thalränder, der Stufe V mehr
Hochflächen zufallen, daher in letzterer die grössere Dichte der Be-
völkerung. Die folgende Zusammenstellung zeigt aber aufs deutlichste
das Gesetz der Abnahme nach oben:
Es wohnen auf rund 238 qkm zwischen 200 und 400 m 13306 Einw.; Dichte = 56;
, « 216 , , 400 , 600, 5496 , « = 25;
, , , , 28 , über 600 m 443 , „ = 16.
Die Art der Siedelungen kam im Vorstehenden schon zur Sprache;
an Gemeinden haben wir in unserem Gebiet 8 mit weniger als 500, 7 mit
500-1000, 7 mit 1000—2000 Einwohnern; die durchschnittliche Ge-
meindegrösse ist also eine geringe; denn die Gemeinden mit weniger
als 1000 Einwohnern überwiegen bedeutend.
ß. Das Hauptgebiet des mittleren Schwarzwalde s.
Die Umgrenzung dieses Gebirgstockes ist schon früher (S. 58)
festgelegt worden; die genauere Abgrenzung gegen die Hünersedelgruppe
ist im vorigen Abschnitt zur Sprache gekommen. Unser Gebiet umfasst
die Granitregion in der weiteren Umgebung des zum Kinzigsystem
gehörigen Gutachthaies, dann die Gneiszone, in welche die Elz und ihre
linken Zuflüsse, sowie das Dreisamgebiet eingebettet sind. Während
die westlichen Thäler durch hohe Gebirgskämme (Kandel 1241 m) von-
einander getrennt sind, überwiegt im Osten, im Quellgebiet der Wutach
und der Donau, die wenig gegliederte Hochebene derart, dass der
Uebergang in die östlich anstossende Fläche der Baar fast unvermerkt
sich vollzieht; nur ein deutliches und nicht misszuverstehendes Kenn-
zeichen lässt hier entscheiden, ob man sich noch auf dem Schwarzwald
oder schon in der Baar befindet, es ist dies der Wald. Seine Ver-
breitung, die freilich keine so ausgedehnte mehr ist, wie im nördlichen
und östlichen Teil des Gebirges, und die auch dadurch weniger gross
erscheint, dass die Waldungen teilweise ihre obere Grenze erreichen
und von kahlen Bergkuppen überragt sind, und dass zwischen einzelnen
Waldkomplexen grosse Weideflächen sich breit machen, hört an der
122 Ludwig Neumann, [122
Ostgrenze des Schwarzwaldes, nachdem jenseits des Gneisgebirges eine
schmale, zum Teil zerstückelte Buntsandsteinzone gefolgt ist, fast voll-
ständig auf, sobald man in das Bereich des Muschelkalkes tritt. Im
allgemeinen kann, wie früher ausgeführt, die Höhenlinie von 900 m
auf sehr lange Erstreckung als Grenze der beiden so verschieden be-
schaffenen Gebiete angesehen werden. Nach Abrechnung der tief ein-
geschnittenen Thäler der Gutach, Elz, Wildgutach, Glotter und Dreisam
liegt das ganze Gebiet durchschnittlich sehr hoch, wie schon ein Blick
auf die Flächenangaben der Tabellen I und II, sowie IX bis XII klar-
legt. Liegen doch zwischen 600 und 1100 m volle 53,3 % der Gesamt-
fläche und über 1100 m noch rund 209 qkm derselben. Bei dieser
Höhenlage tritt naturgemäss der Körnerbau mehr und mehr zurück,
immer grössere Flächen sind als Wiesen und Weiden benutzt, die
Viehhaltung gewinnt gegenüber dem Ackerbau die Oberhand. Damit
aber werden für den einzelnen Bewohner immer grössere Flächen nöti^,
um den Lebensunterhalt zu ermöglichen. An Stelle der Siedelungen
in geschlossenen Orten treten überwiegend diejenigen in kleinen Weilern
und in Einzelhöfen, und so findet man besonders den fröhlich plätschern-
den Bergwässern entlang zwischen weiten Wiesenfluren, umgeben von
vereinzelten Kartoffel- und Haferfeldern, überragt von sanftgeneigten
Waldbergen und Waldrücken, weit zerstreute Gemeindefraktionen, deren
letzte Versprenglinge hoch an den sonnigen Halden hinauf zu verfolgen
sind, soweit dem Boden überhaupt noch irgend etwas abgewonnen
werden kann. Als Grundbedingung des Daseins hat sich hier längst
das „Recht der geschlossenen Hofgüter'' herausgebildet, welches als
wirksames Mittel gegen die Güterzersplitterung ausreicht. Als, wie
Gothein a. a. 0. ausführt, bei der ursprünglichen Besiedelung die
Bauernlehen von den grossen Klöstern St. Georgen, St. Peter, St.
Märgen, Friedenweiler, St. Ulrich und weiter im Süden vom grössten
unter ihnen, von St. Blasien nach dem Muster der Ebene von vorn
herein viel zu klein zugeschnitten worden waren, und nachdem man
dazu noch die vollständige Freiheit der natürlichen Erbteilung und des
Verkaufsrechtes eingeführt hatte, ergab sich die Folge, dass etwa 200
Jahre nach der ersten Besiedelung im 11. Jahrhundert der mittlere
Schwarzwald einer völligen wirtschaftlichen Zerrüttung anheimfiel und
das Land wieder gänzlich zu Wald zu werden drohte. „Da ist es
nun interessant, in den Weistümern zu verfolgen, wie der Bauer im
15. Jahrhundert sich selber half, wie die kleineren Lehen zu grösseren
Höfen zusammengezogen, wie sie abgerundet wurden, wie sich das
Recht der geschlossenen Hofgüter, das die Teilung verwehrt und nur
den Jüngsten zum Erben an Grund und Boden beruft, herausbildete.
Dies Sonderrecht hält die Landwirtschaft auf dem hohen Schwarzwald
auch jetzt allein aufrecht, und auch wo es durch die badische Verfassung
nicht ausdrücklich erzwungen wird, hat es vielfach weite Verbreitung.**
Durch Gesetz vom 23. Mai 1888 ist das Hofgüterrecht neu codi-
fiziert worden, und im Anschluss an diese gesetzgeberische Arbeit hat
in den Jahren 1889 — 91 eine amtliche Erhebung über die geographische
Verbreitung der geschlossenen Hofgüter stattgefunden, deren Ergebnis
in der amtlichen Karlsruher Zeitung am 24. Januar 1892 veröffentlicht
123]
Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
123
worden ist. Danach giebt es an geschlossenen Hofgiitern mit beson-
derem Erbrecht im Amtsbezirk
Bondorf . .
Neustadt
Villingen
Triberg . .
Wolfach . .
S taufen . .
Frei bürg
Waldkirch .
Emmendingen
Ettenheim .
Lahr . . .
Offenburg .
Oberkirch .
Achern
■ •
Zusammen .
4
190
121
339
704
71
792
819
435
50
18«
G65 (Gemeinde Durbach 152, Nordrach 115)
525
41
(Gemeinde Biederbach 234)
(Gemeinde Freiamt 220, Ottoschwanden 171)
4842,
welche sich auf 166 Gemeinden verteilen. Sehen wir von den Bezirken
Bonndorf, Staufen und Achem ab, so sehen wir, dass das Hauptver-
breitungsgebiet der geschlossenen HofgQter zwischen Wutach, Dreisam
und Kinzig gelegen ist, also in der Hauptsache im mittleren Schwarz-
wald und an dessen östlicher Abdachung, dass es aber auch noch etwas
in den nördlichen Schwarzwald, besonders in das Renchthal hinüber-
greift, während es im südlichen Schwarzwald beinahe gar nicht zur
Ausbildung kam.
Das Hofgütersystem zwang bei anwachsender Bevölkerung, wenn
die vom Besitz an ßrund und Boden ausgeschlossenen Geschwister
nicht zeitlebens als Knechte und Mägde sich verdingen oder in die
Rheinebene hinab auswandern wollten, früh zu industrieller Thätigkeit.
Dieser Zwang musste noch nachdrücklicher wirksam werden infolge
des bei der hohen Lage strengen und langandauernden Winters, der
höchstens Wald-, aber monatelang keine Feldarbeit gestattet. So er-
stand die Schwarzwälder Hausindustrie, die Zunder- und
Burstenfabrikation , die Holzschneflerei und die höher ausgebildete
Schnitzerei, früher schon die Hausspinnerei, Weberei und Stickerei,
endlich die Uhrenfabrikation und all das, was mit ihr zusammenhängt.
Es würde hier zu weit führen, die Entstehung, Entwickelung, die Krisen
und Fortschritte dieser Industrieen darzulegen und auszuführen, wie die
Schwarzwälder Kleinindustrie eine genossenschaftliche Arbeitsteilung,
zumal eine solche zwischen Fabrikation und Handel, mit sicherem Takt
gefunden, wie sie in unscheinbarem Hausierhandel und doch planmässig
auf allen Linien vordringend sich eher als irgend eine andere deutsche
Industrie den Weltmarkt erobert hat. Es ist kein unberechtigter
Stolz, der den Sohn des Landes erfüllt, wenn er auf seinen einsamen
Skreifzügen durch das heimatliche Gebirge sich der hoch oben am
Waldrand gelegenen sauberen Häuser freut, die der und jener Uhr-
macher, aus der Fremde heimgekehrt, sich erbaute, um in behag-
lichem Wohlstand, den er draussen in der Welt erworben, aber
in der Väter einfacher Weise seine alten Tage zu verleben und Heimat-
luft zu atmen bis an sein Ende, gleich jenen Engadiner Zuckerbäckern
124 Ludwig Neumann, [124
Russen ÄDgedenkens , die einem in ihrem freien Hochthal so gern er-
zählen TOn den Herrlichkeiten der europäischen Hauptstädte. Und hat
man sich in einem jener behaglichen hinterwäldlerischen Wirtshäuser
mit ihren grossen Stuben und ihrer weiten Fernsicht auf die warme
Ofenbank gelegt und lässt sich von einem alten Uhrmacher erzählen,
wie es ihm in Moskau, London oder New York ergangen, oder liest
er, zutraulich und gesprächig geworden, die neueste englische Zeitung
oder den Brief eines Sohnes im fernen Westen vor, da erfüllt es mit
" " ledigung, Zeuge davon zu sein, wie durch die aus so un-
Änfängen hervorgegangene, durch die Not sozusagen erst
ie Industrie dem herrlichen Heimatsgehirge eine FOUe von
Kulturfortschritt und Intelligenz zu teil geworden ist.
■ Ursprung, Entwickelung und derzeitigen Stand der Schwarz-
ie geben ausser Trenkles Geschichte der Schwarzwälder
lesonders die vom Verein für Sozialpolitik (s, Litt-Verz.)
beneu Berichte Äufschluss. Dieser Quelle mag hier etit-
}in, dass 1C83 die ersten Glashütten entslanden und dass
nannte „Glasträger" (Hausierer) kurz darauf die erste Holz-
weg in den Schwarzwald fand. Die ersten Nachahmungen
lurch Lorenz Frey aus dem Spirzenthal hei St. Märgen, durch
auf der Bödeck bei Waldau und durch Simon Henninger
orgen hatten keine weiteren Folgen. Erst 1725 blühte die
kunat richtig auf, und als ihre eigentlichen Väter können
:er von Schollach und Franz Ketterer von Schönwald ange-
en. 1740 gab es 31 selbständige Uhrmacher. Schon war
/erk, schon die erste Kuckucksuhr erfunden, bald wurden auch
ischnitzt als Zierat , und so entwickelte sich die feinere
eidekunst im Gefolg3 der Uhrmncherei. 1750 ftngen
( die primitiven Holzwerke zu verdrängen an, 1780 gab es
Pendel statt der früheren , Unruhe". Allmählich hatte eine
Arbeitsteilung Platz gegriffen zwischen Gesteltmacherei,
alerei, Giesserei u. s, w. , zwischen Uhrmachern, Packern
ern und Hausierern. So ging es mit Krisen und RUck-
ingsam weiter, 1847 entstand der Gewerbeverein ftlr, den
mden Schwarzwald in Schönenbach, 1850 die Uhrroacher-
urtwangen, 1851 die Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation
;h, dem südlichsten Punkt der Uhren Industrie Oberhaupt
kamen die Federregulatoren auf, dann die Weckuhren, von
jährlich über 2 Millionen Stück ihren Weg um die Erde
rzwald aus antreten.
waren die Uhrmacher über 02 Orte und Zinken verbreitet,
1429 Fabrikanten und Meister, 7520 Gehilfen, Furtwangen,
ttelpunkt der ganzen Industrie geworden, zählte 1870 allein
Seit den 00er Jahren kamen zur Erleichterung der Haus-
ie Bestand teil Fabriken auf: eine solche in Triberg liefert
! Bestandteile fUr 600000 Uhren jeglicher Art. Neben der
rgekommenen Grossindustrie hat sich die häusliche doch
gerhalten; man kann bei ihr die eigentlichen Uhrmacher
en. die wie seit alters her die Uhr in der Familie von An-
125] jDie Volkadichte im Grossherzogtum Baden. 125
fang zu Ende fertig stellen; dann die Hilfsgewerbler, nämlich
Geetellmacher, Qiesser, Tonfedermacher, Zeigermacher, Schilddreher,
Schildmaler, Emailleure, Lithographen, Galvaniseure, Eastenschreiner,
Holzschnitzer, Dreher, Werkzeugmacher; endlich die Bestandteil-
macher, in deren Familie alles bis zum zehnjährigen Kinde herab
Rohmaterial zurichtet, Räder, Pendel etc. herstellt.
Man zählt zur Zeit 1034 Kleinraeister mit etwa 2000 Arbeitern
und 63 Grossbetriebe mit 6000 Arbeitern. Neuerdings ist neben der
Herstellung der Uhren diejenige der Musikwerke, Orchestrions (52 Be-
triebe, 260 Arbeiter), dann jene der Haustelegraphen, Telephone, Schreib-
maschinen, Rechenmaschinen etc. sehr in Aufnahme gekommen. Wenn
die Berufszählung von 1882 in den drei Bezirken Triberg, Villingen
und Neustadt rund 9400 Personen ermittelte, welche in der Uhren- und
Musikwerkindustrie thätig sind, bezw. ihren Lebensunterhalt finden, so
ist das ein so hoher Prozentsatz der Bevölkerung, dass der Einfluss
dieser Industrie nicht nur auf den allgemeinen Wohlstand, sondern, um
was es sich handelt, ganz besonders auf die Volksdichte, und zwar die-
jenige der Gebiete über 700 m Meereshöhe unverkennbar ist.
Nehmen wir neben dieser Hauptindustrie, die ein unverwelkliches
Ruhmesblatt in der Geschichte der Schwarzwaldbevölkerung ausmacht,
noch die weniger wesentlichen der Strohflechterei, dann die Holz- und
Steinhauergeschäfte, letztere neuerdings besonders im Gebiete des Granit,
endlich den nach frühern Ausführungen von jeher überaus wichtigen
Verkehr auf alten wie neuen Wegen, der gerade den hohen mittlem
Schwarzwald als ein Land der Strassen und des Transithandels zwischen
der Rheinebene und der Baar erscheinen lässt, so ist die verhältnis-
mässig grosse Bevölkerung besonders in den höhern Teilen unsres Ge-
bietes begreiflich^, als es auf den ersten Blick sein möchte, wo man
sich durch die Ungunst des Bodens versucht sehen könnte, ähnlich wie
im Nordosten des Gebirges oder wie im viel niedrigeren Odenwald eine
wesentlich geringere Zahl von Bewohnern zu erwarten.
In den mittlem Schwarzwald innerhalb der von uns gewählten
Grenzen teilen sich die Amtsbezirke Wolfach, Triberg, Waldkirch,
Freiburg, Neustadt und Villingen. Von Wolfach handelt es sich aber
nur um das kleine Flächenstück im Süden der Kinzig von Haslach bis
Schiltach; von Freiburg gehören etwa zwei Drittel hierher, während
der andere Teil in der Rheinebene gelegen ist; von Villingen ist es
nur der kleinere Teil in der industriereichen Umgebung von Vöhren-
bach. Obschon der rechts Ton der Elz liegende Teil des Bezirkes
Waldkirch schon bei der Hünersedelgruppe Erwähnung und Berück-
sichtigung fand, und obschon auch ein kleiner östlicher Teil von Neu-
stadt in die Baar hinüber greift, können doch die drei Bezirke Triberg,
Waldkirch und Neustadt als solche aufgefasst werden, deren Zustände
diejenigen des ganzen Gebietes klar veranschaulichen; dieselben sollen
daher dazu dienen, einige statistische Angaben für den mittlem Schwarz-
wald festzustellen, wobei zu beachten ist, dass in den diesen benach-
barten Gebieten von Wolfach, Freiburg und Villingen, soweit diese
hierher gehören, keine wesentlichen Unterschiede sich geltend machen.
Nach Hauptkulturen finden wir im mittlem Schwarzwalde rund
126
Ludwig Neumann,
[126
34^/0 der Fläche in regelmässigem landwirtschaftlichen Betrieb, 27*.o
derselben sind als Reutberge benutzt, 37 ^/o bewaldet; die entsprechen-
den Werte des Landesdurchschnittes sind 55,8; 3,4; 36,7. Der Wald
zeigt also nicht mehr wie im Odenwald und im nordöstlichen Schwarz-
wald eine über das Mittel hinausgehende Ausdehnung; es hän^ das
mit der geringen Verbreitung des Buntsandsteins auf der einen Seite,
mit dem Bedürfnis nach möglichst viel landwirtschaftlicher Nutzfläche
anderseits zusammen. Da aber Boden und Klima nur ausnahmsweise
alljährliche Ernte gestatten, so herrscht auch hier das System der Reut-
berge in weiter Ausdehnung, während die eigentliche landwirtschaft-
liche Fläche kaum über ein Drittel des gesamten Areals ausmacht. Im
einzelnen sind bebaut
als Acker
, Wiese
g Rebland ....
, Gras- u. jstgarten
„ ständige Weide
Fläche.
im mittleren
Schwarzwalde :
49,4
35,4
0,4
0,7
14,0
in Baden :
68
24
2,5
1,»
55,9 7o der landwirtschaftlichen
Das Ackerland, auf dem zumeist nur Hafer, Winterroggen und
Kartoffeln zur Anpflanzung gelangen, nimmt annähernd denselben Bruch-
teil des Gebietes ein wie im nördlichen Schwarzwald, dagegen treten
die Wiesen zu Gunsten der Weideflächen wesentlich zurück, wie sich
das aus der Höhenlage direkt erklärt. Dass in den Höhen auch die
Obstgärten kaum mehr von Belang sind, und dass der Rebbau allein
noch am Gebirgsfuss von Waldkirch bis Frei bürg lohnt, ist ebenso
selbstverständlich. Unter diesen Verhältnissen ist leicht ersichtlich,
dass der Boden allein nicht im stände ist, die vorhandene Bevölkerung
zu ernähren, dass diese also direkt zur Aufsuchung industrieller Hilfs-
quellen gezwungen erscheint.
Die Berufsstastik von 1882 bestätigt dies mit ihren Ergebnissen
vollständig. Es ernähren sich
auf dem . . t» j
mittleren im j^ ^^^^^ ^^ p^^. m Baden
Schwarz- Kraich- ^^ ^ Über-
walde : gau : haupt :
von landwirtschaftlicher Thätigkeit
, Industrie und Handelsthätigkeit
Prozente der Bevölkerung. Der Gegensatz zwischen der Ackerbaube-
völkerung auf dem fränkischen Stufenland und im Kraichgau einerseits
und der industriellen auf dem hohen Schwarzwalde anderseits tritt durch
diese Gegenüberstellung in das grellste Licht. Wenden wir uns hier-
nach zur Volksdichte selbst, so ist dieselbe im Elzthal, dessen unterer
Teil in Waldkirch und seiner Umgebung lebhafte Fabrikthätigkeit ent-
faltet, auch oberhalb der 300 m-Isohypse unter dem Einfluss dieser
Nachbarschaft noch eine sehr ansehnliche, nämlich 140 pro qkm. Der
fruchtbare und ergiebige Thalboden, die Lage an einer alten und viel-
43
58
57
64
59
48
35
36
30
41
J27] ^iß Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 127
begangenen Strasse auf die Hochflächen im Osten, und in neuerer Zeit
die zahlreichen industriellen Anlagen aller Art, die durch die günstigen
und billigen Wasserkräfte hervorgerufen wurden, haben hier zu einem
ansehnlichen Grade der Volksverdichtung führen können. Die höhern
Thalstufen und der Thalrand sind schon wesentlich schwächer bevölkert
(62 Einwohner pro qkm).
Das Dreisamthal und seine Umrandung steht durchaus unter dem
Einflüsse der nahe gelegenen, erst bei der Rheinebene zu besprechen-
den Stadt Freiburg, die für zahlreiche Marktprodukte eine immer kauf-
fähige Abnehmerin ist. Die grosse Dichte des Schiitachthaies ist auf
die industriereiche Stadt Schramberg (Württemberg) zurückzuführen,
diejenige des Bergthaies und seiner nächsten Umgebung auf die Uhren-
industne, die in dem Städtchen Vöhrenbach und in den Gehöften der
entsprechenden Höhenstufe, vor allem aber in Furtwangen ihren Haupt-
sitz hat. Die Stufe von 500 — 600 m zeigt eine auffallend dünn ver-
teilte Bevölkerung, sie gehört eben ganz den steilem Thalgehängen im
Westen an und greift nirgends hinüber auf die weiten, einladenden
Flächen des Ostens.
Im Höhengebiet von 600— 900 m haben wir rund 30, und von
«lfm— 1100 m noch 17 Einwohner pro qkm, also eine Dichte, die im
vordem Odenwald schon in der Höhe von 400 m angetroflFen wird. Es
wohnen über 1000 m noch 1957, über 1100 m sogar noch 50 Einwohner,
die ständigen Wohnorte ragen beinahe bis zum Gipfelpunkt des Ge-
tiietes, bis zum Eandel (1241 m) auf; liegt doch der alte Kandelhof
1177 m und das seit der Volkszählung von 1885 erst eröfinete Kandel-
baus, welches ständig bewohnt ist, sogar 1205 m hoch, so dass die
nächste Volkszählung im mittleren Schwarzwalde noch Einwohner über
der Höhenlinie von 1200 m zu zählen haben wird.
Bezüglich der Art und Grösse der Siedelungen möge bemerkt
werden, dass im mittleren Schwarzwalde nach Ausschluss der Hüner-
^elgruppe gelegen sind:
'jemeinden mit unter 500, 500—1000, 1000—2000, über 2000 Einwohnern
43 32 11 4
Es überwiegen also hier wieder ganz bedeutend die kleinen Ge-
; meinden. Da die meisten derselben in sehr viele zerstreute Wohnorte
zerfallen, ist es auch hier schwierig, sie nach der Höhenlage anzuord-
nen. Nach der Grenze von 700 m, die annähernd die Höhen von den
Tbalboden scheidet, auseinander gehalten, giebt es
'winden mit unter 500, 500—1000, 1000—2000, über 2000 Einw., ^uf ^™^qfa^
«a«r700m 27 23 4 2 16,8
i^^ 700 m 16 7 2 19,8
Relativ hat die Höhe mehr grössere als kleinere Gemeinden. —
Aus den Verhältnissen der 3 Amtsbezirke Triberg, Waldkirch und Neu-
•Uit gewinnen wir folgende Daten :
In 7 Stadt- und 66 Landgemeinden finden sich nur 48 geschlossene,
iigegen 1030 zerstreute Wohnorte, zumeist Einzelhöfe. Auf eine Ge-
128 Ludwig Neumann, [128
meinde kommen durchschnittlich 780, auf einen Wohnort 53 Einwohner:
auf eine Gemeinde kommen im Mittel 15 Wohnorte, im Amte Triberg
aber, dessen Verhältnisse fast ganz mit denen von Wolfach überein-
stimmen, sogar 45. Es erhellt hieraus aufs neue die weitgehende Ver-
teilung der Bevölkerung auf Wohnorte kleinster Art. Was endlich in
unsem 3 Bezirken den Antheil der Gemeinden verschiedener Grösse an
der Gesamtzahl der Bevölkerung betrififl, so sind vorhanden
Gemeinden mit unter 500, 500—1000, 1000—2000, über 2000 Einwohnern,
33 22 11 7 oder
45 30 15 10°/o. Darin wohnen
18 28 23 31^0 der Bevölkerung.
Die grossen, zum Teil allerdings ausserordentlich zerstreuten Ge-
meinden haben also an der Gesamtbevölkerung einen viel grössern An-
teil als die kleinen Gemeinden. In 75 Gemeinden mit weniger als 1000
Einwohnern wohnen nur 46®/o, in 25°/o der Gemeinden mit mehr als
1000 Einwohnern aber wohnen 54 ^/o aller Einwohner.
d) Südliclier Sohwarzwald und Elettgau.
Der südliche Schwarzwald umfasst in dem weiten Gebiete zwischen
dem Oberrhein und der Rheinebene von Waldshut bis Preiburg, vom
Dreisam- bis zum Wutachthal und den Höhen des Randen ausserordent-
lich verschiedenartige Bestandteile, sowohl nach Bodenform als Boden-
beschaflfenheit. Da finden wir zunächst am Westrande zwischen Frei-
burg und Basel Schollen mesozoischen Gebirges dem Grundgebirge
vorgelagert, und breite Zonen tertiärer Bildungen verschiedener Art,
von denen die Region der oligocänen Bohnerze im Süden von Müllheim
für Industrie und Besiedelung lange eine grosse Wichtigkeit besessen
hat. Am Gebirgsrande, besonders auch im Rheinthale von Basel ab
aufwärts bis ins Klettgau bei SchafPhausen hinauf, das seiner geringen
räumlichen Ausdehnung wegen hier mit besprochen werden soll, finden sich
als Moränenbildungen der alten Schwarzwaldvereisung und des grossen
Rheingletschers der Vorzeit, dann auch in Gestalt von mächtigen Fluss-
terrassen weit ausgedehnte Gebilde der Diluvialzeit; auch die obern
Thalflächen in der weitern Umgebung des Feldberges werden vielfach
von den untrüglichen Zeugen früherer, sehr umfangreicher Vergletscherung
ausgefüllt. Von der Dreisam bis zur Linie MüUheim-Todtnau-Titisee
setzt sich noch das grosse Gneisgebiet des nördlichen und mittleren
Schwarzwaldes fort, dann folgt eine schmale Zone von Thonschiefern,
Sandsteinen und Konglomeraten der Kohlenformation, die sich bei der
leichten Verwitterbarkeit dieser Bildungen durch Schutthalden von gsjii
gewaltiger Ausdehnung, besonders im Wiesenthal bei Schönau und
seiner weitem Umgebung, auszeichnen. Dann folgt weiter nach Süden
ein grösseres Granitgebiet, das im Osten der Wehra durch einzelne,
räumlich nicht sehr ausgedehnte Gneisflächen unterbrochen wird. Im
Norden der Wiese, zwischen Lörrach und Schopfheim, haben wir das
Grundgebirge von Buntsandstein überdeckt, der sich auch im Osten der
Granitzone als schmale, bandartig ausgebreitete Ueberlagerung vielfach
\
129] I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 129
findet. Endlich dehnt sich zwischen Basel, Schopfheim und Säckingen
die Muschelkalkhochebene des Dinkelberges aus, und eine ähnliche
finden wir im Knie der Wutach zwischen Gündelwangen , Grimmels-
hofen und Waldshut. Jenseits der Wutach, also im Rlettgau und
am Westabhange des Randes, befinden wir uns bereits im Gebiete
des Jura.
Hand in Hand mit dieser Vielseitigkeit der Bodenbestandteile geht
eine ebensolche der Oberflächenformen. Vom Centralpunkte des Feld-
berges (1493 m), des höchsten Gipfels im Schwarzwald, laufen strahlen-
förmig nach allen Seiten eine grössere Anzahl von Gebirgskämmen aus,
deren Mittelhöhe auf längere Erstreckung über 1100 m bleibt. Da-
zwischen sind die Thäler sehr tief eingeschnitten, so dass das Relief
des Gebirges hier ein überaus belebtes ist. Das gilt besonders vom
westlichen Teile unseres Gebietes, der sich durch grosse Steilheit der
Gehänge auszeichnet. Nach Süden und Südosten vom Feldberg aus
ändert sich dieser Charakter des Gebirges bald. Hier dehnen sich
zwischen Wehra, Oberrhein und Wutach weite, wenig gegliederte, aber
im ganzen nach Südost abfallende Hochflächen aus, in welchen die
Thäler schluchtartig ausgebildet sind, so dass sie der früheren Technik
des Wegebaues unüberwindliche Schwierigkeiten entgegensetzten, während
bei den Thälem im Westen dies durchaus nicht der Fall ist. Hierin
liegt fQr die Art der Besiedelung ein zwingender Grund zu fundamen-
talem Gegensatz zwischen West und Ost. Dort die Hauptsiedelungen
in den Thälem, hier auf den Hochflächen.
Was die Anbauverhältnisse des südlichen Schwarzwaldes betrifit,
so finden wir in der Umgrenzung der „Statistischen Mitteilungen**, aber
mit Ausschluss des Bezirkes Neustadt, der zum grossen Teil der Region
des mittleren Gebirgsteiles angehört, 53 ^/o der Bodenfläche landwirt-
schaftlich benutzt und 42 ^/o bewaldet; die landwirtschaftliche Fläche
erreicht also beinahe die Ausdehnung des Landesdurchschnittes (55,8 ^/o),
während die Bewaldung das Landesmittel (36,7 ^/o) noch ansehnlich
übertrifft. Die Bewirtschaftung von Reutbergen ist gegenüber der-
jenigen im nördlichen und mittleren Gebirgsteile sehr gering vertreten,
nur noch etwa 1,2% des Bodens stehen unter dieser wenig erspriess-
lichen Art von Kultur. Dagegen ist die Ausdehnung unbenutzbaren
Bodens eine ziemlich bedeutende, besonders im Gebiete der Schutt- und
Trümmerhalden der Steinkohlenformation und der benachbarten steilen
Gneishänge im Quellgebiet der Wiese.
Die verhältnismässig grosse landwirtschaftliche Fläche findet sich
aber nicht gleichmässig durch das ganze Gebiet verteilt. Sie beherrscht
das Hügelgebiet der tertiären Kalke zwischen Lörrach und Staufen,
dann den Dinkelberg und die östliche Muschelkalkplatte im Amtsbezirk
Bonndorf.
Das höhere Gebirge, besonders in der Gneisregion, ist bis zur
oberen Baumgrenze reichlich mit Wald bedeckt, der an den steilen
Thalflanken im Südosten, auf dem Buntsandstein an der mittleren
Wiese und in der Granitzone ebenfalls eine grosse Verbreitung hat,
wenn auch die Waldkomplexe nicht mehr die Ausdehnung besitzen,
die wir im Norden des Gebirges gefunden haben.
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VIJ. i. 9
130 Ludwig Neumann, [130
Von der landwirtschaftlichen Fläche ist benutzt als:
Acker etwa 49 7o des Bodens; in Baden durchschnittlich 68 ^o
Wiese , 29 . , , , , 24
Rebland , 0,4 , , , » » 2,s
Gras- und Obstgarten »2,.^^, „ 1,0
Ständige Weide . . , 20 , » , « , 3,»
Das Ackerland, von dem durchschnittlich etwa 10 ^o in der Brache
liegen, tritt hinter den Landesdurchschnitt ganz wesentlich zurück; dem
gegenüber kann der südliche Schwarzwald als ein Land der Wiesen
und Weiden bezeichnet werden. Zumeist sind es die letzteren, welche
in den höheren Lagen neben dem Wald das landschaftliche Gepräge
des Gebietes beherrschen, und welche für die Art des Wirtschafts-
betriebes in erster Keihe massgebend sind. Im Bezirk St. Blasien
macht die Weide etwa 40, im Bezirke Schönau über 60 ^/o der land-
wirtschaftlichen Fläche aus. Zumeist findet sie sich an steilen Trümmer-
halden, an denen die dünne Humusschicht vom Wasser gar leicht
weggeschwemmt wird, nicht in sehr günstigen Verhältnissen. Da Rebe
und Obst nur am Gebirgsrande und in den geschützten Teilen der
tiefen Hauptthäler reiche Erträgnisse liefern, da der Ackerbau auf den
kleinen ihm zur Verfügung stehenden Flächen und auf den meist ge-
ringen Böden zur Ernährung der Bevölkerung bei weitem nicht aus-
reicht — es wird zumeist Spelz, Winterroggen und Winterweizen ge-
pflanzt, sodann Hafer und Kartoffeln — so ist die Hauptthätigkeit der
Landbevölkerung auf die Viehzucht gerichtet, und daraus erklärt sich
auch, dass ausser den üblichen Futterkräutern sehr viel Gras auf dem
Acker gepflanzt wird. An Handelsgewächsen ist nur weniges an Raps,
Hanf und Flachs zu erwähnen.
Hat nun auf den Höhen des mittleren Schwarzwaldes die Not
zum System der geschlossenen Hofgüter und zur Einführung einer
geradezu bewunderungswürdigen industriellen Thätigkeit geführt, die
ihren Ursprung durchaus als Hausindustrie genommen hat, so ist
in diesen beiden Beziehungen der Bewohner des südlichen Schwarz-
waldes andere Wege gegangen. Das Hofgüterrecht erstreckt sich von
der Umgebung des Feldbergs ab nicht mehr allgemein nach Süden,
besonders ist im Südosten, auf der zwischen Wehra und Alb gelegenen
Hochfläche der alten Grafschaft Hauenstein, auf dem sogenannten
„Hotzenwalde", die Güterparzellierung sehr weit gediehen; Hand in
Hand damit, und infolge jahrhundertelangen Haders mit den Grund-
herrschaften, zumeist mit der Abtei St. Blasien über die Benutzung der
Allmenden, hat sich die bei den Gerichten alter und neuer Zeit nur
allzu bekannte Prozesssucht der Hauensteiner entwickelt, die die Be-
völkerung immer mehr in wirtschaftlichen Zerfall brachte, aus dem sie
sich bis heute nicht ganz zu erholen vermocht hat.
Unten in den Thälern aber und am Fuss des Gebirges, da haben
sich die Verhältnisse günstiger gestaltet. Brachten früher die Erz-
gruben am Schauinsland, im Münsterthal, bei Sulzburg, Badenweiler
und im oberen Wiesenthal Erwerb und damit Zuzug an Bevölkerung,
so dass z. B. allein in Sulzburg ums Jahr 1540 über 500 Bergleute
ihren Wohnsitz hatten, so hat allerdings diese Thätigkeit seit den
131] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 131
60er Jahren unseres Jahrhunderts ihr Ende gefunden, da die Erträg-
nisse der zahlreichen Gruben nimmer lohnend genug waren. Auch die
Thoneisensteine und Bohnerzlager bei Kandern und seiner weiteren
Umgebung scheinen erschöpft und mit ihrem Betrieb wurde auch der-
jenige mehrerer grösserer Hütten- und Hammerwerke im südlichen
Schwarzwalde, die früher lebhafte Thätigkeit entfaltet hatten, eingestellt.
Dagegen aber fand seit 1770, in welchem Jahre Leodegar Thoma
sich als gewerbsmässiger Bürstenmacher etablierte, in der Umgebung
des Feldbergs, besonders in Todtnau und dessen Umgebung die Bürsten-
fabrikation Eingang und entwickelte sich langsam, durch mannigfache
Krisen aufgehalten, zu ihrer heutigen Bedeutung. 1882 zählte man im
Amte Schönau 1334 Personen, welche ihren Unterhalt in der teils als
Hausindustrie, teils fabrikmässig betriebenen Bürstenmacherei gewinnen
und dem Bezirke einen Gewinn von etwa 1,5 Millionen Mark zuführen.
Von dem Centralpunkte Todtnau aus hat übrigens dieser Industriezweig
auch anderwärts im Lande Eingang gefunden, so in Donaueschingen,
Freiburg, Offenburg, Mannheim, Heidelberg; im ganzen leben in Baden
3052 Personen von der Bürstenmacherei. Ganz uuverhältnismässig grösser
als die Wichtigkeit dieser eben genannten Industrie ist diejenige einer
anderen, welche im südlichen Schwarzwalde einen sehr grossen Bruch-
teil der Bevölkerung beschäftigt und ernährt, und welche vielen Teilen
dieses Gebietes zu bedeutendem Wohlstande verholfen hat. Wir meinen
die Textilindustrie.
Dieselbe ist aus der nahen Schweiz über den Rhein herüberge-
kommen und verdankt ihre Einbürgerung den reichlichen Wasserkräften
des Gebirges. Wenn sie auch an einigen andern Orten des Landes
Eingang gefunden hat, so ist doch ihr Hauptverbreitungsgebiet im
südlichen Schwarzwald gelegen, und vom Klettgau am Oberrhein herab
bis Basel, an der Mündung und längs der zahlreichen südlichen Wasser-
läufe, ebenso in den Westthälern des Gebirges finden wir sie vertreten;
ihr Mittelpunkt ist aber das Wiesenthal geworden, in welchem wir von
Todtnau bis zur Schweizer Grenze Fabrik an Fabrik finden. Von
23 700 in der Textilindustrie Badens Beschäftigten gehören den Kreisen
Lörrach und Waldshut allein drei Vierteile, nämlich 17 970 an.
Die Grossartigkeit dieser Industrie mag auch daraus erhellen,
dass, während in den zwei genannten Kreisen 55 ^/o ihrer Bewohner
sich landwirtschaftlich beschäftigen, 39 "/o derselben in gewerblichen
und Verkehrsberufen thätig sind, und dass davon wieder beinahe ein
Dritteil auf die Textilindustrie kommt. Rechnen wir zu diesen Zahlen
noch diejenigen der benachbarten Bezirke Freiburg, Waldkirch und
Emmendingen, so können wir sagen, dass das ganze Südwestdreieck
Badens, vom Kaiserstuhl über Basel bis ins Klettgau durch diese einzige
Industrie ein ganz spezifisches Gepräge ihrer wirtschaftlichen Gestaltung
bekommt, wie es sonst bei vorherrschend ländlicher Bevölkerung sich
nicht leicht wieder findet.
Im einzelnen finden wir Seidenfabriken, die zumeist der Herstel-
lung von Nähseide, Florettseide und Seidenbändern dienen, abgesehen
von Bräunlingen und Obereschach in der Baar und von einigen Orten
in den nördlichen Landesteilen, in Kleinlaufenburg, Säckingen, Nieder-
132 Ludwig Neumann, [132
hot, Tiefenstein, Thumringen, Zell im Wiesenthal, Wieden, im Münster-
thal, Freiburg, Waldkirch, Gutach, Prechthal u. a. 0. Wollfabrikation
wird betrieben in Lörrach, Wehr, Staufen.
Am wichtigsten ist weitaus die Baumwollspinnerei, -Weberei,
-Druckerei und -Färberei, und diese Industrieen haben ganz besonders
dem Wiesenthal und seiner Umgebung zur Weltberühmtheit verholfen.
Die badischen Fabriken, dieser Branche gehören zu den grössten
Deutschlands. Neben Ettlingen, Offenburg, Lahr und einigen anderen
Orten sind hier zu nennen die Fabriken in Waldkirch, Kollnau, Frei-
burg, in zahlreichen Orten des Wiesenthals, besonders in Lörrach, dann
in Wehr, Oef lingen. Brennet, Säckingen und am Rhein hinauf bis nach
Unterlauchringen und Hohenthengen im Klettgau, endlich im Albtbal
zu Tiefenstein und St. Blasien.
Dass diese grossartige Industrie in ganz ausserordentlicher Weise
volksverdichtend gewirkt hat, zeigt ein Blick auf unsere Karte; im
einzelnen wird hierauf noch zurückzukommen sein.
Kurz mag auch noch der Verkehrslage des südlichen Schwarz-
waldes gedacht werden. Wie im mittleren Schwarzwalde, so haben
wir auch hier eine Reihe uralter „Hochstrassen**, von denen nur die
eine erwähnt werden möge, die Yom Titisee im oberen Wutachgebiet,
das über den Turner, St. Märgen und St. Peter, oder über den Turner
und das Spirzenthal von Freiburg aus erreicht wurde, ehe der Pass
durchs Hölienthal erschlossen war, über die Hochfläche von Bonndorf
nach Stühlingen und weiter nach Schaffhausen führte. Wichtig war
auch die von Freiburg über die Halde nach Todtnau, St. Blasien und
Waldshut. Doch treten diese und andere Verkehrslinien im inneren
Gebirge an Wichtigkeit immerhin wesentlich zurück gegen jene am
Rande, nämlich längs des Rheines von Schaffhausen nach Basel und
von hier abwärts nach Norden.
Vom Becken des Schwäbischen Meeres führte von alters her eine
Hauptverkehrslinie auf dem schiffbaren Rhein bis Schaffhausen und
von hier nach Umgehung des Falles weiter bis Waldshut; von den
Alpenpässeu Graubündens führte eine andere internationale Hauptstrasse
des Mittelalters dem Rheine nach abwärts bis Sargans, dann ging es
über die niedere Wasserscheide zum Walensee, von wo an der bequeme
und billige Wasserweg durch Linth, Zürichersee, Limmat und Aare
bis Waldshut offen stand. Der Rhein selbst erschien den Handels-
leuten und Reisenden iener Zeiten auf der Strecke von Waldshut bis
Basel und von hier in der Ebene bis Breisach und Strassburg nicht
SO ungeeignet als Wasserstrasse, wie dies in der Gegenwart der Fall
ist. Das Schiffer- und Lotsengewerbe blühte kräftig, und ihm ver-
danken die Städte und Orte am Fluss grossenteils ihre Entstehung und
Bedeutung, und daneben mag auch der Lachsfang eine nicht unwesent-
liche Rolle gespielt haben, namentlich überall dort, wo Stromschnellen
und Engen ihn erleichterten, wie in Laufenburg. Nehmen wir dazu
noch den fruchtbaren Boden, der dem ganzen Oberrhein entlang inten-
sive Ackerkultur und ergiebigen Weinbau gestattet, so haben wir die
Hauptgründe kennen gelernt, welche am Südfusse des Schwarzwaldes
eine verhältnismässig dichte Bevölkerung angesammelt haben.
133] I^i^ Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 133
Die Betrachtung der Volksdichte in den einzelnen Gebieten und
Höhenstufen giebt nun, nachdem die Verhältnisse der Bewohner im
ganzen kurz skizziert worden, zu mehrfachen Einzelausführungen noch
mannigfachen Anlass. Zunächst drängt sich hier der Vergleich zwischen
der gesamten Bevölkerung im mittleren und im südlichen Schwarzwald
auf. Ist dort die Dichte nur 39 auf den qkm, so ist sie hier 75, also
fast das Doppelte. Dieser sehr bedeutende Unterschied lässt sich
offenbar leicht auf die im Vorstehenden zur Sprache gekommenen
Ursachen zurückführen; während im mittleren Schwarzwalde die ßeut-
bergekultur grössere Einwohnerzahlen gar nicht aufkommen lassen kann,
so wenig dies im nördlichen Schwarzwalde der Fall ist, wo wir nur
in den Thälern und an den Gebirgsrändern dichtgesäte und volkreiche
Niederlassungen finden, so dass schon über 400 m die Dichte auf
25 pro qkm herabsinkt, und während der mittlere Gebirgsteil durch
seine in der Hauptsache auch heute noch als Haasindustrie aufzu-
fassende Uhrenfabrikation und durch das in der Höhe geltende Hof-
güterrecht es eben gerade noch ermöglicht, dass der Ungunst von
Boden und Klinia einigermassen standgehalten wird, so fehlen diesem
Gebiete die wichtigeren, die europäischen Hauptstrassen des Handels
und Verkehrs, an welche der südliche Schwarzwald anzugrenzen auf
zwei Seiten, im Süden und Westen, in der glücklichen Lage ist. Dazu
kommt der Gang, den die industrielle Entwicklung genommen hat.
Den grossen Fabriken, welche ganze Thäler entlang gleich den Gliedern
einer Kette aneinander gereiht sind, und welche vielen Tausenden Arbeit
und Erwerb bringen, kann in der Wirkung auf die Volksdichte der
Einfluss der Hausindustrie nicht an die Seite gestellt werden. Endlich
hat der südliche Schwarzwald in seinen Ealkplateaus einige ganz aus-
gezeichnete Ackerbaugebiete, die auch nur in annähernder Ausdehnung
dem mittleren Gebirge fehlen. All das zusammen giebt dem Süden die
relativ viel grössere Bevölkerung, auf deren Verdichtung an der süd-
westlichen Ecke des Landes übrigens auch die Nähe der durch so
überaus glückliche Lage ausgezeichneten Industrie- und Handelsstadt
Basel mächtig einwirkt. Abgesehen von den Fabriken in Lörrach und
Umgebung wohnen sehr zahlreiche Arbeiter der Basler Industriebetriebe
im diesseitigen Gebiet, wie auf der andern Seite die Intensität der ge-
werblichen Thätigkeit auch über die Schweizer Grenze hinüber durch
die Nähe der grossen Stadt kräftig gefördert wird ^).
Beginnen wir mit dem Fuss des Gebirges im Südwesten, so haben
wir an dem schmalen Uferstreifen zwischen dem Rhein und dem in
steilen Jurakalkwänden aufsteigenden Gebirge von der Stelle ab, wo
die rechtsrheinische Ebene ihr oberes Ende erreicht, bis dorthin, wo
das Gebirge wieder mehr vom Fluss zurücktritt, also auf der Strecke
von Schliengen bis Efringen, eine Dichte von 138 pro qkm, die das
Landesmittel ganz wesentlich übertriflFt. Rebbau, Landwirtschaft,
Fischerei, vor Zeiten auch das Schiflferge werbe, dann die Lage an der
«
*) Vergleiche hierzu die höchst wertvollen Bearbeitungen der Volkszählung
des Kantons Basel-Stadt vom 1. Dezember 1888 von Prof. Dr. Karl Bücher, be-
sonders das Heft: Die Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt vom 1. Dezember 1888.
mit 8 Karten. Basel 1890.
134 Ludwig Neumann, [134-
TOn Sud nach Nord gericliteten Hauptstrasse vom nahen Basel nach
Mitteldeutschland haben hier die Siedelungen sehr dicht aneinander-
gereiht. In der kleinen Ebene von Eiringen bis Basel macht sich der
Gegensatz der Lage über dem gesicherten Hochufer des Stromes und
unter demselben im Gebiete der Ueberschwemmungen sehr geltend,
wie die Dicbtezahlen 1(30 und 96 deutlich zeigen.
Jenseits des TUllinger Beides im untersten Wiesenthal finden wir
die oft genannte Fabrikstadt Lörrach, deren steigende Bedeutung folgende
Zahlen veranschaulichen:
1864 1875 1885
Das benachbarte Dorf Stetten ist im Laufe der letzten Jahrzehnte
entsprechend gewachsen und zum Vororte von Lörrach geworden : ahn*
liebes gilt vom ganzen unteren Wiesenthal, so dass die unter 300 m
gelegene nächste Umgebung der Stadt mit 339 Einwohnern pro qkm
zu den dichtest bevölkerten Landesteilen gehört, die Stadt als solche
abgerechnet. Steigen wir eine Stufe höher (300^400 m), zeigt sich die
bedeutende Wirkung der Textilindustrie auch weiter im Wiesenthal auf-
wärts, wo die Dichte von 282 diejenige des in erster Reihe auf Reb-
bau und Landwirtschaft überhaupt angewiesenen Höhensaumes von
Freiburg bis Schliengen und des Hügellandes zwischen Schliengen und
Lörrach trotz der Güte des Bodens wesentlich öbertriSl. Auch in der
folgenden Stufe (400 — 500 m) hat das Wiesenthal mit seiner Umran-
dung noch eine im Vei^leich zum Landesmittel starke Volkszahl (170),
während in gleicher Höhe am Westabhang des Gebirges die Dichte
— ' — 'ist auf ein Drittel dieser Zahl (4(5) gesunken ist. Klarer könnte
ensatz zwischen industrieller und landwirtschaftlicher Bevölke-
r nicht zum Ausdruck kommen, wobei zu beachten ist, dass
^estabhang zu den klimatisch und nach Bodenbeschaffenheit
bsten Gebieten des Landes gehört.
shen wir vom Rheinknie nach Osten, so finden wir in den hohen
bleu ftlr das Rbeinthal in den Stufen HI und IV des Schwarz-
und des Elettgaues die unverkennbare Wirkung der oben schon
. gemachten Umstände, der milden Lage, des guten Bodens,
verbes, den Fischfang und Schiffahrt gewähren, der uralten
^Strassen und der eingebürgerten Industrie,
in Interesse erscheint der Dinkelberg. Sein nicht stark be-
r KalkrUcken ist in der Hauptsache Getreideland. Aber die
Igen haben die wasserarme Oberfläche des Plateaus ziemlich
ent vermieden und sich am Rande desselben festgesetzt. Wäh-
iO die Gemarkungen der Dinkelbergorte quer über die Höhe
n, liegen diese selbst fast alle am Fusse der Erhöhung, in der
ene von Basel bis Brennet und im Wiesenthal von Basel bis
eim. Die von SUd nach Nord aufeinanderfolgenden Dichtezahlen
', 23 stellen dies Verhältnis aufs beschaulichste dar.
1 Scbwarzwalde selbst nehmen nach oben zu die Dichtegrade von
}0 m im allgemeinen ab, doch zeigen sich zwischen den Grenzen
30 Einwohner pro qkm mannigfache Schwankungen, die zumeist
135] I^i^ Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 135
auf die grossere oder geringere Steilheit der Gehänge, darauf, ob eine
Stufe mehr als Plateau, oder mehr als Thal und Thalrand ausgebildet
ist, sich zurückführen lassen. Eines ist hier jedenfalls in hohem Grade
auffallend, nämlich der Umstand, dass die Thäler von der Wiese nach
Osten keine dichtere Bevölkerung mehr aufweisen als die Hochflächen.
Die Gründe dieses Zustandes sind schon wiederholt angedeutet worden,
und ein Blick auf die topographische Karte macht dieselben auch dem
nicht Landeskundigen ohne weiteres klar. Die Hochflächen weisen
Weidefluren, Wiesen, Ackerland und Dorfanlagen auf, die Thalschluchten
>:ind mit Ausnahmen einiger Säge- und Mahlmühlen ganz menschenleer
oder zeigen nur an vereinzelten kesseiförmigen Ausweitungen grössere
geschlossene Niederlassungen. Die Thalgehänge endlich werden von
wilden Felswänden gebildet oder sind, wo Bäume Wurzel fassen können,
mit Wald bestanden. Während die Dichte dieser ganzen Höhenzone
etwa 50 im Mittel beträgt, ist es auf den ersten Blick auffallend,
zwischen Steina und Wutach in der Höhenzone von 800 zu 900 m auf
einer Fläche von fast 50 qkm eine Volksdichte von 155 pro qkm zu
finden. Das Gebiet, um das es sich hier handelt, ist in der Hauptsache
ein einziges grosses Ackerfeld, wie es sich in der Umgebung von Bonn-
dorf weithin ausdehnt; nach Westen aber liegt in dieser Zone noch ein
Teil der industriellen Umgebung von Lenzkirch und Neustadt, also ein
Gebiet, das dem Typus des hohen mittleren Schwarzwaldes entspricht.
Diesem mittelhohen Teile des südlichen Schwarzwaldes möge hier
kurz das nahegelegene Wutachthal und das Klettgau* angereiht werden.
Diese Landesteile können nach ihrer Bodenbeschafl^enheit und Ober-
flächenform füglich nicht mehr dem Schwarzwalde zugezählt werden,
sind ihm aber im ganzen nahe verwandt; die tieferen Lagen nehmen,
wie schon erwähnt, noch lebhaften Anteil an den Industrieen des
Schwarz Waldes , im allgemeinen aber handelt es sich hier um Gebiete
vorwiegenden Körnerbaues auf jurassischen, tertiären und diluvialen
Boden. Die höheren Gebirgsteile sind ziemlich ansehnlich bewaldet,
und so nimmt die Volksdichte nach oben zu auch ganz regelmässig ab
von 111 auf 66, 18 und 2,4 Einwohner pro qkm, wobei das Terrain,
um das es sich handelt, nur von 300 bis wenig über 600 m aufsteigt.
Die mittlere Dichte im Klettg&u und Wutachthal entspricht ziemlich
genau derjenigen auf den fränkischen Stufenlandschaften, mit denen
sich gewisse Aehnlichkeiten in Bodenform und Bebauung auch unver-
kennbar zeigen. Die grössere Höhe des Klettgaues — im Mittel 445 m
gegen 300 in Franken — wird ausgeglichen durch das mildere Klima.
Gehen wir zum höchsten Teile des südlichen Schwarzwaldes über,
so haben wir über 900 m noch eine Dichte von 32 , über 1000 noch
eine solche von 20 Einwohnern pro qkm. Während bis' zu 1100 m
noch eine Anzahl von teilweise geschlossenen Orten angetroffen werden,
liegen über dieser Stufe nur noch einzelne Zinken und Höfe, und es
muss festgehalten werden, dass diese Höhenlage, wie dies in dem Ab-
schnitte über die klimatologischen Verhältnisse Badens ausgeführt wurde,
infolge der Temperaturumkehr wesentlich besser daran ist, als es auf
den ersten Blick den Anschein hat, besser jedenfalls als die tiefer
liegende Hochfläche der Baar.
136
Ludwig Neumann,
[136
'
Es dürfte hier von Interesse sein, die höchstgelegenen ständigen
Wohnorte im Schwarzwalde zusammenzustellen. Im mittleren Teile
des Gebirges liegen die Hauptteile der zerstreuten Gemeinden Schwärzen-
bach bei Neustadt und Breitnau im Norden des Höllenthales, ebenso
ein Teil von Waldau über 1000 m; zahlreiche zerstreute Einzelhöfe
in derselben Höhenlage können hier nicht namentlich aufgeführt werden.
Der höchste derselben ist der Kandelhof mit 1177 m; neuerdings ist
das Kandelhaus (Touristen Wirtschaft am Kandel) mit 1205 m das höchste
ständig bewohnte Gebäude im mittleren Schwarzwalde geworden.
Im südlichen Schwarzwalde liegt der geschlossene Ort Höchen-
schwand 1010 m hoch, und die Hauptkomplexe der mehr oder weniger
zerstreuten Gemeinden Faulenfirst, Fischbach, Blasiwald, Neuglashütten,
Bärenthal, Saig, Todtnauberg und Hofsgrund breiten sich alle zwischen
1000 und 1100 m aus. üeber letzterer Höhengrenze finden sich nur
noch vereinzelte Höfe; die Höhenlinie von 1200 m wird noch eben
überragt von den Rinkenhöfen am Nordabfall des Feldberges, und der
Gasthof am Feldberg (1276 m) ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert
das höchste, ständig bewohnte Haus des Schwarzwaldes überhaupt; es
verdankt allerdings seinen Ursprung wie jenes am Kandel nicht alt
überlieferten Siedelungsgründen , sondern dem noch sehr jungen Tou-
ristenwesen unsrer Tage.
Ein Blick auf die Zahlen der Tabelle XII zeigt, dass von 700 m
an aufwärts der südliche Schwarzwald dünner bevölkert ist, als der
mittlere ; dem ersteren fehlt in dieser Höhe, wie hier zum Ausdruck kommt,
fast durchgängig die Industrie, welche die Ungunst des Bodens auszu-
gleichen bemüht ist; dagegen haben wir unterhalb jener Höhengrenze
fast durchgängig den südlichen Gebirgsteil besser bevölkert als den
mittleren, eine Folge des besseren Bodenbaues (keine Reutfelder), der
Verkehrslage und der Grossindustrie in den Thälern. Die Art der
Siedelungen erhellt in ihren Hauptzügen aus den folgenden Zusammen-
stellungen.
Höhe
Anzahl der Gemeinden
1 Gemeinde
kommt auf
. . • qkm
unter 500
von 500
bis 1000
1000-2000
2000-6000
über 6000
Einwohner
unter 300 m
300-500 ,
500-700 .
über 700 ,
13
57
50
75
14
23
7
18
4
12
2
5
3
5
1
1
1
3,»
5,2
7.«
10,>
195
t)2
23
10
1
7.0
Es überwiegen also der Zahl nach ganz bedeutend die kleinen
Gemeinden, und zwar in allen Höhenstufen; dies zeigt sich auch daraus,
dass in den beiden Kreisen Lörrach und Waldshut, die ziemlich genau
dem Gebiet des südlichen Schwarzwaldes und des Klettgaues entsprechen,
in 263 Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern 65 ®/o , in den
^^t
1371 I^i^ Volksdichte im Groasherzogtum Baden. 137
.34 Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern aber 35 V der Be-
Tülkerung wohnen. Damit hängt auch, wie ein Vergleich mit den
Zuständen im mittleren Schwarzwalde zeigt, die durchschnittliche Klein-
heit der Areale zusammen, welche in allen Höhenstufen den einzelnen
Gemeinden zukommen.
Der oben betonte Gegensatz zwischen der Naturbeschaffenheit
westlich und östlich von der Wiese zeigt sich übrigens in den stati-
stischen Verhältnissen der Kreise Lörrach und Waldshut aufs deutlichste
ausgedrückt:
Der Kreis Lörrach hat 9 Stadt- und 120 Landgemeinden, 172
g<'schlossene und 261 offene Wohnorte, auf eine Gemeinde kommen im
Mittel 723, auf einen Wohnort 216 Einwohner. Im Kreise Waldshut
finden sich 6 Stadt- und 162 Landgemeinden, 225 geschlossene und
440 offene Wohnorte, auf eine Gemeinde kommen 466, auf einen Wohn-
ort 118 Einwohner. Im stark industriereichen Westen mit seinen
grösseren Thälem sind also die Gemeinden bedeutend grösser als auf
den Hochflächen des Ostens, wo die Industrie nur sozusagen am Rande
des Gebietes Fuss fassen konnte; die Zahl der zerstreuten Wohnorte ist
gegenüber dem mittleren Schwarzwalde wesentlich geringer, und zwar
im Westen noch mehr als im Osten, wo die Art der Siedelungen des
Klettgaues mit der des südöstlichen Schwarzwaldes im allgemeinen
übereinstimmt; insbesondere hat auch das Klettgau hervorragend kleine
Gemeinden, nämlich 26 mit unter 500 Einwohnern, 10 mit 500 — 1000,
1 mit 1000 — 2000 und 1 mit mehr als 2000 Einwohnern, von denen
18 unter 400, 18 zwischen 400 und 500, 2 über 500 m hoch liegen.
Werfen wir noch einen Blick auf Sprechers Volksdichtekarte für
das Jahr 1820, so treten auf ihr im Gebiete des mittleren und süd-
lichen Schwarzwaldes sowie des Klettgaues die Thäler der unteren Elz,
Dreisam, Wiese, sowie das des Oberrheines in dem Grade hervor, der
sie auch in jener Zeit schon gegenüber den umgebenden Landschaften
dichter bewohnt erscheinen liess. Dagegen sind allerdings die in ähnlicher
Weise wichtigen Thäler der Schiltach, Gutach, Wildgutach, der oberen
Elz und Wiese, der unteren Wehra nicht hervorgehoben, die Bevor-
zugung der höheren Lagen im Südosten des Feldbergs wird nicht an-
schaulich gemacht, wie überhaupt dem Gegensatz von Hochebene und
eigentlichem Gebirge, der in der Besiedelung so überaus wichtig ist,
nicht Rechnung getragen ist. Es war das eben für Sprecher ohne
Benutzung von Höhenkurven auch unmöglich, und so erscheinen die
Begrenzungskurven für seine einzelnen Dichtestufen auch hier wie
anderwärts etwas willkürlich.
Von Interesse mag es hier schliesslich noch erscheinen, mit einigen
Worten Burgkhardts Arbeit (s. Litt.) über die Volksdichte des Erzgebirges
zu gedenken, welche uns in den Stand setzt, den Schwarzwald mit
einem in analoger Weise untersuchten Gebirge zu vergleichen. Die
folgenden Zahlenzusammenstellungen mögen diesem Vergleiche dienen:
Fläche in qkm Einwohnerzahl Dichte auf 1 qkm
ßadischer Schwarzwald 5444 374129 69 (106 in Baden)
Erzgebirge (sächsische
und böhmische Seite) 6742 1332928 203 (212 im Kgr. Sachsen).
138
Ludwig Neumann,
[138
Während also die gesamte Volksdichte des badischen Schwarz-
waldes 65 ^/o von derjenigen des ganzen Orossherzogtums ausmacht, so
ist jene des Erzgebirges von der des Königreichs Sachsen kaum ver-
schieden , indem sie 96 ^/o derselben beträgt. Die Industrie hat hier
trotz ungünstiger Bodenverhältnisse und trotz des, mit dem Schwarzwald
verglichen, wesentlich rauheren Klimas eine Volksdichte hervorgerufen,
die zu den grössten in Europa vorkommenden gehört, die aber zu dem,
was der Boden an sich bieten kann, in gar keinem Verhältnis mehr
steht und darum, wie bekannt, grosse ökonomische Gefahren in sich
schliesst. Nach Höhenschichten angeordnet verteilen sich Areal und
Bevölkerung in Prozenten, sowie die Volksdichte in beiden Gebirgen
folgendermassen :
Badischer
Schwarz wald
Erzgebirge
Badischer
Schwarzwald
Erzgebirge
r"^ 1
^.^
^_a
^_«
^
ja
JS
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<
1.:^
unter 200 in
1,1
4,5
299
__
700-800 m
10,8
5,0
34
11,1
4,7 S3
200—300 ,
11,5
34,4
208
1,-
9,5
1171
800—900 ,
10,2
7,7
51
7,8
2,3 1 04
300-400 ,
14,5
21,9
104
15,0
• >8,5
480
900-1000 „
9,6
3,1
23
2,6
0,5 1 57
400—500 ,
13,4
10,8
55
24,7
21.1
169
1000—1100 r,
5,8
l.«
18
0,5
0,1
35
500-600 ,
11,2
5,3
32
19,0
12,9
135
1100—1200 ,
2.2
(0.0«)
l,t
0,1
(0)
000—700 ,
10,0
5,8
29
17,.
10,4
120
über 1200 ,
0,7
(0)
0.5
Nach den allgemeinen Verhältnissen des Erzgebirges ist seine
Volksdichte auf allen Höhenstufen grösser als im Schwarzwald, sie
unterscheidet sich aber von letzterer dadurch, dass sie von unten nach
oben ganz gleichmässig abnimmt, während im Schwarzwald zwischen
600 und 900 m in zwei Stufen die Dichte von unten nach oben zu-
nimmt, und zwar, wie die Tabelle XI zeigt und wie ausserdem aus
früheren Ausführungen deutlich hervorgeht, infolge des Ueberwiegens
des flächenhaft ausgedehnten mittleren und südlichen Schwarzwaldes
mit ihrem Bodenbau und ihren Industrieen gegenüber dem östlichen und
nördlichen Gebirgsteile und gegenüber der Hünersedelgruppe mit ihren
Reutbergen und Wäldern an steilen Gebirgshängen und mit ihrem
Mangel an Gewerbebetrieb in dieser Höhenlage.
Es möge hier nur an die ührenindustrie, an die Fabriken im
obersten Wiesenthal, in St. Blasien, in Neustadt und Lenzkirch, endlich
an die Ackerlandschaft in der Gegend von Bonndorf erinnert werden.
Unterscheiden wir in beiden Gebirgen den Fuss nebst den tiefen
Thalböden, die mittleren und oberen Gebirgsteile, so können im Schwarz-
wald die Höhenkurven von 300 und 700 m, im Erzgebirge bei der
höheren Basis, auf der es sich erhebt, jene von 400 und 700 m als
Grenzen dieser Zonen angenommen werden. Hiernach wohnen
239] Die Volkedichte im Grossherzogtum Baden. 139
am Gebirgsfuss des Schwarzwaldes auf 12,6^0 des Areals 48,9 ^/o der Einwohner
, Erzgebirges , 17,b „ „ , 48,o
in der Mittelhöhe , Schwarz waldes , 49,i „ , , 44,4
, , , , Erzgebirges „ 60,8 , , , 44,4
im oberen Teile , Schwarzwaldes „ 38,s „ « , 17,i
n *
1» P
Erzgebirges , 21,7 , , , 7,6
Es erscheint hiemach der Fuss und die Mittelstufe des Erzge-
birges dichter, der obere Teil des Gebirges relativ dünner besiedelt als
beim Schwarzwalde, was in der kammartigen Ausbildung des Erzge-
birges gegenüber der mehr plateauartigen des Schwarzwaldes sich ge-
nügend erklärt.
E. Die Baar.
Die Hochebene der Baar, welche sich im Osten an den mittleren
Schwarzwald anlehnt, ist gegen diesen annähernd durch die Höhenkurven
von 900 m abgegrenzt, ihre Südgrenze fällt zumeist mit dem Steilabsturz
gegen das tiefliegende Wutachthal zusammen, im Osten findet sie für
uns ihr Ende längs der württembergischen Grenze; im Südosten endlich
wurde längs der Donau der Nordabfall des Jura als Grenzlinie benutzt,
doch liess es sich nicht gut vermeiden, im Norden des Flusses an der
Linie Neudingen-Möhringen ein kleines Gebiet jurassischer Höhen mit
in die Umgrenzung einzuschliessen ; bei der Gleichartigkeit der Boden-
bebauung und Siedelungsart thut dies aber unsern Schlüssen über die
Zustände der Baar keinen Eintrag. So umgrenzt besteht nun die Baar
aus einem Buntsandsteinstreifen im Westen, der langsam zu den Höhen
des Schwarzwaldes ansteigt und stark bewaldet ist, aus den sumpfigen
Niederungen an der Donau von Aufen bis Neudingen, dem sogenannten
«Donauried, " und endlich aus einer fast vollständig zusammenhängenden,
ebenen oder nur wellenförmig gegliederten Ackerfläche auf Muschelkalk-
und Juraböden. Dieses Ackerland ist das Charakteristikum der Baar,
ihm verdankt die Landschaft ihre Bedeutung als Fruchtkammer für die
Gebiete der Nachbarschaft, insbesondere für die östlichen Teile des
höheren Schwarzwaldes.
Die Höhenlage dieser Landschaft ist eine sehr beträchtliche; der
tiefste Punkt derselben, die Donau bei Möhringen, liegt 655 m über
dem Meer, der höchste aber, der Himmelberg in der Jurazone nördlich
von Geisingen, steigt zu 943 m auf; als Mittelhöhe der Baar ergiebt
sich die Zahl 770 m. Die beiden Amtsbezirke Donaueschingen und
ViUingen entsprechen in ihrem Umfange beinahe ganz dem in Rede
stehenden Gebiet; nur greifen sie beide im Westen noch etwas in den
mittleren Schwarzwald hinüber, während auf der andern Seite der
Bezirk Engen mit kleineren Gebietsteilen hierher gehört. Jedenfalls
lassen sich die in den Bezirken Donaueschingen und Villingen er-
mittelten statistischen Werte als mathematischer Ausdruck für die
Zustände der Baar betrachten.
Danach finden wir als landwirtschaftliche Anbaufläche 58,2 ^;o
des Bodens, d. h. nur wenig mehr als dem Landesmittel entspricht,
während die Region der Reutberge (3,3 "/o) und des Waldes (36,5 ^/o)
140 Ludwig Neumann, ["140
fast bis auf die Decimale herab dem Landesdurchschnitt entspricht.
Beachten wir aber, dass der Wald und das kleine Reutberggebiet fast
f^anz ausschliesslich der Buntsandsteinzone und dem Nordabhange des
Randen angehört, so erkennt man hieraus ohne weiteres, dass die
Hauptfläche des Landesteiles, vor allem das ganze Muschelkalkgebiet^
in landwirtschaftlicher Benutzung steht. Li der That ist beim Durch-
wandern der Landschaft der Gegensatz des roten Waldbodens in der
Buntsandsteinregion und des helleren Kalkbodens der Ackergelände
östlich davon so scharf, dass er sofort auch dem ungeübtesten Auge
auffallen muss.
Von der landwirtschafthchen Fläche bedecken nun
Ackerland rund 66 7o (in Baden 67,s%)
Wiesen , 28 , „ , 23,8 ,
Gras- und Obstgärten . . etwas über 1 , , „ 1,9 „
Ständige Weiden .... , „ 5 , , , 3,9 ,
Wir haben, wie diese Zahlen darthun, fast in aUen Verhältnissen
genau die Zustände des Landesmittels, insbesondere ist aus dem Zurück-
treten der Weideflächen gegenüber dem Schwarzwalde und aus dem fast
normalen Verhältnis von Wiese zu Ackerland (1:3) auf ein wertvolles
Gleichgewicht zwischen Ackerbau und Viehhaltung zu schliessen. Ge-
pflanzt werden besonders Halmfrüchte, darunter zumeist Spelz, Sommer-
gerste und Hafer, und hinter diesen tritt die Eartoffelpflanzung sehr
zurück. Handelsgewächse kommen fast gar keine zur Anpflanzung.
Nach der Berufsstatistik sind 52 ^/o der Bewohner landwirtschaftlich,
und 31 ^/o im Gewerbebetrieb thätig; letztere Zahl enthält aber zum
grossen Teil noch Arbeitskräfte der häuslichen und fabrikmässigen
Uhrenindustrie in demjenigen Teile der beiden Amtsbezirke, welche im
Schwarzwalde liegen. Allerdings greift diese Industrie mit ihren Hilfs-
gewerben auch in die Baar herüber, so dass z. B. Villingen ein wichtiger
Punkt derselben ist ; aber jedenfalls würde das Ausscheiden der Schwarz-
waldgemeinden unsrer zwei Amtsbezirke das Zahlenverhältnis der in
der Landwirtschaft beschäftigten Einwohner zu den Gewerbetreibenden
ziemlich beträchtlich zu gunsten der ersteren verschieben. Allerdings
haben die Wasserkräfte der jungen Donau und ihrer Nebenflüsse da
und dort Fabrikanlagen verschiedener Art hervorgerufen, die zum Teil
früher schon genannt wurden; aber trotzdem ist die Bevölkerung der
Baar fast ganz als ackerbautreibende zu bezeichnen. An diesem Zustande
ändert auch die seit 1822 eröffnete Saline Dürrheim mit 195 Arbeits-
kräften nichts Wesentliches.
Die mittlere Volksdichte der Baar beträgt 68, oder nach Abrech-
nung der Stadt Villingen rund 60 Einwohner pro qkm, während in der
gleichen Höhenlage des Schwarzwaldes, nämlich zwischen 600 und 900 m,
nur 41 Einwohner auf dem qkm zu zählen sind. Die Baar ist also in
Rücksicht auf ihre Höhenlage und ihr überaus rauhes Elima recht stark
bevölkert, was noch um so deutlicher hervortritt, wenn man sie mit
dem Odenwald vergleicht, wo das ganze Gebirge nur 55 Einwohner
pro qkm besitzt, obschon sein Gipfelpunkt niederer liegt als der tiefste
Punkt der Baar. Im einzelnen ist die Niederung der Donau xmier
1411 Die Volkadichte im Grossherzogtum Baden. 141
700 m am stärksten bevölkert (122), insbesondere auch stärker als die
Abdachung zum Neckar (72). Es rührt dies offenbar von der Neigung
der früheren Ansiedler zu städtischem Wesen her, der wir die Anlage
der Städte Möhringen, Geisingen, Donau eschingen, Hüfingen und
Bräunungen an der alten Donaustrasse verdanken. Die Hauptstadt der
Baar ist aber zu allen Zeiten Yillingen gewesen, das jetzt auf 6140
Einwohner angewachsen ist. Dagegen hatte die Stadt 1812 bereits
3316, 1852 8970, 1864 4473 und 1875 5585 Einwohner, sie ist also
mit den andern grösseren Städten des Landes z. 6. auch mit dem jetzt
stärker bevölkerten Lörrach verglichen in der ersten Hälfte des Jahr-
hunderts wesentlich langsamer gewachsen, wie sich dies aus der geringeren
Steigerung des industriellen Lebens naturgemäss erklärt; erst die neueste
Zeit, besonders seit Eröffnung der Eisenbahn hat hier eine sichtbare
Aenderung gebracht.
In der näheren Umgebung der Stadt Villingen ist die Volksdichte
eine auf den ersten Blick verblüffend geringe, so dass auch bei der
kartographischen Darstellung darauf verzichtet werden musste, ein be-
stimmt begrenztes Gebiet als Umgebung der Stadt in der Weise zur
Darstellung zu bringen, wie dies bei allen anderen Städten des Landes
mit mehr als 6000 Einwohnern geschehen ist unter Gesichtspunkten,
die oben (S. 68) weiter ausgeführt wurden. Es scheint demnach, als ob
die Stadt zu keiner Zeit einen intimeren Wechsel verkehr mit der nächsten
Umgebung gepflogen, als ob sie vielmehr alle Kräfte derselben in ihre
Mauern gewissermassen aufgesogen habe. In Wirklichkeit liegt
aber die Sache so, dass Villingen schon bei seinen ersten Anlagen im
neunten Jahrhundert, beziehungsweise bei seiner Erhebung zur Stadt im
zwölften Jahrhundert eine ausserordentlich grosse Gemarkung besass, so
dass in den Wäldern und auf den frühe urbar gemachten landwirtschaft-
lichen Ländereien der Stadt weitere Ansiedelungen unmöglich waren,
mit Ausnahme einzelner der Stadt gehöriger, zur Bewirtschaftung der
Grundstücke nötiger Höfe und Forsthäuser. Dieser Zustand besteht bis
beute. Jetzt noch wohnen von den Angehörigen der Stadtgemeinde in
ihr als Wohnort 5827 und nahe vor der alten Stadtmauer etwa 150
Einwohner, so dass die Volkszahl der Stadt im engeren Sinn auf rund
6000 angegeben werden kann. In zur Stadt gehörigen Höfen, Zinken,
Mühlen u. s. w. finden sich, zum Teil mehrere Wegstunden entfernt,
noch weitere 140 Seelen, so dass die Gemeindebevölkerung im ganzen
6140 beträgt. Wäre die Stadtgeniarkung kleiner, so ist keinen Augen-
blick zu zweifeln, dass in der Nachbarschaft der alten Handels-
metropole, die das ganze Mittelalter hindurch an Bedeutung mit Freiburg
wetteiferte, sich mehrfach kleinere und grössere Landorte ausgebildet
und sich als Umgebung der Stadt zu ahnsehnlicher Volkszahl ver-
dichtet hätten.
Diese Verhältnisse von Villingen führen dazu, hier eine kurze
Abschweifung allgemeiner Art einzuschalten, deren Wichtigkeit dem
aufmerksamen Beobachter auf Schritt und Tritt bei seinen Streifzügen
durchs Land ins Auge fällt. Boden, Höhenlage, Klima, Verkehrslage
und Industrie sind es nicht allein, welche entscheidend auf die Volks-
dichte einwirken ; vielmehr ist das rein geschichtliche Element der Art
142 Ludwig Neumann, [142
und Weise, wie die erste Besitzergreifung vor sich ging, hierbei ein
ausschlaggebender Faktor. Diesem Element aber in Tausenden von
Einzelfällen nachzuspüren, ist ein Ding der Unmöglichkeit, und so
niusste darauf verzichtet werden, in allen Gebieten, die hier zur Sprache
kamen, und deren natürliche Zustände, sowie deren Einflüsse auf die
Siedelung und Yolksdichte zu untersuchen und gegeneinander abzu-
wägen Aufgabe dieser Arbeit ist, auch diese geschichtlichen Gesichts-
punkte ins Auge zu fassen. Sie sind aber überaus wichtig, weil es
von ihnen in allererster Reihe abhängig ist, ob eine Siedelung mit
grosser oder mit kleiner Gemarkung ausgestattet ist, welcher Bruchteil
der Gemarkung AUmend geblieben und wie die Allmend dem allge-
meinen Nutzen zugänglich gemacht worden ist, oder ob der Hauptteil
des gemeinsamen Bodens einer Gemeinde früh in den Besitz der Einzelnen
überging, wie das Verhältnis von Wald, Ackerland, Wiese und Weide
bei der Allmend und beim Einzelbesitz sich gestaltet hat.
Wir haben äusserlich recht unansehnlich dareinsehende, kleine
und mittelgrosse Orte, in welchen der Besitz an Gemeindewald so gross
ist, dass er nicht nur alle Gemeindebedürfnisse deckt, wodurch die Ein-
wohner frei von jeder Gemeindeauslage bleiben; es giebt auch solche,
welche „Bürgemutzen* meist in Form von Holz, gewähren, endlich
solche, wo Nutzholz und Allmend zur Verfügung stehen und ausserdem
noch Betriebsüberschüsse in bar zur Verteilung kommen. In un-
mittelbarer Nähe solcher wohl geordneter Gemeinden liegen dann oft-
mals solche, die gar keinen oder fast keinen Wald besitzen, deren
Allmende eng beschnitten ist, während der Staat oder eine Grundherr-
schaft oder eine Stiftung — der sogenannte , Heilige" — weite Flächen
Waldes und Feldes besitzt. Da gestalten sich dann die ökonomischen
Verhältnisse überaus verschieden, mit ihnen sind auch dem Volkszuwachs
gewisse Grenzen gesetzt, indem das materielle Gleichgewicht aufrecht
zu erhalten gesucht wird durch Auswanderung in andre Gemeinden
und Landesteile, oder über den Ozean.
Es sollte an dieser Stelle niu: kurz auf diese Verhältnisse hinge-
wiesen werden. Sie eingehend zu untersuchen, ist Aufgabe der Volks-
wirtschaftslehre, nicht der Erdkunde; sie erschöpfend für ein Land,
auch wenn es nur die Ausdehnung Badens hat, darzustellen, übersteigt
aber die Arbeitskraft eines einzelnen, da schon die Beschaffuujg des
Urmaterials fast ein Ding der Unmöglichkeit ist. Darum hat auch die
vor wenig Jahren von der badischen Regierung aufgestellte Enquete
über die Lage der Landwirtschaft mit Recht ihre Thätigkeit damit als
erfüllt angesehen, dass sie aus allen Landesgegenden und aus allen
Arten von Produktionsgebieten typische Gemeinden herausgriff und
deren Zustände zur Grundlage ihrer allgemeinen Ausführungen festhielt.
Kehren wir zur Baar zurück, so ist die Volksdichte derselben
über 700 m 45 pro qkm, dieselbe sinkt in der nächsten Stufe unmerklich,
nämlich nur auf 42, während die räumlich nur wenig ausgedehnten
Höhen über 900 m unbewohnt sind. Die 700 m- Kurve scheidet die
stärker und schwächer bewohnten Gebiete; unterhalb ist die Dichte im
Mittel 112, oberhalb — Villingen nicht gerechnet — 43 pro qkm.
1431 I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden.
Die Siedelungen yerteilen sich in folgender Weise:
143
Höhe
Anzahl der Gemeinden
a
"TS
o
B
O
1 Ge-
meinde
auf . . . qkm
über 500
500-1000 1000-2000 2000-6000
über 6000
Einw.
600—700 m
700—800 ,
über 800 .
13
19
ß
G
13
4
4
1
1
1
1
1
24
34
12
7,2
14,6
16.«
a«
23
6
2
1
70
10,4
In den beiden Bezirken Donaueschingen und Villingen liegen 7
Stadt- und 67 Land-, zusammen 74 Gemeinden, von denen jede im
Mittel 050 Einwohner hat. Sie zerfallen in 440 Wohnorte, darunter
138 geschlossene und 372 zerstreute; auf einen Wohnort kommen im
Mittel 115 Einwohner; eine Gemeinde hat durchschnittlich 6 Wohnorte,
wobei aber zu beachten, dass dies Verhältnis durch einige Schwarzwald-
gemeinden des Bezirkes Villingen im Sinne der zerstreut wohnenden
Schwarzwaldbevölkerung gestört erscheint. In der Baar an und für
sich ist die Zahl der zerstreuten Wohnorte wesentlich kleiner. In
88 *^,o der Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern leben 61 ^/o der
Bevölkerung, in 12 % der Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern
dagegen 39 °/o der Bevölkerung. Die kleinen Gemeinden überwiegen
also nach Zahl und Einfluss auf die Gesamtvolkszahl, die — nebenbei
bemerkt — bei Sprecher für das Jahr 1820 im allgemeinen etwas zu
gross angenommen scheint.
F. Die weitere Umgebung des Bodensees.
Jura, Hegau und Bodanrücken, Linzgau und Ab 1 achgebiet.
Die drei südöstlichen Landschaften des Grossherzogtums Baden,
nämlich der Anteil des Landes am Jura, das Hegau mit der Bodensee-
halbinsel zwischen dem Ueberlinger- und Untersee, endlich das Linzgau
im Norden des schwäbischen Meeres zeigen in ihren natürlichen Ver-
hältnissen, in Höhenlage, Bodenbeschaffenheit, Klima, Bodenbau und
Besiedelung so viele übereinstimmende Verhältnisse, dass es angezeigt
ist, im Interesse der Vermeidung mannigfacher Wiederholungen dieselben
gemeinschaftlich zu besprechen, wobei selbsverstdndlich so oft als nötig
auf alle Besonderheiten Rücksicht genommen werden soll.
Der badische Jura, das Bindeglied zwischen dem Schweizer und
schwäbischen Jura im engeren Sinne zieht als ziemlich schroff aus-
gebildeter Rücken von der Grenze gegen den Kanton Schaffhausen nach
Nordosten, steigt von Süden, d. h. vom Hegau und von den östlich an
dasselbe anstossenden Hochebenen längs der Höhenkurve von 700 m
treppenförmig zu einem im Mittel 780 m hohen, Avenig gegliederten,
ziemlich breiten und fast ebenen Höhenrücken an, wird dann in diagonaler
144 Ludwig Neumann, [144
Richtung von der nach Ostnordost fliessenden Donau durchschnitten und
erreicht erst jenseits dieses Flusses seine höchsten Erhebungen. Von
Neudingen bis unterhalb Tuttlingen, solange die Donau der Baar an-
gehört, ist das Durchbruchsthal noch einigermassen breit und zur Auf-
nahme grösserer Ortschaften geeignet, daher auch dort längs der
Thalstrasse zahlreiche Siedelungen, worunter auf badischem wie auf
dem benachbarten württembergischen Gebiet eine grössere Anzahl von
Städtchen. Etwa in der Gegend von Mühlheim beginnt das Thal sich
zu verengen und von hier ab hat sich der Fluss eine vielfach gewun-
dene Felsschlucht durch das Gebirge geschaffen, die an malerisch zer-
klüfteten Steilwänden des weissen Juragesteines überaus reich ist.
Auf dieser Strecke wechseln badische, württembergische und
hohenzollerische Gebietsteile in rascher Folge aufeinander; wenig östlich
von Sigmaringen ist der Gebirgsdurchbruch vollendet, und die Donau
strömt nun hinaus in die schwäbische Hochebene. Bisher vom grossen
Verkehr etwas abgelegen, wird das ^^Donauthal*^ durch die nunmehr
vollendete Kriegsbahn Tuttlingen - Sigmaringen auch dem Touristen
leicht zugänglich werden und dann gewiss in den weiten Kreisen der
Naturfreunde die Beachtung finden, welche seine landschaftlichen Schön-
heiten schon lange verdient hätten.
Im Bezirksamt Messkirch greift das Grossherzogtum Baden weit
über die Donau nach Norden hinüber auf den sogenannten „Heuberg".
Dieser, wie überhaupt die ganze Kalkhochfläche unseres Gebirges,
zeichnet sich infolge der bekannten Neigung des weissen Jura zur
Spalten- und Rissebildung, also infolge der enormen Durchlässigkeit
des Gesteins, durch grossen Wassermangel aus, der für die kleinen
hochgelegenen Orte oftmals sich zu einer schweren Kalamität gestaltete.
Erst in den letzten Jahren haben die badische und die württembergische
Regierung gemeinschaftlich den Heuberggemeinden durch grossartige
Pumpanlagen Wasser aus der Tiefe herauf zugeführt. Wegen der
Trockenheit des Bodens finden sich auf den Jurahöhen auch verhältnis-
mässig viele Weideflächen, die der Ausgangspunkt für die gerade im
Bezirke Messkirch mustergültig entwickelte Viehzucht geworden. Zahlen-
massig lassen sich die Zustände unseres Gebirges nicht ausdrücken, da
es von den Gebieten der politischen Bezirke Donaueschingen, Engen,
Stockach und Messkirch kleinere und grössere Teile umfasst, aber in
der Weise, dass keiner der genannten Bezirke mit seinen Ergebnissen
der Statistik als typisch für den Jura gelten könnte.
Der Wald hält die Abfälle des Gebirges, insbesondere an den
Rändern des Donauthales, besetzt, er ist im allgemeinen nicht sehr
ausgedehnt und bildet nur in vereinzelten Fällen etwas grössere
Komplexe. Dagegen überwiegt das Ackerland, und längs vereinzelter
schwacher Wasserläufe ist auch die Wiesenkultur zu einiger Bedeutung
gelangt.
Wie in allen Gebieten auf der Oberfläche des weissen Jura ist
aber wegen der Härte des Bodens und wegen des Wassermangels das
Erträgnis der Landwirtschaft kein allzugrosses, und so erscheint gleich
allen ähnlich beschaffenen Landschaften auch der badische Jura sehr
dünn bevölkert; er ist der am schwächsten besiedelte Teil
145] 1^16 Volksdichte im Grossherzojftum Baden. 145
des ganzen Grossherzogtums Baden bei einer Mitteldichte von
nur 38 Einwohnern auf das qkm, was etwa ein Drittel des Landes-
mittels (38%) ausmacht. Im einzelnen zeigen sich nach der Höhenlage
gewisse Unterschiede , die sich sehr leicht erklären. Das Donauthal,
welches badisches Gebiet westlich von Sigmaringen in der Höhe von
()12 — 584 m durchschneidet, macht in den Höhenstufen von 500 bis
700 m eine so kleine Fläche aus, dass die Dichte von 60 bezw. 48,
im Mittel aber 44, nur deshalb etwas grösser als im Gesamtdurchschnitt
erscheint, weil eben alle kleinen Erweiterungen des Thaies mit Dorf-
anlagen besiedelt sind. Die nächste Höhenstufe von 700 — 800 m da-
gegen entspricht den bewaldeten Steilabfällen zum Thal, daher hier die
geringste Dichte von 24 Einwohnern pro qkm. Dieselbe Höhenzone
hat im Westen, zwischen dem Randen und der hohenzoUerischen Grenze,
nördlich von Stockach, bei mehr flächenhafter Ausbildung auf grosse Aus-
dehnung die gleichmässig verteilte Dichte von 44 Einwohnern auf
das qkm, welche in der nächsten Höhenstufe auf 37 herabsinkt. Dass
die höchste Stufe, diejenige über 900 m, mit der grössten Dichte (62)
erscheint, ist zufällige Folge davon, dass die Heuberggemeinde Hardheim
zum grössten Teile gerade noch über der Höhenkurve von 900 m
gelegen ist. Nimmt man aber das ganze kleine Gebiet über dieser
Höhenkurve, das an einer Stelle bis zu 946 m, dem höchsten Punkte
des badischen Jura aufsteigt, zur vorhergehenden Stufe, so erhält man
als Mitteldichte oberhalb 800 m die Zahl 37. Somit werden die Dichte-
Terhältnisse des Jura durch die folgende Zusammenstellung besser an-
schaulich gemacht als durch die Tabelle IX:
Donaathal unter 700 m Dichte 44 pro qkm
Gehänge des Donauthales 700—800 m „ 24 ,
Höhenzone vom Randen bis zur hohenz. Grenze 700 — 800 m , 44 „ ^
Höhengebiet Ober 800 m „ 37
71 1»
Die Wohnorte sind auf die Höhenstufen ziemlich gleichartig ver-
teilt; im ganzen haben 18 Gemeinden weniger als 500, 10 haben 500
bis 1000 Einwohner und nur eine einzige übersteigt die letztere Zahl.
Neben diesen kleinen geschlossenen Orten finden sich auch mehr oder
weniger zerstreute Einzelhöfe, die überhaupt in der Umgebung des
Bodensees wesentlich häufiger sind als im nördlichen Hügellande.
Südöstlich vom Jurazug gelangen wir in das Gebiet der ober-
schwäbischen Hochebene, in welcher die jurassischen Ablagerungen
unter einer mächtigen Decke tertiärer und diluvialer Bildungen ver-
schwinden. Molassesandstein, Kalke, Mergel, Konglomerate, endlich
die ausgebreitete Grundmoräne des alten Rheingletschers setzen die
Oberfläche des Bodens zusammen und bilden fast überall einen ausge-
zeichneten Ackergrund. Nur die oft sumpfigen Niederungen, die Riede
an mehreren der langsam hinschleichenden Wasserläufe und an den
Mündungsstellen derselben in den Bodensee, ein Gebiet, das sich auch
auf Karten kleinerer Massstäbe durch viele Wassertümpel, Weiher und
kleine Seeen kenntlich macht, unterbrechen die beinahe das ganze Gebiet
bedeckenden Ackergelände, zwischen denen den Waldungen kein allzu-
grosser Raum übrig geblieben ist. Im eigentlichen Hegau wird die
Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VIT. l. 10
146 Ludwig Neumann, [146
vom Bodensee nach Norden ansteigende, im Mittel 505 m hohe, wellige
Hochebene von den in zwei Reihen angeordneten kegelförmigen Vulkan-
bergen überragt, welche aie ganze Umgegend geologisch wie landschaft-
lich so berühmt gemacht haben. Der westliche Zug mit dem Neu-
höwen, Hohenhöwen, Hohenstoffeln und üöweneck ist aus Basalt
gebildet; in ihm erreicht der schon in der Juraerhebung gelegene
Neuhöwen 869 m; er ist der höchste d^r Vulkanberge, während im
Hegau nach unserer Begrenzung der Hohenhöwen mit 848 m den
höchsten Punkt erreicht. In der östlichen Reihe, deren Bergkegel aus
Phonolith bestehen, liegen der Mägdeberg, der Hohenkrähen und der
berühmteste von aUen, der Hohentwiel. Die Umgebung dieser insel-
artig in den Luftozean aufragenden Felsberge ist mit Tuffen überlagert,
welche auch in den Zwischenräumen von einem zum anderen ein
fruchtbares Erdreich bilden. Zwischen den Armen des Untersees stellt
der Schienerberg eine isolierte Erhebung dar, und eine ebensolche
finden wir in der Bodanhalbinsel zwischen dem Unter- und Ueberlingersee.
Besonders die letztere ist reich an Ried-, Sumpf- und Seebildungen,
wie sie für Moränelandschaften überall charakteristisch sind.
Nördlich vom Bodensee breitet sich das Linzgau aus, dessen
Bodenformen sich mehrfach von denen des Hegaues unterscheiden; zu-
nächst fehlen hier die Vulkanberge, und sodann steigt die Hochebene
rascher und schroffer nach Norden an, so dass die höheren Stufen
flächenhaft ausgedehnter erscheinen als im Hegau. Die Mittelhöhe der
Landschaft zwischen dem Bodensee und der württembergisch-hohen-
zoUerischen Grenze ist darum auch fast um 100 m beträchtlicher als
im westlichen Nachbargebiet, sie beträgt 595 m. Der höchste Punkt
liegt bei Oberglashütten und erreicht 838 m.
Sehen wir die natürlichen Verhältnisse etwas genauer an, so finden
wir im Hegau, welcher Name hier stets als Kollektivbezeichnung für
das Hegau im engeren Sinne, für die Landschaft um den Schienerbei^
und für die Bodanhalbinsel östlich bis zum Meridian von Ludwigshafen
am Ueberlinger See und nördlich bis zur Höhenkurve von 600 m bezw.
bis zum Fuss des Jura gebraucht werden soll, (32 ^^o des Bodens land-
wirtschaftlich benutzt und 32 ^ bewaldet, während etwa G " o unproduk-
tiven Landes, nebst den Haus-, Hof- und Weganlagen besonders Wasser
und Sumpf, gezählt werden. Bewaldet ist sehr stark der Bodanrücken
und der Schienerberg, ausserdem zeigen die schlechteren Böden im
eigentlichen Hegau, seien es feuchte Niederungen oder steinige Berg-
höhen, ziemlich stark parzelliert nicht unerhebliche Beholzung. Doch
bleibt ihre Ausdehnung im ganzen hinter dem Landesmittel zurück.
Von der landwirtschaftlichen Fläche sind 71 ^'o als Ackerland,
24 V als Wiesen, 1,7 ^ als Rebland, etwas über 9S als Gras- und
Obstgarten, endlich 1 ^;o als ständige Weide benutzt. Von den Wiesen
fällt wieder der grösste Teil in die Niederungen am See, so dass ab-
gesehen von dem sehr wertvollen Rebgelände an allen Uferhalden und
von den dazwischen eingestreuten Obstgärten weitaus der Hauptteil der
Ländereien Ackerland ist, und zwar werden zumeist nur Halmfrüchte
gepflanzt, nämlich Spelz, Winterweizen, Winterroggen, Sommergerste,
Hafer, ausserdem auch Kartoffeln und an Handelsgewächsen etwas
1471 I^iö Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 147
Raps. Ausser dem schmalen Landstreifen dem Seeufer entlang, an
welchem Fischfang, Schiffahrt und Handelsgewerbe blühen, ist das
ganze Hegau als ein Gebiet ackerbautreibender Bevölkerung zu betrachten.
Neben den 52 ^o der Bewohner , welche in den Bezirken Konstanz,
Stockach und Engen landwirtschaftlich thätig sind , treten die 26 ^/o
industrieller Bevölkerung wesentlich zurück, obschon auch hier, be-
sonders in dem Bezirke Konstanz, die Textilindustrie viel Boden ge-
wonnen hat, wenn auch lange nicht so wie im Wiesenthaie; daneben
verdienen Ziegeleien, Steinbrechereien, auch Mahlmühlen noch einige
Erwähnung. Dass etwa 10 ^/o der Bewohner ihre Beschäftigung und
ihren Lebensunterhalt im Handel und Verkehr finden, ist wesentlich
auf die Bedeutung der Stadt Konstanz und auf den Schiffahrts- und
Speditionsverkehr der anderen Seeorte zurückzuführen.
Im Linzgau, dessen Gebiet beinahe vollständig mit dem der zwei
Ämtsbezirke Ueberlingen und PfuUendorf zusammenfällt, ist die land-
wirtschaftliche Fläche noch grösser als im Hegau, sie nimmt nämlich
71 ^/o der Bodenfläche ein, wogegen der Wald mit nur 24 ^|o des Areals
beteiligt ist. Von der landwirtschaftlichen Fläche fallen wieder 71 ^/o
aufs Ackerland, 24 ^/o auf die Wiesen, 1,6 ^/o auf das Rebland, 3^/o
auf Gras- und Obstgarten; Rebbau und Obstzucht bilden am nördlichen,
klimatisch so begünstigten Seeufer eine bedeutende Einnahmsquelle.
Der Durchschnittswert der Weinernte beträgt rings um den Bodensee
nach dem Durchschnitt von 18G5 — 1888 etwa 209 000 Mark im Jahr.
Franken, Kraichgau, Baar, Hegau und Linzgau sind die ersten Getreide-
landschaften Badens, und wie in den vorgenannten Landesteilen, so ist
auch im letzten von ihnen die landwirtschaftliche Bevölkerung weitaus
in der Mehrzahl gegenüber der gewerbetreibenden; es sind 61 ^/o der
Bewohner landwirtschaftlich und nur 25 ^/o gewerblich thätig, mit
Handel und Verkehr aber beschäftigen sich nur 4 ^/o derselben, was im
Fehlen grösserer Städte und im Fernliegen von wichtigeren Land-
Terkehrslinien seine Ursache hat.
Mit dem Linzgau ist in den tabellarischen Zusammenstellungen
ein Gebiet vereinigt, das nur durch einen Streifen hohenzoUerischen
Landes von demselben getrennt liegt, nämlich der ganz ebene Teil des
Amtsbezirks Messkirch südlich vom Jura, dessen Höhenlage zwischen
600 und 750 m schwankt und in welchem das untere Ablachthal nur
bis 589 m sich senkt, während einige unbedeutende Erhebungen nur
wenig über 700 m ansteigen. Es ist dieser Landesteil in allen Stücken
den Verhältnissen der benachbarten Amtsbezirke Stockach und PfuUen-
dorf gleich, nur finden sich in dem breiten, wenig eingetieften Ablach-
thal viel Wiesenflächen, die in Gemeinschaft mit den Weidfeldern des
nahen Jura den Bezirk Messkirch zu einem Hauptgebiete hoch ent-
wickelter Viehzucht haben werden lassen. Die Bevölkerung ist eine
vollkommen landwirtschaftliche.
Gehen wir nun auf die Verhältnisse der Volksdichte im Hegau,
Linzgau und Abiachgebiet ein, so ist hier zunächst zu sprechen von der
Bedeutung der Stadt Konstanz.
Der Bodensee hat seit ältester Zeit die Bewohner angelockt, wie
die Pfahlbaufunde beweisen; die Römer haben hier ihre Herrschaft
148 Ludwig Neumann, ["148
ausgeübt, und Konstanz ist von den Römern gegründet worden. Im
Mittelalter blühte die Stadt mächtig auf als Stapelplatz an einer der
Haupthandelsstrassen von Italien nach Deutschland; es stand jahrhun-
dertelang unter denselben günstigen Einflüssen, welche einst Augsburg
so gross gemacht haben. Die Blütezeit von Konstanz, das als See- und
Brückenstadt ^) gleich günstig gelegen ist, fallt wohl in die Zeit der
grossen Kirchenversammlung 1414 — 1418. Die Kämpfe der Reformations-
zeit, die Periode der Gegenreformation, der Dreissigjährige Krieg, die
Verlegung der Handelswege brachten die Stadt ganz enorm zurück;
hatte sie doch zu Anfang dieses Jahrhunderts weniger als 5000 Ein-
wohner. 1806 kam sie an Baden und wuchs nun zuerst überaus lang-
sam, da sie am äussersten Ende des Landes unmittelbar an der Grenze
gelegen in Handel und Verkehr überaus gehemmt war. 1812 hatte sie
als Gemeinde 4503 Einwohner, 1852 erst 7556, 1864, im Jahre nach
der Eisenbahneröffnung 8516, 1875 schon 12103 und 1885 war sie auf
14601, wovon auf die Stadt als Wohnort 14423 kommen, gewachsen.
Also erst die letzten 20 Jahre haben wirklichen Aufschwung der zuvor
so stillen Stadt gebracht, die, heute am Kreuzungspunkt dreier Eisen-
bahnen und zahlreicher Dampfschifflinien gelegen, erst jetzt wieder ihre
so überaus günstige Lage richtig auszunutzen in stand gesetzt ist.
Da Konstanz auf der einen Seite unmittelbar an der Zollgrenze
gegen das schweizerische Thurgau liegt, während auf dem rechten
Rheinufer sich zunächst wenig zur Siedelung geeignete Riedflächen
ausdehnen, so kann von einer gleichmässig und rings um die Stadt
ausgebreiteten Umgebung in dem früher festgesetzten Sinn auch hier
kaum die Rede sein. Als Umgebung muss gelten das Ufer des ganzen
Sees, das auf dem Wasserwege von jeher leicht zu erreichen, das
seine Produkte in der Stadt zu Markte zu bringen und dort von jeher
seine Bedürfnisse an fremden Handelswaren und gewerblichen Erzeug-
nissen zu befriedigen gewohnt war. Dieser Uferstreifen wurde längs
des Rheines von Schaffhausen aufwärts und den See entlang landeinwärt«
bei steilem Ufer durch die Höhenkurve von- 500 m — der See selbst liegt
393 oder rund 400 m hoch — und bei flachem Ufer derart begrenzt,
dass sich die auf den See direkt angewiesenen, bezw. von ihm be-
dingten Ansiedelungen von denen des Hinterlandes bequem abtrennen
Hessen; er ist durchschnittlich 1,5 km breit.
Die Volksdichte dieses Uferstreifens ist neben derjenigen der
Insel Reichenau die dichteste im ganzen Seegebiet, und es ist das von
vornherein nicht anders zu erwarten. Denn lange bevor das Binnen-
land von seinen Wäldern soweit befreit war, dass es auch nur einiger-
massen zu Siedelungen einladen konnte, bot das Seeufer Schutz vor
wilden Tieren und feindlichen Ueberfällen gleichzeitig mit ausreichender
Nahrung; allmählich kamen Handel und erster Anbau zu ihrem Recht
und bald mussten unter den früher geschilderten Einflüssen des milden
Herbstes die Anbauverhältnisse sich derart verbessern, dass schon ini
frühen Mittelalter der Weinbau eine bedeutende Rolle spielte. Das
') Vgl. Schlatterer, Die Ansiedelungen am Bodensee. Forschungen zur
deutschen Landes- und Volkskunde V, 7. Stuttgart 1891.
149] ^iö Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 149
mehr und mehr ausgerodete Hinterland brachte seine Produkte, der
ganze See ward zum Markt und seine Ufer zum Stapelplatz; so haben
wir ringsum die zahlreichen kleineren Städte am deutschen wie am
Schweizer Ufer, deren bedeutendste aber Lindau im Osten an der
Strasse nach Augsburg, Schaffhausen im Westen — denn bis dahin
geht die Wasserstrasse — am Wege nach der Rheinebene, und Konstanz
in der Mitte wurden. Wo sumpfige Riede an den See herantreten,
fehlen naturgemäsa die Ortschaften, und da diese Riede zwischen
Ueberlinger- und Untersee am häufigsten sind, so ist auch die Volks-
dichte von Schaffhausen bis Ludwigshafen mit 134 Einwohnern auf das
qkm erheblich geringer als im Norden des Sees, wo sie auf 194 pro
qkm ansteigt. Die dichteste Volkszahl aber in ganz Baden neben der
Umgebung von Heidelberg, von der im nächsten Abschnitt die Rede
sein wird, und neben einigen beschränkten Gebieten am Ostrande der
Rheinebene, endlich neben dem fabrikgesegneten unteren Wiesenthal
finden wir auf der Insel Reichenau, die nach Einführung des Christen-
tums eine der ersten Kulturstätten Deutschlands gewesen ist. Der
Name des Eilandes giebt schon ein Bild seines Wesens ; der auf Fisch-
fang und besonders auf Weinbau gegründete Wohlstand des Insel-
völkchens ist in Oberschwaben fast sprichwörtlich. Im Binnenlande
nimmt die Volksdichte nach oben zu rasch erheblich ab. Die Haupt-
fläche des Hegaues zwischen 400 und 500 m zählt 88 Einwohner auf
das qkm, also mehr als wir z. B. auf dem wirtschaftlich ähnlich ge-
stalteten, aber wesentlich tiefer gelegenen fränkischen Stufenlande finden;
das Linzgau hat in derselben Höhenstufe dieselbe Dichte (86), es scheint
hier gegenüber Franken die Nähe des Sees mit seiner Verkehrsmöglich-
keit, vielleicht auch das günstigere Verhältnis von Wiese und Ackerland
einzuwirken, das in den Seegegenden eine grössere Viehhaltung gestattet
und der Bevölkerung über die Schädigungen etwaiger Missernten hin-
weghiltl ; endlich ist zu beachten , dass der hier ziemlich ausgedehnte
adelige Grossgrundbesitz nicht wie in Franken in Grosspacht, sondern
zumeist in Parzellenpacht gegeben ist, der eine grössere Anzahl klein-
bäuerlicher Bewohner ernähren kann, als dies in Franken angeht.
In den zwei Stufen von 500 — 700 m finden wir im Hegau die
Volksdichte von 49 Einwohnern pro qkm, sie entspricht etwa derjenigen
des Kraichgauer Hügellandes oberhalb 200 m, so dass auch hier die
Seegegend als die günstigere erscheint. Ueber 700 m ragen nur noch
die höchsten Kuppen der vulkanischen Kegelberge heraus, deren Be-
völkerung für die Gegenwart (13 Einwohner) eine nur zufallige genannt
werden kann, nachdem diese Berge seit lange ihrer Bedeutung für die
mittelalterliche Kriegsführung verlustig geworden sind.
Im Linzgau, dessen Hochflächen viel höher ansteigen, schwankt
die Dichte der Stufen von 500 — 800 m und auf der kleinen Fläche,
die diese Höhengrenze noch überragt, in den Grenzen von 34—46,
sie beträgt im Mittel 42 Einwohner pro qkm, also wieder annähernd
dasselbe wie im Hegau. Im Abiachgebiet des Bezirkes Messkirch, wo
das untere Ablachthal, da es nur wenige Meter unter die 600 m-Kurve
herabsinkt; füglich mit der Stufe 600 — 700 m zusammengefasst werden
kann, ist die Dichte im Mittel 56 auf das qkm, d. h. um ein geringes
150
Ludwig Neumann,
[150
mehr als in derselben Höhenstufe der benachbarten Landschaften. Es
mag dies in der Ebenheit und Gleichartigkeit des Bodens seine Ursache
haben, während andererseits im Linzgau und Hegau durch Felswände,
Moore und Riede manche Flächenstücke auch in der weiteren Um-
gebung solchen Unlandes nicht zur Besiedelung eingeladen haben.
Die Art der Siedelungen erhellt aus folgenden Uebersichten:
Im Hegau liegen Gemeinden
von unter 500
o
o
o
T— 1
1
o
o
o
o
o
o
o
o
1
o
o
o
o
o
1— •
1
1
1
o
o
o
über 10000
Kinwobn«r
von 400—500 m
, 500—600 ,
, 600—700 , and darüber
30
12
10
21
3
1
7
2
3
1
1
1 ~~
1
Im Linzgau und Abiachgebiet
1 52
25
9
3
! ^
1
400-500 m
500—600 „
600—700 „ und darüber
17 i 9
6 i 4
26 ' 7
2
1
1
49 20
2
1
1
Nach Prozenten ausgedrückt liegen Gemeinden der betreffenden
Grössenklassen
im Hegau u. s. w. .
im Linzgau u. s. w.
58
66
28
29
10
3
3
1
1
1
Im allgemeinen sind also die Gemeinden im ganzen Bodensee-
gebiet als klein zu bezeichnen, und zwar überwiegen im Linzgau die
kleineren noch mehr als im Hegau; im ersteren haben wir 95 ^ der
Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern, in welchen 72 °/o der
Bevölkerung wohnen; auf die 4 Gemeinden mit mehr als 1000 Ein-
wohnern kommen dagegen 28 ^/o der Bewohner. Im Hegau und den
zugerechneten Landschaften macht sich der Einfluss der grösseren Stadt
Konstanz auf die Volksverteilung ganz bedeutend geltend; in den 86%
kleiner Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern finden sich nur
47 ®/o der Bewohner, in den 14 ^/o der grösseren Orte aber 53 ^/o der-
selben.
In der Grösse der Wohnorte zeigt sich hier ein gewisser Gegen-
satz , der auch dadurch anschaulich wird , dass im Hegau auf eine
Gemeinde nur 5 — 6, dagegen im Linzgau etwas über 7 Wohnorte
kommen, woraus ersichtlich ist, dass in letzterem die Gemeinden kleiner
und zerstreuter sind als in ersterem. Dagegen ist die Fläche der Ge-
meinden in beiden Landesteilen fast gleich, im Hegau kommt eine
Gemeinde durchschnittlich auf 7,8 qkm, im Linzgau auf 8 qkm; die
zerstreuten Wohnorte der Amtsbezirke üeberlingen und Pfullendorf
liegen demnach einander viel näher als diejenigen des Hegaues. So
.^^
151] Diö Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 151
zeigen sich trotz fast ganz übereinstimmender Voraussetzungen in
Höhenlage, Bodenbeschaflfenheit, Klima und Bebauung doch in der Art
der Siedelungen Unterschiede, die im einzelnen wohl nur durch Zuhilfe-
nahme des geschichtlichen Momentes zu erklären sein dürften, was
weiter auszuführen nicht zur Aufgabe der vorliegenden Untersuchungen
gehören kann.
Sprechers Karte für das Jahr 1820 lässt zunächst den dünn be-
völkerten Jura gegenüber der mittleren Zone von Hegau und Linzgau
nicht hervortreten, dann ist jedenfalls das Mündungsgebiet der Stockach
und der nördliche Uferstreifen als zu dicht bevölkert dargestellt,
sodann kommt der Gegensatz zwischen dem Uferstreifen am Rhein,
zwischen dem waldigen Schienerberg und dem Hegau nicht zur Gel-
tung, das seinerseits im Verhältnis zum Linzgau als zu stark be-
völkert erscheint.
G. Rheinebene und KaiserstuhlgeblFge.
Die Rheinebene senkt sich von ihrem südlichen Anfang auf der
rechten Stromseite in der Gegend von Schliengen (232 m) bis zur
hessischen Grenze bei Kirschgarts wiesen (92 m) um 150 m und zwar
im oberen Abschnitt bis zum Kaiserstuhl etwas rascher, dann überaus
langsam und gleichmässig. Von ihrer Achse, dem Rheinstrom, steigt sie
bis zum rechtsseitigen Gebirgsrande ebenfalls sanft und gleichmässig an.
Im Interesse einer genauen und scharfen Grenzziehung wurde in der
voriiegenden Arbeit die Höhenkurve von 300 m im Süden, die von
200 m im Norden als Ostrand der Ebene benutzt. Der Uebergang von
der höheren zur tieferen Isohypse Hess sich vor dem etwa 7 km breiten
Mündungstrichter des Elzthales zwischen Buchholz und Emmendingen
so vollziehen, dass er ganz unvermerkt verläuft.
Die ganze Fläche stellt also eine sehr schwach von Süd nach
Nord und etwas stärker von Ost nach West geneigte Ebene dar, zu
der die niederen Hügelerhebungen am eigentlichen Gebirgssaume, soweit
sie unter 300 bezw. 200 m liegen, noch hinzukommen.
Dieses Gebiet war seit ältesten Zeiten und ist in der Gegenwart
unter dem Einfluss der modernen Verkehrsmittel in erhöhtem Massstab
eines der wichtigsten Durchgangsländer Mitteleuropas. Am Südende,
bei Basel, vereinigen sich die Wege aus der inneren Schweiz und von
den aus Italien einmündenden Alpenpassstrassen mit jener zuvor ge-
nannten Verkehrslinie vom Bodensee und aus Schwaben auf der einen
Seite und mit der die niedere Schwelle der Burgundischen Pforte über-
schreitenden , welche vom Mittelmeer durchs Rhonegebiet heraufführt,
auf der anderen Seite.
Darauf beruhte die Bedeutung der von den Römern angelegten
Stadt Augusta Rauracorum, dasselbe gilt für ihre Nachfolgerin, die
wenige Kilometer entfernt etwas später gegründete Basilea, das heutige
Basel.
Am Nordende der Rheinebene vereinigen sich ebenso mehrere
Strassenzttge, welche alle auf die alten Nachbarstädte Mainz und Frank-
furt konvergieren und für beide seit Jahrhunderten die Quelle ihrer
152 Ludwig Neumann, [152
materiellen und politischen Wichtigkeit geworden sind. Es sind dies
die Wege durchs Nahethal nach Lothringen, den Rhein hinab nach
Nordwestdeutschland, Holland und Belgien, durch die westhessische
Senke ins obere Lahn- und weiter ins Wesergebiet nach Norddeutschland,
durch die osthessische Senke zur Fulda und nach Thüringen, endlich
dem Main entlang nach Franken.
Zwischen diesen beiden von der Natur zu Verkehrs- und Handels-
mittelpunkten vorherbestimmten Punkten am Süd- und Nordende unserer
Ebene bildet diese selbst eine einzige, ebenfalls von der Natur vorge-
zeichnete Verbindungslinie, die noch dazu das Glück hat, dem Austausch
von Menschen und Waren die denkbar geringste Summe von Hinder-
nissen in den Weg zu legen. Von Anfang an standen offen und kamen
zur Benutzung die Wasserbahn in der Achse der Ebene, die ßheinstrassen
dem Fluss entlang, und endlich die beiden Bergstrassen am Fuss der
Gebirge, die westliche im Elsass und am Fuss der Haardt, die östliche
am Schwarzwald und Odenwald hin.
Wie sich in dem einheitlichen Gebiete der Rheinebene zu beiden
Flussseiten unter der Einwirkung nicht gerade grosser Unterschiede
der natürlichen Bedingungen, aber infolge des verschiedenen Ganges
der geschichtlichen Ereignisse, welche die Staatenbildung und Kriegs-
läufe rechts und links vom Strom, besonders seit den letzten 300 Jahren
in ganz getrennter und anders gearteter Weise sich entwickeln liessen,
die Siedelungsverhältnisse , insbesondere das Wachstum und die Be-
deutung der Städte in geradezu grundverschiedener Weise gestalteten^
das weiter auszuführen, wäre eine höchst lohnende Aufgabe, die
aber nicht hierher gehört, üebrigens hat Penck in Kirchhoffs Länder-
kunde von Europa (I. Teil, 1. Hälfte, S. 257 ff.) in meisterhafter
Weise leitende Gesichtspunkte für die Untersuchung der auffallenden
anthropogeographischen Sonderentwickelung der beiden Stromseiten
gegeben.
Hier beschäftigt uns nur die rechtsliegende derselben.
Die Ansiedelungen längs des Rheines sind teils als Uebergangs-
orte entstanden und zwar überall da, wo eine Uferstelle dem unge-
zähmten Wildstrome Festigkeit genug entgegensetzte, dass sie zu allen
Zeiten als Stützpunkt des Ueberganges dienen konnte; hierher gehören
Istein und Breisach ; ödes es waren Fischerorte, deren wasservertrauter
Bevölkerung es nicht darauf ankam, im Falle der Not die Wohnstatten
weiter landeinwärts zu verlegen. Die Geschichte kennt zahlreiche solche
Ortsverlegungen längs des Rheines, sie sind noch bis in unser Jahr-
hundert hinein vorgekommen. Wo der Strom sich sein Bett tief zwischen
die steilen Ränder der Hochufer eingegraben hat, da finden wir die
Hauptzahl der Siedelungen oberhalb desselben, nur vereinzelte Orte
liegen der steten Hochwassergefahr ausgesetzt unterhalb der Hochufer ;
doch ist durch die grossartige Rheinkorrektion unseres Jahrhunderts
auch ihre Lage wesentlich verbessert und sicherer gestellt worden. Die
rechtsseitige Rheinstrasse lässt sich von Schliengen bis Breisach, von
da bis Kehl, und von hier bis Rastatt verfolgen, an ihr liegen zahl-
reiche der ältesten Siedelungen des Landes. Die Bergstrasse endlich
überschritt in früheren Zeiten die fruchtbare Vorhügelzone im Norden
153] I^iö Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 153
von Basel, stieg dann von der „kalten Herberge'' in die Ebene nach
Schliengen herab, um von hier am Gebirgssaume und an der Mündung
der vielen Schwarzwaldthäler entlang weiter zu ziehen, bis sie am Aus-
gaoge des Murgthales mit der Rheinstrasse zusammentraf, um sie aber
sofort wieder zu verlassen; die westliche Verkehrslinie folgt wieder im
allgemeinen dem gesicherten Hochufer und seinen alten Niederlassungen,
sie erreicht über Mühlburg (jetzt Vorort von Karlsruhe), Graben und
Schwetzingen das Nordende des Landes bei Mannheim und zieht von
hier weiter bis zu ihrem Endpunkte bei Mainz. Die Bergstrasse aber
geht von Elastatt über Ettlingen, Durlach, Bruchsal, Wiesloch nach
Heidelberg, und weiter über Weinheim dem Odenwald entlang nach
Frankfurt.
Von diesen Strassen aus wurde die zwischen ihnen liegende Ebene
erst spät und allmählich besiedelt, so dass dieser mittlere Streifen auch
heute noch wesentlich dünner bevölkert ist als seine Ränder, von denen
wieder der westliche an Bedeutung und Volksdichte hinter dem öst-
lichen um ein gutes Stück zurückblieb. (Vgl. oben S. 43 ff.) Die
Bergstrasse war nämlich dadurch so überaus begünstigt, dass auf sie
alle die Verkehrswege zweiter Ordnung, die vom fränkischen und
schwäbischen Becken, vom Schwarzwalde, von der Baar und vom
Bodensee in ostwestlicher Richtung zur Rheinebene laufen, ausmünden ;
an all diesen Schnittpunkten von Haupt- und Nebenlinien liegen seit
alters die vrichtigeren Orte des Gebirgsfusses, wie ein Blick auf die
Karte darthut, der von Schliengen bis Weinheim Stadt und Dorf gleich
den Gliedern einer Kette aneinander gereiht erscheinen lässt. Dabei
entsprechen direkt den Hauptkreuzungspunkten die Hauptorte, so Frei-
burg, Offenburg, Rastatt, Durlach, Bruchsal, Heidelberg.
Handels- und Verkehrsgewerbe sind es also, welche der Besiede-
lung der Rheinebene ihre Richtung gewiesen haben; dazu kommt aber
als Grundbedingung aller menschlichen Niederlassungen auch hier die
Fr^e nach der Bodenbeschaffenheit und der Fähigkeit des Landes,
seine Bewohner zu ernähren. In dieser Hinsicht ist nun der grösste
Teil der Rheinebene als ein überaus gesegneter Landstrich ganz beson-
ders glücklich ausgestattet und im stände, einer zahlreichen Bevölkerung
Nahrung und Erwerb weit über das augenblickliche Bedürfnis hinaus
zu gewähren. Denn einmal herrschen die günstigen klimatischen Zu-
stande (s. S. 37), und zwar ohne Unterschied der Höhenlage und
geographischen Breite, und dann ist der Boden mit vereinzelten Aus-
nahmen, wo die Kieslagen und Sandbänke, welche der Rhein ange-
schwemmt hat, nicht oder nicht genügend von Humusschichten verhüllt
sind, oder wo der Löss, der den Gebirgsrand bis zu einer ansehnlichen
Höhe überdeckt, von Wildwassem weggeschwemmt worden ist, durch-
weg der denkbar beste. Nach dem geschichtlichen Gang der Besiede-
lung, wie er von der Natur der hydrographischen Zustände in der
Rheinebene bedingt war, und nach dem allmählichen Fortschritte der
Urbarmachung der Fläche durch Abdämmung der Altrheine, Regelung
des Ablaufs der Binnengewässer auf dem kürzesten Wege zum Haupt-
strome, Austrocknung der Giessen am Gebirgsfuss, Ausrottung der
Wälder zwischen Gebirgsfuss und Hochufer, Trockenlegung versumpfter
154 Ludwig Neumann, Fl 54
Strecken und Verwandlung derselben in Wiesen und Ackerland sind
auch heute noch eine Reihe von südnördlich parallel verlaufenden
Eulturzonen der Rheinebene zu unterscheiden, die mit den Siedelungen
im engsten Zusammenhange stehen.
Längs des Gebirgsabhanges liegen die besten Böden, die wert-
vollsten Gelände. Hier blühen Rebbau, Obstkultur und Ackerbau und
geben hohen Ertrag. Wie in den meisten Rebbauländern ist hier die
Parzellierung eine sehr weit entwickelte und darum die Volksdichte
oftmals vielleicht eine grössere als es wünschenswert wäre. An diesen
Streifen Landes, der als Uebergangszone vom Gebirg zur Ebene gelten
kann, reiht sich zumeist ein zweiter an, der vielfach weite Wiesengrönde
umfasst, es ist dies die Zone der alten Wasserläufe, der heute noch
durch seine tiefe Lage und den feuchten Boden in seiner alten Natur
zu erkennen ist. Von ihm war oben im hydrographischen Abschnitt
(S. 45) ausführlicher die Rede.
In ähnlicher Weise liegen unter dem Hochufer Gelände feuchter
Wiesen, vielfach unterbrochen von ausgebreiteten Wäldern, zumeist
Niederholz; nur solche Grundstücke, die schon seit längerer Zeit dem
nassen Element bleibend haben entrissen werden können, zeigen auch
Ackerbau. Dagegen findet sich über dem Hochufer eine mehr oder
weniger breite Zone von Ackergelände, es ist die an der Rheinstrasse
gelegene, durch alte Siedelungen ausgezeichnete. Wo das Hochufer
fehlt, also vom Kaiserstuhl bis über die Renchmündung hinab, da ist
der Ackerlandstreifen ansehnlich breit und die Ortschaften liegen hier
nicht nur linienartig, sondern etwas mehr in netzförmiger Verteilung
angeordnet.
Fast auf der ganzen Länge der Rheinebe hat sich zwischen dem
Ackerland längs der Rheinstrasse und dem durch Wiesen ausgezeich-
neten ßruchlande unfern des Gebirgsfusses die alte Waldzone erhalten;
nur wo die Ebene sehr schmal ist, also im Süden und teilweise zwischen
Kaiserstuhl und Rench, ist sie den menschlichen Ansiedelungen, zum
Teile aber erst in sehr später Zeit gewichen; besonders im Norden ist
das Waldgebiet seit Jahrhunderten fast unverändert, der Haardtwald bei
Karlsruhe, das unmittelbar am Waldrand gelegen, die Lusshardt weiter
thalabwärts, aber auch die Mooswaldungen bei Freiburg sind Reste der
ältesten Vegetationsform der Rheinebene.
Würden die Wälder von der bewohnten Fläche ausgeschieden und
würde dann erst die Volksdichte der einzelnen Landesteile bestimmt,
so fiele die sie bezeichnende Zahl natürlich wesentlich grösser aus als
es der Fall ist, wenn die Wälder eingerechnet werden. Es ist auf diese
Verhältnisse oben bei Besprechung der Methode der Dichtekarten
(S. 60 flf.) schon ausführlich eingegangen worden und kann also hier
auf jene Darlegungen verwiesen werden.
Neben den Orten an der Rheinstrasse und den wichtigeren an
der Bergstrasse, sowie den kleineren Siedelungen, welche sich natur-
gemäss um die oben schon genannten Hauptverkehrs- und Handels-
zentren älteren Datums ausbildeten und welche gewissermassen den
geschichtlichen Grundstock der Bevölkerung in der Rheinebene bilden,
sind noch einige Punkte zu nennen, in denen sich die Bevölkerung zu
155] I^iö Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 155
grösserer Dichte vereinigt hat, und wo die Verkehrslage allein den
Erklärungsgrund dazu nicht abgeben kann, obschon diese Oertlichkeiten
allerdings auch nicht als ungünstig in Bezug auf ihre Lage bezeichnet
werden dürfen.
Da ist zunächst Lahr, am Ausgange des Schutterthales, das kein
bedeutendes Hinterland erschliesst und etwas abseits von unserer Berg-
strasse gelegen, das aber im vorigen Jahrhundert von seiner nassauischen
(oranischen) Regierung mit der Tabakindustrie vertraut gemacht und
dadurch allmählich immer mehr auf die Bahn industrieller Thätigkeit
gewiesen wurde, welche heute die Stadt zu einer der hervorragendsten
auf mehreren Gebieten des Gewerbgrossbetriebes gemacht hat.
Da ist weiter Baden(-Baden) , das im Besitz seiner heilkräftigen
Quellen immer, und als Landeshauptstadt Jahrhunderte hindurch einen
wichtigen Anziehungspunkt für die weitere Umgebung bildete, obschon
es eigentlich recht tief in dem stillen Waldversteck des Oosthales ge-
legen ist.
Da folgt weiter im Norden Ettlingen, das in alten Zeiten an
einem mächtigen Giessen lag, der hier die Alb aufnahm und den Ort
zu einer wichtigen Schiffs- oder Flossstation machte. Trifft auch hier
mit der Hauptstrasse der Rheinebene kein Seitenweg ersten Ranges
zusammen, so teilte sich doch Ettlingen mit Durlach in die Rolle eines
Ausgangspunktes der Linie nach dem mittleren Neckarthal, und es
hielt sich durch alle Gefährdungen kriegerischer Jahrhunderte so, dass
es noch zu Anfang dieses Jahrhunderts mit Baden-Baden die gleiche
Einwohnerzahl besass; jetzt freilich ist es hinter der Bäderstadt an der
Oos um mehr als die Hälfte zurückgeblieben.
An der Bergstrasse, im Norden von Heidelberg ist endlich noch
Weinheim zu nennen, das am Ausgang des Birkenauer und Gorxheimer
Thaies und an einem grossen Wassergiessen gelegen, sich in derselben
Weise entwickelt hat wie Ettlingen.
Viel wichtiger für das ganze Kulturleben Badens sind aber die
zwei folgenden Städte geworden.
Geschichtlich die jüngsten, sind sie heute die grössten: Mannheim und
Karlsruhe. Die jetzige Hauptstadt des Landes mit über 60000 (1890
sogar 73 496) Einwohnern ist erst 1715 gegründet worden und zwar
mitten im Haardtwalde, eine Wegstunde westlich von der früheren Re-
sidenz Durlach. Fast nur Beamtenstadt, ärmlich gebaut und wenig
anziehend hatte Karlsruhe zu Anfang dieses Jahrhunderts kaum über
12000 Einwohner und wuchs auch von da ab nur langsam weiter.
Erst in der Zeit seit der Erstellung der Eisenbahnen ist sie mächtig
aufgeblüht, indem sie es verstand, den Vorzug der Lage Durlachs zu
dem ihrigen zu machen und die Kreuzung der zwei oberrheinischen
Hauptstrassen hierher zu verlegen. Jetzt ist die Stadt Knotenpunkt
von 6 Eisenbahnlinien, hier wird die Strasse Basel-Frankfurt von der-
jenigen, die Frankreich mit dem Osten verbindet, und der schon bei
Besprechung der Bedeutung von Pforzheim gedacht wurde, geschnitten,
von hier liegt der südlichste, für flache Kohlenschiflfe stets zu er-
reichende Rheinhafen, Maxau, wenig Minuten Fahrzeit entfernt, und somit
konnte Karlsruhe ein Sitz wichtiger Industrieen werden, die es seit zwei
15G Ludwig Neumann, [156
bis drei Jahrzehnten dahin gebracht haben, dass die stille Bureaustadt
von früher jetzt eine lebhafte Handels- und Fabrikstadt geworden ist,
die in mächtigem Aufblühen begriffen, für sich, ihre nähere Umgebung
und das ganze Land eine Quelle des allgemeinen Wohlstandes zu sein
und künftig zu bleiben alle ßarantieen bietet.
Karlsruhe ist eines der in Europa seltenen Beispiele von jungen
Städtegründungen, die unter Benutzung aller natürlichen Hilfsquellen
und von oben mächtig gefördert trotz kleinen Anfanges, der nur eine
kurze Spanne Zeit hinter der Gegenwart liegt, sich zu einem ton-
angebenden Mittelpunkt eines engeren Gebietes aufgeschwungen haben.
Mannheim hat als Stadt vor Karlsruhe etwas mehr als hundert
Jahre voraus. Früher ein Dorf, hatte es sich durch Zuzug holländischer
Protestanten zu Ende des 16. Jahrhunderts einige Bedeutung erworben;
erst 1606 wurde es zur Stadt erhoben, 1720 wurde die Residenz der
Pfälzer Kurfürsten von Heidelberg hierher verlegt. Die eingewanderten
Emigranten brachten die Kultur einiger wichtiger Handelsgewächse,
besonders des Tabaks, und das wurde der Ausgangspunkt der heutigen
Bedeutung Mannheims als Metropole des Handels und der Industrie in
Südwestdeutschland. Sein Aufblühen wurde freilich mächtig unterstützt
durch die Lage an zwei fahrbaren Wasserstrassen, am Neckar und am
Rhein, und noch mehr durch den Umstand, dass in Rücksicht auf die
immer grösser werdenden Schiffe und auf das oberhalb der Stadt von
jeher unsichere Fahrwasser Mannheim die Endstation der grossen Rhein-
schiffahrt wurde. Es ist darum heute als Stapel- und ümladeplatz ein
Ort ersten Ranges, dessen Lagerhäuser, Hafen- und Bahnhofanlagen in
anderen Binnenschiffahrtsstädten ihresgleichen suchen.
Da auch die grösste Industriestadt in letzter Reihe von den Zu-
ständen des sie umgebenden Landes abhängt, und da eine Handelsstadt
sich wesentlich mit der Produktion ihrer Umgebung beschäftigt, bezw.
ihre Umgebung mit den fremden Erzeugnissen ihres Verkehrs ausstattet,
so ist es zunächst von Wichtigkeit, die Bodenbauverhältnisse der Rhein-
ebene kennen zu lernen. Sie gewähren uns einen Blick in die Zu-
stände der ländlichen Bevölkerung und in die Ursachen ihrer räumlichen
Verteilung. Diese aber hängt aufs engste zusammen mit der Lage und
Wichtigkeit der Bevölkerungsmittelpunkte, die im vorstehenden genannt
worden sind. Bodenbau und Industrie stehen, wie überall mehr oder
weniger, in der Rheinebene ganz besonders in inniger Wechselbeziehung,
ebenso also auch die ländliche und städtische Bevölkerung. Dies dar-
zuthun, ist unsere nächste Aufgabe.
Die natürliche Einteilung Badens, wie sie von dem neuesten Bande
der „Statistischen Mitteilungen" gegeben wird, unterscheidet nach
früheren Ausführungen eine obere, mittlere und untere Rheinebene und
ausserdem stellt sie noch den Kaiserstuhl getrennt dar. Als Grenzen
zwischen den 3 Gebieten treten das Kaiserstuhlgebirge und die Gegend
von Rastatt auf. Da zur oberen Rheinebene auch noch das Rheinthal
vom Klettgau bis Basel, sowie der ganze Amtsbezirk Lörrach hinzu-
gerechnet ist, so können die Zahlen, die von der Statistik für dieses
Gebiet ermittelt worden sind, nicht als streng typisch für die Rheinebene
von Schliengen bis zum Kaiserstuhl und bis zur Freiburger Bucht an-
157] I^ic Volksdichte im Grosaberzogtum Baden. 157
gesehen werden. Doch reichen sie, um die Gegensätze zwischen den
Zustanden in den Hauptgebieten der Rheinebene ins richtige Licht zu
stellen, immerhin aus.
Prozente der Bodenfläche:
Landwirtschaftl. pp„*.i.p_^ . ^^^^ . Nicht angebaute
Fläche: Keutberge. Wald. Fläche:
Landeadurchschnitt .
55,8
3,4
36,8
4,5
Kaiserstubl ....
76
17
7
Obere Rheinebene .
60
1
34
5
Mittlere ,
64
3
26
7
Untere -
61
—
33
6
Zunächst ist aus dieser Zusammenstellung ersichtlich, dass die nicht
angebaute Fläche, also das Areal der Haus- und Hofplätze, des Weg-
landes und des eigentlichen Unlandes in unserem Gebiete verhältnis-
mässig gross ist. Bei der dichten Bevölkerung ist zunächst der Anteil
der Bodeufläche an Haus- und Hofplätzen ziemlich bedeutend, dann aber
bleibt doch noch ein ziemlich ansehnlicher Bruchteil wirklich unbebau-
barer Flächen übrig, im Kaiserstuhl Felsen und Steinbrüche, in der
Kheinebene dem Strom entlang Altwasser, Kies- und Sandbänke,
Sümpfe etc. Der Prozent-Anteil dieses Unlandes ist naturgemäss am
grössten in der mittleren Rheinebene, im Gebiete ohne Hochgestade.
Diese mittlere Rheinebene zeichnet sich sodann aus durch ihre sehr
geringe Bewaldung, auf welche oben schon hingewiesen wurde. Während
in der oberen Rheinebene noch grosse Flächen schlechten Kiesbodens
mit ungeregelten Wasserläufen dazwischen vorhanden sind — die
Mooswaldungen der Freiburger Bucht — und während weiter strom-
abwärts im Norden der Murg der Kies allmählich durch feineres Material,
schliesslich durch Flugsand ersetzt wird, der sich zu ganzen Dünen-
hQgeln und zu einer Art von Geestland angehäuft hat, so dass hier die
Ausrodung der weiten Waldungen vielfach durchaus nicht lohnen würde,
ist der Mittelstrich der Ebene fast überall anbauwürdig; hier hat die
Urbarmachung des Bodens die weitesten Fortschritte gemacht. Daher
hier die prozentisch grössten Anbauflächen, die nur noch von denjenigen
im Kaiserstuhl übertroffen werden, wo die Bodenausnutzung die denkbar
intensivste ist. Dagegen zeigt sich die Reutbergkultur auch im Vor-
lande des mittleren Schwarzwaldes, wie sie sich von Bühl bis Wald-
kirch auch für die Siedelungsverhältnisse des Gebirges so überaus
wichtig erwiesen hat. Im einzelnen ist nun die Benutzung des land-
wirtschaftlichen Bodens aus den folgenden Relativzahlen zu ersehen,
die wie alle bisher angeführten aus den absoluten Originalwerten ab-
geleitet und thunlichst auf ganzzahlige Werte abgerundet worden sind.
Landesdurchschnitt
Kaiseratuhl . . .
Obere Rheinebene
Mittlere
Untere
Acker: Wiese: Rebland: Obst- und Gras- ^y^ij^.
^ai Len .
67,8 23,8 2,5 1,9 3,9
57 21 21 1,3 —
62 29 6 3 0,3
64 31 8 2 0.4
76 20 2 2 0,2
158
Ludwig Neumann,
[158
Naturgemäss tritt bei der intensiven Ausnutzung des Bodens die
Weide sehr zurück, nur in der mittleren Ebene ist sie mit etwa 4,3 qkm
beteiligt, überall sonst ist ihre Fläche fast verschwindend klein. Da-
gegen ist der Wiesenbau von grosser Wichtigkeit; längs der Wasser-
läufe und in den trocken gelegten alten Giessen, Altrheinen u. s. w.
nehmen sie ein sehr grosses Areal ein; im mittleren Teil der Ebene,
wo der Wald am meisten ausgerottet wurde, verhält sich die Wiesen-
zur Ackerfläche wie 1:2. In der unteren Ebene dagegen ist das
Ackerland bei weitem im Uebergewicht. In der mittleren und unteren
Ebene ist die Tierhaltung und Tierzucht sehr entwickelt; die Pferde-
zucht blüht besonders von Lahr bis unterhalb Karlsruhe, die Rind Vieh-
haltung ist ziemlich gleichmässig verteilt.
Die Obstkultur ist in der Ebene überall, besonders aber am ge-
schützten Fusse des Gebirges und in den warmen Thälem am Rande
desselben fast ebenso wertvoll als diejenige der Rebe; wirft doch die
Obstzucht im Mittel etwa 11 Millionen Mark Jahreseinnahmen, während
das Erträgnis des Weinherbstes durchschnittlich 12,5 Millionen beträgt.
Manche Kaiserstuhlgemeinde verkauft in guten Jahrgängen allein für
GOOOO Mark Kirschen!
Bezüglich des Rebbaues, auf dessen Wert in Franken, im Kraich-
gau, in der Bühler Gegend und am Bodensee schon hingewiesen wurde,
mag hier, da weitaus die wichtigsten Rebbaubezirke in dem Ueber-
gangsland von der Rheinebene zum Gebirge und rings um den Kaiser-
stuhl gelegen sind, zusammenfassend mitgeteilt werden, wie sich die
Rebbaupflanzungen über das ganze Land verteilen und welches die
Erträgnisse der verschiedenen Bezirke sind. Die Flächen verstehen
sich für 1888, die Erntewerte für die Durchschnitte von 1873—1888:
Mit Reben be-
wachsene
Fläche
qkm
Erträgnis in
Tausenden
von Mark
Bodenseegegend
Oberes Rheinthal bis Basel
Markgräflerland von Basel bis gegen Freiburg
Kaiserstuhl
Breisgau
Orten au und Bühler Gegend
unteres Rheinthal
Kraicfagau und Neckarthal
Bergstrasse nördlich von Heidelberg . . .
Main- und Taubergebiet
200
100
3420
2450
1360
3250
530
570
140
500
214,1
12520000 M.
Dabei ist zu bemerken, dass die Rebbaufläche im allgemeinen
eine Tendenz zum Kleinerwerden innehält. Früher ging der Rebbau
noch sehr weit in die Ebene heraus, während er sich, der höheren und
159] I^iö Volksdichte im Grossherzogtum Baden. ■ 159
besseren Erträgnisse wegen, immer mehr auf die besten Lagen am
sonnigen Bergabhang zurückzieht, wo er besonders vor den so schäd-
lichen kalten Nebeln der Niederungen bewahrt bleibt. Das frei wer-
dende Gelände wird dann zumeist dem Anbau von Halmfrüchten zu-
geführt.
Die zahme Kastanie bedeckt in den Bezirken Oberkirch, Achern,
Bühl, Rastatt, Heidelberg zusammen rund 10 qkm und giebt hier einige
Erträgnisse. Ihr Auftreten ist für die klimatisch mildesten Teile des
westlichen Gebirgsfusses charakteristisch.
Der Ackerbau nimmt von Süd nach Nord zu und erreicht sein
Maximum in der unteren Rheinebene miü 70 ^/o der landwirtschaftlichen
Fläche; die Kultur hat sich zumeist von der alten Dreifelderwirtschaft
zu TöUig freiem Wirtschaftssystem erhoben, die Brache ist fast überall
angebaut, so dass die Fläche nicht angebauter Brache nur einen ver-
schwindend kleinen Bruchteil des Anbaulandes ausmacht. Bei dem
günstigen klimatischen Verhältnisse haben in der Rheinebene die Nach-
früchte — besonders Klee, Futterwelschkorn, Rüben — eine grosse
Bedeutung erlangt; wenn im Landesdurchschnitt 12 ^/o der Ackeran-
baufläche eine zweimalige Ernte gestattet, so ist dies Verhältnis in
der Rheinebene ein noch bei weitem günstigeres.
Neben dem Körnerbau sind in allen bisher besprochenen Landes-
teilen die Handelsgewächse nach ihrer Beteiligung an der Bodenfläche
und nach ihrem Emtewert wesentlich zurückgestanden; in der Rhein-
ebene aber sind etwas über 14 ^/o der Ackerfläche mit ihnen bepflanzt,
während sie am Kaiserstuhl neben der hier alles beherrschenden Reb-
kultur keine nennenswerte Rolle spielen. Auch in der oberen Rhein-
ebene bleiben sie an Bedeutung hinter den Halmfrüchten wesentlich
zurück. Anders gestalten sich die Zustände nördlich vom Breisgau und
vom Kaiserstuhl. In der mittleren Ebene werden neben Raps, Hopfen
und Runkelrüben ganz besonders Cichorie, Hanf und Tabak gepflanzt,
und damit stehen im Zusammenhang die Tabakfabrikeu in den Bezirken
Emmendingen, Ettenheim, Lahr, Ofi'enburg und Kehl. Der Bezirk Lahr
allein beschäftigt 2313 Personen in der Tabakindustrie, auch die Ci-
chorienfabriken in Freiburg und Lahr sind von Wichtigkeit. Die Leinen-
und Hanfindustrie hat ihren Hauptsitz in den Bezirken Ofi'enburg und
Lahr. — Viel grössere Dimensionen nimmt der Bau der Handelsge-
wächse in der unteren Ebene an; beteiligt er sich doch mit rund
IS'^o an der gesamten Ackerfläche. Hier sind es besonders Runkel-
und Zuckerrüben — daher die grossen Zuckerfabriken Waghäusel und
Mannheim nebst Filialen mit 1329 Arbeitskräften — Hopfen und Tabak.
Mit Tabak sind hier rund 32 qkm Fläche bepflanzt, von den Cigarren-
und Tabakfabriken leben in den Amtsbezirken von Karlsruhe bis Wein-
heim über 13000 Menschen. Hopfen, im ganzen 23 qkm, werden
hauptsächlich in den Bezirken Bruchsal, Schwetzingen, Wiesloch, Heidel-
berg gepflanzt und haben Mannheim neben Nürnberg zu einem Hopfen-
markte ersten Ranges gemacht.
Ausser diesen Handelsgewächsen sind in der ganzen Rheinebene
auch die Erträgnisse des eigentlichen Gartenbaues, Kraut und Gemüse,
von Wert. Um sich von dem Reichtum der Rheinebene gegenüber
160
Ludwig Neumann,
[160
minder gut ausgestatteten Landesteilen eine Vorstellung machen zu
können, mag es dienlich sein, die Emtewerte Badens nach den Boden-
erzeugnissen getrennt aufzuzählen. Im Durchschnitt von 1865 — 1888
hatte die Ernte einen Wert von
Kömer- und Hülsenfrüchte 76400000 M.
Stroh 18900000 ,
Kartoffeln 23000000 „
Heu und Futter .... 60100000 ,
Futterhackfrüchte . . . 10200000 „
Wein 12300000 ,
Obst 11700000 „
Weidegang 7000000 ,
Kraut und Gemüse
Handelsgewächse
und zwar Tabak
Hanf und Flachs
Hopfen . . .
Oelgewächse .
Cichorien . .
Zuckerrüben
2300000 M.
14800000 r
5580000 ,
8060000 .
3210000 ,
1540000 ,
630000 ,
780000 •
„Da bei dem allgemeinen Vorwiegen der kleinbäuerlichen Be-
völkerung — und dies gilt ganz besonders von der Rheiuebene und
dem Rebgelände am Gebirgsfusse , wo die günstigen Boden-, Klima-
und Absatzverhältnisse, sowie die vielfach gebotene Gelegenheit zu
lohnendem Nebenverdienst in den Städten und Industrieorten eine fast
gartenartige Benutzung des Bodens gestatten und demnach eine weit-
gehende Zersplitterung des Grundbesitzes hervorgerufen haben, ohne
dass dieselbe aber bis jetzt als nachteilig bezeichnet werden könnte —
der grösste Teil der erzeugten Halmfrüchte und Kartoffeln, ebenso wie
Heu und Futtergewächse nicht zum Verkauf gelangen, so erhellt aus
vorstehenden Zahlen, welch hohe ökonomische Bedeutung für das Land
dem Wein-, Obst-, Gemüse-, und Handelsgewächsbau zukommt." Da
nun diese Gewächse zum allergrössten Teile nur in der Rheinebene und
am westlichen Gebirgsrand gepflegt werden können, so ist klar, dass
diese Landesteile in der Lage sind, eine wesentlich dichtere Bevölkerung
zu erhalten als das auf den Hügelländern, Hochebenen und Gebirgen
des Landes der Fall ist.
Die vorstehenden Entwickelungen zeigen', wie die Bodenbauver-
hältnisse und die Industrieen der Städte in der Rheinebene in reger
Wechselwirkung stehen; am grossartigsten tritt dies zu Tage bei Tabak-
bau und Tabakindustrie, worauf schon hingewiesen wurde. 1875 besass
Baden 487 Tabakfabriken, während ganz Deutschland rund 4000 Betriebe
besitzt; die Tabakfabrikation ist hiernach eine der allerbedeutendsten.
ihre Mittelpunkte sind Mannheim, Karlsruhe, Lahr.
Hand in Hand mit der reichen Zufuhr von Erzeugnissen des ge-
segneten Landes, die industriell zu verarbeiten und in den Handel zu
bringen die Hauptaufgabe der Bevölkerungsmittelpunkte, also der älteren
und neueren Städte ist, haben sich in diesen Industrie und Verkehr
gehoben, unterstützt durch ihre zumeist günstige Lage. So kamen über-
haupt auch zahlreiche andere Gewerbe in grossartigen Aufschwung, und
wir finden in den Städten der Rheinebene und ihres östlichen Randes
Grossbetriebe aller Art mächtig entwickelt, so z. B. Verarbeitung von
Metallen, Maschinenfabrikation (Freiburg, Karlsruhe, Durlach, Mann-
heim); chemische Industrieen (Mannheim und Umgebung); die Textil-
industrie ausser dem Oberland besonders in Lahr, Offenburg, Ettlingen:
Papier- und Lederindustrie in Karlsruhe, Mannheim, Schwetzingen, Wein-
1(51] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 161
heim, Heidelberg; die Verarbeitung von Holz in Kehl, Oflfenburg, Rastatt,
Karlsruhe, Bruchsal, Mannheim, Heidelberg u. s. w. Um den in neuester
Zeit enormen Aufschwung des Handels nachzuweisen, mögen einige
Daten über Mannheim hier Platz finden.
In Mannheim sind im Jahre 1888 im ganzen 10 704 Schiffe,
darunter 2925 Dampfer und 7779 Segelboote, angekommen und abge-
gangen mit einem Gesamtgehalt von 170G585 Tonnen beförderter Güter
bei der Ankunft und 377150 Tonnen ebensolcher beim Abgang, zu-
sammen also mit einer Güterlast von 2 083 735 Tonnen; es kann dieser
Hafen infolge seiner wichtigen Lage am oberen Endpunkt der grossen
Kheinschiffahrt als Hauptplatz Südwest - Deutschlands in Eisen und
Metallen, vor allem aber in Getreide, Hopfen, Holz, Kohlen, Manufaktur-
waren, Droguen und Farbwaren, Mehl und Mühlenfabrikaten, Petroleum,
Tabak und Wein angesehen werden.
Mannheim, die erste Handelsstadt, und Karlsruhe, eine hoch-
wichtige Fabrikstadt, haben die anderen älteren Hauptorte des nörd-
lichen Badens, Weinheim, Heidelberg, Bruchsal, Durlach und Ett-
lingen weit überflügelt; Rastatt war bis zur Stunde durch die
Festungswerke beengt, Baden ist mehr -auf die Fremdenindustrie
als auf Gewerbe und Handel angewiesen; Offenburg und Lahr liegen
TOD den Hauptpunkten des oberrheinischen Verkehrslebens, vom Nord-
und Südende der Ebene zu weit ab, haben aber seit Jahrzehnten
die Vorzüge ihrer Umgebung und ihrer Lage soweit als möglich aus-
genutzt; Freiburg, nahe dem ßheinknie und doch nicht wie das
schweizerische Basel unmittelbar an der Grenze gelegen, ist zwischen
Basel und Karlsruhe die einzige grössere Stadt, die als Hauptort der
oberen Ebene und des ganzen mittleren und südlichen Schwarzwaldes
gelten kann. Es ist so ein Handelsmittelpunkt zweiten flanges und
wird das im Vergleich mit Mannheim und Karlsruhe stets bleiben.
Sein Aufblühen ist seit zwanzig Jahren auf die gedeihliche Entwicke-
lung seiner Hochschule und auf die anziehende Wirkung seiner land-
schaftlich schönen, klimatisch so günstigen Lage auf vermögliche
Fremde zurückzuführen. Von Interesse mag ein Vergleich der 16
grösseren Städte des Landes, von denen 12 in der Rheinebene gelegen
sind, nach ihrem Wachstum sein (s. umstehende Tabelle).
Wir sehen in den 52 Jahren von 1812 — 1864, in denen sich all-
mählich der üebergang der alten Industrie- und Verkehrsmittel zu den
neuen vollzog, das Wachstum der Hauptstädte des Landes in sehr ver-
schiedener Weise vor sich gehen. Das Gold Hess Pforzheim, die
Baumwolle Lörrach, die Eisenbahn Karlsruhe, die warmen Quellen
Hessen Baden enorm ihre Volkszahl vermehren, die anderen Städte,
selbst Mannheim folgten langsameren Schrittes. Die Jahre seit 1864
haben unter Einwirkung des nationalen Aufschwunges und ganz unter
dem Eindrucke der jetzt eingelebten modernen Produktions- und Ver-
kehrsmittel die Städte so weiter gedeihen lassen, wie es ihren Hilfs-
quellen und ihrer Lage entspricht.
Preiburg, wie oben gesagt ein Mittelpunkt zweiten Grades, zeigte
zunächst relativ die rascheste Aufwärtsbewegung, Mannheim hat erst
mit Karlsruhe gleichen Schritt gehalten, um es seit 1885 rasch be-
FoTSchungen zur deatschen Landes- und Volkskunde. VIT. i. 11
162
Ludwig Neamann,
[162
Einwohnerzahl
Zuwachs in
Prozenten
Jährlicher Zuwachs
in Proz.
1812
1864
1812
1664
1885^)
O.Z.
Namen
1812
1864
1885
1890 ')
bis
1864
bis
1885
bis
1864
bis
1885
bis
1890
1
Mannheim
18213
30551
61273
79044
67,8
100,7
1,80
4,80
5, 90
2
Karlsruhe
13727
30366
61066
73496
121,5
101,0
2,82
4,81
4,os
3
Freiburg
10108
19167
41340
48788«)
89,7
115,8
U2
5,50
2,9-.*)
4
Heidelberg
9826
17666
26928
31737»)
80,0
52,8
1,58
2,49
Lt.*^)
5
Pforzheim
5301
16320
27201
•29987
207,1)
67,4
3,89
3,22
2.05
6
Konstanz
4503
8516
14601
16233
89,2
71,6
1,72
3,4t
2,24
7
Baden
3085
8856
12779
13889
186,8
44,8
3,58
2,11
1,«
8
Rastatt
4204
7619
11743
11570')
81,8
56,7
1,56
2,70
-0,3«
9
Bruchsal
5447
8980
11658
11902
64,8
29,8
1,85
1,42
0.4S
10
Lahr
4660
7424 9937
10809
59,8
33,8
1,14
1,«1
1,-«
11
Offenburg
2880
5196
7759
8462
80,4
49,8
1,55
2,84
1,84
12
Durlach
3910
5794
7656
8240
47.8
32,1
0,96
1,52
1,51
13
Weinheim
4039
6287
7595
8239
55,8
20,8
1,07
0,95
1,-0
U
Lörrach
1906
5162
6795
8122
171,4
31,7
3,80
1,51
3,90
15
Ettlingen
3029
4871
6199
6548
60,8
27,8
1,17
1.80
1.18
16
Villingen
3316
4443
6140
6423
37,0
38,8
0,71
1.82
0,77
*) Der Vollständigkeit halber hier noch beigesetzt; vgl. die Bemerkungen
des Vorworts.
«) Mit Hinzurechnung der 2 kleinen Landgemeinden Güntersthal und Has-
lach, die am 1. Januar 1890 mit der Stadtgemeinde vereinigt worden sind.
*) Mit Hinzurechnung der grossen Landgemeinde Neuenheim, die am 1. Januar
1891 mit der Stadtgemeinde vereinigt worden ist.
*) Die Abnahme erklärt sich aus einer namhaften Gamisonsverminderung
infolge Schleifung der Festung.
^) Durch Zurechnung von Güntersthal und Haslach wächst diese Zahl auf
3,5» '/o.
^) Durch Zurechnung von Neuenheim wächst diese Zahl auf 3,58 79-
1(33] I^iß Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 163
deutend zu überflügeln, nachdem es sich vor den sechziger Jahren fast
nur halb so rasch entwickelt hatte; Pforzheim und Baden scheinen
neben den Hauptcentren zu langsamerem Fortschreiten gezwungen,
Konstanz ist nach seiner Lage und den veränderten Verhältnissen an-
gepasst auf dem besten Wege, für den südöstlichen Landesteil wieder
das zu werden, was es im Mittelalter ward, und das was Freiburg für
den Südwesten ist. Die Städte in der Nähe von Mannheim und Karls-
ruhe werden von diesen gedrückt, denn sonst könnte z. B. Heidelberg,
mit denselben Vorzügen wie Freiburg ausgestattet, nicht so weit hinter
diesem zurückgeblieben sein; dasselbe zeigen die vorstehenden Zahlen
för Weinheim, Bruchsal, Durlach und Ettlingen. Offenburg, Lahr und
Villingen haben für ihre engeren Produktions- und Absatzgebiete stei-
gende Bedeutung und nehmen seit der Erschliessung neuer Verkehrs-
Imien (Schwarzwaldbahn) wesentlich zu. Lörrach, das in der ersten
Hälfte des Jahrhunderts neben Porzheim und Baden am raschesten auf-
geblüht war, entwickelte sich in den sechziger und siebenziger Jahren
etwas langsamer, um, nachdem die durch die Angliederung des Elsass
an das deutsche Wirtschaftsgebiet erstandenen Schwierigkeiten allmählich
überwunden waren, seit 1885 neben Mannheim und Karlsruhe den be-
deutendsten Aufschwung zu nehmen, wobei die Bedeutung des nahe
gelegenen Basel nicht unterschätzt werden darf. Rastatt endlich muss
ausserhalb der Betrachtung bleiben, da es bisher als Festung eine ganz
eigenartige Stellung einnahm und mit seiner grossen Garnison seine Be-
Tölkerung um etwa 40 ^/o zu hoch erscheinen lässt. Immerhin ist es
ohne Militär in den 75 Jahren von 1812 — 1885 im ganzen um 62,9,
jährlich also um 0,86 ^'/o gewachsen, während die Garnisonsverminderung
in jüngster Zeit zu einer Abnahme geführt hat.
Haben wir so die moderne Stellung der Städte in ähnlicher Weise
kennen gelernt, wie wir zuvor im stände waren, die ländlichen Siede-
lungen nach ihrer Natur und ihrer Bodenbenutzung im ganzen zu
chrakterisieren,' so ist jetzt die Erklärung der verschiedenen Dichtestufen
in der Rheinebene an der Hand der Karte eine einfache Sache, die nur
kurz besprochen zu werden braucht; denn hier ist die Karte fast nichts
anderes als die Illustration zu den vorstehenden Ausführungen.
Die mittlere Volksdichte der ganzen Rheinebene beträgt mit Ein-
schluss der Städte 228 Einwohner pro qkm, also mehr als das Doppelte
des Landesmittels (106); schliessen wir in beiden Fällen die Städte aus,
so erhalten wir die Zahlen 150 gegen 85, d. h. die ländliche Bevölkerung
der ßheinebene ist 1,7 6 mal so stark als diejenige des Landes, ein Ver-
hältnis, das nach den vorstehenden Ausführungen zu erwarten gewesen
ist. Der wegen der ganzen Anlage dieser Untersuchung, welche eben
die Verteilung der Bevölkerung auch nach der Höhenlage genau dar-
stellen sollte, für die Rheinebene in den tabellarischen Zusammenstellungen
ebenfalls durchgeführte Gegensatz der Höhenstufen ist streng genommen
für diese gleichgültig, da, wie schon ausgeführt, die Klima- und Boden-
verhältnisse in der ganzen Länge der Ebene keinen prinzipiellen Unter-
schied auffinden lassen, der von der Höhe abhängig wäre. Es werden
deshalb auch hier in einem oder dem anderen Falle andere Gruppierungen
versucht werden, als in den Tabellen.
164 Ludwig Neumann, Fl 64
Halten wir das Dichtemittel von 150 für die ländliche Bevölkerung
fest, so erscheint die Umgebung von Mannheim gerade normal, d. h.
trotz aller Industrie ist diese Landschaft, die als direkt unter dem Ein-
fluss der Stadt stehend angesehen werden muss, nicht übermässig stark
bevölkert, was wir ohne weiteres den vielen Waldungen auf sandigem
Dünenboden zuschreiben können. Dass die Dichte unterhalb des Hoch-
ufers nur 32 beträgt, hat in früheren Ausführungen seine Erklärung
gefunden. Die Landschaft C a 4 der Tabelle IX, die zwischen dem
Gebirgsfuss und der hessischen Grenze unter 100 m gelegen ist, er-
scheint sofort in ihrer wahren Bedeutung, wenn wir den verschwindend
kleinen Höhenunterschied fallen lassen und dies Gebiet mit C ß 4 , mit
der Bergstrasse in der Umgebung von Weinheim, wozu es auch natur-
gemäss gehört, vereinigen, wie dies auch auf der Karte geschehen ist.
Heidelberg ist mit Neuenheim, soweit beide Orte unter 200 m
liegen, zu einem Wohnort vereinigt, der seiner ganzen Lage und
Bedeutung nach zur Rheinebene gerechnet werden musste , obwohl es
in der Hauptsache zwischen den letzten Bergabhängen des Neckarthaies
liegt. Diese Lage gab dem Orte von jeher nur seinen Schutz; seine
Wichtigkeit aber war zu allen Zeiten darin begründet, dass es den
Uebergang von der Ebene zum Gebirg beherrschte, gleichzeitig an der
oft genannten Bergstrasse und am Ende der Neckarstrasse lag. Die
Umgebung Heidelbergs in der Ebene und am Fluss aufwärts bis gegen
Neckargmünd ist die am dichtesten bevölkerte Landschaft Badens, wir
sehen hier den guten Boden, der die vollständige Ausrottung des Waldes
in der Ebene lohnte, den denkbar intensivsten Anbau der Handels-
gewächse, die Verkehrsstrassen, die Nähe der grösseren Stadt, lauter
Umstände, die mehr als anderswo grosse Landorte dicht nebeneinander
entstehen Hessen.
Während der Gebirgsfuss bis gegen Bruchsal sehr stark bevölkert
ist, finden wir weiter in die Ebene hinaus eine Abnahme, die nördlich
vom Neckar grösser ist als südlich desselben, was wohl direkt aus der
sandigen Beschaffenheit des Bodens zu erklären ist; der schmale Streifen
unter dem Hochufer bis gegen Karlsruhe hin ist fast ganz menschen-
leer. Die Umgebung von Bruchsal zeigt verhältnismässig eine geringe
Dichte (102), was wohl mit den Verhältnissen zusammenhängt, die
Bruchsal selbst nicht haben aufblühen lassen, wie dies ohne die Nach-
barschaft von Mannheim und Karlsruhe hätte sein können. Um so
stärker ist die kurze Strecke des Gebirgsfusses von Bruchsal bis gegen
Durlach bevölkert, wo Tabak- und Weinbau in hervorragendem Masse
blühen und das Hinterland der Kraichgauer Hügel überaus leicht er-
schlossen ist.
Die Städte Karlsruhe, Durlach und Ettlingen liegen einander so
nahe und sind durch alle möglichen Verkehrserleichterungen mitein-
ander so innig verbunden, dass sie als ein gemeinsames Centrum für
die ganze weitere Umgebung vom Gebirgsfuss bis zum Rhein angesehen
werden dürfen. Die Landorte sind hier auch längs der alten Strassen
dicht aneinander gerückt und die Volkszahl ist unter dem Einfluss der
hoch entwickelten Industrie und der glücklichen Verkehrslage sein: ge-
wachsen, die Dichte beträgt trotz der grossen und weitausgedehnten
]l)5] Die Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 1G5
Waldungen in der Mitte der Ebene 157 pro qkm über dem Hochufer
und 127 pro qkm unter demselben. Das Gebiet von Rastatt erscheint,
60 nahe es den oben besprochenen Landschaften liegt, infolge des
nassen, sumpfigen, waldreichen Bodens sehr dünn bevölkert, ausnahms-
weise über dem Hochufer noch dünner als unter demselben; die topo-
graphische Karte zeigt, dass nur die Verteilung der Waldungen die
Ursache dieses Umstandes sein kann.
Baden, obschon im Oosthal gelegen, ist doch der Rh einebene
zugerechnet worden , soweit es unter 200 m liegt ; seine gartengleiche,
die Bäderstadt mit ihren 60000 Fremden im Jahr ernährende Um-
gebung, soweit sie sich aus dem Thal heraus in die Ebene erstreckt,
hat alle wertvollen Eigenschaften der Bergstrasse und ist dem ent-
sprechend sehr stark bevölkert; dasselbe gilt vom ganzen Qebirgsfuss
und den Thalmündungen bis gegen Offenburg, einer Landschaft, die
ebenfalls einem einzigen Garten vergleichbar ist. Bis gegen die Rench
erstreckt sich unter dem Hochufer ein dünn bevölkerter Landstrich,
der mittlere Landstreifen aber zeigt von der Murg bis zur Einzig eine
Dichte, die genau den oben geschilderten Zuständen entspricht (110),
die aber wie überall hinter derjenigen am Öebirgsfuss (27G) wesentlich
zurückbleibt.
In der ebenen Umgebung von Offenburg steigt die Dichte etwas
(l-^l), der Bedeutung dieser Stadt entsprechend, noch mehr wächst sie
am Gebirgsfuss bis Lahr (211), in der halb hügeligen, halb ebenen
Umgebung dieser Industriestadt (275) und am Bergrand bis Emmen-
dingen (297), während die freie Ebene im Westen wieder schwächer
(128) und die feuchten Niederungen an der Elz noch dünner bevölkert
sind (67). Rings um den Kaiserstuhl steigt, der intensiven Bodenkultur
entsprechend, die Bevölkerung zu einem viel höheren Grad (218 und
1G2) als in dem eben genannten nördlichen Gebiet und in dem ähnlichen,
durch feuchte Moore ausgezeichneten Lande zwischen Kaiserstuhl und
Tuniberg (74). Der letztere und einige andere niedere Hügel, welche
zwischen Freiburg und dem Kaiserstuhl aus der Ebene hervorragen,
geben durch ihren Reb- und Ackerbau die Veranlassung, dass dieser
gesamte Teil der Ebene dichter bevölkert sein kann, als es der Diluvial-
boden der Ebene an sich (Mooswald) möglich machen könnte.
Die Elzthalmündung mit dem industriereichen Waldkirch und der
Gebirgsfuss bis Freiburg, wo Ortschaft an Ortschaft sich anreiht, wie
dies nur in Kebbau treibenden Gegenden der Fall ist, gehört zu den
dichtest bevölkerten Landesteilen (359), während die nähere Umgebung
Freiburgs mit ihrem Kiesboden und ihren feuchten Waldungen sowohl
im Dreisamthal als in der Ebene ihre Dichte nicht über 130 Einwohner
pro qkm gesteigert hat. Noch weiter hinaus herrschen die Zustände
wie in der weiteren Umgebung des Kaiserstuhls, und die Dichte ist
auch eine ähnlich geringe, nämlich 68 pro qkm. Dagegen "behält der
Gebirgsfuss bis Schliengen die Eigenschaften, die wir weiter im Norden
fanden, bei und ist ausgezeiclmet durch eine sehr hohe Dichte (206),
die nach Westen bis zum Hochufer auf 122 abnimmt und unterhalb
des Hochufers nur wenige Einzelhäuser bestehen lässt.
So sehen wir in allen Teilen der Rheinebene bezüglich der Dichte
166 Ludwig Neumann, [166
der Ansiedelungen und der Bevölkerung fast ungetrübt ein und das-
selbe Gesetz walten, das aus den natürlichen Verhältnissen und aus der
kulturellen Entwickelung dieses Landstriches sich naturnotwendig heraus-
gestaltet hat : grösste Dichte am fruchtbaren, Wein, Obst und Getreide
spendenden Gebirgsfuss, dem die grosse Hauptstrasse des Landes ent-
lang zieht , ganz dünne Bevölkerung unter dem gefährdeten Hochufer,
und dazwischen einen mitteldicht mit Ansiedlern ausgestatteten Land-
streifen, der je nach der Art des Bodens und der dadurch bedingten
Verbreitung der Wälder sich günstiger oder weniger günstig ent-
wickelt hat.
In diesem Gebiete finden wir weiter zahlreiche grössere und
mittelgrosse, alte und junge Städte, die je nach der Gunst ihrer Lage
rasch voranschritten oder verhältnismässig zurückblieben, und die ihre
Umgebung ganz im Sinne der eigenen Entwickelung und nach der Natur
des Bodens beeinflussten.
So erscheinen uns im Gebirge wie in der Ebene Art und Be-
deutung der Siedelungen streng bedingt von natürlichen Einflüssen,
von den Wegen des grösseren und kleineren Verkehrs und vom Gang
der Geschichte, welch letzteres Moment niemals ausser acht gelassen
werden darf, wie hier des öftern ausgesprochen werden musste.
Wie bei den übrigen Landesteilen, sollen auch bei der Rheinebene
noch die Wohnorte kurz zur Sprache kommen. Es liegen von den
419 Gemeinden mit
„«+^. nnn 500 bis 1000 bis 2C0O bis 6000 bis ober 10000
unter öuu jqq^ gOOO 6000 10000 bohnern
unter 100 m 3 — 2 4 — 1
von 100— 200 m 47 97 119 61 5 5
von 200-300 m 21 35 15 3 - 1
71 132 136 68 5 7
Die Rheinebene hat also verhältnismässig grosse Ortschaften; das
zeigt auch die Verteilung der Orte auf der Karte ohne weiteres, es
sticht aber auch in die Augen, wenn man bedenkt, dass im Durch-
schnitt eine Gemeinde in Baden 998 Einwohner hat, dass in den Ge-
bietsteilen ausserhalb der Rheinebene diese Durchschnittszahl auf GIO
herabsinkt, während sie für die Rheinebene 1803 oder nach Ausscheidung
der grösseren Städte von über 6000 Einwohnern immer noch 1204
beträgt. Auch überwiegen überall in der Rheinebene die geschlossenen
Wohnorte; während in den Bezirken der Hügelländer, Hochebenen
und Gebirge die durchschnittliche Bewohnerzahl eines Wohnortes
zwischen 44 und 282 schwankt, liegt sie in den Bezirken der Rhein-
ebene zwischen 354 und 623 , wobei wieder die grössten Städte nicht
berücksichtigt sind.
In jeder Beziehung stellt sich also die Rheinebene mit ihrem
Gebirgsrande als der materiell bestsituierte Teil des Grossherzog-
tums dar.
Sprechers Karte wird diesen Verhältnissen ziemlich gut gerecht,
nur trennt sie nicht die Gebiete unter und über dem Rheinhochufer,
ferner hebt sie die Wälder, nicht aber die Umgebungen der Städte
It571 I^ie Volksdichte im Grossherzogtum Baden. 167
besonders hervor, wodurch die Verteilung eine etwas andere wird.
Doch tritt auch bei ihr, und zwar sehr scharf und bestimmt, der Fuss
des Gebirges in seiner ganzen Bedeutug klar hervor, allerdings überall
in derselben Dichte (über 200), während sich uns an verschiedenen
Stellen verschiedene Dichtegrade ergeben haben. Ob Sprechers Dichte-
grad 80 — 100 Einwohner pro qkm, der weitaus den grössten Teil der
Ebene einnimmt, im Verhältnis zu demjenigen am Qebirgsfuss (über 200)
für 1820 nicht etwas zu hoch angenommen ist, lässt sich hier schwer
entscheiden.
y. Schlussbemerkuiigeii.
Indem im vorstehenden die Volksdichte in 10 natürlichen Gebieten
des Grossherzogtums Baden zum Gegenstand einer eingehenden Behand-
lung gemacht worden ist, hat versucht werden können, die im Eingang
gestellte Frage zu beantworten:
Wie verhält sich die gegenwärtige Bevölkerung des Grossherzog-
tums Baden unter dem Einfluss der orographischen und hydrographi-
schen Lage, der Höhe, des Klimas, der Bodenbeschaffenheit und
Bodenbebauung, endlich unter Berücksichtigung der grossen Verkehrs-
strassen und der modernen Ausgestaltung der Grossindustrie?
Wir haben im Verlauf unserer Ausführungen darlegen können,
wie all die genannten Momente in dem einen Landesteile mehr, im
anderen weniger entscheidend, bald positiv, bald negativ auf die Volks-
verteilung einwirken, wie die Ungunst des einen Umstandes durch die
Gunst des anderen gemildert oder ausgeglichen wird. Und so gestaltet
sich der bildliche Ausdruck, den diese Darlegungen in der Dichtekarte
gefunden haben, zu einem wichtigen Anschauungsmittel, das dem ge-
übten Auge mühelos kund thut, wo wir in unserem Heimatlande unter
fördernden Einflüssen für die Bewohner desselben stehen, wo nicht.
Die Karte giebt auch Anlass dazu, die verschiedenartigen Einflüsse, mit
denen wir uns zu beschäftigen hatten, gegeneinander abzuwägen, und
da stellt sich uns auf den ersten BUck das Resultat klar vor Augen,
dass das Moment der Höhe und der von ihr bedingten
klimatischen Einflüsse nicht so einschneidend wirksam
ist, wie man von vornherein zu erwarten hätte versucht
sein mögen.
Finden wir in der gesamten Rheinebene, die nach früheren Aus-
führungen bis zur Höhe von 300 m unter derselben klimatischen Be-
günstigung steht, wie in ihren tiefsten Teilen, im oberen Rheinthale
bis zur selben Höhengrenze, sodann in den tief liegenden Thälern des
Main, der Tauber, des Neckar, der Murg und Kinzig bis zur Höhen-
grenze von 200 m eine mittlere Dichte von etwa 230 pro qkm, so
169] Ludwig Nemnann, Die Yolksdichte im Grossherzogtum Baden. Iß9
zeigen sich im einzelnen von diesem Mittelwerte doch grosse Ab-
weichungen; denken wir nur an das Neckarthal im Buntsandstein
und Muschelkalk, an die Rheinebene über und unter dem Hochufer,
an die Bergstrasse von Basel bis Weinheim, an die Umgebung von
Lörrach!
Welche Unterschiede treten uns da entgegen! Und als Ursachen
sind sofort zu erkennen die Oüte des Bodens, seine Sicherheit vor
schädlichen Naturgewalten (Wasser), die Verkehrslage, die geschicht-
liche Entwickelung der Bevölkerungsmittelpunkte in politischer und
ökonomischer, besonders aber in industrieller Hinsicht. In allen Höhen-
stufen tritt dieselbe Wahrnehmung uns wieder entgegen. Es mag,
ohne nochmals auf alle Einzelheiten einzugehen, nur an die Gegensätze
zwischen dem Odenwald, den einzelnen Teilen des Schwarzwaldes, der
Baar, den Hügelländern am Bodensee hingewiesen werden. Ueberall
nimmt im allgemeinen die Volkszahl mit der Höhe ab, so dass trotz
einzelner Ausnahmen sich festhalten lässt, es habe der Mensch unter
den verschiedensten sonstigen Naturbedingungen die klimatisch milderen
Gebiete stets und überall bevorzugt, aber die Art dieser Abnahme ist
grundverschieden nach der orographischen Ausgestaltung der Höhenformen.
Wir haben in allen Landesteilen Gelegenheit gehabt, darzuthun, wie
z. B. nur einigermassen steile Thalgehänge stets schwächer bevölkert
sind, als höher gelegene, mehr eben gestaltete Landschaften, wie stark
unebenes Terrain anthropogeographisch wenig günstig erscheint gegen-
über den weicheren Formen des Hügellandes und der Hochfläche. Das
geht so weit, dass die rauheste Landschaft in Baden, die Baar mit ihren
strengen Wintern auf einer Mittelhöhe von 770 m eine Volksdichte
hervorgerufen hat, die bei ganz landwirtschaftlichem Charakter der
Bevölkerung in unseren Breiten kaum zum zweitenmal wird angetroffen
werden können. Sie verdankt das ihrem Boden und zeigt damit aufs
deutlichste, dass der Mensch dazu geeignet und geneigt ist, den Kampf
mit dem klimatischen Feinde aufzunehmen und durchzuführen, wenn er
sich durch dauernde materielle Hilfskräfte unterstützt weiss. Wje hoch
die Bevölkerung am Schwarzwalde sich in die Höhe zieht, ist ausführ-
lich mitgeteilt worden. Gestaltet sich auch das Dasein über 800 m nicht
mehr zum denkbar angenehmsten , so ist es doch auskömmlich und
befriedigend und 3,87 ^/o der Landesbevölkerung sind glücklich über
ihre hochgelegene, so eigenartig reizvolle Heimat, in die sie fast alle
wieder heimkehren, wenn auch des Lebens Drang sie weit genug in der
Welt umhergeworfen hat.
Die obere Grenze ständiger menschlicher Wohnsitze liegt im
Schwarzwalde, wenn von den modernen Touristenhäusern abgesehen
wird, genau bei 1200 m, also bei einer mittleren Jahrestemperatur von
5,5 ® C, während die Mittel der Jahreszeiten Winter, Frühling, Sommer^
Herbst bezüglich — 1,7 ; 4,4; 13,4; 5,9 ® C. betragen. In der Baar ist
die Wintertemperatur noch um ein weniges niederer ( — 2,i ^). Diese
Werte erscheinen also als die Extreme, über welche, wenn eine Wahl
möglich ist, die Ansiedler unserer Gegenden und ihres klimatischen
Gesamtzustandes nicht hinausgehen. Sonst aber entscheidet für die
Niederlassungen überall der Boden, der die Kulturart bedingt und aufs
170 Ludwig Neumann, [170
aUerrerschiedenste gestaltet, wie wir sahen, und dann die Lage zum
allgemeinen Verkehr.
Sind diese Verhältnisse günstig, so kommt es auf die Höhenlage
durchaus erst in zweiter Reihe an, wie dies ganz besonders klar sich
in den Zustanden der vier Schwarzwaldteile widerspiegelt, wo oro-
graphische Momente (Kammform, Thalbau) und Bodenbeschaffenheit
(Buntsandstein, Bewaldung) sich als weitaus die wichtigsten Momente
für die Art der Besiedelungen und ihre Dichte haben erkennen lassen.
In seiner Arbeit über die deutschen Buntsandsteingebirge (cf. Litt.-
Verz.) hat E. Küster den Waldungen, dem Acker- und Wiesenbau, dem
Gewerbefleiss und Handel, der Wegsamkeit, endlich der Besiedelung in
den deutschen Buntsandsteingebirgen eigene Abschnitte gewidmet
(S. 73 — 99) und dabei vielfach auf die auch uns beschäftigenden Ge-
birge des Odenwaldes und Schwarzwaldes Rücksicht genommen, indem
er unter stetem Hinweis auf die geologische Gliederung des Buntsand-
steines, die Bewässerungsverbältm'sse, Oberflächenformen, Thalbildungen
desselben die Wirkung all dieser Faktoren auf die von ihnen abhängigen
anthropogeographischen Fragen abzuleiten sucht. Seine Ausführungen
decken sich mannigfach mit den vorstehenden und lassen den Wunsch
berechtigt erscheinen, es möchten auch für andere Formationen als für die
des Buntsandsteines entsprechende Untersuchungen durchgeführt werden.
Auch auf Küsters schon erwähnten Aufsatz „Zur Methode der
Volksdichtedarstellung ^ muss hier nochmals zurückgekommen werden.
Bei Besprechung der Sprecherschen Karte äussert Küster die Ansicht,
es sei bei der graphischen Darstellung der Volksdichte eine Ausscheidung
nach Berufsarten wünschenswert; die ackerbautreibende Bevölkerung sei
nach der relativen Dichte zu verzeichnen, der Rest aber nach seiner
wahren Verteilung, nach seiner absoluten Grösse, indem etwa Farbe
und Grösse der Ortssignaturen diese absolute Grösse der nicht ackerbau-
treibenden Bevölkerung zum Ausdruck bringen könnten. Bei ausreichen-
dem Massstab der Dichtekarte sei auch die Darstellung der acker-
bauenden Bevölkerung noch vervollkommnungsfähig. Es solle durch
Einführung von Koeffizienten, welche z. B. aus den Grundsteuer-Rein-
erträgnissen zu ermitteln wären, der zahlenmässige Einfluss von Acker,
Wiese, Waldung, Oedung ersichtlich gemacht und danach die Volks-
dichte dargestellt werden.
Nach meiner Meinung ist die Erfüllung dieser Forderung ein
Ding absoluter Unmöglichkeit.
Schon für eine einzige Gemeinde ist es undurchführbar, zahlen-
mässig den Einfluss der verschiedenen Bodenbenutzungsformen auf die
Volkszahl festzustellen, denn es müsste da auf die Verhältnisse jedes
einzelnen Besitzers und Arbeiters der Gemeinde eingegangen und scharf
auseinandergehalten werden, was er durch Erträgnis seiner eigenen
Aecker, Wiesen, Waldungen erwirbt, was die Dienstleistung im Gemeinde-,
Körperschafts- oder Staats wald, was der Allmendnutzen, was endlich
neben der Land- oder Waldwirtschaft als Haupterwerb die etwaige
Hausindustrie oder der Arbeitslohn einzelner Familienmitglieder in
Fabriken u. s. w, einträgt. All das gegeneinander abzuwägen, ist un-
xhführbar und das um so mehr, als es sich für den hier vorliegenden
171] Die Volksdichte im Grossherzogtom Baden. 171
Zweck nicht um gemeindeweise Anordnung, sondern um eine solche
nach mehreren Tausenden von Wohnorten handelt. Alle statistischen
Urmaterialien würden, wenn ein derartiger Versuch gemacht werden
sollte, völlig im Stich lassen.
Das ist auch die Ursache, warum die Ausführungen im speziellen
Teil unserer vorliegenden Arbeit, wenn es sich um zahlenmässige Be-
lege handelte, vielfach verallgemeinern mussten, und warum für manche
Einzelgebiete völlig auf solche Belege verzichtet und der Weg allge*
meiner Betrachtungen eingeschlagen worden ist. Unsere Dichtekarte
sollte eigentlich, wenn sie im Küsterschen Sinne gearbeitet wäre, von
einer Karte der geologischen Bodenbeschaffenheit, der Waldungen, der
Bodennutzung, der Gewerbe und Industrieen begleitet sein müssen, da ja
«in einziges Blatt unmöglich all diese Dinge gleichzeitig geben kann.
Dabei aber hätte in allen Stücken das Urmaterial nach Wohnorten
gegliedert sein müssen, denn sonst hätte ja Volksdichte und Begründung
derselben nicht zur Deckung gebracht werden können.
Was demnach unsere Dichtekarte zeigt, das ist das Verhältnis
der Volksdichte zur Höhenlage. Was der erklärende Text bieten will,
kann und soll, das ist der Nachweis, wie innerhalb der unterschiedenen
Gebiete neben der Höhe die oft erwähnten anderen Faktoren der Volks-
verdichtung fördernd oder hindernd in Wirksamkeit treten. Die Karte
lehrt uns, wie das im Text versucht worden ist, zwischen den verschie-
densten anderen Einflüssen abzuwägen, sie einander gegenüberzustellen
und so allgemein zu einem Urteil darüber zu kommen, wie innerhalb
«iner gegebenen Höhenstufe Boden, Klima, Bewässerung, Verkebrslage,
bodenständiges oder künstlich eingeführtes Gewerbe zur Volksverdichtung
günstig oder ungünstig mitwirkt.
Wir haben gesehen, dass im allgemeinen die Volksdichte mit der
Höhe abnimmt, dass aber in Rücksicht auf den Gesamtzustand des be-
trachteten Landes dieses Gesetz in der allerentschiedensten Weise durch
die eben genannten Faktoren modifiziert werden kann.
Ratzel giebt in seinem schönen Aufsatze: „Höhengrenzen und
Höhengürtel* (s. Litt.) geistvolle Gesichtspunkte über die Frage nach
der Verbreitung klimatologischer nnd biologischer Erscheinungen. Er
sagt u. a.: „Jede Höhengrenze klimatologischer und biologischer Natur
setzt sich aus Wirkungen eines allgemeinen Gesetzes und aus Wirkungen
örtlich beschränkter Ursachen zusammen, die bald rein, bald einander
beeinflussend sich darstellen. Man kann daher bei jeder Höhengrenze
der angedeuteten Art drei Klassen von Erscheinungen unterscheiden,
nämlich: 1) Wirkungen des allgemeinen Gesetzes; 2) Wirkungen ört-
licher Ursachen; 3) zusammengesetzte Wirkungen des allgemeinen
Gesetzes und der örtlichen Ursachen."
Das allgemeine Gesetz ist die Abnahme der Wärme mit der Höhe,
und für uns. hier infolge davon die grössere Schwierigkeit, dem Boden
Nahrung abzugewinnen. Darum sehen wir von Franken bis zum
Bodensee nach oben auch die Volksdichte abnehmen. Die örtlichen
Ursachen aber sind all die vielen oft aufgezählten Momente, die das
eine Gebiet bei einer Höhenlage dicht bewohnt erscheinen lassen, in
welcher ein anderes schon unbewohnt ist.
172 Ludwig Neumann, Die Yolksdichte im Grossherzog^um Baden. [172
Für unsere Breiten und für die klimatischen Zustande unserer
Lage in Mitteleuropa ist innerhalb der vorhandenen Höhenzonen, die
überhaupt bewohnt sind, nach der eben eingeführten Bezeichnungsweise
Ratzeis die Wirkung der örtlichen Ursachen mächtiger als die des
allgemeinen Gesetzes, oder die statische Höhenzone, welche von der
Erhebung des Festen abhängt, wird an Bedeutung überwunden von der
dynamischen, welch letztere durch den frei beweglichen, durch In-
telligenz bestimmten Menschen repräsentiert wird. Denn dieser hat
sich in schwerer Arbeit jeden örtlichen Vorzug, wo er ihn fand, zu
nutze gemacht, er hat sich in Jahrtausende währendem Kampfe jeden
Fleck Erde so gestaltet, wie sein weitschauender Blick ihm die Wege
dazu vorwies. Und so hat Ratzel recht, wenn er in seiner Anthropo-
geographie sagt: „Die geographische Verbreitung des Menschen ist
das Ergebnis aus dem Zusammenwirken seiner eigenen Natur mit der
Natur, die ihn rings umgiebt." Unsere gesegneten Heimatgaue am
Oberrhein sind zu dem, was uns an ihnen so teuer ist, zu einer frucht-
baren Stätte jeglicher Kultur geworden, weil sie in die Hände eines
tüchtigen Volkes gegeben worden sind, das in seinem ganzen Wesen
die Gewähr bietet für gedeihliche Weiterentwickelung. Wer aus ursprüng-
lich rauhen Hochflächen, waldbedeckten Oebirgen und fiebererzeugenden
Sumpfhiederungen üppige Wiesen und reiche Getreidefelder, gesegnete
Gartenfluren und mächtige Mittelpunkte von Handel und Verkehr ge-
schaffen hat, der wird nie erlahmen, das Gewonnene zu wahren und die
Heimat zu erhalten auf der glücklichen Bahn des Fortschrittes in jeg-
lichem Zweige der Kultur.
^
ö
DIE
VERKEMSSTRASSEN IN SACHSEN
UND IHR
EINFLÜSS AUF DIE STlDTEENTWICKELüNG
BIS ZUM JAHRE 1500
VON
DB. A. glMON,
SEMINABLEHBEB IN AUERBACH I. V.
MIT EINER KARTE.
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1892.
Dtack der Caion Deatsche VeTl*KSg«8ell>clatt in SUIlffart.
••
Inhalt.
Seite
Bodengestalt und natürliche Verkehrsetraseen Sachsens 177 [5]
Abh&ngigkeit des Verkehrs von der Bodengestalt. Elstergebirge.
Erzgebirge and Sächsisches Bergland. Eibsandsteingebirge. Lau-
sitzer Gebirge und Lansitzer Platte. Sächsisches Flachland.
Slawische Ansiedelungen 189 [17]
Fruchtbarkeit und Bebauungsfähigkeit bedingen die Siedelungen,
der Verkehr die Städte. Verbreitung der slawischen Siedelungen
im Flachland, im Gebirge. Slawen nur in Dörfern. Grösse
derselben.
Deutsche Besiedelung 196 [24]
Eroberung und allmähliches Vordringen der Deutschen nach Osten.
Sicherung des Landes. Deutsche Ansiedelungen. Gegensatz
gegen slawische Siedelungen.
Stadteentwickelung 204 [32]
In slawischer Zeit keine Städte. Gegensatz zwischen Dorf und Stadt.
Allmähliches, nicht plötzliches Entstehen der Städte. Ver-
schiedene Dauer der Entwickelungszeit.
Yogtländische Strassen und Städte 206 [34]
Stadtrechti Handel, Befestigung, kirchliche Mittelpunkte. Strasse
Hof-Plauen-Zwickau, Eger- Plauen. Nebenstrassen.
Strassen und Städte des Erzgebirges 215 [43]
Wald als Verkehrshindernis. Bergstädte: Freiberg, Zinnstädte,
Schneeberg. Die Randstrasse Zwickau-Chemnitz-Freiberg-Dresden.
Zwickau und Chemnitz als Verkehrsmittelpunkte. Strassen über
das Erzgebirge. Elbe. Pirna als Eibhafen. Dresdens natürliche
Stellung. Strassen aus dem Elbthal.
176 Inhalt. [4
Seite
Strassen und Städte des Flachlandes und der Lausitzer Platte . . 241 [Od]
Meissens Lage. Westöstliche Verkehrswege. Strasse Meissen-
Mügeln-Merseburg. Anschluss der ErzgebirgsstrasseiL Strasse
Pirna-Bautzen, Merseburg-Bautzen. Entwickelung Meissens.
Leipzig als Gegenbild: Befestigung, Handelsstrassen, Handel,
Handwerk, Stadtrecht, Grösse. Städte der beiden Ostwest-
Strassen. Bautzen. Strassen der Lausitzer Platte. Zittau.
Schluss - . . 270 [98]
Zusammenfassung. Konstruktion der Karte.
Bodengestalt und natürliche Verkehrsstrassen Sachsens.
^Wenn irgend eine Bewegung, so hängt gewiss die des Handels,
der jeden Vorteil zu benutzen weiss und zu benutzen sucht, der immer
die billigsten und bequemsten Wege einschlägt, von der Bodengestaltung
ab ^).* Der Verkehr sucht erstens die kürzesten Wege auf, das sind
die geradlinigen, zweitens die bequemsten, er vermeidet die Steigungen.
Am ehesten ist dies im Flachland möglich; Hebung und Senkung des
Bodens bereiten hier wenig Hindemisse, mehr die Flüsse, deren Ufer
'meist flach und der Ueberflutung ausgesetzt sind. Darum bewegen
sich Flachlandsstrassen nur da an die Flüsse heran, wo hohe, feste
Ufer von einer oder von beiden Seiten dem Flussbett sich nähern und
dadurch einen allezeit brauchbaren Uebergang gestatten ^). Anders im
Gebirgsland. Die Steigung ist hier unvermeidlich, soll aber auf das
geringste Mass beschränkt werden. Darum werden die niedrigsten
Einschnitte im Kamm aufgesucht und zwar auf Wegen, die gleichmässig
ansteigen. Letztere bieten von Natur die Flussthäler. „Der Fluss ist
nicht bloss als Wasserader, welche Waren trä^, von Bedeutung, son-
dern auch als Thalbildner, der ebenen Boden für Strassen schafft, die
neben ihm hergehen, der Bresche in die Gebirge bricht und die natür-
lichen Falten des Gebirges vertieft und ausebnet ^).*' Allzu enge und
gewundene Thäler werden zwar vom Verkehr gemieden, bestimmen aber
vielfach dessen Richtung. Die Thäler und ihre Form und die Pässe
sind demnach im Gebirgsland für die Strassen massgebend. Diese
Abhängigkeit ist am grössten im Anfang der Entwickelung eines Lan-*
des*) und wird auch später nie ganz aufgehoben. Sollen die Ver-
kehrsstrassen Sachsens und ihr Einfluss auf die Städteentwickelung bis
1500 untersucht werden, so ist es also vor allem nötig, die Boden-
gestalt dieses Landes kennen zu lernen.
Das Königreich Sachsen lehnt sich an die Gebirge, welche Penck
als nördliche Umwallung Böhmens zusammenfasst^). Es sind dies das
•) Kohl, Der Verkehr und die Ansiedelungen der Menschen 1841, S. 21.
') Hahn, Städte der Norddeutschen Tiefebene. Forsch, z. deutsch. Landes-
0. Volksk. I, 3, 1885, S. 106.
•) Ratzel, Anthropogeographie II, 1891, S. 493.
*) Ratzel a. a. 0. S. 535.
*) Penck, Das Deutsche Reich 1887, S. 401.
178 A. Simon, [6
Erzgebirge mit dem Sächsischen Bergland, die Sächsische Schweiz, das
Lausitzer Gebirge mit dem Laositzer Bergland, das Jeschkengebirge,
das Riesengebirge und die übrigen Glieder des Sudetenzuges. Dieser
Gebirgswall knüpft im Westen an das Fichtelgebirge und reicht bis
zur Mährischen Pforte im Osten, trennt also das ringsumschlossene
Böhmen von der Osthälfbe der Norddeutschen Tiefebene. Sachsen liegt
an der Aussenseite der Westhälfte dieses Walles, welche von der Leip-
ziger und der Lausitzer Bucht (Elster, Neisse) begrenzt wird. Daraus
ergeben sich von vornherein dreierlei Wege: solche, die am Gebirge
entlang ziehen, auf einer höheren oder niederen Stufe desselben, solche,
die dasselbe umgehen, also in der Nähe des Fichtelgebirges nach West-
böhmen oder Süddeutschland führen, und solche, die das Gebirge über-
schreiten, um die Norddeutsche Tiefebene mit Böhmen zu verbinden.
Das Erzgebirge mit seinem ausgedehnten Nordabfall ist im Westen
weder vom Fichtelgebirge noch vom Frankenwald und Thüringerwald
und dessen Nordostabdachung deutlich geschieden. Sein Kamm, im
allgemeinen von Nordost nach Südwest gerichtet, wendet sich bei
Schöneck plötzlich nach Südost und Süd, sinkt rasch von seiner Höhe
herab. Der Wall des Erzgebirges ist aufgelöst in ein Hügelland, das
^Istergebirge oder Vogtländer Bergland, mit welcher Bezeichnung wir
das Flussgebiet der Weissen Elster samt dem zugehörigen, etwas steileren
Abfall im Süden zusammenfassen. Die Weisse Elster entspringt weit
im Süden, nahe der Nordostilanke des Fichtelgebirges (Rehau-Asch-
Eger), nur 12 km vom Oberlauf der Eger entfernt. Sie fliesst zuerst
nach Nordwesten, gleichsam durch ein Querthal des Erzgebirges oder
der Richtung des Frankenwaldes folgend, und nähert sich dadurch bei
Pirk bis auf 15 km der oberen Saale. Dann wendet sie sich nach
Norden. Von Plauen bis Gera durchläuft sie ein enges Thal, das
in die umgebenden flachen Höhen tief eingeschnitten ist. Bei Zeitz
erreicht sie die Leipziger Bucht. Das Thal des Oberlaufs dagegen ist
weit und flach, darum geeignet zum Durchgang nach Böhmen imd
Bayern, zur Eger und zu Saale und Main. Der niedrigste Uebei^^g
zur Eger liegt bei Rohrbach in 595 m Höhe^); er leitet vom Rauner-
bach hinüber zum Fleissenbach. Aber der Abstieg im Süden ist zu
steil, und man gelangt entweder auf weitem Umweg oder nach Durch-
') Es wurden folgende Karten benutzt: för die Südseite des Gebirgswalles
die Spezialkarte der österreichisch-ungarischen Monarchie 1:75000, Sektion Asch.
Johanngeorgenstadi-Graslitz, Falkenau-Eger, Kaaden- Joachimsthal, Karlsbad-Lüditz.
Teplitz-Dux, Bodenbach-Tetschen, Aussig-Leitmeritz, Rumburg- Wamsdorf, Friedland-
Reichenberg; für die Nordseite des Gebirgswalles die Topogr. Karte d. Königr.
Sachsen 1:25000, Sektion Bobenneukirchen , Plauen, Kauschwitz, Elsterberg;
Adorf, Oelsnitz, Treuen, Reichenbach, Langenbemsdorf ; Zwota, Falkenstein, Auer-
bach, Ebersbrunn, Zwickau, Meerane ; Aschberg, Eibenstock, Schneeberg, Kirchberg,
Lichtenstein, Glauchau, Langenleuba ; Johanngeorgenstadt, Schwarzenberg, L^ssnitz.
Stollberg, Hohenstein, Penig, Rochlitz; Wiesenthal, Elterlein, Geyer, Burkhardts-
dorf, Chemnitz ; Annaberg, Marienberg, Zschopau, Schellenberg ; Kühnhaide, Zdblitz,
Lengefeld, Brand; Purschenstein , Sajda, Lichtenberg; Neuwemsdorf, Nassaa,
Dippoldiswalde ; Altenberg, Glashütte; Fürstenwalde, Berggiesshübel, Pirna; Rosen-
thal, Königstein, Stolpen; Schöna, Sebnitz, Neustadt; Raumberg, Hinterhermsdorf;
Waltersdorf; ausserdem die 28 Sektionen der Topogr. Karte v. Königr. Sachsen,
^ : 100000.
7] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 179
querung mehrerer Th'äler nach Eger, der Mitte der weiten Thalebene
der £ger. Alles das wird vermieden, wenn die Pässe bei den Elster-
quellen benutzt werden. Der an der Elster selbst ist 693 m hoch, der
am Ascherbach, wenig nordwestlich von jenem, 675 m; beide Pässe
führen zum Weihenbach und weiterhin zum Seebach, deren Thäler
einen allmählichen, geradlinigen Abstieg gestatten. lieber Asch, in
der Nähe des tieferen Passes, führt also der bequemste Weg von der
Elster zur Eger.
Noch günstiger ist der Uebergang zur oberen Saale. Von jener
Stelle grösster Annäherung bei Pirk gelangt man am Feilebach und
Wiedersberger Bach über einen 560 m hohen Pass (UUitz) auf kürzestem
Wege nach Hof, d. h. zu dem Punkte, wo die Saale aus dem weiten
Thal des Oberlaufes in ein enges, vielgewundenes Thal eintritt, das für
Verkehr völlig unbrauchbar ist. Am Nordwestrand des Fichtelgebirges
bewegt sich der Verkehr von der Saale (Münchberg) über niedrige
Rücken zum Weissen Main (Bemeck oder Kulmbach). Hof und Plauen
bezeichnen gleiche Lagen für den Verkehr: an Stellen, wo die Fluss-
adem in enge, unbrauchbare Thäler eintreten, sammelt jenes die
Strassen über den Frankenwald, dieses die über das Elstergebirge;
aus gleichem Gründe wendet sich dort der Verkehr von der Saale nach
Nordosten zur Elster, hier von der Elster nach Nordosten zur gleich-
weit entfernten Pleisse (Neumark). Bei letzterem Uebergange sind nur
massige Höhen zu überwinden, allerdings auch die Trieb und die
Göltzsch zu kreuzen ; dies wird um so leichter, je weiter man sich dabei
von deren Mündung entfernt. Die Pleisse hat überall flache Ufer und
strebt geradlinig demselben Ziele zu wie die Elster (Leipzig). In der
Mitte ihres Laufes, bei Altenburg, erreicht sie die Leipziger Bucht.
Das Erzgebirge erstreckt sich von den Höhen bei Schöneck
(Tannenhaus 776 m) bis zur Senke bei Tyssa (560 m). Die Zwota,
weiter abwärts Zwodau, die von der Höhe beim Tannenhaus nach
Süden fliesst und bei Falkenau in 400 m Höhe mündet, andererseits die
Wasserscheide zwischen Mulde und Elster- Pleisse, die vom Tannenhaus
nordöstlich, dann nördlich verläuft und zwischen Glauchau und Meerane
zu 300 m sich senkt, bilden die Westgrenze. Der Tyssabach, der nach
Süden zum Eulaer Bach fliesst, und der Loschebach, der sich mit dem
Bahrbach und der Gottleuba vereinigt, scheiden das Erzgebirge im
Osten vom Eibsandsteingebirge. Am deutlichsten ist die Südgrenze; von
der Zwodaumütidung bis Klösterle wird sie durch die 400 m- Höhen-
linie, von da bis zur Mündung des Tyssabaches durch die 300 m- Höhen-
linie bezeichnet^). Auf der Nordseite senkt sich das Gebirge ganz
langsam zur Norddeutschen Tiefebene, eine Grenze lässt sich darum
nur willkürlich ziehen. Das meiste spricht für Annahme der 400 m-
Höhenlinie^), die von der Pleissenquelle zur Vereinigung der Zwönitz
und Würschnitz, dann über Bockendorf nördlich von Oederan, Naun-
dorf an der Bobritzsch, Dippoldiswalde nach Gottleuba geht. Jenseits
') Burgkhardt, Das Erzgebirge. Forsch, z. deutsch. Landes- u. Volksk.
m, 3, 1888, S. 90.
*) Süssmilch-Hörnig, Das Erzgebirge 1889, S. 11.
180 A. Simon, [8
dieser Linie ist ein Unterschied zwischen Westen und Osten. Dort
senkt sich das Land etwas rascher zu dem flachen Erzgebirgischen
Becken, das von der Zwickauer Mulde bis zur oberen Kleinen Striegis
reicht. Nördb'ch von Glauchau, Hohenstein, Frankenberg steigt das
Land wieder etwas an zum Sächsischen Bergland. Dasselbe verbindet
sich östlich von Hainichen mit dem Nordabfall des östlichen Erzgebirges,
der ganz gleichmässig erfolgt. Die 200 m -Linie bezeichnet etwa den
untersten öebirgsfuss und den Uebergang zum Flachland. Sie läuft
von Pirna auf der Südwestseite der Elbthalebene nach Meissen, von
da nach Mügeln, Mutzschen, Lausigk, Eohren, Gössnitz.
Der südlich vom Erzgebirgischen Becken gelegene Teil des Ge-
birges unterscheidet sich wesentlich vom östlichen Teile. Der Press-
nitzer Pass, 815 m hoch, trennt beide. Der Südfuss (Klösterle) ist
hier vom Kamm, in der Horizontalen gemessen, 6 km, der Nordfuss
(Zwönitzmündung) 43 km entfernt. Dies Verhältnis bleibt nach Nord-
osten hin dasselbe: ein sehr steiler Abfall im Süden, ein ganz all-
mählicher im Norden. Vom höchsten Gipfel des Gebirges, dem Keil-
berg, 1238 m, läuft dagegen die Wasserscheide genau nach Westen.
Der Südabfall ist darum breiter und weniger steil, es können längere
Flussläufe sich hier entwickeln, die Zwodau und Bohlau. Auf der
Nordseite folgen die Flüsse im Osten alle der Abdachung des Gebirges,
im Westen fliesst die Hauptwasserader, die Zwickauer Mulde, im Ober-
lauf in der Längsrichtung des Gebirges, die übrigen thun dies auf
kurze Strecken, so das Schwarzwasser und die Zschopau. Die Weg-
barkeit muss also im Osten grösser sein als im Westen. Dem ent-
spricht die Kammhöhe. Nach Burgkhardt beträgt
im ganzen Gebirge die mittl. Kammhöhe 868,46 m, mittl. Sattelhöhe 884,i7,
im östl. Teile » « v 808,i7 m, „ „ 778,69,
im westl. Teile » » » 951,2o m, „ „ 910,95,
wobei der Pass von Pressnitz als Scheide angenommen ist^). Die
Pässe, auf die es uns ankommt, liegen also im Westen bedeutend höher
als im Osten. In der Westhälfte sinkt der Kamm von der Silber-
bachquelle östlich vom Aschberg bis Kupferberg, also auf drei Viertel
seiner Ausdehnung, nur einmal bis zu 900 m herab, nämlich zwischen
Platten und Bäringen, bei den Pachthäusem. Von diesem Passe (die
jetzige Strasse steigt etwas östlich davon bis 908 m) führt der Bäringer
Bach nach Süden zur Wistritz. Bei Lichtenstadt am Gebirgsfuss endet
deren Querthal. Wird die Richtung desselben fortgesetzt, so gelangt
man nach Karlsbad. Nach Norden zu fliesst von diesem Passe der
Plattener Bach ab. Er mündet da in das Schwarzwasser, wo dasselbe
in sein Querthal einbiegt (Johanngeorgenstadt) , ebenso das Schwarz-
wasser in die Mulde, wo diese aus ihrem oberen Längsthal ins Quer-
thal eintritt (Aue). Die Richtung dieser Querthäler ist dem Verkehr
günstig, aber sie sind mit Ausnahme der genannten Mündungskessel
zu eng und gewunden ; erst bei Wiesenburg oberhalb Zwickau wird das
Muldenthal weit. Diese Thäler können den Weg wohl zeigen, aber
*) Burgkhardt a. a. 0. S. 94—100.
9] Die Verkehrsetrassen in Sachsen. 181
nicht selbst bieten. Der Verkehr ist darum auf die wenig durchfurchten
Hochflächen zwischen den Flussvereinigungen verwiesen. Eine zweite
Verbindung der Endpunkte dieser Strasse, Karlsbad und Zwickau, stellt
die Rohlau her, der zweitgrösste Fluss, den das westliche Erzgebirge
zur Eger sendet. Das Gebirge ist gerade hier am meisten in die
Breite ausgedehnt, der Aufstieg durchs Rohlauthal darum allmählich,
ebenso der Abstieg im Norden an der Grossen Bockau und nach
Kreuzung des Muldenthals an dem Kirchberger Wasser entlang. Wird
statt des obersten Rohlauthales (Frühbuss) das östlich einmündende
Thal des Schwarzwassers (Hirschenstand) benutzt, so ist ein Pass zu
überwinden, der nur 10 m höher ist als der Plattener, 910 m, und der
ganze Weg wird zur geraden Linie, welche die Sehne darstellt zu dem
Bogen, den der Weg über den Plattener Pass zwischen seinen End-
punkten beschreibt; er ist also ebenso bequem, aber kürzer als dieser.
Doch führt er zu lange durch hohe, rauhe und wenig bevölkerte Ge-
birgslagen. Die grösste Flussader der Südseite ist die Zwodau, die
bei Falkenau in die Eger fällt. Unterhalb der Mündung der Rothau
ist ihr Thal eng ; das Thal der Rothau aber, das zum Frühbusser Pass
fahrt, und das der oberen Zwodau sind weit. Aus letzterem führt ein
725 m hoher Pass an einem zweiten Frühbuss (Friebus auf der säch-
sischen Topographischen Karte 1 : 25 000) vorüber herab ins Thal des
Flossbaches (Markneukirchen), des grössten Zuflusses der oberen
Elster.
Auf der Nordseite des westlichen Erzgebirges sammelt die Mulde
den grössten Teil der Gewässer (vom Tannenhaus bis zum Fichtelberg).
Wo diese aus dem Gebirge heraustritt, liegt darum der natürliche Ver-
kehrsmittelpunkt : Zwickau. Hier vereinigen sich die Strassen von
Karlsbad über den Plattener, von Karlsbad und Falkenau über den
Frühbusser Pass. Unterhalb Zwickau wendet sich die Mulde nach Nord-
osten, entfernt sich also von der nordwärts gerichteten Pleisse ; ausser-
dem tritt sie bei Waidenburg in das sächsische Mittelgebirge, ihr Thal
wird eng und vielgewunden. Deshalb läuft die Strasse zunächst in
ihrer bisherigen Richtung weiter hinüber zur Pleisse und verbindet
sich dann mit der Linie Plauen-Leipzig.
Im östlichen Teile des Erzgebirges sind die Kammeinsenkungen
niedriger und zahreicher.
Der Pressnitzer Pass ist 815 m
der Reitzenhainer (Polackenheide) zwischen 800 u. 810
der von Rübenau-Kallich 781
der Katharinenberger 735
der Niklasberger 811
der östlich vom Mückenberg 730
der zwischen Schönwald u. Töllnitz zwischen 670 u. 680
der Nollendorfer 700 m hoch.
Der Pressnitzpass führt nahe bei der Eisenbahnstation Kupferberg vom
tief eingeschnittenen Bettlohbach, der nach kurzem Lauf bei Klösterle
in die Eger fällt, hinüber zum Thal der Pressnitz, die oberhalb Wolken-
stein in die Zschopau mündet. Dadurch wird der Punkt der Eger^
182 A. Simon, [10
an welchem sich dieselbe dem Gebirgskamm am meisten nähert ^ mit
einem der wichtigsten Querthäler der Nordseite verbunden.
Die nächsten drei Pässe, die immer niedriger werden, fähren nach
einem kurzen, steilen Aufstieg im Süden auf der Nordseite herab in
Querthäler, die zur Flöha geleiten : der Reitzenhainer Pass zur Schwarzen
Pockau, der Rübenau-Eallicher zur Natzschung, der Katharinenberger
zum Schweinitzbach. An der Zschopau und Flöha müsste sich {dso
der Verkehr, der von Pressnitz bis Katharinenberg den Kamm über-
schreitet, herabbewegen, an der Vereinigung beider sich sammeln.
Aber alle diese Flüsse sind in ihrem Mittel- und Unterlauf tief und
scharf in die Platte, welche der Nordabhang des Gebirges darstellt,
eingeschnitten, sind darum sehr bald für den Verkehr unbrauchbar.
Dieser bewegt sich daher über die Hochflächen. Die Strassen von den
ersten drei Pässen überschreiten, dem Abfall nach Nordwest folgend,
die Zschopau an Thalerweiterungen (Wolkenstein, Zschopau) und ver-
einigen sich in Chemnitz, das die Funktion der Flöhamündung über-
nommen hat. Es liegt dieser nahe genug und zugleich am Austritt
der Chemnitz aus dem Erzgebirgischen Becken, in gewissem Sinn an
einer Flussannäherung (Würschnitz, Zwönitz, Zschopau, Flöha) ; dadurch
gewinnt es für das mittlere Erzgebirge, von der Zschopau- bis zur
Flöhaquelle, dieselbe Stellung, wie sie Zwickau für das westliche hat.
Von Chemnitz könnte der Chemnitzfluss die Strassen in ihrer bisherigen
Richtung weiter führen; aber das Thal desselben ist ebenso wie das
Muldenthal tief eingesenkt in das Sächsische Bergland. Darum läuft
die Strasse über die Höhen nach dem brauchbaren Muldenübergang
Penig, von wo leicht das Wierathal erreicht wird, das geradlinig zur
Pleisse leitet. Ausserdem können von hier aus die Flussadem, welche
sich strahlenförmig in der Leipziger Bucht zu vereinigen streben, am
Rand derselben über Altenburg, Zeitz, Naumburg bequem überschritten
werden. Die Strasse vom Katharinenberger Pass quert ohne Schwierig-
keit das obere Längsthal der Flöha, vne schon vorher das kleine Längs-
thal des Schweinitzbaches, und bleibt dann immer östlich von Flöha
und Zschopau, überschreitet letztere erst kurz vor der Mündung, wo
die Thalwände sanft geneigt sind, zieht dann im Muldenthal hin, um
mit Vermeidung der Flussvereinigung der Mulden von Leisnig über
Grimma auf der Wasserscheide zväschen der mittleren Parthe und
unteren Pleisse Leipzig zu erreichen. Diese Strasse stellt fast eine
gerade Linie dar zwischen Leipzig und Prag, sie führt über den nied-
rigsten Pass in der Mitte des Gebirges, sie ist darum die kürzeste
und bequemste Verbindung jener Orte, die vnchtigste unter den natür-
lichen Verkehrswegen über das Erzgebirge.
Von den weiter östlich gelegenen Pässen fliessen die Gewässer auf
der Nordseite alle zur Elbe, vom Niklasberger Pass die wilde Weisseritz.
vom Mückenberger Pass die Müglitz, vom Schönwald-Töllnitzer und
vom Nollendorfer die Gottleuba. In ihrem Oberlauf, innerhalb des
eigentlichen Gebirges folgen sie der Hauptabdachung des Gebirges nach
Nordwesten, dann aber wenden sie sich, dem Abfall zum Elbthal nach-
gebend, diesem zu nach Nordosten. Die Wege würden, wenn sie die
Thäler benutzen wollten, zu demselben Umweg gezwungen sein. Die
11] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 183
Thäler sind aber, namentlich am mittleren Flusslauf, bei der Wende
nach Nordosten besonders tief und scharf eingegraben. Die Strassen
führen darum vom Pass am Oberlauf entlang auf die Höhen, dann
zum Unterlauf oder gleich zur Mündung: vom Nollendorfer und Schön-
walder Pass über Gottleuba und Berggiesshübel nach Pirna, von Graupen
am Mückenberg vorbei über Liebstädt nach Dohna ; ebenso könnte vom
Niklasberger Pass an der Weisseritzquelle vorüber ein Weg über Dip-
poldiswalde zur Weisseritzmündung, nach Dresden führen. Doch müssten
hierbei allzu viele enge Thäler gekreuzt werden. Dies wird vermieden,
wenn man den Höhenrücken im Osten der Roten Weisseritz benutzt.
Von Altenberg aus gelangt man bei Hinterzinn wald über einen aller-
dings 855 m hohen Pass zum Seegrundbach und an diesem nach Teplitz.
Diese Verbindung zwischen Dresden und Teplitz hat zwar etwas mehr
Steigung, ist aber dafür fast geradlinig. Vom Niklasberger Pass ziehen
nach Nordwesten flache, ungefurchte Rücken ; diese eignen sich für den
Verkehr mehr als die engen Thalfurchen. Auf ihnen bewegt sich
darum der Verkehr von der Muldenquelle geradlinig hinab und biegt
erst in das Muldenthal an der Striegismündung ein, wo dasselbe weit
wird (Niklasberg, Frauenstein, Freiberg, Rosswein). Im Mulden thal
kann er dann weiter ziehen bis Leisnig.
Die Betrachtung des Erzgebirges mit dem Elstergebirge und dem
Sächsischen Bergland ergiebt also : zwei Strassen über das Elstergebirge
vereinigen sich in Plauen, zwei über das westliche Erzgebirge in
Zwickau (Muldengebiet), drei über das mittlere in Chemnitz (Zschopau-
gebiet), drei über das östliche im Eibthal; dazwischen laufen noch
zwei Parallelstrassen auf den flachen Rücken zu beiden Seiten der
oberen Freiberger Mulde und der Striegis zum Unterlauf der ersteren.
Alle Flussadem, selbst die Elbe bis Meissen konvergieren, dement-
sprechend auch die an und zwischen ihnen entwickelten Verkehrswege.
Diese vereinigen sich im Flachland in der Mitte der Leipziger Bucht.
Leipzig beherrscht auf der Nordseite alle Wege über das Erzgebirge,
wie Prag auf der Südseite ^).
Zu diesen Strassen, welche das Gebirge überschreiten, gesellen
sich solche, die am Gebirge entlang ziehen, jene Wege also kreuzen,
die Randstrassen. Am einfachsten und natürlichsten ist die auf der
Südseite, wo der Gebirgsfuss sehr deutlich und geradlinig von Falkenau
über Klösterle nach Königswald hinläuft. Die Eisenbahnen Eger-
Earlsbad - Eomotau - Osseg - Bodenbach bezeichnen diese Randstrasse.
Auf der Nordseite ist der Gebirgsabfall allmählich, darum viel aus-
gedehnter, der Gebirgsfuss infolgedessen nicht so deutlich. Wir haben
als Grenze des eigentlichen Gebirges die 400 m- Höhenlinie, als die des
Berglandes die 200 m- Höhenlinie angenommen. Erstere hat für den
Verkehr den Vorzug, dass sie den höheren Gebirgslagen näher ist,
mehr in der Mitte der gesamten Nordabdachung verläuft. Im Westen
zieht diese Linie, parallel mit dem Gebirgskamm, am Südrand des
Erzgebirgischen Beckens hin, das von den Flussläufen der Länge nach
durchzogen wird, und an dessen Enden die Sammelpunkte der Quer-
') Ratzel a. a. 0. S. 494.
184 A. Simon, [12
Strassen des westlichen und mittleren Erzgebirges liegen. Die Strasse,
welche bei der Pleissenquelle an die Strasse Plauen-Leipzig anknüpft
und Zwickau und Chemnitz verbindet, ist eine wirkliche Randstrasse.
Anders im Osten. Das Gebirge dacht sich nicht bloss nach Nordwest
sondern späterhin auch nach Nordost zum Eibthal ab, jene Linie in
400 m Höhe nähert sich darum östlich von Bockendorf rasch der Kanun-
linie. Eine Strasse, die jener Linie folgen wollte, müsste die tief ein-
gerissenen Thäler der Eibzuflüsse kreuzen. Wird dagegen die be-
sprochene Randstrasse in ihrer bisherigen Richtung, also parallel zum
Eamm, über Chemnitz hinaus fortgesetzt, so ist zwar auf eine kurze
Strecke eine höhere Gebirgslage zu überwinden, was jedoch durch die
Abkürzung im geraden Weg wieder gut gemacht wird, aber es sind
ausser Zschopau, Freiberger Mulde und Bobritzsch, welche auf alle
Fälle gekreuzt werden müssen, keine Thäler weiterhin zu überschreiten,
weil die Strasse auf den Höhen, welche das untere Weisseritzthal zur
Linken begleiten, ins Elbthal hinabläuft. Die Elbthalebene trifft sie
in der Mitte, an einem Punkte, der, wie wir später sehen werden, zum
Durchqueren desselben geeignet ist.
Die Strasse im Pirna-Meissner Elbthal, welche weit an das öst-
liche Gebirge heranreicht und die Strassen über dasselbe sammelt,
kann zugleich als Randstrasse für eben diesen Gebirgsteil gelten. Von
Meissen läuft sie am Fuss des Sächsischen Berglandes geradlinig nach
Grimma. Den Lommatzscher Bach und die Jahna überschreitet sie
da, wo diese beim Austritt aus dem Bergland ihre zahlreichen Quell-
arme sammeln ; das DöUnitzthal benutzt sie in dessen oberem, westost-
lich gerichtetem Teile.
An das Erzgebirge schliesst sich im Osten unmittelbar das Elb-
sandsteingebirge an. In Form eines rechtwinkligen Dreiecks mit den
Eckpunkten Eönigswald, Bonnewitz bei Liebethal und Kreibitz lehnt
es sich mit seiner Längsseite im Nordosten an die Lausitzer Platte
oder das Lausitzer Bergland, nach welcher es sich von Südwesten her
nur wenig abdacht^). „In der Sächsischen Schweiz waltet der Tafel-
charakter vor. Auf einer Reihe von Ebenheiten, in welche enge, steil-
randige Thäler eingegraben sind, erheben sich Berge und Rücken mit
mehr oder weniger horizontaler Oberfläche, aber schroffen, oft beinahe
senkrechten Abstürzen^).* „Die tiefen, vielverzweigten Gründe setzen
dem Verkehr die grössten Hindernisse entgegen. Alle Strassen führen
von hinten, von den Ebenheiten her zu den Städten herab. Die Haupt-
strassen nach Böhmen umgingen bis vor kurzem die Sächsische Schweiz
an ihrem südwestlichen und nordöstlichen Rand*)/ Der Wasserweg
der Elbe ist die einzige natürliche Verkehrsstrasse. Der Elbspi^el
bei Leitmeritz, wo der Fluss in das böhmische Mittelgebirge eintritt,
ist 139 m hoch, bei Tetschen, wo er in das Eibsandsteingebirge ein-
biegt, 127 m, bei Pirna, am Austritt aus demselben, 108 m, fällt also
^) Hettner, üebirgsbau und Oberfläche der Sächsischen Schweiz, Forsch,
z. d. L. Q. V. II, 4, 1887, S. 253.
*) Hettner a. a. 0. S. 253.
') Hettner a. a. 0. S. 354.
13] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 185
auf dieser etwa 100 km langen Strecke nur 30 m. Bei Leitmeritz
wird die £lbe schon für Dampfschiffe fahrbar. Dadurch wird sie zum
wichtigsten Verkehrsweg überhaupt zwischen Böhmen einerseits und
Sachsen und dem Norddeutschen Flachlande andererseits. Das von
ihr durch das Gebirge gegrabene Thal aber ist wie alle Thäler der
Sachsischen Schweiz viel zu eng und zu steilwandig, als dass es in
alter Zeit, wo der einfache Landverkehr kostspielige Bauten nicht
lohnte, benutzt werden konnte.
An das Eibsandsteingebirge reiht sich im Südosten das ähnlich
gebaute Lausitzer Gebirge. Es erstreckt sich von Ereibitz bis zum
Passe von Pankratz, 319 m; östlich von diesem setzt sich der Zug als
Jeschkengebirge bis zum Querthal der Iser bei Turnau fort. An seinen
Längsseiten wird es im Nordosten von der Neisse (bis Grottau), vom
Lanschebach (bis zu dessen Mündung bei Grossschönau) und von einer
beide Gewässer verbindenden Geraden, im Südwesten durch das Längs-
thal des Folzen begrenzt. Während sich das Jeschkengebirge im
Jeschken bis 1013 m erhebt, gipfelt das Lausitzer Gebirge in der
Lausche, 796 m. In beiden liegt die Wasserscheide der Nordostflanke
nahe, so dass der Abfall nach dieser Seite steil, nach Südwesten da-
g^en sanft ist. Das ist der Hauptunterschied gegen das Eibsandstein-
gebirge. An jener Nordostflanke breitet sich an der Neisse, von Eratzau
(306 m) ab, und au der Mandau, von der Landwassermündung (280 m)
ab, ein Flachlandstreifen aus; von seiner Mitte, in welcher Zittau in
227 m Höhe liegt, zieht sich ein eben solcher an der Neisse hinab
zur Norddeutschen Tiefebene (Görlitz 190 m). Das ist die Lausitzer
Bucht. Nach derselben fliessen von dem steilen Nordostabhang des
Lausitzer Gebirges nur kurze Wasseradern herab; längere finden wir
auf der anderen Seite, den Jungfembach (Gabel), den Zwitte- und
Bohrbach (Zwickau) und den Spoikabach (Hayda). Der wichtigste
Uebergang ist nicht beim niedrigsten Pass, dem von Pankratz, dieser
liegt zu weit östlich, sondern bei dem genau in der Richtung
Zittau-Prag liegenden Lückendorfer Pass, 482 m, von dem der Peters-
dorfer Bach nach Gabel am Jungfembach hinableitet. Wenig süd-
ostlich davon, oberhalb der Quelle des Weissbaches, führt ein nur
476 m hoher Pass nach Süden, ist aber unbrauchbar, da die Thäler
auf beiden Seiten zu eng sind. Der Pass von Hain, zu dem man
von Zittau her durch das Oybiner Thal gelangt, und der Johns*
dorfer Pass, jener 551 m, dieser wenig niedriger, führen von Norden
hinüber zum Thal des Zwittebaches , das freilich in seinem mittleren
Teile zu eng wird; die Strasse zieht daher über die Rücken an Zwickau
vorüber nach Böhmisch-Leipa am Pölzen. Von der Vereinigung der
Mandau und des Lauschebaches gelangt man über den Waltersdorfer
Pass am Ostfuss der Lausche, 564 m, zum Zwittebach. Bei Nieder-
lichtenwalde treffen sich diese und die vorige Strasse; doch kann man,
in derselben Richtung weiter ziehend, von Grossmergenthal aus über
einen 412 m hohen Pass bequem Gabel erreichen.
Mit dem Eibsandsteingebirge, wie mit dem Lausitzer Gebirge eng
verknüpft, von letzterem nur durch geringere Höhe deutlich unterschie-
den, breitet sich nordöstlich von beiden das Lausitzer Bergland aus.
186 A. Simon, [14
eine wenig gegliedeiie Platte, die von der Lausitzer Bucht bis zum
Elbthal reicht und von Südwesten, wo ihre Höhe durchschnittlich
400 m beträgt, sich allmählich nach Nordosten zum Norddeutschen
Flachland senkt; die 200 m- Höhenlinie (Görlitz-Bautzen-Königsbrück)
kann hier als Grenze angenommen werden. Es hat also in der Haupt-
sache, wie das Lausitzer Gebirge, die Richtung Südost-Nordwest. Auf
der flachen Platte erscheinen die Berge wie aufgesetzt. Nur im Westen
der Spree, an der Quelle der Wessnitz, finden wir einen zusammen-
hängenden Höhenzug , der im Falkenberg mit 606 m gipfelt. Dem
Verkehr sind daher, abgesehen vom Spreethal, welches etwas tiefer
eingeschnitten ist, keine bestimmten Linien innerhalb der Platte vor-
gezeichnet. Dies geschieht vielmehr durch die Grenzlinien und die
Nachbargebiete.
Unter letzteren ist das Elbthal zwischen Pirna und Meissen be-
sonders bemerkenswert. Zu diesem fällt die Lausitzer Platte steil etwa
200 m tief, das Erzgebirge etwas langsamer ab. Zwischen beiden
bleibt Raum fär einen 3 — 5 km breiten , ebenen Thalboden , der im
Mittel 100 m hoch liegt (Pirna 108 m, Meissen 100 m hoch). Ober-
halb Pirna ist diese Ebene durch das Eibsandsteingebirge gesperrt,
bei Meissen berühren sich die Ausläufer des Erzgebirges und des Lau-
sitzer Berglandes, so dass die Elbe gezwungen wird, wieder in ein
engeres Thal einzutreten. Ringsum also ist dieser Thalboden geschlossen.
In der Mitte desselben liegt Dresden. Zu diesem führt von Südwesten
her die Weisseritz, der grösste Fluss, den das Erzgebirge unmittelbar
zur Elbe sendet, von Nordosten her eine bei Königsbrück beginnende,
die Lausitzer Platte durchziehende Senke, die nirgends 200 m über-
steigt. Die Röder durchquert dieselbe, die Priesnitz biegt in ihrem
Unterlaufe in dieselbe ein. Darum kann man gerade bei Dresden das
Elbthal am besten kreuzen.
Nunmehr lassen sich die natürlichen Verkehrslinien des Lausitzer
Berglandes bestimmen. Eine zieht am Nordost- und Nordsaum der-
selben, der noch fest genug ist und doch ausser einigen Flussüber-
gängen keine Schwierigkeiten bietet, von Görlitz nach Bautzen, Kamenz,
Königsbrück; sie ist wichtig als ein Teil der (aus der Schlesischen
Tieflandsbucht) nach der Leipziger Tieflandsbucht ziehenden Strasse.
Eine zweite, welche jene in Görlitz schneidet, läuft am Südostrand der
Platte durch die Lausitzer Bucht; sie setzt die Prag-Zittauer Strasse
nach dem Norddeutschen Flachland fort. Eine dritte endlich folgt
dem Südwestrand der Platte. Sie kommt von der oberen Neisse
(Reichenberg) und bewegt sich in derselben Richtung weiter von Zittau
an der Mandau aufwärts bis Rumburg, dann über Schluckenau, Hains-
pach, Neustadt nach Stolpen, quert also eine Reihe von Wasseradern,
bevor diese in die tief durchfurchte Sächsische Schweiz eintreten. In
das Elbthal steigt sie entweder an der Wessnitzmündung bei Pirna,
oder durch die schon erwähnte Senke an der Priesnitzmündung, bei
Dresden, hinab. Strassen über die Lausitzer Platte werden durch wich-
tige Punkte an deren Peripherie bestimmt; nur jene deutlich ausgebildete
Senke Dresden-Königsbrück hat eine Strasse veranlasst. Solche wich-
tige Punkte sind nach dem Vorausgegangenen ausser den Eckpunkten
15] I^ie Verkehrsetrassen in Sachsen. 187
Bautzen und Dresden. Die Strasse Zittau-Bautzen überschreitet ihr
grösstes Hindernis, das Löbauer Wasser, unterhalb der Vereinigung
der fünf Quellbäche desselben (bei Löbau), so dass nur ein Fluss-
übergang nötig ist ; weiterhin umgeht sie in flachem Bogen die Gzorne-
bohgruppe vor Bautzen. In der Richtung Bautzen-Pirna oder Bautzen-
Dresden bietet sich der Mittellauf der Wessnitz als geeigneter Führer.
Zu diesem gelangt man über den 300 m wenig überragenden Eessel-
basch östlich von Bischofswerda. Das Wessnitzthal wird unterhalb
Stolpen, wo der Fluss in die Sächsische^ Schweiz eintritt, für den Ver-
kehr unbrauchbar. Darum läuft die Strasse, die sich in Stolpen mit
der Randstrasse des Lausitzer Oebirges verbindet, über die Höhen zur
Wessnitz- und Priesnitzmündung hinab.
Im Flachland haben wir in Sachsen ausser den bereits aufgesuchten
Strassen, welche aus der Leipziger Bucht nach Süden und Südosten
ins Gebirge laufen, nur eine Verkehrslinie zu verzeichnen. Es ist die
grosse westöstliche Strasse, welche bis Königsbrück dem Rand der
Lausitzer Platte folgt und dann in gerader Linie nach Westen zur
Leipziger Bucht strebt. Die Röder und die DöUnitz, deren Lauf be-
rührt, zum Teil benutzt wird, bereiten beim Uebergang wenig Schwie-
rigkeit, auch die Elbe nicht, da deren Ufer von Meissen bis zum Ein-
tritt in die Tiefebene bei Riesa felsig, darum fest sind, mehr die
vereinigte Mulde, deren Ufer von Würzen ab sich verflachen und der
[Jeberschwemmung und Flussteilung nicht widerstehen. Darum musste
man hier von der Geraden vielfach abweichen und die Mulde am Rand
des Sächsischen Berglandes bei Grimma oder weiter nördlich bei Eulen-
burg überschreiten, wo höhere und feste Ufer noch einmal an den
Fluss herantreten.
Die Betrachtung der Bodengestalt Sachsens lässt in den Gebirgen
zwei vorherrschende Richtungen erkennen: die des niederländischen
Systems, Nordost-Südwest, welcher das Erzgebirge mit dem Sächsischen
Bergland folgt, und die des hercinischen Systems, Nordwest-Südost, welcher
das Lausitzer Gebirge mit dem Lausitzer Bergland folgt; beide sind ver-
knüpft durch das Eibsandsteingebirge, getrennt durch das diesem im Nord-
westen vorgelagerte ebene Elbthal. Die Norddeutsche Tiefebene, welche
beide im Norden umzieht, dringt durch die Leipziger Bucht im Westen,
durch die Lausitzer Bucht im Osten gegen die Gebirge vor. Die gefundenen
natürlichen Yerkehrsbahnen fügen sich dementsprechend zu folgenden
Strassen zusammen: vom oberen Main und der oberen Eger führen
Strassen über das Elstergebirge nach Plauen, von Böhmen über das
westliche Erzgebirge nach Zwickau, über das mittlere nach Chemnitz,
über das östliche zum Fuss des Sächsischen Berglandes (über Sayda
und Freiberg) und ins Elbthal; alle diese Strassen setzen sich fort
zar Leipziger Bucht und vereinigen sich in Leipzig. Das Eibsandstein-
gebirge, das den Verkehr zu Lande hindert, bietet durch den Wasser-
weg der Elbe die wichtigste Verbindung zwischen Böhmen und Nord-
deutschland. Ueber das Lausitzer Gebirge ziehen Strassen nach Zittau
und durch die Lausitzer Bucht weiter ins Norddeutsche Flachland. Am
Rand des Erzgebirges läuft eine Strasse von Plauen über Zwickau,
Chemnitz nach Dresden; sie setzt sich durch die Senke der Lausitzer
188 A. Simon, Die Yerkehrsstrassen in Sachsen. [10
Platte nach Königsbrück fort oder über die Platte nach Bautzen. Am
Rande des Lausitzer Gebirges und der Sächsischen Schweiz zieht eine
Strasse von der oberen Lausitzer Bucht ins Elbthal (Pirna oder Dres-
den) ; sie mündet in die Randstrasse des Sächsischen Berglandes (Meissen,
Grimma), wodurch eine geradlinige Verbindung zwischen Reichenberg-
Zittau und Leipzig entsteht. Die Verkehrslinie am niederen Rand der
Lausitzer Platte setzt sich im Flachland nach Westen fort (Görlitz,
Leipzig) und verbindet so die vorigen, die verlängerten Randstrassen
des Erzgebirges und des Lausitzer Gebirges und der Sächsischen Schweiz.
Slawische Ansiedelnngeii.
Die Siedelungen eines Landes, vom Einzelhof bis zum Dorf, vom
Landstadtchen bis zur Grossstadt, sind ebenso wie der Boden, auf dem
sie stehen, etwas Gewordenes, in fortwährender Bildung Begriffenes.
Sie sind in ihrer Gesamtheit in Bezug auf Verteilung, Grösse und gegen-
seitige Verbindung natürlichen Bedingungen unterworfen, die auch
noch wirken, wenn einzelne aus der Zahl derselben zu Städten sich
entwickeln durch Hinzutreten neuer Faktoren. Erstere, die rein natür-
lichen Bedingungen, sind vor allem Fruchtbarkeit und Bebauungs-
fahigkeit, die von Bodengestalt, Bodenbildung und Bewässerung ab-
hängig sind. Unter den städtebildenden Faktoren sind Handel und
Handwerk die wichtigsten. Beide erblühen an den Verkehrsstrassen.
«Die grosseren Ansiedelungen danken ihr Dasein dem Verkehr; es ist
oft schwer zu sagen, ob sie oder die Wege früher waren, so sehr be-
dingen sie einander. Beide gehören eng zusammen und wachsen mit-
einander ^)." Ehe wir diesen Einfluss der Verkehrswege auf die Siede-
lungen des Königreichs Sachsen untersuchen, müssen wir einen Blick
auf letztere in ihrer natürlichen Bedingtheit werfen.
Für das Königreich Sachsen bilden den ersten, noch erkennbaren
Bestand der Siedelungen die slawischen Orte. Wo einst Slawen an-
gesiedelt waren, lässt sich fast nur noch aus den Ortsnamen bestimmen.
Aber diese sind im Laufe der Jahrhunderte mannigfach verändert wor-
den, manchen ist ein deutsches Gewand gegeben, andere sind durch
deutsche Namen ersetzt worden *). Ein grosser Teil aber ist noch
seiner Herkunft, wenn auch nicht mehr seiner Bedeutung nach zu er-
kennen'*). Nur nach den deutlich noch als slawisch erkennbaren Orts-
namen kann die einstige Ausbreitung der Slawen bestimmt werden,
wenn sich die Untersuchung nicht in kühnen Behauptungen, in blossen
Vermutungen verlieren soll.
Die slawischen Ansiedelungen waren sehr ungleich über das Land
verteilt, bald so dicht, dass nachher deutsche Siedelungen kaum zwischen
ihnen Platz fanden, bald so vereinzelt, dass sie hinter den später an-
gelegten deutschen Orten zurücktraten. Dicht gedrängt finden wir sie
*) Ratzel, Anthropogeographie II, 1891, S. 257.
^) Codex diplomaticus Sazoniae regiae (fortan citiert C. d. S. r.) 1, 1, S. 1 53.
^ Hey, Slawische Ortsnamen des Königreichs Sachsen, Döbeln 1883, S. 1.
Fonchimgen zur deutschen Landes- und Volkskunde. YII. 2. 13
190 A. Simon, [1
östlich von der Elbe im Flacliland der Lausitz, und zwar von dem
Höhenzug, der dasselbe deutlich im Süden begrenzt (Ober-Sohlander
Spitzberg, Löbauer Berg, Czomeboh, Pichoberg, Stiebitzberg), bis za
einer Linie von Kamenz bis Weissenberg, jenseits welcher ausgedehnte
Wälder, Teiche und Flussverzweigungen die Besiedelungen hemmten.
Ebenso dicht finden wir sie von der Elbe bis zur vereinigten Mulde,
hier von einer Linie Pima-Tharandt-Eonstappel a. Elbe-Nossen und
dem Thale der Freiberger Mulde im Süden bis Boritz a. Elbe-Oschatz-
Mutzschen-Nerchau im Norden. Endlich war das Niederungsgebiet der
wieder nach Sachsen eingetretenen Pleisse und Elster dicht mit slawi-
schen Siedelungen bedeckt.
Nördlich von diesen Gebieten in der Lausitz und in Meissen finden
wir auch slawische Ortsnamen, aber weit zerstreut. Anders ist es in
den Strichen zwischen den drei genannten Gebieten, zwischen der
Schwarzen Elster und dem Elbthal, bis Eönigsbrück und Grossenhain
nordwärts, zwischen der Zwickauer und der vereinigten Mulde und der
Pleisse, unterhalb Grimma von Oschatz und Dahlen bis zur unteren
Parthe. Da finden sich slawische Orte zerstreut an den Wasseradern.
Ebenso ist es südlich von jenen Gebieten. In der Lausitz weisen jen-
seits des angedeuteten Höhenzugs nur das Thal der Neisse und Mandan
bis Oderwitz und Eibau (unter 350 m) und das Spreethal bis vor
Schirgiswalde (unter 300 m) slawische Ortsnamen auf. Jenseits der
angegebenen Südgrenze im meissnischen und osterländischen Gebiete
treffen wir slawische Ortsnamen auch bloss in den Thälem oder in
deren Nähe:
an der Elbe bis Schandau und Krippen (113 m),
„ j, Sebnitz bis Sebnitz (unter 300 m),
» r, Polenz bis Polenz (unter 400 m),
„ „ Wesnitz bis Stolpen (300 m),
« „ Gottleuba nur Gottleuba (unter 400 m),
„ „ MUglitz bis Schlottwitz (unter 300 m),
9 „ Weisseritz bis Borlas und Spechtritz (300 m) ;
im Gebiet der Freiberger Mulde:
an der Mulde spärlich bis Claussnitz (500 m) ;
n y, Bobritzsch und Colmnitz bis zu den gleichnamigen Orten
(400 m),
nicht an der Striegis;
im Gebiet der Flöha:
an der Flöha bis Pockau (400 m),
am Saidenbach Saida und Stadt Sayda (600 m),
an der Knose bis Zöblitz (unter 600 m),
„ „ Grossen Lössnitz bis Gränitz (500 m) ;
im Zschopaugebiet weit hinauf:
an der Zschopau bis Schiettau und Geyer (unter 600 m),
„ „ Sehma bis Sehma (600 m);
19] I^ie Verkehrsstrassen in Sachsen. 191
im Gebiet der Zwickauer Mulde:
an der Würschnitz, Zwönitz, Chemnitz überall,
9 « Mulde oberhalb Zwickau nur in den Seitenthälem:
Lössnitz, Pöhla, Raschau, Bockau und Sosa (600 m)
rechts, Culitzsch, Crinitz, Zschorlau (470 m) links,
„ , Pleisse bis Werdau und Leubnitz (300 m) ;
im Elstergebiet:
an der Elster bis Leubetha, vielleicht bis Gürth oberhalb Elster
(über 600 m),
,. „ Göltzsch bis Plohn (400 m),
n allen linksseitigen Bächen um Plauen,
jt der Weida bis Pausa (über 400 m).
Slawische Ortsnamen finden wir also in Sachsen dicht gedrängt
in drei Gebieten: in der Lausitz, in Meissen, im Osterland, nördlich
davon nur spärlich, dazwischen an wenigen Wasserläufen, südlich davon
nur in und an den Flussthälem.
Diese Gebiete nehmen die ebenen und niedrigen Landstriche Sach-
sens ein, aber, abgesehen von der Elster- Pleisse-Niederung, nicht die
flachsten und niedrigsten, letztere liegen nördlich von den Linien
Weissenberg-Eamenz und Boritz-Oschatz-Mutzschen-Nerchau , sondern
die fruchtbarsten. Der Grund ist also die von Bodengestalt und Höhe
mit abhängige Fruchtbarkeit der drei Gebiete.
Das mittlere Gebiet verdankt seine Fruchtbarkeit dem Löss ^), der
auf die nördliche, der Elbe zugekehrten Gebirgsabdachung von Pirna bis
Meissen und von da bis Mügeln beschränkt ist, wo etwa 11000 ha an
99^/0 Fruchterde enthalten. Daran schliesst sich im Südwesten ein
grosses Gebiet, das vorwiegend aus Lehm zusammengesetzt ist, welches
97^/0 reiner Fruchterde enthält und dessen Süd- und Westgrenze auf-
fallend mit den angegebenen Siedelungsgrenzen übereinstimmen. Löss
und Lehm gehen in der Mitte oft ineinander über. Der hohen Fruchtbar-
keit beider nähert sich die des Mergelsandbodens im westlichen Distrikt,
im Pleissengau, wo sich 74 ^/o reiner Fruchterde finden. In dem dritten,
dem Lausitzer Gebiet, finden wir eine dem Löss ähnliche Ackererde
in der Gegend von Kamenz, Bautzen, Löbau, Bernstadt und Ostritz und
bei Schirgiswalde in einer kleinen, an der Spree aufwärts dringenden
Bucht. Ausserdem erreicht in den flachen Teilen der Lausitz der
Mergelsandboden eine ähnliche Bedeutung wie im Pleissengau. Nörd-
lich von den drei Gebieten tritt der Heidesandboden auf mit nur 21 ^/n
Fruchterde, südlich von demselben nimmt die Fruchterde allmählich
mit dem ansteigenden Gebirge bis auf 33 "/o ab ^). Als die frucht-
barsten Teile erscheinen die drei Gebiete auch in der Erntestatistik.
') Gebauer, Volkswirtschaft i. Königr. Sachsen 1890, S. 98 flf.
») a. a. 0. S. 112, 114.
192
A. Simon,
[20
I.
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Amtshaupt-
mannschaft
Acker- und
Gartenland
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Forsten und
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39,s2
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2,27
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42,10
3,2
111,50
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17,91
—
—
Löbau . . .
58,«2
16,52
0,68
20,07
7,0
11,14
12,81
78,88
9,86
—
Zittau . . .
60,7 7
16,67
1,81
21,25
4.2
11,00
—
3,80
86,80
9,10
0^0
Dippoldiswalde
49,66
13,09
0,58
34,80
1,6
1,86
1,28
22,87
33,8»
32,16
4,35
Dresden . . .
45,8»
11,47
0,67
1,08
33,8 4
7,0
11,00
—
69,29
28,15
2,46
—
Freiberg . .
62,47
11,75
0,48
21,49
2,5
1,71
—
18,91
46,39
33.7»
0.91
Grossenhain
61,91
12,89
1,45
0,04
19,62
3,2
IV,60
6,7 4
93,26
—
—
Meissen . . .
73,50
9.10
1,10
0,76
11,93
10,4
1,40
64.17
85,88
—
—
Pirna. . . .
42,9t
10,88
0,90
0,02
42,24
5,4
1,67
27,68
59,79
12,83
—
—
Borna . . .
73,76
11.62
0,48
9,94
7,4
11,50
—
96,77
3.28
Döbeln . . .
71,81
9,80
0,98
13,99
7,6
1,29
51,62
45,05
3,88
—
—
Leipzig . . .
75,»o
9,20
0,«»
8,15
10,8
11,00
100,00
—
Grimma .
64,82
9,90
1,08
0,01
20,18
6,s
11,88
99,70
0,80
—
—
—
Oschatz . . .
08,68
7,58
1,11
0,01
18.96
7..
11.40
3,06
96,64
0,80
—
—
Rochlitz . . .
62,09
11,66
0,86
21.90
3,.
1,67
18,82
81,18
—
—
Annaberg . .
42.40
10,15
1,20
42,92
0,.
11,88
—
8,03
81,11
10,1«
Auerbach . .
23,66
14,88
0,66
58,05
1.«
11,50
—
68,87
29,15
2,3«
Chemnitz . .
52,48
17,58
0,80
24,84
2.1
1,86
51,95
38,48
9,ST
—
Flöha . . .
57,68
11,55
0,81
26.71
2.1
1,5 7
—
42,55
56,84
0,61
—
Glauchau . .
55,^8
15,90
0,58
23,59
1.«
11,29
1,18
74,55
22,65
1.47
—
Marienberg
44,76
11,20
0,85
40,01
0.4
11,57
—
62,88
31,40
8/.
Oelsnitz . . .
35,88
18,88
1,55
40,78
2,0
111,7,
—
—
60,86
39,18
0.41
Plauen . . .
46,09
19,68
2.1
—
27,57
4.»
111,00
—
20.87
72.24
6.8»
—
Schwarzenberg
23,71
8,19
0,59
64,61
0.S
111,00
—
—
31.40
59,68
8.9:
Zwickau . . .
55,09
15,81
0,7 7
—
24,22
2.0
11,40
—
80,96
18.18
0,86
—
Kgr. Sachsen .
54,86
12,46
1,«4
0,08
27,77
1-
11,89
|0,52
42,11
[30,57
17,18
8,48
0,8»
I. Bodenbenutzung in Prozenten der Gesamtflächen');
IL a) Weizenboden in Prozenten, b) Fruchtbarkeit (I. höchste) nach den Er
tragsmengen des gesamten Ackerlandes');
IIL Erhebung des landwirtschaftlich benutzten Geländes über der Ostsee (in
Prozenten) ').
*) Langsdorff, Landwirtschuft i. Kgr. Sachsen 1889, S. 48.
2) a. a. 0. S. 45 (fürs Jahr 1878).
') Sieb er, Zur Anbau- und £mtestatistik i. Kgr. Sachsen 1876.
21] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 193
Nimmt man den Boden, der mit Weizen, namentlich Winter-
weizen, bebaut wird, als den besten an, so erscheinen nach der bei-
gefügten Tabelle der Reihe nach die Amtshauptmannschaften Meissen,
Leipzig, Bautzen, Döbeln und Oschatz, Borna, Löbau, Dresden (Alt-
stadt), Grimma als die fruchtbarsten; allerdings ist hier zu berück-
sichtigen, dass die Verwaltungsbezirke oft ganz verschiedenartigen
Boden umfassen. Das zeigen die Abweichungen, welche die Ertrags-
fahigkeit des gesamten, zu Acker- und zu Gartenbau benutzten Bodens
aufweist; da stehen die Amtshauptmannschaften Döbeln und Meissen
voran, Bautzen bleibt etwas hinter dem Durchschnitt von ganz Sachsen
zurück.
Die fruchtbaren Strecken des Flachlandes also waren von den
heranziehenden Slawen zunächst besiedelt worden. Hier trieben sie
vor allem Viehzucht, in zweiter Linie Ackerbau^). Doch begnügten
sie sich mit diesem Lande nicht. Wir haben schon angedeutet, dass
auch südlich von den angegebenen Grenzen slawische Namen zu finden
sind, aber nur vereinzelt. Diese Trennung von der grossen Masse der
Volksgenossen lässt vermuten, dass hier Slawen zu einer Zeit einzogen,
wo die übrigen zur Ruhe und damit zu einer gewissen Sicherheit ge-
kommen waren, und dass dies Wandern unter einem gewissen Zwang
geschah. Als nämlich mit der Zeit die Volkszahl wuchs, wurde, da
namentlich die Viehzucht für den einzelnen grossen Raum verlangt,
ein Teil zum Weiterziehen genötigt; sie drangen nach Süden ins
Waldgebirge vor. Natürlich besetzten sie auch hier die fruchtbaren
offenen Strecken, die es gewiss gab, sei es in den Thälem oder auf
flacheren Höhen. Jene genannten Orte liegen alle an Gewässern oder
in deren Nähe, da der Mensch das Wasser nicht entbehren kann; sie
liegen auch alle an oder nahe den natürlichen Verkehrsstrassen, die
vielleicht damals schon begangen wurden. Wo die Thäler eng und
sumpfig werden, finden wir die slawischen Ortsnamen auf die Thal-
ränder beschränkt; wo jene sich erweitem, mehren sich diese im Thale
selbst. Recht ausgeprägt ist dies an der Elster zu beobachten: auf
der Strecke von der Weidamündung bis Plauen erweitert sich das
Thal nur einmal in der Mitte, hier Greiz; sonst liegen die slawischen
Siedelungen auf den beiden Thalrändern. Um Plauen ist dagegen das
Thal weit ; hier breiteten sich die Slawen aus ; hier wurden die Seiten-
thäler weit aufwärts, sogar die flachen Höhen besiedelt. Aehnlich ist
es an der Zwickauer Mulde, wo sich um Rochlitz und Zwickau die
slawischen Namen auffallend mehren, während dazwischen trotz der
Nähe der von den Slawen dicht besetzten Altenburger Pflege sie nur
vereinzelt die Thalränder besiedelten. Die Flussthäler mögen oberhalb
der bezeichneten Punkte auch noch von den Slawen mit ihren Herden
oder der Erzgewinnung wegen besucht worden sein, wie die Namen
von Bächen und Bergen beweisen *). Die Slawen hatten also innerhalb
*) C. d. S. r, I, 1, S. 159. Posse, Markgi-afen von Meissen 1881, S. 1.
») Süssmilch-Hörnig, Erzgebirge 1891, S. 69. Schurtz, Seifenbergbau
im Erzgb. Forsch, z. d. Landes- u. Volksk. 1890, S. lOü ff.
194 A. Simon, [22
Sachsen alles fruchtbare, offene Land, auch das ins Waldgebiet hinein-
greifende, allenthalben besetzt^).
Die Form der slawischen Ansiedelungen mag eine gleichmässige
gewesen sein. Feste Wohnsitze hatten die Slawen schon in früher
Zeit. Es waren aber nur offene, keine ummauerten oder festver-
zäunten Orte ; selbst Burgen bauten sie wohl erst, als der Kampf mit
den Deutschen begann. In der Lausitz bestand noch nach der Er-
oberung durch Heinrich 1, (932?) nur ein fester Ort, die Landesfeste
Bautzen. In dieser gemeinsamen Stammesfeste fanden die Milcieni
bei Kriegsgefahr Aufnahme. Knothe nennt diese Einrichtung allgemeine
Sitte der Slawen '). Nach Schafarik ') haben die Slawen in alter Zeit
ebenso wie nach historischen Zeugnissen zu Anfang des 9. Jahrhunderts
nicht nur in Dorfschaften, sondern auch in befestigten Städten oder
Schlössern (altslawisch grad, lateinisch civitas, urbs, oppidum) gewohnt;
um 862 wird unter anderen Wysegrod erwähnt.
Die westlichen Nachbarn der Milcieni, die Daleminci (die sich selbst
Glomaci nennen), die von der unteren Pulsnitz bis zur Chemnitz wohn-
ten ^), scheinen in Jahna (Widukind : Gana) eine ähnliche Stammesfeste
besessen zu haben. Dass die Eroberung und äussere Unterwerfung sich
so rasch vollzog, besi&tigt die Annahme von nur einer Stammesfeste,
mit deren Einnahme das übrige Land den Siegern in die Hände fiel.
Ob die übrigen Gaue^): Nisani im Südosten der Daleminci bis zum
Miriquidi (= Schwarzwald, Wald des Erzgebirges) *) Chutizi von der
Zwönitzquelle bis zur Elstermündung , Zwicowe von den Quellen der
Mulde und des Schwarzwassers bis zur Lungwitzmündung, Dobna von
der Elsterquelle bis zur Weidamündung , Plisni, das Land der oberen
Pleisse, ähnliche Mittelpunkte in Form eines festen Platzes gehabt
haben, ist nicht überliefert, da deren Eroberung durch die Deutschen
früher, wie die des wichtigen Chutizi, oder ganz geräuschlos im An-
schluss an die von Chutizi und Daleminci sich vollzog; doch ist es
wahrscheinlich. Im übrigen waren die Ortschaften offen; doch ge-
währte ihnen die Eigenart ihrer Anlage, der freie Platz mit dem Teich
in der Mitte, nach welcher alle Häuser gerichtet sind, einige Sicherheit
Ueber die Grösse dieser slawischen Siedelungen lässt sich natür-
lich nichts Bestimmtes angeben. Ausgedehnt werden dieselben nicht
gewesen sein. Ackerbau, noch dazu, wenn er so wenig intensiv, nur
mit dem hölzernen Hakenpflug betrieben wird, noch mehr die Vieh-
zucht, welche bis ins 11. Jahrhundert überwog*^, fordern viel Raum
für den einzelnen, lassen daher eine grössere Anzahl von Haushal-
*) Zöllner, Gesch. v. Chemnitz 1888, S. 1.
') Enothe, Germanisation der Lausitz i. Arch. f. sächs. Gesch., Neae Folge
(fortan A. f. s. G. N. F.) 2, 1876, S. 237. Zur ältesten Gesch. Bautzens, N. A. f.
8. G. 5, 1884, S. 73.
') Schafarik, Slaw. Altertümer, deutsch von Mosig von Aehrenfeld, 1837,
I, 510.
*) Thietmar von Merseburg (gest. 1018), 1, 23.
*) Posse, Markgrafen, S. 307, und Gaukarte.
^) Thietmar 6, 8.
C. d. S. r. I, 1, S. 159.
23] ^ie Verkehrsstrassen in Sachsen. 195
taugen nicht zu. Dementsprechend finden wir auch jetzt im Flach-
land, wo die Landwirtschaft vorherrscht, in einem Dorfe weniger
Familien als im Gebirge, wo zu Ackerbau und Viehzucht Waldwirt-
schaft, Bergbau, Industrie hinzukommt. Die sächsische Volkszählung
Tom 1. Dezember 1885^), in der eine Scheidung der Landgemeinden
und in denselben eine Trennung verschiedenartiger Haushaltungen aller-
dings nicht gegeben werden kann, lässt doch die oben erwähnte Er-
scheinung erkennen:
Amteh. Meissen . . . 277 Landgem. mit 14735 Haush., in 1 Landgem. 53 Haush.
, Bautzen ... 253 , , 17 136 , ,1 , 67 ,
, Auerbach . . 63 , , 10928 , ,1 , 173 ,
, Schwarzenberg 59 , i, 12105 , ,1 , 205 „
Königreich Sachsen . 3140 , , 404323 » ,1 , 128 ,
In den beiden erstgenannten Amtshauptmannschaften überwiegen
die ursprünglich slawischen Siedelungen, in den beiden letztgenannten
verschwinden sie.
Bei dem Erscheinen der Deutschen im Königreich Sachsen in
historischer Zeit wohnten demnach die Slawen dicht bei einander in
den fruchtbaren waldlosen Teilen des Flachlandes, in geringer Zahl
in imd an den Flussthälem des Waldgebirges, meist unter 400 m
Meereshöhe, höher hinauf wohl nur um des einfach betriebenen Berg-
baues willen. Vor allem mit Viehzucht, weniger mit Ackerbau be-
schäftigt, lebten sie in offenen, meist kleinen Orten, geschützt Ton
einer Feste, die in der Mitte jedes Gaues lag. Noch andere befestigte
Orte, Städte, besassen die Slawen dieses Gebietes nicht, es werden
wenigstens bei der Unterwerfung der Daleminci und Milcieni von den
Chronisten keine erwähnt. Dies würde aber gewiss geschehen sein,
wenn welche vorhanden gewesen wären, weil dieselben die Eroberung
aufgehalten hätten. So ist urbs Bichni, wohin Heinrich I. 923
oder 924 nach einem Kampf mit den Ungarn versprengt wurde ^), ein
voD den Deutschen zum Schutz ihrer bisherigen Ostgrenze befestigter
Ort, jetzt Püchen unterhalb Würzen.
») Zeitschr. d. Königl. Sachs. Statist. Bur. 22, 1886, 1. 2.
') Thietmar 1, 8.
Deutsche Besiedelimg.
Unter Karl dem Grossen entstanden zum Schutz der Ostgrenzen
des Reiches Marken , zunächst mit defensivem Charakter ^). An der
Saale wurden, wie man annimmt, Befestigungen errichtet, um die
Herrschaft über die Eingeborenen zu behaupten ^). Thüringische Marken
gab es allem Anschein nach in dieser Zeit noch nicht; vielmehr schal-
teten hier die mit ausserordentlicher Gewalt bekleideten königlichen
Missi; ein solcher war jedenfalls der Madalgaud des Eapitulare von
805, der seinen Sitz in Erfurt hatte. Bis zu dieser Stadt durfte nach
eben diesem Eapitulare Handel von Westen her getrieben werden.
Von hier aus wurden 805 und 806 von Karls gleichnamigem Sohne
erfolgreiche Züge ins Land der unruhigen Sorben und Böhmen unter-
nommen, ebenso unter Ludwig dem Frommen 815 und 826. All-
mählich mögen die königlichen Beamten ihre Machtbezirke über die
Reichsgrenze hinaus erweitert haben (839 ducatus Toringubae cum
marchis suis ; 849 Thaculf, ein Ostfranke, dux et comes limitis Sorabici
genannt ^).
So breitete sich langsam, nur von einzelnen Empörungen der
Slawen gegen die Deutschen oder gegen die denselben treuen Slawen
(874, 889) aufgehalten, deutscher Einfluss immer weiter nach Osten
aus, zuerst wohl bloss über den nächsten Gau Chutizi, also bis an die
vereinigte und die Zwickauer Mulde und bis an die Chemnitz. Mit dem
Vorrücken der Grenze nach Osten wurde Merseburg an Erfurts Stelle
politischer Mittelpunkt; von hier gingen später die Kämpfe gegen Osten
aus, hier versammelten die Könige ihre Fürsten und Mannen. Vorerst
freilich trat ein Stillstand ein. Der unmittelbar östlich wohnende
kräftige Stamm der Daleminci widerstand mit Erfolg und fand nach
dem Untergang des Mährenreiches Hilfe bei den Ungarn, die 908 zum
erstenmal über den Miriquidi heranzogen. Das deutsche Königtum
war zu schwach, als dass es den einzelnen Machthabem an der
*) P o 8 8 6 , Markgrafen, S. 8 ff.
2) Ranke, Weltgeschichte V, 2, S. 218.
') Böttiger-Flathe, Gesch. d. Eurstaates u. Königr. Sachsen 1867,
I, S. 27.
25] A. Simon, Die Verkehrsstxassen in Sachsen. 197
Grenze, die allezeit die eigentlichen Ausbreiter des Deutschtums gegen
Osten waren, durch sein Ansehen einen sicheren Rückhalt geben konnte.
Als die Ungarn zum erstenmal durch Dalemincia hindurchzogen und
nach Thüringen und Sachsen kamen, fiel der Markgraf Burchard von
Thüringen, und Thüringen gelangte mit seinen Grenzgebieten in den
Machtbereich der kräftigen Liudolfinger von Sachsen, die selbst 908 mit-
gekämpft hatten. Durch diese, namentlich durch den jungen Heinrich, den
nachmaligen König, kommt die Germanisierung im Osten in ein neues, bes-
seres Stadium. War es vorher nur Abwehr und ein stilles Gewinnen fürs
Deutschtum gewesen, so beginnt nunmehr der Angriff. Heinrich unter-
nimmt 928 einen durch frühere Kämpfe wohlvorbereiteten Zug gegen
die Dalemincier, zerstört deren Stammesfeste Gana unweit Meissen und
legt wahrscheinlich kurz nachher einen festen Platz (urbs) an, Meissen,
um das Land zu behaupten und bei feindlichen Einfällen den Um-
wohnenden Zuflucht zu bieten ^). Dass Heinrich; dessen Unternehmungen
gegen die übrigen Slawen und die Ungarn grosse Planmässigkeit ver-
raten, sich sogleich und nur gegen die Dalemincier wendet, ist Beweis
dafür, dass damals die westlich wohnenden Slawen, vor allem die Chutizi,
als sicher gewonnen betrachtet wurden ; dass er ferner den Hauptplatz
nach Osten an die Elbe vorschiebt, zeigt, dass er jedenfalls den Ungarn,
welche wahrscheinlich über die östlichen Pässe des Erzgebirges und
durchs Eibthal zogen, den Weg verlegen und die östlich von der Elbe
wohnenden Milzener von hier aus im Zaume halten wollte. Letztere
unterwarf er wahrscheinlich damals von hier aus schon vorläufig, ebenso
die Böhmen ^). 936 brachte Heinrich erstere unter seine Botmässigkeit
und zwang sie, Tribut zu zahlen. Endgültig war freilich damit deren
Land der deutschen Herrschaft noch nicht unterworfen. Im Westen
werden nachher bei Gelegenheit der Gründung der Bistümer Merseburg,
Zeitz und Meissen durch Otto L (967, 968) Marken genannt: Merse-
burg (Gau Chutizi), Zeitz (Gaue Weitaho, Tucherini, Strupenice, Puon-
zowa, Geraha, Orla, Dobena, Plisni, Zwicowe) und Meissen (Daleminza,
Nisani) ^). Von diesen Marken verschwinden Merseburg und Zeitz bald
wieder, da sie die Bedeutung als solche infolge der fortschreitenden
Eroberung verlieren. Milcieni dagegen, von Anfang an der Mark und
dem Bistum Meissen zugewiesen, musste erst wieder durch Ekkehard I.
(985 — 1002) slawischem Besitz und Einfluss entrissen werden*); das
Land kam unter fortwährenden Kriegsstürmen nicht zur Ruhe und
konnte erst später, nach hartnäckigen Kämpfen, die etwa 1031 endeten,
den Polen und damit für immer slawischem Einfluss entrissen werden.
Das ist die äussere Unterwerfung. Im westlichen Teile setzt
sie unter Karl dem Grossen um 805 ein, im mittleren unter Heinrich L
928, die des östlichen wird durch Ekkehard I. wesentlich gefördert um
1000. Ihr folgt die Gewinnung fürs Deutschtum und, was damit ver-
bunden war, die Bekehrung zum Christentum, je weiter nach Osten und
') Thietmar 1, 9.
') Knothe, Germanisation der Lausitz ä. a. 0.
») Posse a. a. 0. S. 23 iF.
'') Thietmar 5, 5: Milzientos a libertate inolita servitutis juge constrinxit.
198 A. Simon, [2G
je weiter nach Süden, um so langsamer. Es fand keine gewaltsame
Vertreibung der Slawen statt. Wer sich unterwarf, verblieb der Haupt-
sache nach in seiner Stellung, der Adel im Besitz seiner Güter, die
Bauern auf ihrer Scholle. Die Gaueinteilung wurde möglichst bei-
behalten : die Abgaben und Dienste waren die alten. Nur die Herren,
denen diese geleistet wurden, hatten gewechselt, an Stelle der slawi-
schen waren deutsche getreten ^). So war es in der Lausitz ; so mag
es vorher im Westen gewesen sein. Nur machte hier wegen der grösseren
Nähe der Deutschen die Germanisation raschere Fortschritte.
Zunächst mussten die Deutschen das Land sich sichern, vor Em-
pörungen und Ueberfällen schützen. Darum errichteten sie Burgen,
und zwar, wie die Namen vermuten lassen, zunächst in slawischen
Orten oder in deren Nähe; alle sind sächsisch-thüringische Anlagen
zur Beherrschung der angesessenen Slawen ; wie die Lage der Mehrzahl
derselben annehmen lässt, dienten sie wohl auch zur Sicherung wich-
tiger Flussübergänge, zum Schutz zuerst gegen die Dalemincier, Un-
garn, Böhmen, dann gegen die Milzener und Polen ^). Die Bezeichnung
derselben, Burgwart, burgwardium, burcwartus, mag sich zuerst nur
auf die Steinburg (castrum) bezogen haben; da aber nicht bloss die
Insassen derselben, sondern auch die Bewohner der Umgebung zur
Bewachung derselben verpflichtet waren, so bedeutet in den Urkunden
Burgwart später vielfach die Burg mit dem umliegenden Land. Ein
solches burgwardium sive territorium ^) war zugleich Verwaltungs- und
Gerichtsbezirk für die Slawen, nicht für die im Lande nach und nach
angesiedelten deutschen Freisassen, die wohl innerhalb unseres Gebietes
alle zusammen nur einen Gauverband bildeten. Der Yereinigungspunkt
dieser zerstreuten Gaubewohner war nach dem Aufhören der Landes-
versammlungen zu CoUm der Rote Turm zu Meissen^). An dem
durch die Burg geschützten Mittelpunkt dieser Bezirke befand sich
die Kirche, der Markt und die Zollstätte; dorthin lieferten die In-
sassen ihren Zehnten ein ^). Diese militärisch-administrative Einrich-
tung verschwand mit zunehmender Ruhe und Sicherheit des Landes
(urkundliche Erwähnung der Burgwarte von 961 — 1228). Seit 1064
wurden einzelne Burgwartbezirke ganz oder teilweise den Bischöfen
von Naumburg und Meissen oder weltlichen Grossen übergeben*).
Steinburgen, castra, standen und stehen ausser diesen noch viele im
Lande, bei denen die lokale Chronik oder Sage Bekämpfung der Slawen,
Sicherung der Heerwege als Gründungsursache angiebt.
Mit und nach den Eroberern zogen, um deren Bedürfhisse zu
befriedigen, deutsche Händler, deutsche Handwerker ins Land und
siedelten sich im Schutz der Burgen an. Nach und nach kamen auch
deutsche Bauern ins slawische Gebiet; sie kamen freiwillig, weil hier
billiges Land zu haben war, oder sie wurden gerufen, sie sollten die
M Knothe, Zur Germ. d. Laus. a. a. 0. Posse, Markg. 8. 9.
') Schöttgenu. Kreysig, Diplomatische Nachlese 7, 1732, S. 377.
») C. d. S. r. I, 1, 55.
*) Märcker, Burggraf entum Meissen 1842, 1, 5.
*) Posse a. a. 0. S. 292.
«) C. d. S. r. I, 1, 153.
27] l^ie YerkehrfistraBsen in Sachsen. 199
Viehzucht, namentlich aber den Ackerbau, heben, Sümpfe und Wälder
für beides gewinnen. Solche allmähliche, friedliche Vorgänge ent-
ziehen sich im ganzen dem Nachweis. Im einzelnen aber findet sich
hie und da Nachricht über die Anlage eines Dorfes, wie Rühren bei
Würzen ^), sowie darüber, dass Deutsche zur Ansiedelung herbeigerufen
wurden. Abt Windolf in Pegau, aus Korvei stammend, zog nach 1100
fränkische Kolonisten heran zum Urbarmachen der Wildnis ^). Franken-
hsyn westlich Leipzig, Franken nördlich Waidenburg, Frankenau nörd-
lich Mittweida, Frankenhausen nördlich Crimmitschau, Frankenhayn
nordwestlich Geithain, Frankenberg, Frankenstein östlich Frankenberg,
Altfranken westlich Dresden, Frankenthal westlich Bischofswerda mögen
daran erinnern. Markgraf Dietrich (1156 — 1185), Sohn des grossen
Konrad von Meissen, besetzte im Verein mit dem Kloster Petersberg
den grossen Wald von Eilenburg und Würzen bis Torgau und Beigern
mit deutschen Kolonisten ^). Nach Freiberg zogen Bergleute vom
Harz; dort wurde der älteste Stadtteil ciyitas Saxonum, Sachsenstadt
genannt^). Die Mehrzahl der Einwanderer kam zunächst aus Thü-
ringen, dann aus dem südwestlich von diesem gelegenen Franken,
einmal weil die Eroberung immer von Thüringen ausging, sowohl unter
den sächsischen als auch unter den fränkischen Kaisem, dann weil für
Thüringen das Land ganz offen lag. Die Mundart des Pleissnerlandes
verrät thüringisch-fränkischen Ursprung. Auf dieselben altdeutschen
Landstriche weisen auch die Ortsnamen. Neben einzelnen, die mit
Sachsen zusammengesetzt sind, wie Sachsendorf östlich Rochlitz, Sachsen-
dorf südöstlich Würzen, Sachsenburg nördlich Frankenberg, Sachsdorf
nördlich Wilsdruff, Sachsenfeld nördlich Schwarzenberg, finden wir
Namen, die unzweifelhaft fränkischer Herkunft sind. Zu diesen ge-
hören die zahlreichen Ortsnamen mit der Endung „hain'', die zwischen
der Elster und der Zwickauer Mulde , unterhalb Grimma jenseits der
Mulde bis Dahlen sehr zahlreich erscheinen, südöstlich davon aber
allmählich verschwinden bis zu einer Linie Penig- Mittweida-Hainichen-
Nossen-Wilsdruff-Grossenhain. Die Namen selbst (Ziegenhain, Lichten-
hain, Blankenhain, Stolzenhain, Hainichen) , wie die mitteldeutsche
Endung „hain^ ^) weisen zuerst nach Thüringen, lassen sich dann durch
*) C. d. S. r. II, 1, 50. Nach dieser Urkunde aus dem Jahre 1151 hatte
Biechof Gernng von Meissen tüchtige Männer aus Flandern an einem unbebauten,
fast menschenleeren Orte angesiedelt. Jetzt sichert er ihnen und ihren Nachkommen
den Besitz des Dorfes Coryn zu. Dasselbe wird ihnen zu vollfreiem Eigentum über-
lassen. 1 Hufe und den Zehnten jedei Hufe erhält die Kirche, 2 Hufen der magister
incolarum, den sie Schulthes nennen. Wer über 15 Hufen besitzt, zahlt im Jahre
30 solidi und den Zehnten von allem, ausser von Bienen und Lein. Dreimal im
Jahre kommen sie (weil freie Männer) zum Ding, welches der bischöfliche Vogt bei
und mit ihnen selbst halten wird. 2 Teile der Dingeinkünfte sind dem Bischof, der
3. Teil (3. Pfennig) dem Schulthes. In allen bischöflichen Orten sind sie frei von
Zoll, wenn dieser nicht den öffentlichen Kaufleuten (?) übertragen ist. Bier, Fleisch,
Brot bringen sie unter sich frei zum Verkauf. Im übrigen sind sie frei von Ab-
gaben an den Bischof, Vogt, Schulzen.
^ A. f. 8. G. 3, 1865, S. 104.
») A. f. s. G. N. F. 2, 1876, S. 122.
*) C. d. S. r. n, 12, 14.
*) Weigand, Deutsches Wörterbuch.
200 A. Simon, [28
ganz Thflringen hiadurch von Walkenried am Sudfuss des Harzes bU
zum SOdfuss des ThOringerwaldes, im Fuldathal von Melsungen bis
hinauf nach Fulda, Ober das Vogelsgebirge hinweg, wo eie besonders
zahlreich sind, bis zur Mündung des Main verfolgen. Die Spezialkarte
von Reymann enthält auf dem bezeichneten Gebiete, von der Main-
mtlndung bis zur Saale, 14 Namen auf -hain, die sich auch im König-
reich Sachsen finden, daneben noch viele gleichlautende Namen, be-
sonders mit der Endung -rode. Nehmen wir die Entstehung der
Klöster hinzu: Buch ist von Sittichenbach, Altzelle von Pforta, diese
beiden von Walkenried, Chemnitz von Pegau, Pegau von Schwarzacb
aus mit Mönchen besetzt worden ') ; so werden wir in unserer Meinung
nur bestärkt, dase thüringische Kolonisation, beeinflusst durch Franken,
weniger durch Sachsen, in dem Gebiet von der unteren Weissen Elster
bis hinüber zur Elbe massgebend war.
Die im Vogtland häufigen Ortsnamen auf -grdn (2170 aller
Ortsnamen daselbst), sowie die mit der Endung -reuth deuten auf
eine besonders von der Oberpfalz und von Nürnberg aus erfolgte baye-
rische Einwanderung von Süden her. Das Waldgebiet des Erzgebirges
und die Lausitz sind von der Mark Meissen aus besiedelt worden.
Aus den deutschen Ortsnamen dUrfen vielleicht noch andere
Schlüsse gezogen werden. Das massenhafte Vorkommen von -hain
im Nordwesten, die allmähliche Zunahme von -dorf nach Südosten
hin bis zu einer Linie Z wickau- Chemnitz- Freiberg- Dresden -Stolpen-
Neusalza-Zittau , jenseits welcher Ortsnamen auf -bei^, -thal, -stein,
-bach in buntem Gemisch auftreten; endlich die Ortsnamen auf -walde
im Waldgebiet des Flachlandes und des Gebirges, auf -hof im Flach-
land und auf -haus oder -häuser im Gebirge zeigen : dass man in dem
wenig besiedelten , waldigen und sumpfigen Terrain im Osten der
unteren Elster und Pleisse bis zum ,Hayn Über Elbe* (Grossenhain)
sofort volle Orte gründete und diese mit Zäunen schützte (Hain ^ ver-
zäunter Ort) ; später entstanden zwischen diesen, vor allem aber weiter
gegen das Gebirge hin wiederum volle Ortsanlagen (•dorf). Die Lich-
tungen im Waldgebirge vergrösserten und vermehrten sich ('walde.
-rode , -reuth) , der Bergbau führte immer weiter in dasselbe hinauf
(-berg. -seifen).
Wann diese deutschen Siedelungen der Mehrzahl nach gegründet
waren, lässt sich nach den veröffentlichten Urkunden nur ungefähr
Orte mit deutschen Namen werden genannt in Vergabungen
: 1004 Wisseburg (? bei Colditz), 1040 Niwolkesthorp
nördlich Leisnig), 1070, 1070 Rothiboresdorf oder Roke-
, im Burgwart Zadel)*); in Vergabungen an Klöster:
nannsdorf bei Glauchau, 1208 Reinoldesfaayn sUdlich Mitt-
;ehardesberg?, Sifridesdorf (Topfseifersdorf westlich Mitt-
ikeln (nordwesthch Mittweida) ') ; 1140 werden der Kirche
ach i. V. neben 4 Dörfern mit wendischen 12 mit deutschea
ae, Lehi-e von den Privat Urkunden 1887, S. 8. 13 ß.
. S. r. I, 57. 90. U5. 149.
, «. G. 3, 1805, S. 203. A. f. ■. G. M. F. 2, 187Ü, S. 216.
29] I^ie Verkehrsstrassen in Sachsen. 201
Namen zinspflichtig zuerteilt; auf derselben Fläche stehen jetzt ausser
diesen nur noch 4, und zwar mit deutschen Namen. Da zudem die
Deutschen von Süden her ins Vogtland eindrangen, so kann dasselbe
Besiedelungsverhältnis für das ganze Gebiet der Elster im Vogtland
angenommen werden. Diese Annahme wird bestätigt durch die Grenz-
angaben des Sprengeis, welcher 1122 der zu Plauen gegründeten Kirche
zugewiesen wird. Derselbe umfasst, abgesehen vom Reichenbacher
Sprengel und dem Gebirgsland im Südosten der oberen Mulde und im
Süden Yon Adorf und Markneukirchen, das ganze Vogtland. Die Ge-
nauigkeit dieser Grenzangaben zeigt, dass dasselbe bekannt und bewohnt
war ^). Bis zum Jahre 1300 erscheint die Mehrzahl der jetzt vor-
handenen deutschen Ortsnamen des Vogtlandes in den Urkunden.
Selbst ein grosser Teil des Erzgebirges muss um 1200, als die Silbererze
im Osten entdeckt wurden, mit Siedelungen besetzt gewesen sein.
1183 werden Ghristanesdorph , Bertholdesdorph, Tudendorph genannt,
letztere bei Freiberg, ersteres seit Freibergs Gründung verschwunden.
In den Vergabungen an das Grünhainer Kloster im Jahre 1240 kommen
neben slawischen Ortsnamen folgende deutsche vor: Beyerveit, Sachsin-
velt, Marquardisbacb, Westervelt, Ditterstorf, V^ildenaw *). Das älteste
Zinsregister für das Chemnitzer Bergkloster, das etwa aus dem Jahre 1200
stammt, aber lange bestehende Einrichtungen fixiert, zeigt dasselbe für
die Dörfer um Chemnitz. In der Oberlausitz, die um 1000, also
100 Jahre später, erobert, 1031 erst endgültig unter deutschen Ein-
fluss kam, erscheinen deutsche Ortsnamen urkundlich erst nach 1200:
1217 Wisenburgk (Stadt Weissenberg) , 1221 Cunradesdorf (Cunners-
dorf bei Löbau), 1222 Neukirch, Cunnewalde, Hochkirch, 1225 Gers-
dorf, Bischheim, 1227 Bischdorf»).
Ziehen wir in Betracht, dass dies alles urkundliche Erwähnungen
sind aus Vergabungen an Kirchen und Klöster, welche geordnete und
einigermassen entwickelte Verhältnisse voraussetzen, so müssen wir
annehmen, dass im Lande westlich der Elbe ums Jahr 1200 die Mehr-
zahl der heute vorhandenen deutschen Siedelungen bereits angelegt
waren. Der Nordwesten Sachsens war wahrscheinlich dem Südosten
etwas vorausgeeilt. Von den reinen Waldhöhen und höchsten Gebirgs-
lagen, wohin Forstwirtschaft und Bergbau erst später vordrangen, muss
natürlich abgesehen werden.
Nun gab es in unserem Vaterlande neben den slawischen Dörfern
deutsche, mit manchen Gegensätzen, mit manchen Beziehungen (siehe
S. 203 [31]). Vermehrt wurden beide, Gegensätze und Beziehungen,
bis zur endlichen Verschmelzung durch das mit den Deutschen ein-
ziehende Christentum. Die Eroberung, Unterwerfung und Angliederung
an das Frankenreich bedeutete schon für die alten Sachsen unter Karl
dem Grossen Gewinnung fürs Christentum, bedeutete es auch hier für
die Sorben unter den sächsischen und fränkischen Kaisem. Um die
') Müller, Mitteil. des Altert. Ver. Plauen 1, 1880. Urk. 1, 2. Karte
der alten Ortenamen in Heft 7.
») A. f. 8. G. 7, 1869, S. 60.
') Enothe, Germ. d. Laus. a. a. 0. C. d. S. r. If, 7, 1.
202
A. Simon,
[30
Christianisierung der Slawen zu fördern, wurde auf Betreiben Ottos I.
062 das Erzbistum Magdeburg, 967 auf 968 die diesem untei^ebenen
Bistümer Merseburg, Zeitz (später Naumburg) und Meissen errichtet ^).
Die Bischöfe lagen ihrer Aufgabe zumeist mit Eifer ob, besonders
Boso, erster Bischof von Zeitz, Wigbert, sein zweiter Nachfolger, der
an der Elster und Pleisse thätig war. Unter den Meissner Bischöfen
war Eido, der 1015 starb, ein besonders thätiger Missionar. Wahrend
die Marken Merseburg und Zeitz bald ihre Bedeutung verlieren und
darum nicht mehr genannt werden, hatten die Bistümer jahrhunderte-
lang schwere Arbeit; der Zeitzer Bischof siedelte sogar wegen der
Unsicherheit seines bisherigen Sitzes 1028 nach Naumburg über, seitdem
heisst der Sprengel Naumburg-Zeitz ^). 1140 gab es in SchmöUn (nörd-
lich Crimmitschau) noch Heiden; 1123 wurde Bischof Dietrich von
Naumburg, der zur Ausbreitung des Christentums im Vogtlande er-
muntert, der 1118 die Marienkirche in Zwickau geweiht hatte, in der
Klosterkirche zu Bosau bei Zeitz von einem jüngst bekehrten Slawen
erstochen. Die Arbeit der Missionare war schwer und schritt nur
langsam vorwärts ; ja, es fehlten sogar nicht Rückschläge. 985 vertrieb
die wankelmütige, zum Teil aus Slawen bestehende Einwohnerschaft
Meissens den Bischof Yolkold aus dem Orte ^) ; erst 987 wurde er
durch Ekkehard I. zurückgeführt. Dieser festigte das deutsche An-
sehen und das Christentum ; aber nach seinem Tode stellten andauernde
Kriege das Werk wieder in Frage bis 1031. Die Sorben hingen fest
am Heidentum ; sie ahnten, dass mit diesem ihre nationale Selbständig-
keit verloren ging. Dazu kam , dass die Messe lateinisch war, darum
unverstanden blieb ; die Seelsorge war nur unter verständigen Bischöfen
zum Teil wendisch. Aber diese Massregel konnte die Germanisierung
nicht begünstigen. Trotzdem hat die Geistlichkeit an derselben hervor-
ragenden Anteil ^). Im Lande westlich von der Elbe gilt dies späterhin
auch von den Klöstern, besonders von Pegau (1093 geweiht) mit Kloster
Lausigk 1105, Bergkloster zu Chemnitz 1136, Remse bei Waldenbui^
1144, Riesa um 1170, Altzelle und kleines Kloster Cella (Klösterlein
bei Aue) vor 1175, Aue 1190; Staucha-Döbeln, Nimbschen bei Grimma,
Somzig und Seusslitz sind nach 1200 entstanden. Im Vogtlande wirkte
seit dem 13. Jahrhundert der deutsche Ritterorden eifrig für Aus-
breitung des Deutschtums und Christentums, und zwar von Altenburg
seit 1214, Eger 1215, Plauen 1224, Reichenbach 1264 und von Asch
und Adorf seit 1270 und 1290 aus ^). Besonders thätig aber waren
nach beiden Richtungen hin zuletzt die Städte; dies tritt namentlich
in der Lausitz hervor, weil hier die Städte rascher und zu einer Zeit
sich entwickelten, in welcher die Landschaft in der Hauptsache noch
slawisch war. Der Erfolg war, dass in Zwickau und Altenburg 1327,
um diese Zeit auch in Leipzig, in Meissen 1424 der Gebrauch der
wendischen Sprache verboten werden konnte, während in vielen Dörfern
») C. d. S. r. I, 1, 4. 6.
') Posse, Markgrafen 8. 116.
') a. a. 0. S. 30.
*) a. a. 0. S. 288.
'') Müller a. a. 0. ürk. 7. 10. 28. 44. 93.
31] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 203
der Lausitz heute noch wendisch gesprochen wird *) (1885 49916 Wenden
== 1,5 ®/o der Oesamtbevölkerung).
Mit der Besiedelung des Landes durch die Deutschen war ein
^osser Fortschritt erreicht. Dies tritt klar hervor, wenn man den
Hauptunterschied zwischen slawischen und deutschen Siedelungen ins
Auge fasst. „Die allermeisten altslawischen Ortschaften bestanden
iw-ohl ursprünglich nur aus einem herrschaftlichen Hofe und wenigen
ärmlichen Hütten, den Wohnungen der zum Gut gehörigen Arbeiter,
Smurdi *). Diesen hatte der Gutsherr einiges Acker- und Wiesenland
überlassen, doch ohne ihnen daran irgendwelche Eigentumsrechte zu
gewähren und mit der Verpflichtung, sowohl einen jährlichen Zins zu
entrichten, als auch alle ihnen anbefohlenen Arbeiten auf dem Felde
und Hofe des Herren zu verrichten^)." Anders bei den deutschen Dorf-
anlagen : die Bauern, auch wenn sie dem Kloster oder Bischof zinsten,
waren anzüglich persönlich frei; der Schulze und alljährlich an bestimmten
Tagen der Vogt fällte mit ihnen selbst urteile nach heimatlichem oder
nach selbstgekorenem Rechte ^). Mit der Zeit sank allerdings die Zahl
der Freien, sank die Freiheit selbst, ein umstand, der einer neuen Art
der Siedelungen, den Städten, vielfach Bewohner zuführte, weil hier
leichter die Freiheit gewahrt oder wieder erlangt werden konnte.
') Herzog, Chronik von Zwickau 1839, 2, 56.
*] Müller a. a. 0. Urk. 1. anno 1122: Zmurdi ... in villa Cribsiz, Griesch-
witz bei Planen.
») N. A. f. 8. G. 4, 1883, S. 20.
*) Nach der Urkunde von 1160 (C. d. S. r. I, 1, 60) haben die Bauern in
Löbnitz südlich Groitzsch nach eigener Wahl teils hallisches Recht, teils Recht
Ton Burg.
Städteentwickelnng.
In slawischer Zeit finden wir in Sachsen keine Städte, höchstens
die Anfänge zu solchen, da die Slawen Punkte besiedelt hatten, die
nach der geographischen Lage voraussichtlich zur Entwickelung von
Städten führen mussten, man denke an Zwickau, Leipzig. Die Frage
nach den Anfängen ist so wichtig, dass sie besonders aufgeworfen
werden muss. Neuerdings wird vielfach, namentlich in der Statistik,
der Unterschied zwischen Stadt und Dorf als unwesentlich ausser acht
gelassen, vielleicht mit einem gewissen Rechte. Aber der Gegensatz
zwischen beiden Arten der Siedelungen ist vorhanden, er war früher
noch ausgeprägter als jetzt. „Von der Stadt wird das Dorf nicht bloss
durch die Grösse, sondern auch durch den engen Zusammenhang mit
allen Zweigen der Urproduktion, besonders Ackerbau und Viehzucht
und entsprechende Abwendung von Gewerbe, Handel und Verkehr unter-
schieden.* „Letztere, der Verkehr und der Handel, und die mit beiden
zusammenhängende Industrie führen zu grösserer Ansammlung der
Menschen, zur Bildung von Städten^)/ Handel und Verkehr aber
haben ihre natürlichen Bedingungen, vor allen die Verteilung von
Wasser und Land, auf letzterem die Bodengestalt. Wenn Kohl *) be-
hauptet, die Städte würden meist als Städte geboren, so hat er dem-
nach insoweit recht, als manche Punkte der Erdoberfläche zu Stadt-
anlagen in besonderer Weise geeignet sind, womit freilich nicht ge-
sagt wird, dass an solchen Stellen thatsächlich sofort Städte erblühten^
oder dass die an denselben zunächst entstandenen Dörfer wirklich immer
zu Städten sich entwickelten, man denke an die vielen Burgwarte,
deren Mittelpunkte nur zum Teil zu Städten -wurden. In unserem Ge-
biete wird ersteres bestimmt nur an Bergstädten beobachtet, die Mehr-
zahl der Städte aber hat sich nachweislich aus Dörfern entwickelt.
Den Anfang zur Stadt bildet immer der in einem Ort betriebene
Handel, der Markt. „Die Verleihung des Marktrechtes war es, welche
einen Ort zur Stadt erhob und die Grundlage für die Entwickelung
S. 450.
') Ratzel, Anthropogeographie II, 8. 406. 453.
') Kohl, Verkehr und Ansiedelungen 1841, S. 168. VgL Ratzel a. a. 0.
33] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 205
städtischer Verfassung wurde ^). Der Handel aber verlangt erstens Sicher-
heit, zweitens Stetigkeit; darum ist einerseits ein solcher Ort in der
Regel befestigt oder wird bald befestigt, sei es durch Holzwerke oder
durch Mauern, durch Wall und Graben ^) ; darum yerschafft sich anderer-^
seits ein solcher Ort bald Marktrecht. Befestigung und Marktrecht
sind die Voraussetzungen zur weiteren inneren Entwickelung, deren
Abschluss die Selbständigkeit der Verfassung, das Stadtrecht im engeren
Sinne, bildet^). Damit ist erst die Stadt fertig. Da das Befestigungs-
und Marktrecht, das Stadtrecht von den Landesherren erworben und
nachher bestätigt werden muss ^), so entstand die Ansicht, als ob diese
die Städte gegründet hätten. Dem ist nicht so. Sie haben an der Städte-
entwickelung Anteil, forderten einzelne Städte, hemmten dadurch andere.
Sie erteilten das Recht zur Befestigung nicht eher, als bis das Be-
dürfnis und die nötigen Mittel im Orte schon vorhanden waren, dies
Recht musste zuweilen mühsam, sogar hartnäckig errungen werden.
Marktrecht, Freiheit von Zöllen, selbständige Verwaltung und eigenes
Gericht liessen sich die Fürsten um Summen abkaufen, deren Auf-
bringung auch eine gewisse Grösse des Ortes, also längere Entwickelung
Toraussetzt. Freilich dauerte letztere verschieden lang; es kommt dabei
auf die Lt^e an. Im Westen Sachsens, wo die Städteentwickelung
früher einsetzt, zu einer Zeit, da auch im übrigen Deutschland das
Städtewesen sich erst entfaltet, vollzieht sich dieselbe viel langsamer
als in der Mitte, hier immer noch langsamer als im Osten, in der Lau-
sitz, auf welche fast schon fertige Verhältnisse, Einrichtungen von
anderwärts her übertragen werden konnten.
Die Hauptfrage ist nun die: Wann und wie haben innerhalb
unseres Gebietes einzelne unter den vorhandenen Siedelungen begonnen,
sich von den anderen abzuheben und dahin zu entwickeln, dass sie
schüessUch zu Städten im angegebenen Sinne wurden? Die Frage nach
dem Wann ist schwierig, einmal weil eine Ansiedelung schon eine
längere Entwickelung haben musste, ehe derselben die Bezeichnung
Stadt beigelegt wurde, dann weil mit derselben Bezeichnung Chronisten
und Urkunden das Verschiedenste belegen : oppidum war ummauerte
Stadt, grössere Burg, festumzäuntes Dorf; urbs, civitas war Stadt,
Burg, befestigtes Dorf*). Die Frage nach dem Wie oder Wodurch
ist oft noch schwieriger, weil die ersten Ursachen zuweilen rasch wieder
verschwinden oder durch neue, ganz andere Faktoren kräftiger Weiter-
entwickelung unkenntlich gemacht werden, weil die erlangte Macht von
strebsamen Bürgern sehr bald zur Erreichung noch grösserer Macht
benutzt wird. Zudem ist das urkundliche Material nur in beschränktem
Masse veröffentlicht.
^) Posse, Markgrafen, 8. 298.
') Hallmann, Städtewesen des Mittelalters 1826, S. 165.
•) Gaupp. üeber deutacbe Städtegründung, 1824, S. 21. 74.
*) Gretschel, üeber die früheste Bildang der Verfassung in den meiss-
niachen Städten, in den Berichten d. deutsch. Gesellsch. in Leipzig 1842, S. 9,
») N. A. f. s. G. 11, 1890, S. 7. 8.
FonobuDgen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VIT. 2. 14
Vogtländische Strassen nnd Städte.
Von den 15 Städten des Yogtlandes erscheint im Laufe des
14. Jahrhunderts die Hälfte urkundlich als voll entwickelte Städte.
Sie erwerben von ihren Landesherren die „Rechte, Gewohnheiten und
Freiheiten", wie andere Städte sie haben: Plauen 1361 vom Böhmen-
könig Karl IV., Adorf 1357 und Oelsnitz vor 1357 vom Markgrafen
Balthasar von Meissen, Elsterberg vor 1368, die Stadt unter (dem
Schlosse) Schöneck 1370 von demselben Böhmenkönig, Treuen vor
1390^). Vom Vogt in Plauen, dem Herren der Stadt, erwarb diese
ausserdem 1368 für ihre Bürger in und vor der Stadt freies Erbrecht
und Freizügigkeit; nach den statuta Opidi Plawen, die aus derselben
Zeit stammen, ist das Strafrecht, die Gerichtsbarkeit in den Händen
des Rates ^). Magister civium ceterique cives iurati in Plawe treten
schon 1329 als Zeugen auf und haben eigenes Stadtsiegel ^). Gleich-
zeitig mit Plauen, 1368, bekommen die Bürger in und vor der Stadt
Elsterberg vom Besitzer der Lobdaburg daselbst freies Erb- und Kauf-
recht, wie in der Stadt Zwickau. Auch in Reichenbach war das Ge-
richt im Besitz des Rates; denn die Bürger werden 1367 für den Fall,
dass sie ein rechtes urteil nicht finden können, nach Plauen, von da
nach Eaaden in Böhmen verwiesen ^). 1390 giebt der plauensche Vogt
Treuen Erb- und Asylrecht; das setzt die übrigen Stadtrechte voraus.
Die anderen Städte scheinen damals noch unbedeutend gewesen zu sein.
In Mühltroff wird neben dem hus (Schloss) 1367 die stat erwähnt^).
Da das Stadtrecht mit eigener Gerichtsbarkeit immer den Schluss
in der Entwickelung bildet, so musste unter den Rechten, welche
obigen Städten verliehen oder bestätigt wurden, auch das Marktrecht
sein. In der That werden Adorf und Oelsnitz 1367 markt und sieÜein
genannt^); in Reichenbach wird schon 1317 der Jarmargkt vor der
kirchen erwähnt ^). Ein Jahrmarkt in Plauen wird zwar nicht genannt,
^) Müll er y Urkunden und ürkundenauszüge zur Geschichte Plauens und
des Vogtlandes i. d. Mitteil, des Altertumsvereins Plauen 1880 ff. (fortan citiert:
Müller, Urk. v. Plauen) Nr. 438. 408. 470. 478.
^ a. a. 0. 468. 469. •) a. a. 0. 303. *) a. a. 0. 4G6. *) a. a. 0. 464.
•) a. a. 0. 464. ^) a. a. 0. 196.
35] A. Simon, Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 207
aber ein wichtiger Handelsplatz war Plauen, sonst hätten nicht lant-
volch gemeyne vnd koufleute zu Plawen 1306 vom Vogt um schweres
Geld dessen schon 1279 erwähnte moneta plawiensis (Münze) erworben ^).
1360 bekommen die Kaufleute in Neukirchen (Markneukirchen] die-
selben Rechte, es waren wahrscheinlich Befreiung von gewissen Zöllen,
Bestätigung des alleinigen Handels, wie die von Adorf und Oelsnitz sie
schon besitzen*). In Plauen wohnen 1351 vier Juden; einem wird
sicheres Geleit bis Eger und bis 6 Meilen über Hof hinaus versprochen;
sie trieben also Handel^). 1356 heisst es geradezu, dass Plauen sich
einer angenehmen Entwickelung durch Eaufleute, Fremde und wandernde
Leute erfreue *). Vom Wachstum der Städte , der natürlichen Folge
des steigenden Handels, zeugt das Bedürfnis nach neuen Kirchen, wie
solche in Plauen 1300, in Reichenbach 1302 erwähnt werden, sowie der
Einzug der Predigermönche (1292, 1301 ordo predicatorum in Plawe) ^).
Wurde dieser Handel auch durch Mauern geschützt? Ausdrück-
lich genannt werden dy statmuren von Plauen 1336, die Befestigung,
vier Thore und die Schulpforte der stat zue Plawen 1328 ^). Ein Schutz,
Mauern oder Planken, ist aber sicherlich lange vor der urkundlichen
Erwähnung vorhanden gewesen. Wenn 1263 eine Mühle in nova
civitate besteht, so kann mit letzterer nur der heute noch Neustadt
genannte Stadtteil gemeint sein, der zwischen der Altstadt und der
1244 erwähnten Steinbrücke liegt, also auf dem linken Ufer der Syra
und ganz unmittelbar am linken Elsterufer. Die Bezeichnung in nova
civitate setzt aber eine antiqua civitas mit gleicher Bedeutung voraus,
eine grössere Zahl Häuser, die besonders geschützt, befestigt sind ^).
Elsterberg, Treuen, Schöneck wurden unter und durch den Schutz der
neben den ursprünglichen Dörfern angelegten castra zu Städten, ebenso
später Pausa, Mühltroflf, Auerbach, Falkenstein, Mylau, Netzschkau.
Auch Plauen kam der Schutz eines castrum zu gute ; das noch bestehende
Schloss Hradschin (Burg) ist vor 1224, in welchem Jahre die Vögte
von Weida zuerst tds Besitzer Plauens auftreten, erbaut. Oelsnitz wurde
durch Schloss Vogtsberg (1249 castrum Voytesberch) geschützt, dessen
Name auf die Erbauer schliessen lässt. Es besass damals selbst Be-
festigung, ebenso Adorf, das 1294 als opidum auftritt, ßeichenbach
erscheint 1140 (?) als opidum; daneben wird villa Reichenbach in
terminis ecclesiae in Richenbach (Oberreichenbach) aufgeführt*).
Aus alledem ist zu erkennen, dass die Entwickelung von Plauen
und Reichenbach, dann von Oelsnitz und Adorf hier am frühesten ein-
setzt und dementsprechend weiter geht, so dass diese Städte Mitte des
14. Jahrhunderts voll entwickelt sind. Die Hauptfrage ist nun die :
Welche Ursachen liegen vor, dass gerade diese Orte aus ehemaligen
Dörfern (1122: vicus Plawe) ^) zu Städten sich entwickelten?
Gehen wir über die angeführten urkundlichen Thatsachen noch
weiter zurück, so sehen wir zunächst, dass Plauen und Reichenbach
frühzeitig kirchliche Mittelpunkte wurden. Der 1122 der Kirche in
') a. a. 0. 64, Nachträge 48. ^ a. a. 0. 433. ') a. a. 0. 382. *) a. a. 0. 400.
') a. a. 0. 136. 150. 104. 139. ") a. a. 0. 337. 278. ') a. a. 0. 15. 24. ») a. a. 0. 17.
116. 2. ») a. a. 0. 1.
208
A. Simon,
[36
vico Plawe vom Naumburg-Zeitzer Bischof zugewiesene Sprengel um-
fasst den grössten Teil des sächsischen Vogtlandes ^). Der nördliche
Teil des letzteren, jenseits der Linie Auerbach-Elsterberg, war eben-
falls vom Naumburger Bischof der in Reichenbach bereits um lOSd
errichteten, aber durch feindliche Einfalle wiederholt (um 1100, vor
1140) zerstörten Kirche zugewiesen worden ^). Der südwestliche Teil
jenseits der Linie Adorf-Zöbern gehörte zur Bamberger Diöcese und
hatte Hof zum Mittelpunkt. Der Süden, namentlich Adorf und seine
Umgebung, gehörte zu den Kirchen in Eger und Asch. Zu diesen
Kirchen des Vogtlandes gesellten sich, wie aus den Klagen der unten
erwähnten, zu Reichenbach gehörigen Dörfer hervorgeht, vorläufig nur
wenig neue hinzu; das Landvolk musste zu vielen gottesdienstlichen
Handlungen in diese Orte wandern. Erst später wurden, zunächst in
den grösseren Orten der Umgebung, Kapellen erbaut und eigene Geist-
liche, capellani, dorthin geschickt, von Plauen aus nach Oelsnitz, Auer-
bach, Falkenstein, Treuen, von Reichenbach nach Mylau, Netzschkau.
von Eger nach Asch, von hier nach Adorf. Das Patronatsrecht der
Kirchen in Reichenbach, Asch und Eger ist in den Händen des Vogtes
zu Plauen, was auf einen Zusammenhang derselben mit der Kirche
daselbst als der Mutterkirche hindeutet. Diese Kapellen erhalten dann
ortsansässige Leutpriester, plebani, sie werden zu selbständigen Kirchen
und ihrerseits wieder Mutterkirchen für Kapellen in ihrer Umgebung *).
Die Kapellen der Umgebung dienten lange nur dem Gottesdienst, wäh-
rend Taufen, Begräbnisse, Trauungen, grössere kirchliche Feste der
Mutterkirche vorbehalten blieben, bis die Dörfer endlich so weit ge-
wachsen waren, dass ihre Bitten, ihre Klagen über allzu weiten und
beschwerlichen Weg durchdringen (1292 die „oberen Dörfer", die nach
Reichenbach eingepfarrt waren) *) , bis die Einkünfte der Mutter- und
Tochterkirche so gross waren, dass jene den Ausfall an Einnahmen er-
trug, diese einen eigenen plebanus unterhalten konnte, bis endlich der
plebanus so weit gebracht wurde, dass er seinen dauernden Wohnsitz
aus der sicheren und bequemen Stadt hinaus aufs offene Land verlegte %
Lange also führten Kirchgang oder kirchliche Feste die Be
völkerung hinein in jene Orte. Der oft weite Gang wurde ziigleich
zu Geschäften benutzt, zum Einkauf der in der Landwirtschaft er-
übrigten Erzeugnisse, zum Verkauf von Produkten der Stadt und des
Auslandes, welche dorthin geführt wurden. Dies wird bestätigt durch
die Erscheinung, dass der Wochenmarkt ursprünglich allenthalben am
Sonntag war, dass die Jahrmärkte zu den Hauptfesten, am Tag der
Kirchenheiligen abgehalten wurden, dass viele Orte jetzt noch ihren
Jahrmarkt beim Kirchweihfest haben. Diese Gewohnheit und das Be-
*) a. a. 0. 1. «) a. a. 0. 2.
') a. a. 0. 29. 44. Das Verhältnis der Filialkirchen zu den Mutterkirchen
ist am deutlichsten zu erkennen in den YisitationsprotokoUen vom Jahre 1528 und
1529, a. a. 0. Heft 6, 1887.
*) a. a. 0. 104.
^) 1294 wird das ehemalige Schulzengut in Theuma der Kirche daselbst
gegeben, damit der dortige plebanus seinen dauernden Wohnsitz im Dorfe nehme;
aber 1322 wird einem plebanus daselbst erlaubt, dass er seinen persönlichen Wohnsitz
nicht dort zu nehmen brauche, a. a. 0. 111. 211.
37] I^ie Verkehrsstrassen in Sachsen. 209
dürfnis, nach der Stadt zu gehen, blieb, als die unmittelbare kirchliche
Zusammengehörigkeit schwand.
Auch anderes führte die Umgebung in die Stadt. Die Leute
mussten zur Mutterkirche den Zehnten bringen, in wichtigeren An-
gelegenheiten ihr Recht in der Stadt suchen; denn dem Schulzen der
Dörfer, in anderen Dörfern dem miles, dem Inhaber des castrum oder
dominium, kam nur die Entscheidung bei kleineren Vergehen zu; in
bestimmten, schwereren Fällen hatte sie ursprünglich der kaiserliche
Beamte, hier der Vogt, bis später einzelne Herren oder Körperschaften
diese Rechte erwarben. Gericht vber hals vnd haut aber blieb immer
dem Vogt, dessen Gerichtsstätte wahrscheinlich in oder bei Plauen lag.
Die Orte waren also Ausgangspunkte der Christianisierung und
Germanisierung und blieben kirchliche und gerichtliche Mittelpunkte.
Warum hier gerade der weltliche Besitzer, der Missionar und Geistliche
sich zuerst niederliessen, warum hier zuerst Kirchen gegründet wurden,
hat seinen sehr einfachen Grund darin, dass in diese Orte, die wohl in
Yorchristlicber Zeit aus ähnlichen Gründen schon grösser waren, der
Eroberer, der Missionar zuerst geführt wurden durch die lange be-
stehenden Strassen, die beide mit ihrer Heimat, den Geistlichen mit
seiner Torgesetzten Behörde (Bamberg im Süden, Naumburg-Zeitz im
Norden), den weltlichen Herren mit dem Stammsitz und den Besitzungen
seines Geschlechtes, bei dem er seinen Rückenhalt hatte, in leichter
Verbindung erhielten.
Jene lange bestehenden Strassen werden die natürlichen, von der
Bodeugestalt bestimmten und gebotenen sein, also im Vogtland die,
welche vom oberen Main und der oberen Saale und von der oberen
Eger her sich in Plauen vereinigen und dann nordwärts weiter ziehen.
Die wichtigste Verkehrsader ist die aus Franken, die in der Haupt-
sache von alters her so verlief, wie sie noch 1730 auf Zümers Neuer
Chm^ächsischer Postcharte erscheint : von Hof über Grosszöbern, Plauen
und Reichenbach nach Zwickau. Hof ist schon 1288 «im Besitz der
Vögte von Plauen^). Villa Zobri, Grosszöbern, wird schon 1122 als
Grenzpunkt des plauenschen Sprengeis aufgeführt, der einzige Dorf-
name in dieser Grenzangabe, wohl deshalb, weil hier die damals be-
kannte Strasse aus der Bamberger in die Naumburger Diöcese über-
trat *). Blossenberg, Ebersberg, Heinersgrün und Hartmannsreuth,
zu beiden Seiten der Strasse oberhalb Zöbem gelegen, belästigten die
Warenzüge ; wer von diesen Dörfern zum Tode verurteilt wird, soll zu
Hof gehenkt werden (1306) ^). Unterhalb Pirk bog die Strasse ins
Elsterthal ein; diesen wichtigen Punkt schützte die munitio Tirbil
(1301, 1327, jetzt Dorf Tirbel)*). Sie zog an Weischlitz, 1274 0),
vorüber am rechten Thalhang nach Kürbitz, 1225 Curbiz, überschritt
da auf alter Brücke, 1298 pons ville Kurbiz ^), die Elster, wurde durch
castrum Strazberc, 1194, 1280, gedeckt, neben welchem 1298 ein
hospitium besteht ''), und erreichte Plauen durch das Strassberger Thor.
Hier im Mittelpunkt des pagus Dobna wohnte bereits 1122 comes de
') a. a. 0. 87. ») a. a. 0. 1. ») a. a. 0. 164. -*) a. a. 0. 141. 260. 289.
') a. a. 0. 55. ®) a. a. 0. 11. 134. ') a. a. 0. 3. 70. 135.
210
A. Simon,
[38
Euerstein (Grafengeschlecht, das an der Weser bis ins 15. Jahr-
hundert blühte); 1224 sind die Vögte yon Weida im Besitz Plauens
und wohnen daselbst^). Sie beherrschen die Strasse: Hof ist 1288,
Reichenbach 1265 in ihrem Besitz; sie haben die Hals- und Strassen-
gerichte, auch innerhalb der Komturei Reichenbach (1274, 1324) und
bis Hof (1288), das Strassengeleit, conductus stratarum 1323, und die
Zölle, thelonea 1323, 1329|*). 1254 schliesst der Vogt einen Vertrag
mit dem Markgrafen zum Schutze der milites, rustici vel mercatores,
welche zu ihnen hinüber- und herübergehen; letztere erscheinen 1300
als personae negociankes ^). In Plauen mussten firemde Händler, wenn
sie hier Geschäfte betreiben wollten, in der Münze des Vogtes, 1279,
ihr Geld in die daselbst gangbare Sorte umsetzen ^). Den Juden sichern
die Vögte 1351 gegen entsprechende Bezahlung innerhalb ihres Ge-
bietes, besonders bis Hof und 6 Meilen darüber hinaus, sicheres Geleit
und Hilfe bei Eintreibung ihrer Forderungen zu. üeber den alten
Stein weg, durch die erwähnte Neustadt, über die Elsterbrücke, 1244
pons lapideus, qui adiacet ante civitatem, am Siechenhaus vorbei
1255^), führte die Reichenbacher Strasse, semita a Richenbach ad
Plawen 1140^), das Thal abwärts über Krieschwitz und Mosch witz.
Villa Cribsiz, quamque Zmurdi incolunt, 1122, ist die erste Schenkung
an die Kirche in Plauen, sie wird wohl am Wege gelegen haben;
Möschwitz wird 1266 genannt^, unterhalb des Berges und Berg-
werkes Röttis (Name deutet auf Eisenerz, das noch in neuerer Zeit
dort abgebaut wurde) ®) , verliess der Weg den rechten Thalrand der
Elster, 1244 via que est sub monte Rotthis, semita vetus, überschritt
das Thal der frühgenannten Trieb bei Pohl, 1292 Bel^), also an dem
untersten Punkte, wo es überhaupt noch überschritten werden kann,
gelangte über Herlasgrün bei Limbach in ein Seitenthal der Göltzsch,
dessen Ausgang Netzschkau deckte, 1140 villa Netschka^^), und über-
schritt die Göltzsch bei Mylau. 1140 gehört villa Mila zum Reichen-
bacher Sprengel; 1212 kommt provincia, que Milin dicitur, an Ottokar
von Böhmen. Diese Bezeichnung setzt voraus, dass der Ort bekannt
ist, also an einer belebten Strasse liegt, auch dass er ein Schloss hat;
castrum Mylin war 1323 im Besitz des Vogtes von Plauen**). Am
Mylinbach bewegte sich die Strasse aufwärts nach Reichenbach, 1317
dye hoenstrasse **), und nach Neumark, wo eine Strasse nach Werdau
abzweigte. Sie erreichte endlich über Schönfels und Lichtentanne
Zwickau. Schönfels war früh befestigt; castellanus de Schoninvels ist
1225 Zeuge in einer Urkunde des Vogtes und des Naumburger Bischofs **).
Zwischen Plauen und Reichenbach nimmt die Strasse später einen
anderen Verlauf; man sucht auf dem jetzt ausgebauten Weg über
Alten- oder Neuensalz und Thossfell, 1331 antiquus sal, 1294 miles
de Thossenuelle**), über Hartmannsgrün Reichenbach zu erreichen.
Dieser Weg war leichter zu befahren, weil er weniger tiefe Thäler
*) a. a. 0. 1. 10. ») a. a. 0. 29. 54. 87. 216. 299. ») a. a. 0. 19. 187.
*) a. a. 0. 64. *) a. a. 0. 15. 21. ^) a. a. 0. 2. a. a. 0. 1. 31.
^) Schurtz, Seifenbergbau i. Erzgebirge S. 143.
») M. ü. V. PI. 15. 104. ") a. a. 0. 2. ") a. a. 0. 5. 216. **) a. a. 0. 196.
'^) a. a. 0. 11. ") a. a. 0. 111. 207.
391 Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 211
durchschritt; doch wird er, weil auf demselben Reichenbach umfahren
wurde, 1367 für Wagen und Karren, welcherlei Waren sie auch führen,
verboten, auf Grund der Rechte der Stadt Reichenbach ^). Später
waren beide im Gebrauch; 1426 beschwert sich der Vogt von Plauen,
dass der Vogt von Zwickau die Kauf leute dazu dränge, sich durch das
Gebiet des plauenschen Vogtes nach Oelsnitz geleiten zu lassen, wodurch
er an seiner Strasse, an Geleit und Zöllen geschädigt werde; wenn es
nicht abgestellt werde, kaufe er in Oelsnitz kein Bier mehr^). 1466
uimmt eine kurfürstliche Heerfahrt in Zwickau, Altensalz, Plauen Nacht-
quartier; auf dem Rückwege von Böhmen zieht die Schar von Oelsnitz
direkt nach Zwickau^). Als nach der Mitte des 14. Jahrhunderts
die Verhältnisse und der Einfluss des Vogtes zu Plauen sich ungünstiger
gestalteten, schlössen die Markgrafen von Meissen 1369 mit dem Burg-
grafen von Nürnberg einen Vertrag zur Verhütung von zcugriflF, raub,
brant; eine Kommission mit Obmann wird eingesetzt, welche die mark-
graflichen Angelegenheiten in Oelsnitz, die burggräflichen in Hof zum
Austrag bringen soll*). Der Burggraf erwarb 1276 Hof und seine
Umgebung ^). Man wollte mit dem Schiedsgericht dem Vogte aus dem
Wege gehen, oder es führte von Hof ein Nebenweg nach Oelsnitz,
worauf die munitio Gacendorf 1327, Gattendorf, die 1355 gebrochenen
raupheuser, vesten Pozzek vnd Gattendorf *^), die nicht wieder aufgebaut
werden dürfen, deuten. 1381 wurden zwölf vogtländische Ritter bei
Beyerreute (Bayreuth) als Wegelagerer gefangen und mussten Urfehde
schwören ^).
Von diesem Wege Hof-Plauen-Zwickau zweigte eine zweite Strasse
ab und zwar bei Plauen (früher vielleicht oberhalb Plauen bei der
Feste Tirbel, um am Thal der Elster entlang, an Magwitz, Plansch-
witz, dem „Stein* und Dobeneck vorüberziehend, Oelsnitz zu er-
reichen; 1297 zeugen die milites de Plonswiz, de Dobnecke, 1301 die
von Planschwitz, Magwitz und Tirbel; 1327 werden im böhmischen
Lehensvertrag munitiones Plonswicz, Tirbil, Lapis aufgeführt)®). Der
Weg führte von Plauen geradlinig über Oberlosa nach Oelsnitz und
Ton hier immer thalaufw'ärts über Asch nach Eger. Die Vögte schenken
1250 dem deutschen Ordenshause in Plauen Felder prope viam versus
Olsnicz ^) ; es sind das die oberhalb der alten Elsterbrücke gelegenen,
bis heute Pfaffenfelder genannten Aecker; die Strasse überschritt also
von jener Brücke aus die Elsteraue, um Oberlosa auf der Höhe zu er-
reichen, das geraden Weges zwischen Plauen und Oelsnitz liegt. Das
1265 erwähnte inferior Losan setzt Oberlosa voraus. Um dieselbe Zeit,
1249, erscheinen die Vögte auf dem Vogtsberg bei Oelsnitz, 1327 castrum
Voytesberch ^^). Oberhalb Oelsnitz hatte der deutsche Orden Besitzungen:
a. a. 0. 466.
^ Hauptstaatsarchiv Dresden, Urk. 6014.
») A. f. 8. G. N. F. 5, 1879, S. 180.
*) M. ü. V. PI. 474. *) a. a. 0. 498.
®) a. a. 0. 260. 397. Die Form Gacendorf erinnert an Gatzenhof, jetzt
Ganzenhof, wüste Mark im Elsterthal unterhalb Oelsnitz.
^ a. a. 0. 522. ») a. a. 0. 127. 141. 260. ^) a. a. 0. 18.
") a. a. 0. 30. 17. 260.
212
A. Simon,
[40
1328 im dorf zu Rebesreuth, Friberg (in der Nähe der Strasse, die sich
wahrscheinlich auf dem linken Thalrand hinzog mit dem üebergang
bei Oelsnitz) , beim Hammer czu der Lewbathein ^) (Leubetha an der
Mündung des Eisenbaches). 1270 überträgt der Vogt Ton Plauen, der
auch diese Strasse beherrschte, parrochiam et ins patronatus eins in
Ascha, 1290 dieselbe Kirche nochmals cum filia sua Adorff dem deutschen
Orden mit Besitzungen zu Nyperk et Asch, alle an der Strasse. 1328
wird eine Herberge in der stat czu Ahdorf erwähnt*). 1351 bekommt
ein Jude Geleit von Plauen nach Eger. Kaiser Rudolf überliess 1288
dem Vogt die Güter des Albert von Neuberg; diese li^en sicher an
der Strasse; Friedrich von Neuberg wird 1382 wegen Strassenranb ge-
fangen und zu Eger gemartert^).
Eger muss sich früh entwickelt haben. Schon 1215 wird von
einem Streit des deutschen Ordenshauses daselbst mit dem Kloster
Waldsassen berichtet; 1270 ist bereits zu Eger ein commendator. Das
genannte Kloster (Waltsassen, Waldsachsen) erwarb 1232 von den Herren
zu Strassberg „in partibus Olsniz fevdum quoddam Culme*' (Kulm,
Ortsteil von Bösenbrunn); 1303 gehören ihm die Dörfer Triebel und
Ebersbach; 1341 kommt das gericht und gut zvm Stain (unterhalb
Oelsnitz an der Elster) an das Kloster, dafür die Lehen zvm kolm vnd
zvm Tribel an den Vogt *). Dass das Kloster in so grosser Entfernung
Besitzungen hat, deutet auf einen zwischen Eger und Plauen bestehen-
den Weg. 1295 wird sogar das 4 km von Adorf seitab liegende Dorf
Gettengrün Reichslehen genannt *). Die böhmischen Könige, die früher
schon diese Strasse zu beeinflussen gesucht hatten (1212 schenkte Kaiser
Friedrich II. provincia, que Milin dicitur, mit allem Zubehör, auch mit
den Schlössern Schwarzenberg und Lichtenstein, dem König Ottokar),
versuchen dies wieder und mit mehr Erfolg im 14. Jahrhundert.
Der Vogt von Plauen nimmt 1327 dominium suum Plawe von Johann
von Böhmen zu Lehen; 1356 wird dies Lehen unter dem zum Kaiser
gewählten Böhmenkönig Karl erblich**); er giebt den Städten dieser
Strasse gegen entsprechende Summen Rechte und sichert die Strasse
gegen Räuber. Auch die Meissner Markgrafen erwerben hier Be-
sitzungen, und die Burggrafen von Nürnberg beanspruchen 1407 von
den Markgrafen als Erbe die Schlösser Vogtsberg, Oelsnitz, Adorf,
Wiedersberg , welche ihnen auch überwiesen werden '). Sie scheinen
also auf beide vogtländischen Strassen, an denen dieselben liegen,
Wert gelegt zu haben.
Neben der Hauptstrasse Zwickau - Plauen - Hof und ihrer Ab-
zweigung Plauen-Eger kommen noch zwei Wege in Betracht. Auf dem
einen mögen die ersten Missionare von Naumburg, Zeitz, Gera, die
Herren von Eberstein und später die Vögte von Weida und Gera ins
Land gekommen sein. Er folgte dem Laufe der Elster als dem ältesten,
weil natürlichsten Wege, stieg jedoch ins enge und ungangbare Thal
selbst oberhalb Gera nur in Greiz und Elsterberg herab, hielt sich
') a. a. 0. 276. ') a. a. 0. 44. 93. 276. ') a. a. 0. 382. 86. 526. -•) a. a. 0.
7. 44. 8. 157, Nachträge 93. ^) a. a. 0. 117. «) a. a. 0. 5. 260. 400.
^ Hauptstaatsarchiv Dresden U. 5408. 5411.
411 Die Verkehrsstraasen in Saclwen. 213
sonst auf dem linken Thalrand. An denselben erinnert in Elsterberg
die alte Fahrstrasse über den Wessnitzberg, in Plauen die alte „Reichs-
strasse'. Gedeckt wurde diese Strasse durch die castra Graiz und
Elsterberg. 1209 zeugt Yerungus in Graiz in einer Sache Heinrichs
von Strassberg (oberhalb Plauen), der damals Vogt des eben gegründeten
Klosters Mildenuorde bei Weida war. Vor 1225 wird beim Castrum
Graiz eine Kirche gegründet^). Die Burg in Elsterberg, Lobdaburg,
war lange im Besitz des an der Saale begüterten Geschlechtes der
Lobdaburger. Diese und die Herren von Weida waren zusammen Gründer
der Elsterberger Kirche (vor 1225), die 1314 Parochialkirche wird und
Filialkirchen errichtet. 1354, also um dieselbe Zeit, in der die Raub-
Schlösser Posseck und Gattendorf gebrochen wurden, zerstörten Bürger
aus Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen die veste Elstirberg; noch
1359 wird Johannes von Falkenstein, dem Pfleger in husz vnd stad
Elstirberg, aufgetragen, den Räubereien zu steuern. 1368 giebt Herr
von Lobdaburg den Bürgern in und vor der Stadt Elsterberg freies
Erb- und Kaufrecht ^). Es hat also eine Strasse bestanden, die aus
Thüringen und von der unteren Elster nach Plauen führte.
Ein zweiter Weg, nach dem Ortsnamen zu schliessen vielleicht sehr
alt, leitete von Adorf durchs Thal des Flossbaches und der Zwota nach
Falkenau im Egerthal ^). Anfangs mag Adorf, das ins Flossbachthal
hineinschaut, diese Strasse bewacht haben. Später entstand unterhalb
des alten hochgelegenen Friebus, gerade da, wo der Weg aus dem
Flossbachthal in den Wald hinaufstieg, Neukirchen, 1357 Nuenkirchen,
jetzt Markneukirchen, vielleicht so genannt nach dem Markt, der unter
den Rechten gewesen sein mag, die den dortigen kaufflewtten 1360
bestätigt werden. Es war 1378 noch villa, Dorf, das zur Jurisdiktion
Adorfs gehörte*).
Die wichtigste Strasse im Vogtland war Zwickau-Plauen-Hof, ein
Teil der Strasse von Franken nach Schlesien, Nürnberg- Breslau. Sie
benutzte nur auf einer kurzen Strecke den ursprünglichen Führer, das
Elsierthal, früher mehr als später. Die wichtige Abzweigung Plauen-
Eger und die beiden Nebenwege folgten dagegen den Flussadem. Die
vorhandenen natürlichen Verkehrsstrassen sind also im Vogtland be-
nutzt, es kommen nur Abkürzungen derselben hinzu. An diesen Strassen
entstanden inmitten fruchtbarer Thalweitungen und ungefähr in Ab-
ständen, welche für Frachtwagen eine Tagereise ausmachten *), grössere
Orte, welche von den auf den alten Heer- und Handelsstrassen heran-
ziehenden Eroberern und späteren Herren, sowie von den diesen nach-
folgenden Geistlichen zu Mittelpunkten 3er Verteidigung, Verwaltung
und Mission gemacht wurden. Handel und Handwerk hoben die Städte.
Für die Anziehungskraft, welche die freimachende Stadtluft für die
Bewohner des platten Landes besass, haben wir hier einen guten Be-
leg. Nach einem Erlass des Vogtes von Plauen von 1288 kann der
') M. U. V. PI. 7. 11. ') a. a. 6. 183. 391. 431. 470.
•) Schurtz, P&sse des Erzgebirges 1891, S. 61.
*) M. ü. V. PL 106. 433. 507.
5) Falke, Geschichte der Hohen Landstrasse. A. f. s. G. F. 1869, S. 113.
214
A. Simon, Die Verkehrsstrassen in Sachsen.
[42
Landbüttel des ältesten Vogtes von Weida zum Wegzug aus dem Lande
der Regnitz in die Stadt Hof befreien (wohl gegen Bezahlung). Der
zum Wegzug Befreite muss innerhalb 14 Tagen das Gut seines Herren
räumen, sich innerhalb eines Jahres in Hof ankaufen und seine Habe
dorthin bringen. Das Besitztum kann ein Jahr lang feil geboten
werden; den Käufer hat der Herr damit zu belehnen. Findet sich
kein solcher, so nimmt der Herr das Gut zum vorher festgesetzten
Preise und entschädigt etwaige Verbesserungen am Gut nach Schätzung
der Nachbarn. Als Termin für den Wegzug wird Lichtmess ange-
setzt ^). Was in dieser deutsch abgefassten Urkunde niedergelegt ist,
mochte im Gebiete des Vogtes auch für andere Städte und deren Um-
gebung gelten.
') M. ü. V. PJ. 87.
Strassen und Städte des Erzgebirges.
Ein Gebirge, selbst von der geringen Erhebung unseres Erz-
gebirges, war früher noch mehr als jetzt Hindernis für den Verkehr,
besonders durch den Wald, ohne den unsere Mittelgebirge nicht zu
denken sind. Mehr als der ansteigende Boden hinderte die dichter
werdende Waldwildnis mit ihren Sümpfen und Mooren den heran- und
vorbeiziehenden Händler und Siedler und hiess ihn bestimmte Wege
einschlagen und festhalten, von denen so leicht nicht abgewichen werden
konnte. Miriquidi, Schwarzwald, nannte man zuerst das waldbedeckte
Gebiet, das Meissen und Böhmen trennte, zwei Länder, die deshalb in
Kultur und Geschichte in sich einheitlich, aber voneinander verschieden
sind und wegen dieser Verschiedenheit immer Austausch ihrer Erzeug-
nisse und Befriedigung ihrer Bedürfnisse bei einander suchten.
Drei Städte finden wir hier frühzeitig hoch entwickelt; ausser
den von uns. als natürliche Verkehrsmittelpunkte erkannten Zwickau
und Chemnitz auch Freiberg. Letztere war im 15. Jahrhundert ent-
schieden die grösste Stadt in Meissen. Freiberg ist ein rechtes
Muster für die rasche Entwickelung einer Bergstadt. Nach der Mitte
des 12. Jahrhunderts war an seiner Stelle dichter Wald. Als Mark-
graf Otto 800 Hufen zur Gründung eines Klosters in jener Gegend
stiftete (Altzelle, Bestätigung am 26. Februar 1162 durch Kaiser
Friedrich I.), war jene Gegend mit nur wenigen slawischen und deutschen
Siedelungen besetzt^). Es sollten nach einer Urkunde von 1183 neben
den vorhandenen Dörfern neue angelegt werden. Auf dem Kloster-
jjebiet wurden Silberadem entdeckt und zwar vor 1170, in welchem
Jahre der Markgraf Tudendorph, Christianesdorph, Bertholdesdorph vom
Kloster zurtickerwirbt (nach den Altzeller Annalen begann der Berg-
bau 1169). 1185 hatte er bereits das Bergregal für die gefundenen
Silberadem vom Kaiser erworben *). Seit diesem Jahre verschwindet
der Name Christanesdorph. Eine grosse Zuwanderung begann; be-
sonders Sachsen vom Harz, die den Bergbau und die Verhüttung der
Silbererze kannten, siedelten sich bei jenem Dorfe am linken Ufer der
Mulde an, aber auch andere; denn auf dem „freien Berge** konnte
') C. d. S. r. II, 12, S. XVI. ») a. a. 0. Urk. 1. 2.
V
216 A. Simon, [44
jeder gegen eine gesetzliche Abgabe an den Grundherrn schürfen. Bald
nach 1185 wurde Vriberg mit Mauern umgeben (Altzeller Annalen:
vor 1190). Der Name Vriberg kommt urkimdlich erst 1221, die Be-
zeichnung civitas, welche Ummauerung voraussetzt, 1223 vor» 1221
hatte die Stadt schon einen Vogt, 1223 zwei Priester und einen ünter-
vogt, 1224 ein Hospital; 1225 bestehen daselbst fünf Pfarrkirchen^).
1241 ist der Rat vorhanden, er bekommt die Hälfte aller markgräf-
lichen Einkünfte bei neuen Bergwerken, 1242 den Einfuhrzoll für Wein.
1353 das parvum ius forense, das sind kleinere Abgaben an Markttagen
ausser von Salz- und Fischwagen ^). Also ist auch schon der Markt
vorhanden, natürlich, die grosse Bergwerksbevölkerung in der noch
wenig angebauten, unfruchtbaren Umgebung forderte Zufuhr von
Lebensmitteln. Als 1255 dem Rat, den 24 (die das Berggericht bilden)
und den Bürgern die Gerichte zu Freiberg und auf den Bergen (Berg-
werken) bedingungslos übergeben wurden, war das Stadtwesen voll
entwickelt ^). Befestigung, Markt, Stadtrecht hatte Freiberg in höchstens
70 Jahren (1185 [?] bis 1255) erlangt. Möglich wurde das dadurch,
dass bereits entwickelte Verhältnisse von anderen Städten der Mark-
grafen, Meissen und Leipzig, hierher übertragen werden konnten. Die
Altzeller Annalen weisen ausdrücklich auf beide Städte hin. Auf die
Rechte anderer Städte wird 1262 verwiesen, wo der Stadt vom Mark-
grafen ein vierzehntägiger Jahrmarkt mit Abgabenfreiheit für die ersten
zwei Jahre gewährt wird ^). Die zahlreiche Bergbevölkerung hatte
eben Bedürfnisse. Darum blühte auch das Handwerk ; schon 1390 er-
halten die Weissgerber und Kürschner Innungsartikel ^). Diese sind
aber in der Regel nicht die ersten Innungen, sondern die der Fleischer,
Schuhmacher. Noch mehr blüht der Handel in und mit der Stadt
Die alten Handelswege, welche früher vielleicht die Stadt selbst
nicht berührten, wurden hierher gelenkt; die Stadt war mächtig ge-
nug, diese und den Handel nach und nach für sich zu monopolisieren.
In einem Streit mit Dippoldiswalde, das ältere Rechte haben mochte,
siegte 1266 Freiberg, so dass letzteres nunmehr auf allen Bergwerken
der Umgebung Bier und alle anderen Lebensmittel verkauft; noch 1413
erwirbt es die Bannmeile (oder Bestätigung) für Bier und den Salz-
verkauf, ausserdem das Vorkaufsrecht von allen zugeführten Waren.
solange der ^Wisch" steckt**). Salz, Heringe und Getreide bilden
die wichtigsten Zufuhrartikel, daneben Tuch. Ein mercatorium, Eanf-
II haus, das dem Markgrafen gehört, besteht schon 1309, eine gewant-
kammer für den Tuchausschnitt 1381, eine öflfentliche Wage 1414').
Wie sehr die Stadt auf fremdes Getreide angewiesen war, beweist die
1423 den Freibergern vom Kurfürsten erteilte Erlaubnis, Getreide nach
Bedürfnis zuzuführen ^). Die Bürger Freibergs besassen bereits 1291
Freiheit von allen Geleitsabgaben und Zöllen innerhalb der Länder ihrer
Markgrafen, auch für den Handel von und nach Zwenkau im Gebiet
des thüringischen Landgrafen (wichtig für den Salzhandel von Halle
») a. a. 0. 3. 4. 5. 6. *) a. a. 0. 14. 15. 16.
•) a. a. 0. 19. *) a. a. 0. 24. ^) a. a. 0. 137. *) a. a. 0. 25. 171.
') a. a. 0. 59. 130. 173. ^) a. a. 0. 184.
ir'
45] I^iß Verkehrsstrassen in Sachsen. 217
nach Böhmen), während sie für sich selbst das Recht erwarben, dass
alle Wagen, die zwischen Meissen und Böhmen verkehrten, über Frei-
berg gingen, dort Geleit und Zoll zahlten, ihre Waren abladen, Markt
halten, das Salz hier teilen und messen mussten. Da alle Strassen ur-
sprünglich dem Landesherren gehörten, so kam diesem auch Zoll und
Geleit zu; 1323 erwarben die Freiberger das Geleit, 1336 den ZolP).
Gehoben wurde Freibergs Bedeutung noch durch die 1271 vorhandene
moneta, die Hauptmünzstätte der Landesherren. Freiberger Geld,
argenti Vribergensis pondus et moneta 1279, wurde neben Prager Geld
allgemein gebräuchlich im Meissner Land ^). Bei so grosser Aus-
dehnung des Handels ist es wohl zu verstehen, dass die Freiberger mit
allen Mitteln jede Störung desselben zu hindern suchten. Dies zeigt
sich 1468 bei den Kreuziger Unruhen ^) ; sie betonen, die Stadt nähre
sich vom Handel und von den Bergwerken, bedürfe deshalb besonderer
Sicherheit. Eben darum war Freiberg immer befestigt, stark schon
1296*). Nur durch Verrat konnte in diesem Jahre König Adolf die
Stadt gewinnen.
Die Grösse der Stadt erkennt man daraus, dass bereits 1232 da-
selbst ein Nonnenkloster, 1243 ein Dominikanerkloster, 1369 ein Franzis-
kanerkloster bestand, dass 1480 die Pfarrkirche zur Eollegiatstiftskirche
umgewandelt wurde *). Noch 1437 zogen viele aus der Umgebung in
die Stadt, namentlich aus dem Gebiet des ÄltzeUer Abtes ; deshalb wird
geboten, dieser und die übrigen Landgesessenen sollen von den Leuten
beim Wegzug nicht mehr als 10 Schock Groschen verlangen*). 1435
werden polizeiliche Massregeln neu eingeschärft: niemand soll ein ge-
kauftes Haus länger als vier Wochen unbewohnt lassen; 1442 gebot
der Rat, die Bier- und Branntweinschenken pünktlich zu bestimmten
Stunden zu schliessen ; 1478 wird er aufgefordert, eine Kleiderordnung
(Luxusverbot) nach dem Vorgang von Leipzig und Zwickau zu er-
lassen ^. Die Stadt war Ende des 15. Jahrhunderts die grösste im Kur-
fürstentum Sachsen, sie mochte nach den Untersuchungen von Ermisch
1474 etwa 4400 Einwohner zählen®).
Ihre Entstehung, ihre Grösse verdankt also Freiberg allein dem
Bergsegen, ihre Blüte, ihre Machtstellung dem aus jenem entspringen-
den Reichtum, nicht der Fruchtbarkeit der Umgebung, nicht den an-
züglich hier vorüberziehenden Handelswegen. Letztere wurden viel-
mehr meist mit Willkür und Härte von den Freibergem beeinflusst.
Nur die alte Strasse aus Franken von Zwickau und Chemnitz her
führte, wie wir gesehen haben, naturgemäss über Freiberg nach Dres-
den. Die Strassen dagegen, welche über das Gebirge hinweg nach
Böhmen zogen, wurden vielfach verlegt. Die Arbeit von Schurtz giebt
darüber genügend Aufschluss. Danach beherrschte Freiberg den Ver-
kehr über das Gebirge auf der Strecke von Sayda und Purschenstein
M a. a. 0. 13. 44. 66. 69. 88. ») a. a. 0. 26. 27. 33.
») a. a. 0. 352—373.
*) Annales Vetero-Cellens. ed. Opel 91.
*) C. d. S. r. II, 12, 396. 327. 375. 534.
•) a. a. 0. 218. ') a. a. 0. 210. 237. 442.
») N. a. f. 8. G. 11, 1890, S. 145.
218
A. Simon,
[46
bis Bärenstein, Lauenstein und zum Mückenberg, wo sein Einfiuss sich
mit dem von Dresden berührte ^).
Wie Freiberg, so entwickelten sich auch die übrigen Bergstadte
des Erzgebirges : rasch und zunächst ohne Abhängigkeit von der Frucht-
barkeit und den Verkehrslinien der Umgebung zu verraten. Nur er-
reichten sie nicht Freibergs Grösse und Bedeutung; entweder war der
Bergsegen nicht so gross, oder die benachbarten Städte waren bereits,
als der Bergbau begann, so weit entwickelt, dass sie ihre Stellung be-
haupten konnten.
Schon in früher Zeit wurde im Gebirge Zinn gewonnen iii
„Seifen* ^), auch Kupfer, so bei Siebenlehb, angeblich schon 1106, bei
Frankenberg, das vielleicht dem Bergbau seinen Ursprung verdankt,
wo später der Kupferbergbau wieder aufgenommen wurde, zu Dippoldis-
walde, Schiettau, Elterlein, Zwönitz, Lössnitz, Aue, Eibenstock '). Diese
sind entschieden älter als Freiberg. Nach dem Aufblühen des Silber-
bergbaues um Freiberg begann auch der Abbau und die Verhüttung
von Eisenerzen, so um Grünhain und Schwarzenberg ; 1316 wird der
Bergbau bei Kaschau erwähnt, 1402 der Hammer daselbst^). 133Ü
lassen sich die Mönche in Grünhain die Bergwerke überweisen, die in
der Grafschaft Hartenstein aufgekommen sind oder gefunden werden %
Damals war der Ort, in dem 1236 das £^oster gegründet wurde, schon
befestigt: 1267 Grunenhain oppidum ^). Zinn wurde nicht mehr bloss
geseift, sondern auch bergmännisch gewonnen, vor 1377 in Ehren-
friedersdorf, zu Thum dagegen uud zu Geyer nach 1377, aber ?or
1407, in welchem Jahre diese Dörfer Recht zu Wochenmärkten mit
Bannmeile bekommen. Noch 1439 wurde alles Zinn der Umgebung
nach Ehrenfriedersdorf gebracht; dieses selbst wurde in diesem Jahre
von dem Salzmarkt in dem älteren Wolkenstein befreit; 1460 bekommt
es ein Kaufhaus und Salzmarkt, 1467 die Stadt Geyer einen Jahr-
markt. Einen Aufschwung nahmen allerdings diese Orte nicht; sie
können 1460 die Fahrstrasse nicht bauen, dem Kurfürsten weder Pferde
noch Wagen stellen ^). Um 1419 kam zu Glashütte Bergbau auf, aber
erst 1506 erhielt der Ort Stadt- und Bergrecht. Eine raschere Ent-
wickelung beobachten wir uff dem Gußinge und zu Altenberg, wo
auch alte Zinnseifen vorhanden waren. Daselbst wurden vor der Mitte
des 15. Jahrhunderts von Graupen aus im Gebiet der Herren
von Bernstein (Bärenstein) reiche Zinnlager entdeckt; 1446 wird über
die Rechtsverhältnisse daselbst verhandelt. Als Ort, wohin die Flösse
und der Markt gelegt werden können, wird später das nStadtichen''
>) Schultz, Pässe des Erzgeb. 1891, S. 34. 35.
') Schurtz, Seifenbau im Erzgeb. Forsch, z. deutsch. Landes- u. Volks-
kunde 1890.
•) Vielleicht bezieht sich auf letztere Zinnwerke die Urkunde von 1226,
C. d. S. r. II. 6, 307, durch welche dem Bergkloster zu Chemnitz Bergwerksrechte
für Silber, Gold, Salz und jede Art von Metall zwischen Zschopau, Würschnitz,
Mulde und Lozthaha (?) verliehen wird.
*) Herzog, Chronik von Zwickau 2, 55.
*) Müller, U. V. PI. 351. «) A. f. s. G. 7, 1869, S. 60.
') Falke, Gesch. d. Bergstadt Geyer 1866, S. 10 f.
471 I^ie Verkehrsstrassen in Sachsen. 219
Geising vorgeschlagen, das 1451 freien Markt und Stadtrecht bekommt.
Altenberg ist also etwas jünger ^).
Noch yiel schneller wuchsen die Städte empor durch die zweite
wichtige Entdeckung von Silberadern, die im westlichen Erzgebirge.
Beim alten Flecken Neustädte!, der von Zinnseifnem angelegt war,
wurden um 1470 auf dem Schneeberg Silberadem entdeckt. Die Zu-
wanderung war ausserordentlich. 1477 wird in dem rasch entstandenen
Orte die Wolfgangskirche gegründet, 1478 oder 1479 demselben be-
reits Stadt- und Bergrecht verliehen. Das Berggericht war anfangs
zu Zwickau, wo auch das Erz zuerst verhüttet wurde, kam aber schon
1477 nach Schneeberg. Die Stadt blühte lange Zeit und sandte berg-
männische Kolonieen aus nach Eibenstock, dem alten slawischen Seifen-
ort, der 1534 zur Stadt erhoben wurde; nach St. Katharinenberg am
Buchenholz, jetzt Buchholz, wo ebenfalls schon Seifen bestanden, es
wTirde 1504 zur Stadt erhoben ^). Am Pöhlberg soll schon 1442 der
Bergbau begonnen haben; doch wurde das Erz „im Geyer** verhüttet.
Als dagegen 1492 am Schreckenberg reiche Silbererze gefunden wurden,
entstand bald (1496) ein Ort, Neustadt, der 1497 Privilegium für eigenen
Rat, Gericht, Zoll- und Geleitsfreiheit, Brot-, Fleisch- und SaJzmarkt,
Wage und Viehweide, 1498 eine Kirche, bald auch mit kaiserlicher
Genehmigung seinen jetzigen Namen St. Annaberg erhielt^). Von den
beiden wichtigsten Bergstädten im Westen, Schneeberg und Annaberg,
aus wurden noch weitere Bergorte angelegt; 1500 beginnt der Abbau
im alten Schiettau, das 1515 freie Bergstadt wird, und in Scheiben-
berg, 1525 in Gottesgab, das früher Wintersgrün hiess und 1534 als
Stadt angelegt wurde, 1526 in Oberwiesenthal, 1540 in Marienberg
und Jöhstadt, vorher in Lengefeld. Alle diese Orte zeigen das Wachs-
tum der Bergstädte, die ebenso schnell, wie sie entstanden, wieder
unbedeutend werden, wenn der Bergsegen erlischt, oder wenn ihnen
nicht die Faktoren zu Hilfe kommen, die andere Städte entstehen und
gedeihen liessen: Fruchtbarkeit der Umgebung und natürliche Ver-
kehrswege.
Die Strasse von Franken her (Hof-Plauen-Reichenbach) zog am
Schloss Schönfels vorüber über Lichtentanne (eine Urkunde von 1369
erwähnt den tiefen holen weg kein der Lichtentannen) nach Zwickau,
überschritt hier die Mulde, dann zwischen den Dörfern Auerbach
und Pöhlau hindurchziehend den Mülsener Grund (1386 Urbach und
Polne an Milseuer Strasse)*) und erreichte über Lichtenstein, dessen
Burg im 13. Jahrhundert erbaut ist, über Lungwitz und Siegmar
Chemnitz. Von hier zog sie über Flöha, Oederan, Oberschönau nach
Freiberg und weiter über Naundorf, Mohorn und Kesselsdorf nach
Dresden, von wo man entweder, wie die Erzgebirger sagten, das
Frankfurter oder das polnische Geleise fuhr (über Königsbrück oder
über Bautzen). Im 15. Jahrhundert war aller Verkehr, der sich in
dieser Richtung bewegte, durch kurfürstliche Verordnung auf diese
*) Ermisch, Zinnerrecht. N. A. f. G. 7, 1886. S. 94. C. d. S. r. II, 12. 410.
^ Meltzer, Stadt- u. Bergkronik von Schneeberg 1716.
') Strehle, Chronikalische Nachrichten über Annaberg 1868.
*) Herzog a. a. 0. ürk. 28. 35.
220 A. Simon, [48
Strasse gewiesen; 1461 und 1462: Die Wagen, die von Bautzen in
Franken wollen, sollen von Bautzen gehen vff Bischoffswerde, Dresden,
Freiberg, Kemnitz, Zwickau, Voytaspergk vnd füret gein Franken^):
1443: Die von Zwickau und Kemnycz vf Budissin und Görlitz zu-
gehenden Strassen sind durch die Kriege zu Böhmen, die vber Walde
(über das Erzgebirge) heraus geschehen, fast niedergelegt und be-
schädigt, die Eaufleute nicht sicher; darum sollen sie verlegt vrerden.
damit dem Kurfürsten kein Abbruch an Zöllen und Geleit geschehe *]•
Eine schon erwähnte kurfürstliche Heerfahrt von Dresden nach dem
westlichen Böhmen zeichnet in ihrer Rechnung Nachtlager auf zu
Osom (Mohorn), Oederan, Kempnicz, Zwicke, Aldinsalcz, Plauen^).
1448 bricht ein Streit aus wegen des Königsbrücker Zolles zwischen
den Besitzern von KönigsbrÜck, welche das Geleit durch die Dresdener
Heide haben, und den Kauf- und Fuhrleuten, besonders aus Nürnberg,
welche die Strasse bauen und pflegen (befahren) und den Zoll zu Dres-
den pflegen zu geben*). Nach Freiberger Urkunden von 1468 treiben
Kaufleute von Noremberg Handel aus Behmen gen Freiberg; ein Fass
mit Safran (kam über Nürnberg) wird hinter Freiberg an der Müglitz
von den Kreuzigern aufgeschlagen. 1412 hat der Rat daselbst Wein-
schulden bei drei Regensburger Bürgern ^). 1454 nimmt Kunz von
Kaufungen unweit Chemnitz den Nümbergem Habe und Gut. 1449
wird unter den landstra&en (die dem Kurfürsten gehören) die von
Zcwickow gein Kempnicz, furder gein Friberg genannt. Die Chem-
nitzer klagen 1445, dass wegen der obenerwähnten Unruhen die Strassen
nicht mehr auf Chemnitz stossen, sondern durch die Mark gehen, es
gebe darum gegenwärtig kein Geleitsgeld. Auch denen zu Zwickau
geschehe viel Abbruch; nur die schweren Nürnberger Wagen mit
Stahl, Kupfer, Zinn verkehren noch. An der Schmelzhütte für Kupfer,
die 1471 vor dem Thore zu Chemnitz errichtet wird, sind Bürgerssöhne
aus Augsburg beteiligt*). 1426 beschwert sich der Vogt von Plauen,
dass der Zwickauer Vogt die Kauf leute zwinge, sich von Zwickau nicht
über Plauen, sondern über Oelsnitz geleiten zu lassen ^).
Spärlicher sind die Nachrichten über diese Strasse aus dem
14. Jahrhundert. 1398 wird den Benediktinern und mehreren Bür-
gern zu Chemnitz vom Markgrafen erlaubt, eine Papiermühle zu
erbauen, die erste und einzige in dessen Ländern ; erst acht Jahre vor-
her war zu Nürnberg die erste deutsche Papiermühle errichtet worden.
Mögen die Chemnitzer die Papierfabrikation in Nürnberg kennen ge-
lernt oder die Nürnberger, dieselbe hierher verpflanzt haben, jedenfalls
darf aus dieser schnellen Verbreitung auf einen regen Verkehr zwischen
beiden Städten geschlossen werden. Einen ähnlichen Schluss far den
Handel nach Osten gestatten die Verhandlungen, welche Chemnitz 1364
mit dem Rat von Breslau führt ^).
^) Hauptstaatsarchiv Dresden, Kopialband 7, Fol. 79^.
«) a. a. 0. ürk. 6764. ») A. f. s. G. N. F. 5, 1879, S. 180.
*) C. d. S. r. U, 5, 222.. ») C. d. S. r. II, 12, 162. 354. 359.
") C. d. S. r. II, 6, 137. 147. 167. 222.
') Hauptstaatsarcbiv Dresden Urk. 6014.
^) C. d. S. r. II, 6, 66. N. A. f. s. G. 1, 1883, S. 329.
49] I^ie Verkehrsstrassen in Sachsen. 221
Damit sind wir mit den urkundlichen Nachweisen für die Be-
nutzung der Strasse zu Ende. Doch weist die Erbauung und Erneuerung
der Brücke zu Dresden, die so oft von Hochfluten zerstört wurde,
1275, 1310, 1342^), auch auf unsere Strasse in noch früherer Zeit
hin; denn der Verkehr an der Elbe entlang allein genügte nicht, die
Brücke, die früher noch bedeutend länger war als jetzt, entstehen und
immer wieder erneuern zu lassen. Der Handel in Dresden selbst war
unbedeutend; Dresden hat erst seit 1455 Stapelzwang, während Pirna
schon 1292 Handelsgeschäfte, namentlich Salzverkauf und Verfrachtung
von Holz betrieb ^). Diese Strasse führte also vom Vogtland aus immer
am höheren Oebirgsfuss entlang und verband die Handelsstädte Ober-
deutschlands mit den Hansastädten des Ostens (über Frankfurt a. 0.)
und den polnischen Städten (über Breslau).
An dieser Handelsstrasse entstanden früh, an natürlichen Ver-
kehrsvereinigungen zwei Städte : Zwickau und Chemnitz, beide in frucht-
baren Thalebenen, welche weit ins Qebirge eingreifen, in welche aus
dem Gebirge bedeutende Flussthäler münden, die sich über zwei Drittel
des gesamten Gebirgskammes ausdehnen. So sammelte sich an den
beiden wichtigsten natürlichen Gebirgs- und Waldthoren Handel und
Verkehr der Nordseite des Gebirges und des vorgelagerten Flachlandes
und traf sich mit dem am Gebirge entlang betriebenen Durchgangs-
handel; so wurde auch von hier aus der Handel über das Gebirge
hinweg betrieben. Beide Orte waren damit zugleich Eingangsthore
ins Gebirge für Christentum und Kultur.
Zwickau war schon in slawischer Zeit mehr als blosses Dorf; es
war Mittelpunkt eines Gaues, Zwicowe'), und als solcher Verkehrs-
und Handelsplatz für die Umgebung, worauf sein Name schon hin-
weist (Czwickowe, Zwickowe = Handelsplatz, Markt) ^). Mit den Mittel-
punkten der alten Nachbargaue, vor allem Plisni (Altenburg) und
Dobna (Plauen), musste es ebenfalls in Verbindung stehen. Hier weihte
Dietrich, Bischof von Naumburg, 1118 die Marienkirche (Plauen 1122,
ßeichenbach [1080] 1140), welcher nachher das ganze Flussgebiet der
Mulde oberhalb Zwickau und des Schwarzwassers als Parochialbezirk
zugewiesen war. Damals begabte die Tochter des Grafen Wieprecht I.
von Groitzsch, der wegen seiner Verwandtschaft mit dem Böhmenherzog
oft über den Kamm des Erzgebirges zog, der den Weg (?) von Zwickau
über das Erzgebirge „gebaut'^ haben soll, die Zwickauer Kirche cum
teloneo Bohemico XV liberas annuatim soluente ^). Dieser Zoll , nach
heutigem Geldwert etwa 720 Mark jährlich, der 1121 das Doppelte
einbrachte, deutet auf einen lebhaften Handel in Zwickau und, da er
von den Mönchen in Bosau bei Gera böhmischer Zoll genannt wird,
auf einen von dort etwa in der Richtung Groitzsch-Zwickau weiter
über das Gebirge führenden Weg, vielleicht über den alten Pass von
') C. d. S. r. II, 5, 3. 28. 46. 47. ') C. d. S. r. II^, 6.
') Posse, Markgrafen, S. 25.
*} Herzog a. a. 0. 1, 61. A. f. s. G. 10, 1870, S. 140.
*) Herzog a. a. 0. 2, 17. C. d. S. r. I, 2, 53.
Forschungen znr deutschen Landes- and Volkskunde. VIT. 2. 15
222 A. Simon, [50
Fiebus ^). Zwickau gehörte in der Zeit Eonrads des Grossen zu den
blühenden Handelsstädten Meissens ^).
Dementsprechend war der Ort früh befestigt; 1212 wird er oppi-
dum genannt; die Bezeichnung suburbia, Vorstädte, 1219, setzt eben-
falls Befestigung voraus; Wall und Graben sind 1295 ausdrücklicli er-
wähnt. Zum grösseren Schutze der Stadt wurde vor 1221 ScUoss
Osterstein erbaut, yielleicht vom Markgrafen Dietrich^). Die Stadt
wuchs, so dass 1212 eine zweite Kirche, St. Katharinae, gebaut wurde;
das 1170 zu Triptis gegründete Benediktinerkloster wird in demselben
Jahre nach Zwickau (bald wieder nach Eisenberg) verlegt, 1231 eben-
daselbst ein Franziskanerkloster gestiftet^).
Der Handel auf der am Gebirge entlang führenden Strasse, für
welche Zwickau die Brücke nach dem gegenüber liegenden steilen
Muldenufer hütete, nahm zu. Markgraf Heinrich befreite die Zwickauer
Bürger vom Umgelde durch alle Meissner Lande; das liess sich die
Stadt 1296 von König Adolf bestätigen. Mittlerweile war dieselbe zu-
gleich mit Altenburg und Chemnitz zur Reichsstadt geworden ; 1 290
oder 1291 verbanden sich die drei civitates imperio attinentes auf Be-
fehl des Königs Rudolf zu gegenseitigem Schutze^). Damals leiteten
kaiserliche Vögte die Stadt: 1291 Conrad advocatus in Zwickow. Die
innere Entwickelung der Stadt war also schon am Ende des 13. Jahr-
hunderts weit vorgeschritten. Jedenfalls besass die „Reichsstadt*
Markt (von alters her) und eine gewisse eigene Gerichtsbarkeit. Im
14. und 15. Jahrhundert mag Zwickaus Stellung allmählich etwas
anders geworden sein. Der Handel von Meissen und dem Osten
her durchs Vogtland nach dem westhchen Böhmen und nach Franken
blieb bestehen, mehrte sich sogar mit der grösseren Bedeutung, welche
der fernere Osten gewann. Das zeigen die Nachweise, welche oben
die Bedeutung der Strasse Zwickau-Chemnitz-Freiberg-Dresden dar-
legen sollten. Aber der Transithandel über das Gebirge hinweg,
von Zwickau unmittelbar nach Böhmen, scheint abgenommen, wenn
nicht aufgehört zu haben; wenigstens fehlt für diese Zeit jede Nach-
richt. Ersatz dafür mochte Zwickau der Aufschwung bieten, den seine
Umgebung, das Gebiet der Mulde und des Schwarzwassers in dieser
Zeit nahm. 1316 wurde auf dem Fürstenberg bei Raschau Bergbau
betrieben; er kommt in Besitz der Zwickauer Bürger (nach Herzog
liegt der Vurstemberg zwischen Kirchberg und Weissbach und lieferte
Kupfer und Silber). 1402 bestand in Raschau ein Eisenhammer. In
den Besitzungen der Grünhainer Mönche in der Grafschaft Hartenstein
waren vor 1339 Bergwerke aufgekommen. Deswegen besass bereits
1342 dies Kloster zu Zwickau einen Hof, wohin von seinen umliegen-
den Besitzungen der Zehnte und sonstige Abgaben eingeliefert wurden,
wohin die Mönche bei „Landgeflüchte** sich mit ihrer Habe, ihrem Ge-
treide retten konnten. Wenn 1348 den Schmieden ausserhalb der Stadt-
mauer Steinkohlenfeuerung untersagt wird, so zeugt das für einen.
^) Schurtz, Pässe, S. 57. *) Posse, Markgrafen, 298.
») Herzog a. a. 0. 2, 51. *) a. a. 0. 1, 119, 152.
*) C. d. S. r. II, 6, 3.
51] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 223
wenn auch beschränkten, Abbau der Steinkohle um diese Zeit ^). Im
15. Jahrhundert begann grösserer Abbau im Eommunwalde von
Bockwa, der zum GrQnhainer Kloster gehörte. Der Rat in Leipzig
erlaubte 1452 den Schmieden daselbst wegen Mangel an Holzkohlen
steynkollen zcu erbeiten bis auf Widerruf; diese Steinkohlen stammen
wahrscheinlich aus der Zwickauer Gegend ^). 1520 bilden die Zwickauer
Kohlenbauem eine Innung. Der um 1470 angefangene Schneeberger
Silberbergbau wurde anfangs unter Aufsicht des Amtshauptmanns zu
Zwickau gestellt; Zwickau war zunächst Sitz des Bergmeisters und des
Berggericbts, hier war zuerst die Verhüttung. Damals wurde das schon
bestehende Dorf dicht am Uebergang der Zwickau-Schneebergerstrasse
über die Mulde Silberstrasse genannt. Nach Zwickau kamen die Eisen-
produkte, das Zinn, Kupfer und Silber und wurden von hier durch
einheimische (Martin Römer, Hans Federangel) und fremde Eaufleute
weiter geführt. Neben der 1441 in Zwickau errichteten kurfürstlichen
Münzstätte entstand sogar 1473 eine zweite. Der Rat erlässt 1498
eine ausführliche Krämerordnung. Es wurde nicht bloss ausgeführt,
sondern auch eingeführt, vor allem versorgte Zwickau das Gebirge mit
Getreide. Herzog sagt darüber ^) : Wichtig war von jeher und ist noch
jetzt der an den beiden Wochenmärkten auf dem danach genannten
Kommarkte betriebene Getreidehandel, hinsichtlich dessen Zwickau eine
Art Stapelrecht besass, kraft dessen Fuhrleute, welche Getreide aus dem
Niederland ins Gebirge schafften, es in unserer Stadt zuvor an drei Markt-
tagen nacheinander mussten feilbieten. An den Getreidehandel knüpfte
sich eine schvninghaft betriebene Bierbrauerei, die 1421 durch Bier-
bann geschützt wurde. Gleichzeitig erhielten die Handwerker die Bann-
meile ; besonders blühte das Gewerbe der Tuchmacher, die schon 1348
vom Rate Statuten erhielten. Aus Zwickau (Rochlitz und Grossenhain)
werden 1469 Färber und Tuchmacher zur Hebung des Tuchmacher-
gewerbes nach Leipzig gerufen*).
Diesem Aufschwung des Handels und der damit verbundenen
Blüte des Gewerbes, dem der Handel Rohstoffe und Absatz brachte,
geht zur Seite die Entwickelung der rechtlichen Verhältnisse. Zwar
wurde Zwickau 1348 wieder Landstadt der Wettiner; doch schadete
ihm das nicht. Die Stadt hatte vor 1368 schon selbständiges Recht,
da der Herr von Elsterberg in diesem Jahre seiner Stadt freies Erb-
und Kaufrecht verleiht, wie es die in Zwickau haben. 1444 erwirbt
die Stadt vom Landesherren die oberen und niederen Gerichte innerhalb
and ausserhalb der Ringmauern für die hohe Summe von 4000 rheinischen
Ghilden. 1477 bestand ebenso wie in Leipzig zu Zwickau eine Kleider-
ordnung. Es war damals eine grosse Stadt. Als es sich 1470 weigerte,
zwei Groschen Kanzleigebühr für die Ratsbestätigung zu bezahlen, wird
ihm von der Landesregierung vorgehalten, dass weit geringere Städte,
wie Dresden und Rochlitz, ebensoviel zahlen^).
*) SüBsmilch-Hörnig, Erzgebirge, S. 556.
») C. d. S. r. II, 8, 291. ') Herzog a. a. 0. 1, 245.
*) C. d. S. r. II, 8, 426.
*) Posse, Ratsverfassung Dresdens i. A. f. s. G., N. F. 2, 1876, S. 193.
224
A. Simon,
[52
In Zwickau vereinigte sich also die Lage in fruchtbarer Um-
gebung und an einem wichtigen Eingangsthor zu dem der Entwickelung
fähigen und bedürftigen Gebirge mit der Lage an einer bis ins 16. Jahr-
hundert sich immer hebenden Handelsstrasse, die von einem alten Wege
hier gekreuzt wurde, um aus dem alten slawischen Handels- und Yer-
waltungsmittelpunkt eine Stadt erstehen zu lassen. Dieselben Momente
finden wir bei Chemnitz wieder.
Die Benediktiner aus dem Kloster Pegau, die 1136 unter dem
Kaiser Lothar das Kloster auf dem Berge beim alten Dorfe Kazneniz
gründeten, hatten wohl von vornherein ihr Auge auf den jedenfalls
schon damals hier betriebenen Handel gelenkt, der viel Zoll abwerfen
musste an einem Punkte, wo die Strasse von Zwickau (1118) sich trifil
mit der alten Strasse von Merseburg-Leipzig her nach Böhmen, die
Thietmar für das Jahr 982 aufs bestunmteste , 1004 jedenfalls wieder
erwähnt ^). Schon sieben Jahre nach der Gründung des Klosters Hess
sich der Abt von Kaiser Konrad III. ein forum publicum in .loco''
Kameniz, einen öffentlichen Markt in dem nicht befestigten, wahr-
scheinlich erst angelegten Ort, Chemnitz, bestätigen, dessen Erträgnisse
dem Kloster zuflössen. Den Einwohnern des Marktortes wurde Zoll-
freiheit für ihre Waren innerhalb aller kaiserlichen Länder bewilligt
Das Kloster sorgte auch für den nötigen Schutz des Marktfleckens;
es wies alle Gotteshausleute, die Einwohner der zwanzig Klosterdörfer
der Umgebung an, die Stadt umbzcewnen zu helfen. Dafür sind die-
selben an den Markttagen zollfrei und dürfen bei lantgefluchten sich
in die Stadt retten. 1331 heisst es: Wenn die Stadt zu voll sein
würde, sollen die Klosterleute liegen zwischen der Stadtmauer und
demselben zewne ^). Also war innerhalb der Zäune noch eine Mauer
errichtet worden. Als später infolge der stärkeren Befestigung von
1453, bei welcher der Landesherr die Stadt mit Kalk und Holz unter-
stützte, keine Zäune mehr gebraucht wurden, sollten nach einem
Schiedsspruch der Leipziger Schöffen von 1457 die betreffenden Land-
leute Entsprechendes leisten, aber zollfrei bleiben. 1254 war die Stadt
jedenfalls lange befestigt, civitas. 1204 wird ausserhalb der Mauer
eine zweite Kirche genannt. Die Jakobikirche innerhalb der Mauern
ist ecclesia parrochialis et forensis, Marktkirche ^) ; die Umgebung sollte
also von hier aus kirchlich verwaltet und gefördert werden, sie strömte
hierher zusammen zum Gottesdienst (Ablass), zur Eorchweih, zum Tausch-
handel, zum Gericht nach der Urkunde von 1831 : „Das Landding der
Klosterleute ist wieder gelegt auf den Niklaskirchhof bei der Stadt;
dieselben sollen dreimal jährlich Urteil erholen in der Stadt, wenn sie
es nicht selbst finden. An den drei Tagen des Landdings, an der
samenunge tage ^), an der stat kirmesse tage, zu Pfingsten und Weih-
nachten, am Jahrmarkt sollen dieselben in der Stadt nicht aufgehalten
werden; dafür ist in diesen Dörfern, ausser in sechs besonders be-
nannten, kein cretzschmer, Schankwirt; die Handwerker daselbst dürfen
>) Thietmar 1, 3; 4, 8. Schurtz, Pässe, S. 43. 44.
«) C. d. S. r. n, 6, 303. 13. ») C. d. S. r. H, 6, 175. 176. 1. 2.
*) Im 14. Jahrh. = Eonventstage. Siehe Wiegand, Deutsches Wörterbuch»
k.
53] Die Yerkehrsstrassen in Sachsen. 225
ausser am Jahrmarkt keine Waren zur Stadt bringen/ 1334 wird
wieder innerhalb einer Meile um die Stadt Schankwirten, Schustern,
Schneidern, Schmieden und anderen das Handwerk verboten ^). Der
obengenannte Jahrmarkt und Ablass, der auf den Tag des Heiligen
der Marktkirche (St. Jakob) fiel, wird 1412 bestätigt, der Stadt aber
zugleich noch ein achttägiger freier Jahrmarkt gewährt, der wieder an
einem besuchten Kirchentage, am Sonntag nach Allerheiligen, beginnt^).
Die Stadt war also der natürliche, aber auch der gesetzlich ge-
ordnete Mittelpunkt für die Umgebung in kirchlicher und wirtschaft-
licher Beziehung. Nach den ZoUregistem von 1442 ^) kam hierher
aus der Umgegend Vieh, Pech, Bau- und Brennholz, Lohe, Garn und
Leinwand, Tuch, das hier geschoren wurde, Obst, Wachs, aus den Berg-
werken Blei, Kupfer, Zinn. Aus der Fremde kam Hopfen, Bier, Salz,
das auf dem Markte dem Landvolk gemessen verkauft wurde, Gewürze,
Tuche, Leder, Wein, Getreide, letzteres besonders aus Böhmen. 1469
wird den Bürgern wegen Misswachs diesseits des Gebirges gestattet,
Getreide und anderes Nötige von den ketzerischen Böhmen zu kaufen.
Chemnitz versorgte seine gesamte Umgebung, wenn nötig, mit Getreide.
Die Bürger suchten diese Stellung nach Kräften zu fördern. 1393
brachten sie, begünstigt durch die bequeme Handelsverbindung über
Altenburg nach Leipzig und Halle, den Salzhandel für alle umliegenden
Orte, jedenfalls auch einen grossen Teil des Salzhandels nach Böhmen
an sich. 1431 wird von durchfahrenden Salz wagen ein besonderer
P^asterzoll, zugleich ein Durchgangszoll erhoben. 1480 schreibt der
Kurfürst : Ihr habt uns berichtet, dass die von Böhmen mit den Chem-
nitzern vaste handeln mit kaufen und verkaufen. So gross wurde der
Salzhandel, dass Chemnitz selbst Zwickau, so oft Salzmangel daselbst
eintrat, versorgen konnte *). Vor allem aber wiu-de Chemnitz Mittel-
punkt der Leinenindustrie. Die Vorbedingungen waren damals der
Flachsbau der fruchtbaren Umgebung und die gute Handelsverbindung
nach allen vier Himmelsrichtungen, welche den Absatz ermöglichte,
besonders nach Leipzig und Naumburg, wie aus einer Verordnung des
Rats von 1451 hervorgeht: Die Leinwand soll so zeitig gebleicht wer-
den, dass sie für die Jahrmärkte in Naumburg und Chemnitz und die
Michaelismesse in Leipzig fertig wird ^).
Im Jahre 1357 wurde nämlich von zwei Freibergern, einem Mitt-
weidaer und einem Chemnitzer Kapitalisten zusammen mit dem Berg-
kloster eine Bleiche zwischen der Stadt und dem Kloster eingerichtet,
nach welcher auf markgräfliches Gebot die Orte im Umkreis von
zehn Meilen ihre Waren zur Bleiche bringen mussten. Garn, Flachs,
ungebleichte Leinwand durfte nicht ausgeführt werden. Die Bleiche
brachte nach den angegebenen Taxen dem Markgrafen und den Unter-
nehmern grossen Gewinn; 1445 betrugen die Erträgnisse der Bleiche
für den Landesherren 100 Schock Groschen. 1390 waren es schon
drei Bleichen. Kein Wunder, dass die Übrigen Städte sich des Zwangs
zu erwehren suchten. 1449 bleichen die von Rochlitz selbst; die von
') C. d. S. r. II, 6, 13. 14. «) a. a. 0. 82. «) a. a. 0. 132.
*) a. a. 0. 201. 282. *) a. a. 0. 157.
226
A. Simon,
[54
Mittweida bleichen Sleuwer (Schleier); es wird ihnen dies für ihre
eigenen Fabrikate nachgelassen, aber die Bleichen zu Leisnig, Geithain,
Grimma, Golditz, Mittweida (für Leinwand), Frankenberg, Penig und
Hainichen werden unterdrückt. 1452 werden auf Betreiben der Chem-
nitzer fremde Gamauf käufer aufgehalten, ihr Ghit weggenommen. Nach
1456 wird Frankenberg, Hainichen, Oederan verboten, ungebleichte
Waren nach Böhmen auszuführen ^). Der Hauptsitz des Gamhandels,
auch der Weberei war, weil die Bleiche am Orte war, natürlich Chem-
nitz. Darum zog sich dahin eine grosse Schar der BeTölkerung aus
der Umgebung, aber auch aus grösserer Feme; 1426 heisst es, da&s
Männer aus Ellbogen, Aussig, Prag, Komotau, Tachau, Schlacken-
werth, Eaaden, Schweidnitz, aus Würzburg, Forchheim, Magdeburg
nach Chemnitz wanderten, darunter auch viele Tuchmacher. Das Leinen-
gewerbe hob die Stadt, und diejenigen, welche es förderten, erwarben
sich selbst Ansehen. Daher werden die sonst verachteten Leineweber
1456, zunächst die in Chemnitz, Rochlitz, Mittweida, für ehrlich er-
klärt, was 1477 wiederholt wird. Der Innung der Chemnitzer Leine-
weber treten später (1557) die von acht Städten bei, darunter Leipzig.
Ihre Statuten werden 1589 den Innungen von 22 weiteren Städten
vorgeschrieben ^). Chemnitz war also damals schon Mittelpunkt und
Vorort eines wichtigen Zweiges der Weberei. Auch die Tuchmacher
hatten daselbst seit 1470 eine Ordnung mit Vorrechten *). Dass hier
die Bergprodukte der Umgebung zusammenflössen, ist schon angedeutet.
Ein Teil derselben wurde ja auf Gütern des Bergklosters gewonnen,
wie aus der oben angeführten Verleihung vom Jahre 1226 hervorgeht.
Von hier holten Fremde, namentlich Nürnberger, das Metall ab. Darum
wurden in Chemnitz selbst die Erze zum Teil verhüttet; 1471 wird
vor dem Chemnitzer Thor eine seygirhutte, Schmelzhütte, errichtet,
namentlich für Kupfer aus Geyer; ein Augsburger Bürgerssohn ist
dabei beteiligt. 1477 erbaut ein Bürger aus Chemnitz mit seiner «Ge-
sellschaft* einen Hammer. Für den Fremden war Chemnitz die Industrie-
stadt Meissens. Hier wurde 1398, veranlasst jedenfalls durch Nürn-
berger, die Papiermühle angelegt mit Privileg für alle Meissner Länder,
das bis 1500 in Kraft blieb *).
Dieser Entwickelung des Handels und der Gewerbsthätigkeit ent-
spricht das Gedeihen der städtischen Einrichtungen. Die ersten Ein-
wohner des locus Kameniz mögen zum Teil fränkische Kolonisten ge-
wesen sein, die mit den Pegauer Mönchen herbeizogen. Dazu kamen
bald Hörige aus den Klosterdörfem. Noch im 13. Jahrhundert waren
nach den Zinsregistern ^) 15 Zinspfhchtige in der Stadt, darunter auch
Wachszinsende, die meist hörig waren. Aber Handel und Handwerk
Hessen die Einwohner bald frei werden. 1254 ist der Ort befestigt,
1290 wird er freie Reichsstadt; 1298 erscheinen urkundlich magister
civium, consules (Ratsmitglieder), cives. Zwar wurde schon nach der
') a. a. 0. 20. 23. 24. 58. 137. 145. 157. 160. 173.
'j Zöllner, Geschichte von Chemnitz, S. 100. 201.
») C. d. S. r. II, 6, 205. *) a. a. 0. 307. 222. 267. 66.
*) Zöllner a. a. 0. S. 12.
55] I^i^ Verkehrsstrassen in Sachsen. 227
Schlacht bei Lucka Markgraf Friedrich von Meissen thatsächlich Be-
sitzer der Stadt; aber der Verlust der Reichsunmittelbarkeit wurde vom
Liandesherm durch eine grosse Reihe von Vorrechten für Handel und
Gewerbe wett gemacht. Die Stadt wuchs durch den erwähnten Fremden-
zufluss; der Markgraf nimmt 1354 alle, welche in die vom Feuer zer-
störte Stadt ziehen, woher sie kommen mögen, in ihren Rechten und
Geschäften in seinen Schutz. Es mangelt der Stadt bald an Platz.
Trotzdem werden 1352 für Neubauten alle gybel vnd uberschus ver-
boten; auch werden steinerne Giebel verlangt^). Die Strassen, beson-
ders die vier Landstrassen, das sind die, deren Zoll, Geleit und Ge-
richt dem Landesfürsten gehört: von Zwickow gein Freiberg, von Alden-
bm^, auf die Cschape (Zschopau) gein Behem, sind zwar nicht gebaut
nach heutigem Begriff; aber sie werden 1449 auf kurfürstliches Geheiss
mit bowmen, struechen, uff geworffen graben oder andern zceichen uff
beiden syeten gereit vormerckt; sie sollen so breit sein, dass geladene
rustwayne nebeneinander auf- und abfahren und einander ausweichen
können^). 1423 kauft die Stadt von Friedrich dem Streitbaren die
gesamte Gerichtsbarkeit, hohe und niedere, mit allen Einkünften nebst
dem Zoll, den man Orber (Urbar) nennt. Der Abt des Bergklosters
hat 1449 nur das Gericht und den dritten Pfennig (ein Drittel der
Gerichtsgefälle) in seinen Dörfern, der Rat in der Stadt. 1474 zählte
letztere 329 ansässige Leute in, 132 vor der Stadt, 1487 325 Wirte
in der Stadt ^). Sie mochte nach Freiberg und Leipzig die grösste
Stadt Sachsens sein.
Die übrigen Städte des Erzgebirges treten gegen Zwickau, Chem-
nitz und Freiberg zurück. Sie verdanken, abgesehen von Bergstädten,
verschiedenen Ursachen ihre Entstehung. Die Strasse Zwickau- Chemnitz
hüteten auf der Höhe zwischen Hülsen- und Lungwitzgrund und nicht
weit von ihrem Einbiegen in letzteren die Burgen Lichtenstein (im
13. Jahrhundert erbaut) und Hohenstein. Dieselben waren zugleich
Orenzfesten für die Besitzungen der Herren von Waidenburg. Unter
ihrem Schutze entstanden die Doppelstädtchen Callenberg-Lichtenstein
und Hohenstein-Emstthal. Weiterhin entstand in der Mitte zwischen
Chemnitz und Freiberg , am Kreuzungspunkt mit der vorteilhaftesten
unter den natürlichen Strassen über das Erzgebirge Oederan, das schon
1286 befestigt war: civitas seu oppidum Öderen wird ohne Zoll und
Geleit, aber mit Zins und Weichbild verpfändet^). Castrum Tarantum
(Tharandt), genau in der Mitte zwischen Freiberg und Dresden, wurde
von der grossen Strasse nordwärts umgangen. Es hütete wohl seit alter
Zeit (urkundlich zuerst 1242) ^) die Thalwege der beiden Weisseritz,
die sich hier treffen.
Die Strassen über das Erzgebirge hat Schurtz genau verfolgt.
Von Altenburg führte eine Strasse nach Zwickau, dann an der Mulde
entlang bis Wiesenburg, wo sie sich teilte. Ein Zweig ging über
*) C. d. S. r. II, 6, 1. 3. 7. 14. 18.
^ a. a. 0. 147. ») a. a. 0. 98. 147. 254.
*) Märcker, Burggrafentum Meissen 1842, S. 187.
■) Hey, Slawische Ortsnamen 1883, S. 34.
5
228
A. Simon,
[56
Eirchberg und dann jedenfalls über Eibenstock und Friebus nach
Böhmen; bei Wildenthal, oberhalb Eibenstock, führt ein alter, längst
verlassener Weg, der hoch am linken Thalrand hinführt, den Namen
Karlsbader Weg. Der andere Zweig zog nach dem Aufblühen Schnee-
bergs dorthin, dann über Aue nach Schwarzenberg. 1348 wird castrum
Wisenburg, castrum et opidum Kirperg, 1359 Wisenberg und Kirch-
berg daz stetchin zusammen genannt. Eine dritte Strasse zog von
Wiesenburg wahrscheinlich am Zschokener Bach hinauf nach Wilden-
fels, Hartenstein, Lössnitz und Grünhain, von da entweder nach Schwar-
zenberg oder nach Südosten. Wildenfels war 1119 im Besitz eines
Unarch de Wilden, 1322 ist ein ünarch de Wildenfels Zeuge in einer
Schenkungsurkunde des Klosters Grünhain ^). Hartenstein war Mittel-
punkt der Besitzungen der Burggrafen von Meissen, welche von hier
aus um 1236 Kloster Grünhain gründeten, dasselbe 1240 mit zehn
Dörfern in der Umgegend begabten. Seit 1286 war Hartenstein sogar
Residenz des Burggrafen Meinher IIL von Meissen. 1339 kam zwi-
schen dem Burggrafen und dem Markgrafen eine Einigung über die
Bergwerke auf den Gütern der Grünhainer Mönche zu stände^). Das
Grünhainer Kloster erwarb später Besitzungen in Böhmen, die 141 *)
gegen Schiettau mit den Dörfern Granzahl, Cunnersdorf, Sehma,
Waltersdorf und Königswalde ausgetauscht wurden ^). Diese Nachricht
befestigt die Annahme bei Schurtz ^), dass in dieser Zeit ein We^ von
Grünhain nach Schiettau, Jöhstadt und Kaaden geführt habe, an welchem
diese Besitzungen liegen würden; dabei ist entweder der oben be-
sprochene Pressnitzer Pass benutzt worden, der zunächst nach E^österle
führt, oder einer im Südosten von Pressnitz, der 33 m höher ist, aber
in einem weniger steilen Abstieg geradlinig nach Kaaden führt. Dass
ein Weg vom Mittelpunkt der burggräflichen Besitzungen, Hartenstein,
nach dem wichtigsten Klosterort der Herrschaft, Grünhain, bestand, ist
wahrscheinlich, das wäre auch die natürlichste Verbindung mit Zwickau,
wo die Mönche lange vor dem Aufblühen Schneebergs einen Hof hatten.
Kloster Celle war 1173 von Friedrich I. an der Grenze des Naum-
burger Sprengeis gegründet worden. 1212 überträgt Kaiser Friedrich IL
Schloss Schwarzenberg dem Böhmenkönig Ottokar, ein Zeichen, dass
hier eine Verbindung mit dessen Land bestand ^). In civitate Swartzen-
bergk wird seh 1282 vom Vogt von Gera eine Urkunde für Grün-
hain ausgefertigt^). Der befestigte Ort und das 1372 erwähnte Schloss
sicherte den Weg, der hier dem Thal des Schwarzwassers entlang wohl
über den Platten-Bäringer Pass nach Karlsbad führte.
Die nächste Gebirgsstrasse ging von Chemnitz aus , wohin man
von Altenburg über Penig gelangte ''). Abt und Konvent zu Chemnitz
versprechen 1313, in der vom Burggrafen Albrecht von Altenburg dem
Kloster zugeeigneten Parochie Penig eine Propstei zu gründen. 1454
sind dreien aus Ernfriederstorff zu Penig und Kempnicz Pferde und
') Müller, U. V. PI. 213. 376. 424.
2) Märcker a. a. 0. S. 226, ürk. 70.
•) A. f. 8. G. 7, 1869, S. 60. *) Pässe des Erzgeb. S. 60.
^) A. f. s. G. 6, 1868, 314. «) Müller, ü. v. PI. 78. 483-
^ C. d. S. r. 6, 147, anno 1449.
571 I^io Verkehrsstrassen in Sachsen. 229
Harnisch genommen worden. Stadt und Abt zu Chemnitz einigen sich
1504 wegen der Strasse, die von Penig nach Chemnitz führt ^). Penig,
Brückenort der Mulde, stand in regem Verkehr mit Chemnitz (Leinen-
industrie), entwickelte sich aber unselbständig und langsam; erst 1488
wird die hölzerne Schutzwehr der Stadt vom Burggrafen von Alten-
burg durch eine steinerne ersetzt*). Der Verlauf des Weges jenseits
Chemnitz ist bis zum alten Czschape (Zschopau) sicher, wo derselbe
die Zschopau erreichte. Wie man von hier weiter zog, lässt sich mit
Sicherheit nicht mehr feststellen; jedenfalls wurden im Laufe der Zeit
mehrere üebergänge gebraucht^). Oewiss aber waren an den Wegen
über das Gebirge Zschopau und Wolkenstein mit ihren Burgen Deckungen
für Strassenübergänge an der Zschopau, Zöblitz an der Pockau. Zschopau
erscheint als Strassenpunkt urkundlich 1292 und 1449; 1292 war der
Ort befestigt, civitas; 1407 hatte derselbe Marktrecht, 1456 wird Schloss
und Stadtlein Zschopau genannt^). An derselben Strasse liegt das alte
Zoblitz, das schon 1323 als Städtchen Zcobelin erscheint, aber erst mit
der Entdeckung des Serpentins, 1546, Ruf und Bedeutung erlangte^).
Früh wurde wahrscheinlich auch ein Weg über Wolkenstein benutzt;
jedenfalls lief derselbe von Chemnitz aus weiter westlich als die vorige
Strasse und überschritt hier die Zschopau. Für die frühe Benutzung
dieses Weges spricht, dass Wolkenstein der Mittelpunkt der schön-
bnrgischen Besitzungen im Erzgebirge, Sammelpunkt für das in der
Umgebung gewonnene Zinn bis zum Aufblühen Ehrenfriedersdorfs und
Geyers, femer vor Zschopau, vor 1377 Marktort mit Salzhandel war;
sein Bad soll vor 1300 benutzt worden sein. 1425 urkundet der Bat
der stad zcu Wolkensteyn^). In den Streitigkeiten über die Chemnitzer
Bleiche erscheinen auch Mittweida und Frankenberg, Städte, die viel-
leicht ursprünglich einen am Thalrand der Zschopau hinziehenden Weg
hüteten, an dem Waldheim, Mittweida, Frankenberg, Schellenberg,
Zschopau, Wolkenstein in ganz gleichen Abständen lagen. Im 12. Jahr-
hundert soll in Mittweida Bergbau betrieben worden sein. Opidum
Mittweida verpfändet Heinrich der Erlauchte 1286; 1323 überträgt
Markgraf Friedrich das Patronatrecht über die Parochialkirche in oppido
Myttweide dem Meissner Bischof. 1361 wird Altmittweida genannt.
1445 berichten die Bürger daselbst an den Kurfürsten, dass sie von
Friedrich dem Streitbaren zwei Pfennige vom Gericht erworben, den
dritten Pfennig aber schon lange Zeit besessen haben, dass in ihrer
Stadt also lange Zeit ein Erbgericht gewesen sei ^). In dem Streit
über den Zehnten im Hersfelder Lehen wird 1214 burcwardus 6ozne(?)
et Vrankenberg, 1292 castrum Frankenberg genannt ^).
*) a. a. 0. 231. 167. 440. *) a. a. 145. 331. Herzog a. a. 0. 1, 69.
») Schurtz, P&ase, S. 46 f.
*) A. f. 8. G. 5, 1867, S. 267. N. A. f. s. G. 7, 1886. Jahresberichte des
KGnigl. Lebrereemmars Zschopau 1874, 1885.
*) C. d. S. r. II, 12, 69. Süssmilch-Hörnig, Erzgebirge, S. 386.
^ Falke, Geschichte der Bergstadt Geyer, S. 12 ff.
T Hauptstaatsarchiv Dresden, Urk. 6902. C. d. S. r. II, 1, 316. Märcker
a. a. 0. 2. 187.
•) C. d. S. r. II, 1, 78. A. f. s. G. 5, 1867, S. 242.
230
A. Simon,
[58
Vor dem Aufblühen Freibergs scheint eine alte Strasse zwischen
den Thälern der Zschopau und Flöha im Westen und der vereinigten
und Grossen Striegis im Osten aus der Niederung mit Vermeidung der
Thaleinschnitte hinauf ins Gebirge geführt zu haben. Sie setzte bei
Tragnitz-Leisnig über die Mulde, bei Harthau und Waldheim über ein
Seitenthal und über die Zschopau selbst, bei Hainichen über die Kleine
Striegis (die Namen Leisnig, Ort der Waldhüter, dann Harthau, Wald-
heim, Hainichen deuten alle auf Wald), kreuzte bei Oederan die West-
oststrasse, zog weiter aufwärts über die Zoll- oder Gerichtsstatten Dorf
Saida, Stadt Sayda, wurde am Uebergang über die obere Flöha durch
Schloss Purschenstein geschützt und wendete sich, etwas östlicli Tom
Katharinenberger Pass den Kamm überschreitend, nach Brüx ^). Später
war dieser Zug nur Nebenweg und als solcher verboten, was die Klage
der Chemnitzer im Jahre 1456 beweist, dass rohe Leinwand und Garn
um Chemnitz aufgekauft und nach Böhmen geführt werde, durch das
Land der Herren von Waidenburg (über Wolkenstein, das denselben
bis 1476 gehörte) und des alten Kaspar von Sayda Güter. Leisnig,
das noch eine andere Strasse hütete, wird 1040 als burchwardus Lesnic,
1112 urbs Liznich, 1292, 1323, 1324 als Sitz von Burggrafen ge-
nannt, die zugleich Altenburg besassen und eine Münzstätte hatten.
1373 wird hus und stad (Schloss und Stadt) unterschieden. Im
15. Jahrhundert gehört es zu den Städten, die mit Chemnitz in der
Leinwandindustrie arbeiten und kämpfen*). 1430 hatte es Anteile am
Stadtgericht erworben, 1445 kauft es die zwei Pfennige des Kurfürsten^.
Waldheim war 1286 civitas seu oppidum, hatte Geleit, StrassenzoU und
Weichbild. 1 324 kommt stat Waltheim in Besitz der Burggrafen von
Leisnig und Altenburg, die diese Strassen beherrscht haben mögen;
1404 wird daselbst das Augustinerklöster gebaut^). Hainichen ist
jünger, es war 1335 noch villa forensis, Marktflecken; 1449 im Streit
mit Chemnitz wird es Stadt genannt^). Sayda ist wie Leisnig und
Oederan alt; 1213 erscheint ein Theodoricus camerarius (vielleicht Zoll-
einnehmer) de Sytin, 1263, 1275, 1278, 1286 andere Herren de Syden
als Zeugen. 1289 wird Sayde castrum et civitas, 1324 Haus und Stadt
Saydowe neben dem Haus zu Borsenstein mit Cynseifen (Seifen), mit
tzolle, mit gerichte genannt. 1442 wird sein Stadtbrief bestätigt^.
Nach Freiberg, der grössten Stadt Sachsens im 15. Jahrhundert,
führten natürlich aus der Ebene herauf verschiedene Wege, ebenso von
hier aus verschiedene nach Böhmen. Doch wurde unter denselben bald
je einer der vorgeschriebene, unterhalb Freiberg, der über Rosswein
und Nossen, oberhalb der Stadt, der über Frauenstein und durch Bären-
steiner Gebiet nach Teplitz; auf der Strecke von Rosswein bis Frauen-
stein giebt noch Zürner diesen Weg als Postweg^). Nur ging die
») Schurtz, FÄBse, S. 26 ff.
«) C. d. S. r. T, 1, 90, 8. XXVIII; II, 4, 24; II, 8, 22; U, 6, 145; II, 12, 69.
*) Hauptstaatsarchiv Dresden, U. 6902.
*) Märcker a. a. 0. 1, 187. Müller, U. v. PL 222.
*) Müller ü. V. PI. 335.
«) Hauptstaatsarchiv Dresden, ü. 1244. C. d. S. r. II, 12, 20; II, 6, 173.
') Zürne r, Neue ChursÄchs. Postcharte 1730.
59] ^ie Verkehrsstrassen in Sachsen. 231
Strasse vielleicht früher von Rosswein direkt nach Freiberg und ver-
band sich erst in Yogtsberg oder Orossschirma mit dem von Meissen,
später auch über Lommatzsch heranziehenden Weg. Auf ersterem kamen
die Salzwagen aus Halle (1472), die Leipziger und Zwenkauer Kauf-
leute (1291) nach Freiberg; auf letzterem fuhr man aus Frankfurt a. 0.
über Grrossenhain und Meissen oder über Herzberg und Lommatzsch
Heringe und andere Fische heran (1253, 1472)^). Alle mussten an
der Zollstatte beim Rossweiner Thor in Freiberg Zoll entrichten. Jen-
seits Freiberg gab es wohl neben der vorgeschriebenen Frauensteiner
Strasse noch einen Weg, der am linken Thalrand der Mulde hinlief,
vom Clausnitzer Seitenthal hinüber ins obere Querthal der Flöha
(Georgenthal- Fleyh) führte und den Kamm im Riesenberger Pass (über
826 m) überstieg. Das geht deutlich daraus hervor, dass sich 1468
die Kreuziger von Freiberg gen Resenburg und Gruppen (Graupen)
zurückzogen, um dort den Böhmen aufzulauern '). Rosswein und Nossen
deckten mit ihren Burgen Muldenübergänge. Ersteres erscheint 1220
zuerst urkundlich, war 1286 befestigt (1286 civitas seu oppidum Russ-
win, 1292 castrum et civitas), auch kirchlich selbständig (1296 pleba-
nus in R.). 1421 bekommen die Tuchmacher in Rosswein zugleich
mit denen in Wolkenstein Innungsartikel '). Nossen wird kaum älter
sein, erscheint aber urkundlich früher wegen der Nähe des Klosters
Altzelle, mit dem die Herren de Nuzin, Nossin, wegen des Waldes von
1209 — 1228 in Streit lagen. 1268 werden Vlricus et Heinricus, milites
de Nvzin mit castrum Nvzin belehnt; 1315 war es ein Städtchen, 1319
ist castrum Nuzzin im Besitz des Meissner Bischofs^). Jenseits Freiberg
und seinem Muldenübergang zog die Strasse auf dem Höhenrücken bis
Frauenstein, um von hier aus ebenso weiter zu ziehen auf Zollhaus,
Niklasberg, Teplitz, oder um cfie in der Nähe der Quellen weniger tief
eingeschnittenen Wasseradern der beiden Weisseritz quer zu über-
schreiten bis Bärenstein. Darum war der Trennungspunkt Frovensteyn
frühzeitig durch ein castrum, hues, gedeckt, das 1266, 1275 und später
oft erwähnt wird. Die Belehnung der Brüder Johannes und Heinrich
von Sayda, die in Strassengericht und Zollangelegenheiten Erfahrungen
haben mochten, mit der Burg Frauenstein durch Heinrich den Er-
lauchten 1272 weist auf seine Bedeutung hin. Durch den Bergbau in der
Umgebung wurde es auch gefordert; die Bergwerke im Frauensteiner
Bezirk werden 1335 versetzt an den Burggrafen von Meissen; in dem-
selben Jahre werden die entdeckten Silbergruben erwähnt. Im Ver-
trag von 1339 bedingt der Burggraf aus: Freiheiten und Rechte, die
den Leuten gegeben werden, die das Bergwerk im Gericht Vrowen-
stein bestellen und bauen wollen, bleiben bestehen, wenn der Mark-
graf dasselbe wieder löst. 1381 wurde Frauenstein sogar Sitz eines
») C. d. S. r. II, 12, 16. 43. 46. 354. 359. 410. 415.
*) Schurtz, Pässe, S. 30 ff. C. d. S. r. II, 12, 352. 354.
«) Märcker a. a. 0. 1, 187. C. d. S. r. II, 5, 8. A. f. s. G. 5, 1867,
S. 233 f.
*) Marcker a. a. 0. 2, U. 5. C. d. S. r. II, 1, 165. 308. Hauptstaatsarcbiv
Dresden, ü. 1244.
232
A. Simon,
[m
der Meissner Burggrafen. Von Meinher VI. bekam es 1399 Weichbild-
recht, von Burggraf Heinrich I. 1411 nach dem Muster von Dresden,
Dippoldiswalde und Sayda Stadtrecht. 1473 wird einer Reihe kursächsi-
scher Städte, darunter Chemnitz, aufgegeben, ihre Truppenteile in
Frauenstein zum Zug gegen Böhmen zu sammeln^). Frauenstein war
also ein wichtiger Strassenpunkt. Auch Lauenstein war schon 1249
befestigt; nach Süssmilch-Hörnig sind die Burgen Bärenstein und Lauen-
stein im Müglitzthal, durch welches oder an welchem entlang wahr-
scheinlich einst die Strasse von Dohna heraufzog, um 1100 errichtet
worden. Die Orte hoben sich etwas, als im Gebiete der Herren
von Bärenstein in der Mitte des 15. Jahrhunderts Zinnlager entdeckt
wurden.
Als die nächste natürliche Strasse, welche aus der Mark Meissen
nach Böhmen leitet , ist die Elbe zu betrachten. Es handelt sich fur
uns darum, nachzuweisen, seit wann dieselbe als Fahrstrasse benutzt
wurde. Die erste urkundliche Nachricht, vom Jahre 983, sagt, dass
bis zum Hafen von Meissen Zoll erhoben wird: a civitate, quae dicitur
Belgora (Beigern), usque ad Misnensis ecclesiae portum sursum inde-
que . . . deorsum^); dies kann kaum anders als auf stromauf- und
stromabwärts fahrende Schiffe gedeutet werden. Natürlich wurde auch
weiter stromauf damals die Elbe befahren. Zu den Vorrechten, welche
Markgraf Heinrich, wahrscheinlich vor 1265, der Stadt Pirna gewährte
die hernach ausführlich von Johann von Böhmen bestätigt werden, ge-
hört auch das Niederlagsrecht von Schiffsgütem. Nur fehlen die Nach-
richten bis 1291; da kommt Pirna in Besitz des Stiftes Meissen, hierbei
wird die Niederlage der Wagen und Schiffe, die auf- und abwärts-
fahren, für Salz, mag dasselbe zu Wasser oder Lande kommen, für
Getreide und Eaufmannschatz erwähnt^). 1292 bitten die Bürger zu
Frosa, Schönebeck, Calwe und Barby, Städten an der Saalemündung,
den Bischof, es in ihren Handelsgeschäften in Pirna, namentlich im
Verkauf von Salz und im Einkauf von Holz, beim Herkömmlichen zu
belassen. In demselben Jahre wird ein Streit geschUchtet zwischen
dem Meissner Bischof und Friedrich, dem Besitzer von Dresden, über
die exoneratio navium, vulgariter niderlage dicitur: vorläufig sollen die
Schiffe noch frei bis Pirna fahren, ohne in Dresden angehalten zu wer-
den; das weist auf eine lange bestehende Schiffahrt Pirnas, auf- und
abwärts. Nach den Zollbestätigungen von 1325 fahren Schiffe von
Magdeburg aufwärts bis Pirna, namentlich Salz, löschen hier und laden
Holz, Steine und Eaufmannsgut, dabei wird das nach Magdeburg ge-
führte Holz besonders erwähnt. Da dabei auch andere Schiffe genannt
werden, die nicht aufwärts gefahren sind, doch in Pirna ausgeladen
haben, so müssen wir annehmen, dass auch weiter aufwärts längst
Handel betrieben wurde, zumal alles nur Bestätigungen bestehender
Einrichtungen sind^). 1352 ergeht an die Eibstädte, auch an Pirna.
Hauptstaatearchiv Dresden 1244. C. d. S. r. II, 12, S. 19; II, 6. 243.
Märcker a. a. 0. 1, 118. 239 ff. u. U. 70. Gebauer, Volkswirtschaft i. Königr.
Sachsen 466.
«) C. d. S. r. I. 1. 33. ») C. d. S. II, 5^, 3. 15; II, 1, 235.
*) C. d. S. r. II, 5^ 16; II, 5«, 8.
61] Die Yerkehrsstrassen in Sachsen. 233
und an den Burggrafen des Eönigsteins und Schreckensteins (bei Aussig)
das Ersuchen, das Schifferprivileg für Melnik (an der Moldaumündung)
zu befolgen. Die Bürger von Pirna führen nach einer Urkunde von
1359 ihre Waren zu Wasser (und zu Lande) nach Böhmen und ver-
zollen dieselben in Tetschen; 1373 wird denen von Leitmeritz (an der
Egermündung) gestattet, Getreide auf der Elbe zu fahren: nur müssen
sie die Niederlage zu Pirna halten ^). Seit Mitte des 14. Jahrhunderts
wurde also sicher die Elbe von der Moldaumündung abwärts allent-
halben als Schiffsstrasse benutzt. Die Festen, fortalitia, Schreckenstein,
Winterstein (?), Lilienstein, Königstein, Wehlen schützten dieselbe^). Auf
der Strecke von Magdeburg bis zur Moldaumündung gab es eine grosse
Niederlage, an welcher alle Schiffe aus- und eingeladen werden mussten,
nämlich in Pirna: das von Magdeburg aus in Schiffen aufwärts geführte
Salz gab f&r 100 Mass, soch (Sack) genannt, in der Meissner Zollstätte
2 Dickpfennige, zu Pirna 34. Die Dresdener kämpften dagegen an;
doch vereinbaren sie 1392 mit Pirna: Sie wollen einander auf der Elbe
und zu Lande nicht hindern, die Niederlage auf der Elbe, die Pirna
von jeher gehabt, soll bestehen bleiben, so dass alles Getreide und Gut
3 Tage zu Pirna liegt. Die von Kaiser Friedrich III. für Hajn oder
Dresden gestattete, 1455 nach Dresden gelegte Niederlage nennt nur
Wagen (sie ist früher in Brüx gewesen)*).
So ist innerhalb unseres Gebietes, in der hier behandelten Zeit
Pirna der eigentliche Eibhafen. Die natürlichen Ursachen hierfür sind
nicht schwer zu erkennen: bei Pirna endigt der Durchbruch der Elbe
durch das Sandsteingebirge, welcher von der Schiffahrt mancherlei
Hindemisse wegen zuletzt erst benutzt wurde; unterhalb Pirna ist das
Elbthal allenthalben weit, die Schiffe konnten bei der Bergfahrt früh
durch Menschen und Tiere vom Ufer aus im Fortkommen unterstützt
werden; bis hierher wurde die Elbe für die Zeit, da Eis, Eisgang,
Hochfluten oder allzu niedriger Wasserstand die Schiffahrt hemmten,
von einer Strasse begleitet, die zumeist auf dem linken, nur zwischen
Dresden und Meissen auf dem rechten Ufer hinlief, während bis zum
Bau der Eisenbahn Dresden-Bodenbach (1848 — 1851) keine Fahrstrasse
die Elbe von Pirna aufwärts begleitete. «Die Elbe war bei weitem
nicht 80 fruchtbringend für die Städtebildung in Sachsen wie die uralte
Landstrasse von Norden nach Süden* (Leipzig-Hof)*); aber Pirna ver-
dankt in der That in erster Linie der Elbe und dem Gebirge, aus dem
diese hier heraustritt, seine Entstehung. Dazu kommt in zweiter Linie
seine Lage an einem Punkte des Gebirgsrandes, wo Flüsse münden, die
früh wenigstens teilweise zum üebergang über das Gebirge benutzt wur-
den^). Allerdings beherrschte den ältesten derartigen Weg, den von
Kulm, wohl zuerst Dohna, wahrscheinlich einst Mittelpunkt des Gaues
*) C. d. S. r. II, 5 ^ 32. 44. 47.
«) C. d. S. r. n, 5\ 87. 56. 59: 1352, 1391, 1396, Schreckenstein, Winter-
Btein, Lilienstein, Eönigstein. a. a. 0. 56. 65: 1269, 1271. 1391, castrum Wilin.
8lo8z Welin und Pirna von König Wenzel verpfändet.
•) C. d. S. r. II, 5*, 95. 278.
*) Zur Geflchichte der Hohen Landstrasse im A. f. s. G. 7, 1869, S. 113.
') Scburtz, Fiaae, S. U ff.
234
A. Simon,
[62
Nisani. „Die Burggrafschaft Dohna, die sich nach und nach zu grosser
Bedeutung erhob, verdankt ihren Ursprung unbedingt dieser Strasse,
zu deren Deckung die Burg in unbekannter Zeit angelegt wurde*",
sagt Schurtz ^), der sonst den Satz vertritt: «Die grosseren Städte und
Verkehrsmittelpunkte am Fusse des Erzgebirges verdanken nicht den
Gebirgsstrassen ihre Entstehung.^ Die Feste (civitas) Donin wird
schon 1075, dann 1107 und 1120 genannt. Der Schöppenstuhl f&r
die weiten Besitzungen, schon 1825 genannt, wurde nach Zerstörung
der Burg und nach Vertreibung der Burggrafen durch den Markgrafen
von Meissen 1402 im Jahre 1403 in die Stadt Dohna verlegt und be-
stand noch lange nachher *). Nun hörten zwar die Plackereien auf der
Strasse von Dohna auf, aber auch der Handel selbst; denn dieser wurde
vom Markgrafen auf Pirna geleitet, das die Funktion Dohnas nunmehr
ganz übernahm. Die Strasse hatte von Mügeln an der Elbe, an Dohna
vorüber, zuerst ein Stück an der Müglitz aufwärts geführt, dies enge
Thal aber dann verlassen, um von Liebstadt ab im Thal der Seidewitz
über Breitenau den Kamm des Gebirges entweder am Mückenberg oder
über Schönwald-Töllnitz zu übersteigen^).
Von Pirna aus wurde schon lange vorher Handel über das Ge-
birge nach Böhmen betrieben. Pirna war ein wichtiger Salzmarkt
Hier vereinigte sich das zu Schiffe von Magdeburg und das zu Wagen
von Halle herzugeführte Salz (1825 in den Zöllen genau geschieden),
wurde hier vermessen und dann weitergeführt, vor allem nach Böhmen,
wie der Ausdruck „böhmischer Zoll vom Salz** beweist, in früherer
Zeit meist oder nur zu Wagen; nach demselben Zolltarif werden Honig
(besonders von Dresden und Bautzen kommend), Fische und Heringe
(von Magdeburg), Flachs und Leinengarn nach Böhmen zu Wagen ge-
bracht oder getragen, von dort dafür, ausser Getreide, das zu Schiffe
ankam, Wein, Häute herübergefahren. Die Bürger fuhren nach einer
Urkunde von 1859 ihre Waren nach Böhmen und verzollten dieselben
zu Eninitz (unterhalb NoUendorf); 1378 einigt sich die stat ze P^me
mit der stat zu Vsk (Aussig) über den Wochenmarkt; das setzt einen
regelmässigen Verkehr voraus, der aber konnte nur auf dem Landweg
allezeit aufrecht erhalten werden. 1409 hatte der Herr von Tetschen
Bürgern aus Pirna Getreide, Wagen, Pferde, Heringe und andere Habe
gehindert und aufgehalten. Als 1405 Jan von Wartenberg, Herr zu
Tetschen und seitheriger Hauptmann zu Pirna, letztere Stadt im Namen
des Böhmenkönigs an den Markgrafen übergab und zugleich das stet-
chen Goteloybe, ging die für Böhmen so wichtige Strasse in Meissner
Besitz über^). Gottleuba Liegt an derselben; darauf deutet ein 1412
erwähnter Zoll in Pirna von Wagen, die Grünholz vff den berg (Berg-
werk) by dy Gotelobe fahren. 1429 zogen die Hussiten von Teplitz
über Graupen nach Pirna, Dresden, Meissen. Nach der Strassen- und
1) a. a. 0. S. 21.
«) Böttiger-Flath, Gesch. Sachsens 1, 309.
Süssmilch-Hörnig, Erzgeb., S. 180.
«) Schurtz, Fasse, 19.
*) C. d. S. r. IL 5b, 44. 46. 66; II, 5S 185.
Lindau, Gesch. Dresdens.
63] I^ie Verkehrsstrassen in Sachsen. 235
ZoUordnung von 1462 sollen alle Wagen mit Gütern aus der Mark,
der Lausitz u. s. w. auf Herzberg, durch den Hayn (Grossenhain), auf
Lommatzsch, Meissen, Dresden, Pirna, Freiberg und andere Gebirgs-
stadte fahren ^). Die Strasse zog also von Pirna anfangs durchs Seide-
witzthal, dann hinüber zur Gottleuba, an Berggiesshübel und Gottleuba
▼orbei über Hellendorf und Peterswalde nach Nollendorf (Kninitz) und
Kulm und spaltete sich hier in einen Weg nach Aussig und einen
nach Teplitz. Ausserdem war Pirna Fährort und Ausgangspunkt fQr
natürliche Strassen nach östlich und nordöstlich gelegenen Städten;
das Thal der Wesenitz, die unterhalb Pirna mündet, war der ursprüng-
liche Führer dorthin gewesen. Die Fähre bestand lange vor 1325.
Wenn sie im grossen Zolltarif dieses Jahres nur beiläufig erwähnt
wird, so liegt das daran, dass erst im folgenden Jahre 132ö Pirna die
Ueberfahrt (vectura) über die Elbe von zwei Privatpersonen käuflich
erwirbt. Das zu Wagen von Halle herzugebrachte Salz wurde in der-
selben Richtung weiter geführt nach Stolpen, Neustadt, Hainspach,
Schluckenau. Diese Salzstrasse erkennt man noch in der kuifürstlichen
Strassenordnung von 1462. Im Fährgeldtarif von 1451 wurden ausser
Salzwagen fremde Fischwagen, Bierwagen, Zentnergut, Pech und Holz
genannt. Deuten diese auf einen Weg nach Osten, so weisen die zu-
gleich angeführten Hopfen- und Malzwagen nach Nordosten und Norden.
In der That fuhren 1325 neben anderen auch Wagen aus Bautzen Honig
nach Böhmen; 1444 bauen die Pirnaer eine Brücke über die Wesenitz
auf Kopitzer Flur. Bis 1478 durften die Radeberger Gerste und Malz
aus Böhmen nur bis Pirna auf der Elbe führen; von hier mussten sie
es zu Wagen nach Hause fahren; jetzt wird ihnen gestattet, ihre
SchifiFe, wenn dieselben in Pirna Zoll entrichtet und drei Tage gelegen
haben, bis Loschwitz gehen zu lassen und dort auszuladen. Endlich
war Pirna frühzeitig der Hauptausfuhrort des Eibsandsteins; Schiffe,
die erst am Ufer zusammengesetzt und mit Steinen und Holz beladen
abwärts geführt werden, sind schon 1325 angegeben. Dabei ist neben
lapis, qui dicitur schale (j), lapis slifstein (Schleifstein, wohl vom Liebe-
thaler Grund) verzeichnet. 1412 wird in Pirna über den steinberg
und Steinbruch gelegen bei Strueppen, oberhalb Pirna, geurkundet ^).
Pirna war also bis 1500 innerhalb Sachsen der wichtigste Hafen-
platz an der Elbe. Dieser Stellung entspricht die Entwickelung der
Stadt. 1269 wird zwar nur castrum Pirne mit seiner Kapelle erwähnt,
aber der Ort unter dem Schloss muss befestigt gewesen sein; denn als
1291 der Meissner Bischof denselben erwarb, wird castrum et civitas
Pyme genannt. Die Bürger trieben schon lange Handel und besassen
Niederlage und Zölle. Diese, sowie die Gerichtsbarkeit innerhalb und
ausserhalb der Stadt (tam in civitate, quam extra) kamen an den
Bischof. 1292 ist der Bürgermeister, magister civium, Zeuge. Das
Handwerk war damals selbständig; in demselben Jahre wird die iuninge
(Innung) der Schuhmacher bestätigt. Für das Meissner Bistum, das
') C. d. S. r. II, 5*», 86. Falke, Zur Gesch. der Hohen Landstr. im A. f.
8. G. 7, 1869, S. 113.
») C. d. S. r. II, 5^, 15. 16. 128. 118. 175; II, 5% 144.
236
A. Simon,
[04
auch im Besitz anderer Eibzölle war, dem Stolpen gehörte, zu welchem
der bequemste Weg von Meissen über Pirna führte, mochte der Besitz
der Stadt Pirna wertvoll sein. Und doch erwarb schon 1298 der
mächtige Böhmenkönig dieselbe, jedenfalls wegen ihrer Wichtigkeit
für Böhmen, als Schlüssel zu einer der bedeutendsten Strassen nach
diesem. Bis 1404 blieb Pirna und seine Land- und Wasserstrasse nach
Böhmen, sowie die Schlösser an beiden in dieser Hand. Die Böhmen*
könige förderten auch hier wie im Vogtland und in der Lausitz die
Blüte der Städte ^). Nach der Bestätigung der von Markgraf Heinrich
vor 1265 erteilten Privilegien im Jahre 1325 hat dieselbe eigene Ge-
richtsbarkeit mit grosser Selbständigkeit und Rechtszug nach Leipzig.
Der Handel brachte Rohstoffe herbei, Wolle, Gerste, Malz, Hopfen, und
schaffte bequemen Absatz. Darum blühte hier vor allem die Tuch-
macherei (1383 Vertrag zwischen den gewantsnydem , Tuchhändlem,
besonders für fremde Tuche, und den wullenwebem) und die Bier-
brauerei (1482). Zu dem lange bestehenden Wochenmarkte (1373
Streit mit Aussig) bekommt es 1392 einen freien Jahrmarkt mit Zoll-
freiheit für alle Marktbesucher innerhalb der ersten drei Jahre, 1409
noch einen zweiten Wochenmarkt auf Sonnabend, besonders für Brot,
Fleisch, Schuhe. 1389 hatte es vom Böhmenkönig freies Erbrecht er-
langt (wie Plaiien)^). Das Aussehen der Stadt entsprach dem; der
Rat fördert seit 1389 den besseren Hausbau durch Lieferung von Kalk
und Ziegeln zu niederem Preise. 1471 erliess er eine Ordnung über
Reinlichkeit und Ordnung auf Markt und Strassen, wie wir sie heute
kaum anders haben. Das Wachstum der Stadt lässt sich daraus er-
kennen, dass 1317 daselbst ein Dominikanerkloster, zu Anfang des
15. Jahrhunderts bereits die Neustadt bestand^).
Neben Pirna arbeitete sich Dresden nur langsam empor und
kämpfte bis 1500 mit wenig Erfolg gegen dasselbe. Sein slawischer
Name (nach Hey = Lauerort, Warte, nach Richter = Waldort) beweist,
dass die Stelle früh besiedelt war, wohl auf beiden Ufern ^). Zwar
wird das linkselbische Dresdene bereits 1206 genannt; aber das rechts-
seitige, 1370 urkundlich zuerst, heisst Aldendresden ^). Der Ort auf
dem linken Ufer entwickelte sich rascher; die grössere Fruchtbarkeit
die bessere Handelsgelegenheit auf derjenigen Seite der Elbe, wo die
Mark lag, wo seit langem grössere Sicherheit und Ruhe herrschte,
erklärt dies. Vielleicht war auch, wie Richter vermutet, der Wille
eines Landesfürsten (Markgraf Heinrich?) bei Anlegung der Stadt von
Einfluss; die heutige Regelmässigkeit der Anlage, die beute auffallende
Ghrösse des Marktplatzes freilich kann kaum als Beweis dafür dienen.
Einen Hauptanlass zur Anlage der Stadt bildete jedenfalls die Brücke,
welche nach den oben gemachten Angaben einerseits die Strasse aus
Franken von Freiberg her weiter nach Osten fortsetzte und so mit der
') C. d. S. r. II, 5*. 1. 4. 10. 65; II, 1, 255; II, 5^, 8.
«) C. d. r. II, 5b, 51. 186. 58. 68. 55.
») C. d. S. r. II, 5^ 54. 164. 70.
^) Richter, Verfassungsgesch. der Stadt Dresden 1, 4.
*) C. d. S. r. II, 5», 70.
L
1>5] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 237
.Hohen Landstrasse ^ verband, andererseits dem Verkehr diente, der
sich von Meissen aufwärts nach Aldendresden auf dem rechten, von
Dresden bis Pirna auf dem linken Eibufer bewegte. Eine Fähre zu
Dresden wird zu Anfang des 11. Jahrhunderts erwähnt ^). Der Bau
der Brücke soll 1119 begonnen, 1173 von Otto dem Reichen fort-
gesetzt, 1222 vollendet worden sein. Von 1275 ab wird dieselbe ur-
kundlich genannt^); der Bischof von Meissen erteilt denjenigen Ablass,
die zur Wiederherstellung der Brücke beisteuern. Da auch späterhin
immer freiwillige Beiträge und Schenkungen, Erträgnisse der auf der
Brücke errichteten Kapelle zum Bau und zur Wiederherstellung der
Brücke verwendet werden, so bleiben obige Angaben über landesherr-
liche Anlage der Brücke fraglich. Zum Schutze der Brücke wurde
Dresden frühzeitig, jedenfalls vor 1216 (civitas), mit Befestigungen ver-
sehen^). 1299 und 1310 werden muri civitatis genannt; 1353 erlaubt
der Markgraf den Bürgern, auf dem ausgetrockneten Teiche vor dem
Frauenthore nach Belieben Werke zum Schutze der Stadt anzulegen.
1359 — 1370 gewähren die Landesherren zu diesen Bauten Geldbewilli-
gungen, ausserdem 1361 den Gewinn aus dem den Bürgern über-
lassenen Salzkauf und Salzverkauf in Dresden. Ausserhalb der Mauern
befand sich, wie in Chemnitz, ein Graben (1412) und jenseits desselben
Vorstädte, die durch Zäune geschützt waren ^). Mit der Befestigung
ist Marktrecht und eigene Verwaltung eng verknüpft. In diesen
Stücken erfuhr Dresden die besondere Gunst der Landesherren, vor
allem solcher, die gern in Dresden wohnten, wie Markgraf Heinrich
von 1270 ab, sein Sohn Friedrich, der Dresden besass, Kurfürst Fried-
rich II. und endlich Ernst und Albrecht, die ihren ständigen Sitz in
Dresden nahmen^). 1481 berufen letztere zu einem Landtag in Dres-
den unter anderen Freiberger Bürger^). Von 1260 ab dürfen die
burgenses de Dresden ihre in die Stadt kommenden Schuldner pfänden;
1271 überlässt ihnen der Markgraf den bisher ihm gehörigen marctzol.
Bald versuchen sie die Schiffahrt der Pirnaer an sich zu bringen, aber
1292 noch vergeblich. 1295 werden die Ständegelder in venditorio
panni (Gewandhaus), quod kouifhuis vulgariter dicitur, sowohl die von
fremden Tuchen, besonders de Gint, Gent, wie die von Dresdener
Tuchen der Verwendung beim Brückenbau zugewiesen. 1299 sagt der
Markgraf jedem, der zur Verehrung des heiligen Kreuzes nach Dresden
kommt, Schuldner eingeschlossen, seinen Schutz auf drei Tage zu; wie
bei jeder Wallfahrt, so wurde auch hier eingekauft. Von dem Zoll-
inhaber Nikolaus Münzmeister erwarben die Bürger 1343 Zollfreiheit
für alles ihnen gehörige Kaufmannsgut und Getreide, nicht für das
durchgeführte und von hier nach anderen Orten ausgeführte. 1361
*) A. f. 8. G. 7, 1869, 11.
') Lindau, Gesch. Dresdens 1. C. d. S. r. II, 5*, 3.
•) Posse, Stadt- u. Batsverfassung von Dresden i. A. f. s. ß. N. F. 2,
1876, S. 193.
*) C. d. S. r. n, 5*, 14. 31. 56. 58. 59. 141. Richter, Verfassungs-
gescfaichte 1, 28.
^) Nach den Itinerarauf Zeichnungen des Verfassers aus C. d. S. r. II.
•) C. d. S. r. II, 12, 457.
Forschnngen znr deutschen Landes- und Volkskunde. VII. 2. 16
238
A. Simon,
erlaubten ihnen Friedrich und Balthasar, alles Salz, das nach Dresden
komme, zu kaufen und wieder zu verkaufen 0- Auch jüdische Händler
wohnten damals in Dresden, wie wir aus der Erwähnung (1375) eines
ioden hausses ersehen. 1392, 100 Jahre nach dem früheren Streit
wird wieder ein solcher mit Pirna geschlichtet; beide wollen sich zn
Lande und zu Wasser nicht hindern, Pirna behält sein Niederlagsrecht.
Umb gemeines nutzes des armuths und ihrer stad zu Dresden besten
und besserung willen, genehmigen Kurfürst Friedrich IT. und Herzog
Siegmund 1434 auf ein Jahr in jeder Woche einen freien Markt und
einen am Christabend. Es wurden noch grössere Anstrengungen ge-
macht zur Hebung der Stadt. 1443 bestätigt Kaiser Friedrich IIL
den Herzögen Friedrich und Wilhelm, daz sy in irer stete einer zu
Dresden oder zum Hayn vber Elbe ain gewondliche nyderlage aller
kaufi&nannschacz legen und machen mögen; 1455 erteilt der Kurfum
Friedrich IL der Stadt Dresden für den Festungsbau, für getreue
Dienste diese Niederlage alles Kaufmannsschatzes (Salz, Fische, Heringe.
Honig), der nach Böhmen fernerhin gebracht wird; alle nach Böhmen
bestimmten Wagen von Einheimischen und Landfremden müssen in
Dresden ausladen und feilhalten, wenn dies unterbleiben soll, Zoll
zahlen. Aus einer anderen Urkunde erfahren wir, dass diese Nieder-
lage früher in Brüx war. Einen freien Jahrmarkt hatte Dresden
vor 1472»).
Zu der alten Strasse an der Elbe entlang und von Freiberg her
nach Dresden und von da über Königsbrück (1448) nach Frank-
furt a. 0. oder über Bischofs werda und Bautzen nach Schlesien und
Polen ^) kam später eine Gebirgsstrasse zur direkten Verbindung mit
Böhmen in der Richtung auf Teplitz und Brüx*), als Dresden 1455
die Niederlage der letztgenannten Stadt bekam. Die Strasse bestand
schon vorher; bereits 1434 werden Boten, welche den freien Wochen-
markt der Dresdener verkündigen sollen, wie nach anderen Städten.
die an Dresdener Zufuhrstrassen liegen, auch nach Dippoldiswalde ge-
sendet (sonst nach Meissen, Grossenhain, Ortrand, Radeberg, Rade-
burg, Kamenz, Bischofswerda, Schluckenau, Neustadt, Pirna, Freiberg,
Wüsdruff)*).
Die Verwaltung wurde ebenso früh selbständig wie in den grös-
seren Städten Pirna, Chemnitz, Zwickau; 1260 und 1285 gab es noch
einen an das ehemalige Dorf erinnernden villicus; 1285 aber wird jeder
verpflichtet, der Besitz in der Stadt erwirbt, gesecze, wilkoere vnd ge-
wohnheit der Stadt zu beobachten. Letztere zusammen sind wohl das-
selbe, was 1299 ins municipale genannt wird. In Uebereinstimmung
damit sind 1292 magister civium, 1292 iurati, Bürgermeister und Ge-
schworene für das Stadtgericht, 1301 consules, Ratsmitglieder für die
Verwaltung vorhanden. In zweifelhaften Fällen erholte man Recht in
') C. d. S. r. II, 5*, 1. 2. 8. 11. 13. 50. 59.
') C. d. S. r. II, 5», 76. 95. 193. 222. 275. 278. 359.
>) Knothe, Brückenzoll zu Dresden i. A. f. 8. G. 1, 1868, S. 245. Haupt-
etaatsarchiv Dresd. Copiale 7, Fol. 79*>, U. 1462.
*) Schurtz, Pässe, S. 24.
*) Posse i. A. f. 8. G. N. F. 2, 1876, S. 216, S. C. d. S. r. II, 5», 139.
t)7] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 239
Leipzig, weiter in Magdeburg^). 1412 erwarb Dresden schon einmal
auf vier Jahre das bisher von einem Vogt verwaltete Stadtgericht;
immer wurde dies erneuert, bis 1484 der Kurfürst dem Rat die ge-
richte vber hals vnd handt, oberst vnd nyderst in statt und vorstetten
verkauft ^). Trotzdem wollte die Stadt innerhalb des behandelten Zeit-
raums nicht recht vorwärts kommen. Die Landesherren veranlassen
1285 alle, welche Liegenschaften in der Stadt haben, ihren persön-
lichen Wohnsitz daselbst zu nehmen, sichern 1287 den Bürgern die
fernere Benutzung der Viehweide in der Heide jenseit der Elbe zu,
ermässigen wegen Unglück und Mangel in der Stadt die Jahrbete,
suchen den Weinbau (1338 zuerst erwähnt) durch Einfuhrverbot frem-
der Weine, besonders aus Böhmen (1440), und die Leinenindustrie
durch Bannmeile (1472) zu heben. Trotzdem hören die Klagen über
Mangel, Armut und Notdurft, grosse Schulden der Stadt nicht auf
(1291, 1434, 1472, 1474) »), Dem mochte das Aussehen der Stadt
entsprechen. 1474 beschliesst der Rat: Wer bei Neubauten nach der
Strasse zu Steinmauer aufführt, soll mit einem Drittel des nötigen Kalkes,
wer auf Steinmauer das Schindeldach abbricht und mit Ziegeln deckt,
soll mit einem Drittel der Dachziegel unterstützt werden *). Ueber die
Grösse der Stadt haben wir ein Urteil der Landesregierung: Dresden
und Rochlitz sind weit geringer als Zwickau. Nach den urkundlichen
Angaben über Geschosspflichtige, Häuserzahl, Anteilnahme an Heeres-
zügen berechnet Richter für Dresden folgende Einwohnerzahlen^):
1401 3400 Einwohner
1453 3100
1477 3500
1489 3700
1501 2500
Unter den Städten, die an den von Pirna und Dresden aus-
gehenden Strassen erwuchsen oder diese Strassen anzogen, ist zuerst
Dresden am rechten Eibufer bemerkenswert. Sein Name Alden-
dresden, erst 1370 mit einem dortigen Weinberg zusammen urkund-
lich erwähnt, deutet auf grösseres Alter. Aber erst 1403 giebt Mark-
graf Wilhelm den getruwin czu Alden Dresden burgerrecht vnd den
fleg nu czu eynem wigbilde, darinne man kouffin vnd vorkouffin vnd
allirleye kouffmanschacz vnd handelunge triben vnd vben sol vnd mag
mit brauen vnd backen, mit dem Recht, Wein, Bier, Met zu schenken,
allerlei Handwerk und Innung zu haben, besonders einen frihen marg-
tag alle wochlich vflF den fritag. Doch behält er das Ober- und Nieder-
gericht. 1455 erscheinen Bürgermeister, Ratmannen und Geschworene*).
1549 werden Dresden und Altendresden zu einer Stadtgemeinde ver-
einigt, nun erst konnte von dem linkselbischen Teile als der Altstadt,
dem rechtselbischen als der Neustadt geredet werden.
*) C. d. S. r. II, 5*, 1. 5. 8. 14. 15. 25. 32. 39.
*) a. a. 0. 141. 389. ') a. a. 0. 5. 6. 7. 13. 46. 213. 359. *) a. a. 0. 366.
*) Richter, Verfassungsgeschichte 1, S. 189.
•) C. d. S. r. IT, 5», 70. 117. 277.
A. Simon, Die Verkehrsstrasaen in Sachsen. [tjg
as an der direkten Strasse von Dresden nach Böhmen gel^ene
liswalde war immer im Besitz der Markgrafen. Heinrich
et 1266 einen Streit seiner cives de Dipoldeswalde mit den
gern: nur Freiberg darf fortan für die Bergwerke Bier und alk
Lebenshedilrfnisse liefern; danach muss Dippoldiswalde da-
ereits Stadtrecht, wenigstens Marktrecht gehabt haben. Der
a daselbst soll gleichzeitig mit dem zu Freiberg begonnen
Es war auch schon befestigt; in dem Tauschvertrag von 128!'
[>pidum Dypoldswald aufgeführt '). An der Strasse von Pirna
Ohmen liegen die Bergorte BerggiesshUbel .und Gottleuba. Jener
wigt eine deutsche Gründung im AnscWuss an Bergbau an; er
; an GiesshUbel in Böhmen, das auch Bad und Mineralquelle
>er Name Gottleuba dagegen (Thal mit Bergmannshütten nach
eutet auf grösseres Älter. 1386 wird Qotelohe zuerst genannt
ist der Böhmenkönig das verpfändete etetchen Gotelojbe wieder
Ubergiebt es 1401 zugleich mit Pirna am Endpunkt der Strasse
u-kgrafen Wilhelm ').
ie Städte des Erzgebirges, vom Bergland der Elster bis zur
mtwickelten sich also, abgesehen von den Bergstädten, an d«i
fttUrlichen Yerkebrsstrassen. Der Bedeutung der letzteren ect-
die Entwickelung der Städte. Die wichtigeren Bergstädte
lie Strassen zu sich heran, alle aber behielten nach dem Sinken
-ghaues die Bedeutung, welche ihnen ihre Umgebung und die
Ihrenden Handelswege zuwiesen.
C. d. S. r. II, 12. 25. Hauptetaatmrchiv Dresd. U. 1244. Sasamilch-
, Erageb. S. 70-
C. d. S. t. IT, Ö"-, 55. 66.
Städte und Strassen im Flachlande.
Wenn die Heer- und Handelsstrassen des Flachlandes festgestellt
werden sollen, so bieten sich für unser Gebiet zwei Methoden dar, die
vereint zu einem annähernd richtigen Ziele führen können : aus älterer
Zeit müssen die früh befestigten Punkte und der Verlauf der Eriegs-
züge, aus späterer Zeit die Zollstätten und die etwa vorgeschriebenen
Handelswege bestimmt werden.
Zu den früh befestigten Punkten gehören die Burgen der Burg-
wartbezirke, die schon oben (S. 198 [26]) besprochen worden sind und
im folgenden einzeln aufgeführt werden. Ausgangspunkt der Eriegs-
züge in unser Gebiet war in karolingischer Zeit das alte Erpisfurt. Von
Erfurt aus wird 805 die thüringische oder sorbische Mark verwaltet,
die Christianisierung durch den Mainzer Bischof gefördert. Die sächsi-
schen Kaiser zogen anfangs von Magdeburg, später meist, wie die
fränkischen Kaiser, von Merseburg aus. Heinrich L, vom Kampf gegen
die Heveller kommend, wandte sich gegen die Daleminzier, nahm deren
Stammesfeste (urbs, quae dicitur Gana), die wir in dem 2,5 km west-
lich von Meissen gelegenen Jahna suchen dürfen ^) , und gründete in
demselben Jahre 928 für das zerstörte Jahna eine sicherer gelegene
Feste auf einem Berge dicht an der Elbe (urbs Misni), zugleich um
von hier aus die östlich wohnenden Milzener zu unterjochen. Natür-
lich war auch hierbei wieder sein Auge auf die dortige Stammesfeste,
Bautzen, gerichtet'). Diese drei Punkte treten in der Folge immer
als feste Ausgangs- oder Zielpunkte auf: Merseburg, Meissen, Bautzen.
Zunächst wurde das Land gesichert durch eine Anzahl KasteUe, vor
allen Dingen die üebergänge über die Elster und Pleisse, über die
vereinigte, die Zwickauer und Freiberger Mulde, die Jahna und über
die Elbe. Ebenso naheliegend als weise war die Wahl Meissens als
militärischer Stützpunkt, als Sitz für den bald eingesetzten Markgrafen,
als kirchlicher Mittelpunkt (Bischofssitz seit 968) ^) an Stelle des alten
Jahna, das in slawisch -heidnischer Zeit Mittelpunkt gewesen war.
Wege nach diesem hin mussten bestanden haben wegen der Verteidigung,
^) Posse, Markgrafen, S. 7.
*) Widukind 1, 35. Thietmar 1, 9.
") C. d. S. r. II, 2. 3; I, 1, 6. 7.
242
A. Simon,
[70
der Abgaben, des Handels. Bereits 983 wird von Otto II. in Ver-
bindung mit dem Dorfe Setleboresdorf in burgwardo Boruz dicto
(Boritz a. E.) prope fluvium, qui Albia dicitur, der Zoll an die Meissner
Kirche vergabt, welcher a civitate Belgora usque ad Misnensis ecclesiae
portum (Beigem bis Meissen) von der Schar der Händler erhoben wird;
diese durchziehen die Umgebung und überschreiten die Elbe *). Es
weist dies auf westöstlich gerichtete Verkehrswege, die wir nachher ge-
nauer verfolgen werden. Von einem gleichgerichteten, weiter südlich
gelegenen Wege hören wir schon im nächsten Jahre ; 984 zieht der Thron-
bewerber Heinrich von Bayern mit einem böhmischen Heere durch
Nisani (Dohna) und Daleminzi bis Mogelini, Mügeln, und zwar über
Meissen, welches seine Begleiter auf dem Rückwege mit List einnehmen:
er selbst zieht nach Medeburun (Magdebom am Göselbach, das einen
Pleissenübergang deckte) und von da nach Iteri (Eythra, Zwenkau gegen-
über an einem Elsterübergang) *). Von hier führte die Sia*asse nach Merse-
burg. Das dortige Stift war im Besitz der civitas Zuenkouua (Zwenkau)
und seines Forstes, forestum inter Salam ac Mildam fluvios ac Siusili
et Plisni provincias jacentem, seit 974 und der villa Iteri, die Mark-
graf Thietmar 976 wieder herausgeben musste'). In der Nähe der
Elster und des befestigten Eythra (urbs Iteri, Schloss?) besprach sich
der neugewählte Merseburger Bischof Thietmar (der Chronist), von seiner
Besitzung Egisdorf (Eisdorf südöstlich von Lützen) kommend, mit den
Unterthanen seiner Kirche. Auf demselben Wege zog er 1018 wegen
der Streitigkeiten über den oben genannten Forst, als die Wegbarkeit
der Strassen es gestattete, von Merseburg nach Chorun (Kohren, civitas
Corin war nach Aufhebung des Merseburger Bistums [981] im Jahre
983 an Magdeburg gekommen) *) und von da nach Rochlitz *), von wo
ein Weg an der Mulde und Chemnitz, der einstigen Bistumsgrenze,
aufwärts leitete. 1289 ist ein Jan von Syden (dem alten Zollort Sayda)
zu Eorun gesessin ^) ; es ging also wohl eine alte Strasse durch Kohren.
In der Nähe des alten Ueberganges Magdebom finden wir später einen
Dingstuhl für die in jenem Forste entstandenen Dorfschaften, 1291
sedes iudicialis in Rotowe, Rötha, noch näher an der Pleisse gelegen
als jenes ; derselbe ist seit Mitte des 12. Jahrhunderts dem Markgrafen
von Meissen zu Lehen aufgetragen; 1449 wird dann Schloss und Stadt
Rötha erwähnt^). Am Göselbach aufwärts zog der Weg an Muckern,
Oelzscbau und Dorf Groitzsch (Name deutet auf grod, kleine Burg)
vorüber nach Grimma. Dieses ist schon 1065®) befestigt; es war als
Muldenübergang viel bequemer als Würzen und blieb bis 1500 wich-
tiger Brückenort. Den üebergang sicherte zugleich Schloss Döben,
das später Mittelpunkt einer Burggraf schafb wurde ^). Von Grimma
führte auch ein Weg hinüber nach Altleisnig, Tragnitz, Leisnig und
verband so Freiberg mit Zwenkau und Halle. Der zu Grimma ge-
') V. d. S. r. I, 1, 53. *) Thietmar 4, 4.
*) C. d. S. r. I, 1, 18. 19. 23. *) C. d. S. r. I, 1, 31.
>) Thietmar 8, 10. *) Müller, ü. v. PL 92.
') C. d. S. r. II, 8, S. XI u. U. 17. 262.
») Opidum Grimmi, A. f. s. G. N. F. 2, 1876, S. 65.
') Märcker, Burggrafentum 1, 17.
71] Die Verkehrsstrassen in Sachsen. 243
hörige Salzzoll wurde in Grossbardau, westlich von Orimma, erhoben
(1436)^). Die ältere Hauptstrasse wendete sich wahrscheinlich von
Grimma über Mutzschen, auf dem Südrand des DöUnitzthales , über
einen der befestigten Jahnaübergänge , dann über Lommatzsch oder
Leuben nach Meissen. Mutzschen muss an einer bekannten Strasse ge-
legen haben; darauf deutet, dass Heinrich IV. 1081 die villae Musitscin,
Beliz, Milvos (Mutzschen, BöhUtz, Mahlis), ersteres mit dem grossen
Wald, einem Getreuen überträgt*). Als 1003 Boleslav von Polen
Meissen erobern wollte, zog sein Heer verwüstend bis Mügeln; die
Einwohner dieser Stadt, civitas, befestigt, retteten sich durch List^).
Die südlich davon am Erebsbache gelegene Burg Schrebitz deckte gleich-
falls die Strasse. 1064 werden 60 Hufen in burgwardo Screbiz, man
beobachte die Aehnlichkeit des Burg- und Bachnamen, dem Johannes-
kloster in Meissen übertragen*). 1161 ist ein Sifrid de Mugelin Zeuge
in einer markgräflich-meissnischen Urkunde^). Mügeln wurde bald
Besitztum und zeitweilige Residenz der Meissner Bischöfe^). 1249 ist
der Zoll daselbst in ihrem Besitz, theloneum nostrum in Mägelin ; 1337
kauften die Bischöfe auch den census in opido Mogelin ^). Die Märkte
zu Altmügeln waren gut besucht, zumal wahrscheinlich hier eine Strasse
die Haupts trasse schnitt. Sie führte von Strehia am DöUnitzbache
aufwärts und verband Strehia und Rochlitz, die Allode Ekkehards I.
von Meissen und seiner Nachkommen waren seit 1000, urkundlich seit
1005. Gunzelin von Meissen belagerte 1009 vergeblich Strehia und
steckte dann das weniger feste Rochlitz in Brand ^). An dieser Strasse
lagen die Mittelpunkte der Burgwarte Gröba (an der Döllnitzmündung),
Schrebitz, Leisnig, Colditz und Rochlitz, in welchen die Güter der
Ekkehardiner lagen nach der Urkunde, die Kaiser Heinrich III. 1046
in Rochlitz ausstellt^).
Als 1015 nach der bekannten Zerstörung Meissens die Polen die
ganze Umgegend verwüsteten, kamen sie auf ihrem Wege nach Westen
nur bis zur Jahna, nicht mehr bis Mügeln. Die Burgen an derselben
mögen sie aufgehalten haben. Es sind dies Mochau, 1190 burcwardus
Nimucowa, Zschaitz, 1046 castellum Zaviza, und Jahna; 1150 begabt
Markgraf Eonrad die burggräfliche Kapelle in Meissen mit einer villa
Celewitz (Selbitz) in burcwardo ad Gana ; als Mittelpunkt dieses Burg-
wartes darf nach der Lage der Orte Jahna selbst angenommen wer-
den ^^). Zur Reihe dieser Befestigungen gehört auch das castellum
Dobelin, das 981 an Memleben, mit diesem an Hersfeld kommt und
unter dessen Lehen 1292 als castrum aufgezählt wird. Nach 1328
wird Kloster Staucha in die Stadt Döbeln verlegt; 1339 bekommt
das Nonnenkloster vor der Stadt das Patronat der Pfarrkirche in
opido Dobelin. 1367 ist Dobelin haus vnd stat genannt ^^). Welcher
«) C. d. S. r. II, 12, 43. «) C. d. S. r. I, 1, 151.
») Thietmar 5, 22. *) C. d. S. r. I, 1, 124.
^) C. d: S. r. II, 4, 2. ^) 1334—1465 Urkunden die Bischöfe daselbst.
') C. d. S. r. II, 1, 133. 347. «) Thietmar 5, 22. 6, 36.
») C. d. S. r. I, 1, 106. **>) C. S. r. I, 1, 104; II, 4, 1.
") C. d. S. r. I, 1, 28; II, l2, 3. Müller, U. v. PI. 244. 355. 464.
Märcker a. a. 0. 2, 291.
244
A. Simon,
[72
Ton den Jahnaübergängen von der Strasse benutzt wurde, ist nicht
mehr festzustellen. Vielleicht ging dieselbe über Weitzschenhain, villa
Wisinana prope fiuvium Gan, die schon 1095 an die Meissner Kirche
kommt ^). Ebenso unbestimmt ist es beim Lommatzscher Wasser, an
dem auch ein Punkt früh befestigt war, Leuben, am Vereini^ungs-
punkt der Quellb'äche desselben: 1069 burgwardum Lovine*). Später
wurde die Strasse über das zwar weniger sichere, dafür aber bequemer
gelegene Lommatzsch nach Meissen geleitet. In Meissen wird 1446
dasLomaczschen thor genannt ^). Lommatzsch war später auch Kreuzungs-
punkt einer von Freiberg nach den Fährorten Merschwitz oder Riesa,
dann nach Orossenhain, Herzberg und Frankfurt führenden Strasse und
eben deswegen ein wichtiger Beobachtungspunkt. Hier wurden 1472
den Freibergem Wagen mit Fischen und Heringen vom Geleitsmann
aus Herzberg verkümmert^). Darum ist Lommatzsch früh befestigt:
1286 wird civitas seu oppidum Lomats mit Zensus, ohne ZoU und
Geleit vom Markgrafen verpfändet. Dann ist die Stadt im Besitz der
Meissner Burggrafen. Diesen wird 1330 der Bierzins in opido Lomacz
verliehen; 1348 geben sie den Fleischern (fleysowem czu Lomacz)
ynnunge, wie sie von alters her gewesen ist. 1355 leihen sie einer
Vikarie in Meissen ihren Zins, welchen sie in theatro sive in venditorio
panni (Gewandhaus) in Lomatz besitzen. 1408 aber verkauft Burg-
graf Heinrich stat Lommaczsch an die Markgrafen; diese verleihen
1410 die städtische Gerichtsbarkeit an Privatpersonen. 1475 wird der
Jahrmarkt, zu dem vil frombd vßlendisch volck zukeuffen vnd zuuer-
keuffen koraen, auch vast gut vnd kauffmanschatz bracht ist, nachdem
er lange Zeit im marckte Lommatzsch bestanden, nach Meissen ver-
legt, angeblich weil derselbe vnbewahrt vnd vnbeschlossen, deshalb zu
Zeiten Dieberei, Aufruhr, Zwietracht war, auch weil er von Feuers-
brunst nicht wohl verwahrt, fQr Handwerker und Eaufleute nicht Her-
berge und anders genug vorhanden seien; Stadt Meissen dagegen sei
zu solchem Handel wohl und bequemer gelegen als Lommatzsch ; doch
behält letzteres seinen Wochenmarkt wie bisher*).
Die Strasse lief also von Merseburg über Eythra-Zwenkau, Grimma,
Mutzschen, Mügeln, Lommatzsch nach Meissen. Ihre Fortsetzung fand
diese Strasse in älterer Zeit jedenfalls von Dohna oder von Pirna aus.
Der Weg zwischen Meissen (Gana) und Dohna, den Mittelpunkten alter
Gaue, war ja bekannt; er wurde von allen Heerzügen, die zwischen
Meissen und Böhmen verkehrten, benutzt. Als 1004 König Heinrich
von Merseburg aus einen Zug unternahm, um dem Polenherzog Böhmen
zu entreissen, suchte er den Feind zu täuschen, indem er Schiffe für
den Eibübergang zu Boritz und in Nisani zusammenbringen liess ; diese
List konnte nur verfangen, wenn von diesen Punkten aus Wege nach
Polen, also nach Osten führten. Es fragt sich nur, welcher Punkt im
Gau Nisani gemeint ist ^). Der bedeutendste Fährort oberhalb Meissen
>) C. d. S. r. I, 1, 170. «) C. d. S. r. I, 1, 139. •) C. d. S. r. II, 4, 100.
*) C. d. S. r. II, 12, 410. A. f. s. G. N. F. 2, 1876, S. 193.
*) Märcker, Burggrafen, S. 127. 187. ü. 56. 80. 124. C. d. S. r. II, 4, 13.
Böttiger-Flathe, Gesch. v. Sachsen 1, 338.
«) Vgl. Posse, Markgrafen, S. 61, Anm. 204.
Die Verkehrsstrassen in Sachsen.
245
war späterhin Pirna, das die Funktion des alten Gaumittelpunktes über-
nommen hatte. Der Mündung des Müglitzthales gegenüber liegt Birk-
witz, das ebenso wie Mügeln, gegenüber auf dem linken Eibufer ge-
legen , eine Zollstätte gewesen sein mag ^). Von hier oder von Pirna
führte die Strasse zuerst im Wesenitzthal aufwärts, an Liebethal vor-
über, über Jockerim-Stolpen , Burg Drebnitz, Bischofswerda , Schloss
Seitzschen oder über Göda nach Bautzen. Dieser Weg verband die
Mittelpunkte der Gaue Nisani und Milzieni; er war frühzeitig geschützt:
castrum Libenthal wird zusammen mit castrum Radberch, Wilin, oppi-
dum Radeburg 1289 aufgeführt^). Stolpen, oder wie die Meissner
Bistumsmatrikel schreibt, Stolpen alias Juckerim, war jedenfalls früh
befestigt, Drebnitz und Göda schon vor 1000. Auf Schloss Seitzschen,
als der Grenzfeste zwischen markgräflichem und polnischem Besitz, Hess
Boleslav 1018 seine Braut Oda, die von Meissen kommende Tochter
Ekkehards I., empfangen; er selbst hielt sich in Bautzen auf^). Die
Strasse war zeitweilig ganz im Besitz des Meissner Bischofs: Pirna
Yon 1291—1298*), castellum Stolpen seit 1223*), die Bischöfe wohnten
und urkundeten dort (1335—1481); die castella Trebista, Godobi wer-
den schon 1007, 1071 auch Dörfer in den Burgwarten Trebiste, Go-
dowi^, 1091 solche in burgwardo Schizani (Seitzschen) '') dem Meissner
Bischof verliehen. Bischofswerda zeigt im Namen, wem es seine Grün-
dung verdankt, wem es (innerhalb des hier behandelten Zeitraumes)
gehört. Vor 1100 war es befestigt; 1361 wird es zuerst urkundlich;
1412 werden Bürgermeister und Ratleute der stad Bischofifwerde ge-
nannt. Es ist nach der Meissner Bistumsmatrikel einer der sedes, die
alle an Strassen liegen ^).
Ebenso alt, aber ungleich bedeutender, in früherer wie in späterer
Zeit, ist die nördlich da7on gelegene Strasse von Westen nach Osten.
Auch hier sind die festen Endpunkte Merseburg und Bautzen, 1002
bemächtigt sich Boleslav der civitas Budisin und des zugehörigen
Gaues Milzieni, dann greift er sofort die urbs Striela (Strehla) an.
Sein Hauptziel war Meissen, das gewann er durch List. Pann erschien
er zu Merseburg vor König Heinrich. Auf dem Rückwege steckte er
Strehla in Brand, wohl aus Rache für das wieder verlorene Meissen.
Im nächsten Jahre will er Meissen erobern ; die Reiter , der Vortrab
überschreiten bei der Burg Zehren, Cirin, gegenüber dem Burgwart
Zadel (1074 burgwardus Zadili) die Elbe^), er selbst aber geht mit
der Hauptmacht über die Elbe nach Strehla; diesmal schonte er die
Stadt als Leibgedinge seiner an Hermann, Ekkehards Sohn, verhei-
rateten Tochter. 1004 brach König Heinrich von Merseburg auf.
Schon war er im Februar in Würzen, da kehrte er um und erneuert
im Sommer den Zug. Die Uebergänge über die Elster und Mulde
(Leipzig und Würzen) kosteten viel Zeit; er täuschte die Polen durch
*) Seh ort z, Pässe, S. 22. ') Hauptsti^atsarchiv Dresden U. 1244.
») Thietmar 8, 1. -*) C. d. S. r. II, b^, 3. 10. '^) C. d. S. r. II, 1, 96.
*) C. d. S. r. I, 1, 50. 142. ') C. d. S. r. I, 1, 1. 166.
«) C. d. S. r. II, 5^, 70. A. f. s. G. N. F. 2, 1876, S. 251. Posse, Mark-
grafen, S. 298.
•) C. d. S. r. I, 1, 145.
t i\
I
246
A. Simon,
[74
jene Aufstellung von Schiffen zu Boritz und in Nisani, zog nach
Böhmen, von da nach Bautzen und von hier nach Merseburg zurück ^).
Zehren, Zadel, Boritz, Strehla und Meissen selbst') deckten demnach
Eibübergänge. Wichtig war damals Strehla; es war in der Folgezeit
sehr gut befestigt. 1009 wurde es von Gunzelin vergeblich bestürmt^).
Auf seinem Rückzug von der Oder kam 1015 König Heinrieb über
Strehla nach Merseburg. In demselben Jahre kommen der Erzbischof
von Magdeburg und der Bischof von Merseburg aus Meissen zurück;
in Mocherini (?) empfängt letzterer die Kirchen der urbes Schkeuditz,
Taucha, Püchen, Würzen wieder, die alle an oder in der Nähe dieser
Strasse liegen^). Castellum Bichni (PQchen) kommt 1040 an Meissen^).
Ende des Jahres 1015 starb auf der Rückreise aus Polen Bischof Eido
von Meissen zu Leipzig^). Ein weiterer Uebergangspunkt über die
Elbe war Beigern (983 civitas Belgora), namentlich für Sjiegszüge
durch das Land der Liutizen, nördlich von den Milzenem, so 1010,
wahrscheinlich auch 1017, als die Liutizen bei dem schwierigen Mulden-
übergang bei Würzen ein Bild ihrer Göttin und 50 Krieger verloren ^.
In diesem Jahre übergab der König dem Thietmar, der dies selbst er-
zählt, die Kirche in Leipzig, zugleich die von Olschwitz, einer wüsten
Mark zwischen Probstheida und Connewitz, welches von der Strasse
wohl berührt werden konnte. Wenn 1065 die Burgwarte Strehla und
Boritz mit ihrem Handel und Zoll an das Naumburger Stifb vergeben
werden, wenn daselbst späterhin eine bischöflich-naumburgische Münze
besteht ®), so beweist dies die gute Verbindung dorthin und den bedeu-
tenden Handelsverkehr daselbst^). Diese nördliche Strasse wurde sogar
1080 von den durch Nisani ziehenden Böhmen benutzt; sie drangen
über Würzen bis Leipzig, zogen sich bis Würzen zurück und erwar-
teten hier den von Beigern heranziehenden Wieprecht von Groitzsch^®).
Die frühzeitige Verbindung nach Osten zeigt die Vergabung der villa
Gorelitz (Görlitz) 1071 an die Meissner Kirche, vorher schon der castella
Ostrusna, Godobi, (Trebista), Ostro und Göda, im Jahre 1007 an die-
selbe Kirche ^^). 1126 wurde in Görlitz eine Burg gebaut; Göda war
schon in vorchristlicher Zeit Mittelpunkt eines Wehr- und Gerichts-
bezirks, dementsprechend in christlicher Zeit Mittelpunkt eines Burg-
warts und einer ausgedehnten Pfarrei, die noch im 16. Jahrhundert
trotz mancher Abtrennungen 66 Dörfer umfasste ^*). Ueberhaupt ist
diese Strasse reich an kirchlichen Verwaltungszentren: Merseburg, der
Anfang, ist seit 967 Bischofssitz; Würzen, Oschatz, Riesa, Hajn
(Grossenhain), Kamenz, Löbau, Reichenbach, Görlitz, Lauban waren
sedes, Bautzen war Dekanat ^^). Von den vier Merseburger Gerichts-
*) Thietmar 5, 6. 10. 22. 6, 10. 11.
>) C. d. S. r. II, 1, 133: Der Zoll der Eibfähre kommt 1160 an das Meissner
Kapitel.
») Posse. Markgrafen, S. 69. *) Thietmar 7, 15. 16.
^) C. d. S. r. I, 1, 88. *) Thietmar 7, 18.
') a. a. 0. 6, 38. 7, 47. 48. «) C. d. S. r. II, 1, S. XX VIII.
») C. d. S. r. I, 1, 127. >°) Posse, Markgrafen, S. 187.
") C. d. S. r. I, 1, 59, 141.
") Knothe i. A. f. s. G. 5, 1867, 77, u. A. f. s. G. N. F. 2, 1867, 237.
*") Posse, Markgrafen, Exkurs III.
v^
.^a
75]
Die Yerkehrsstrassen in Sachsen.
247
stahlen war einer zu Lützen, einer zu Markranstädt , einer ante ciyi-
tatem Lipzk (vf dem cfltze, Kautz) ^). Zu CoUm bei Oschatz, wo die
Strasse yon Rochlitz und Leisnig einmündete, waren die Landdinge für
alle Freien der Mark Meissen: placidum CoUm 1185, Judicium provin-
ciale, placida provincialia Gholme 1233, 21. August, 19. September ').
Mit Recht wendet man daher auf diese wichtige Strasse Görlitz-Bautzen-
Leipzig-Merseburg die Bezeichnung strata regia an, deren Erträgnisse
nach alter Gewohnheit (seit 983 ?) 1252 dem Meissner Bischof erhalten
bleiben, welche Strasse auch bei Eamenz 1241 erwähnt wird: antiqua
strata, qua itur de Budissin contra Albiam ^). Die Entwickelung dieser
Strasse nach 1500, der Hohen Landstrasse, behandelt ausführlich Falke ^).
1308 wird zuerst der Durchgangszoll in Görlitz erwähnt, 1339 der zu
,Hayn über Elbe* ; 1339 bekommt Görlitz die Waidniederlage mit An-
weisungen für die Bürger von Naumburg und Zittau. 1341 giebt
König Johann von Böhmen der Stadt Görlitz einen Brief, dass die
Strasse aus Schlesien durch Görlitz gehen soll ^). 1374 tragen die
Bürger von Bautzen, Görlitz, Lauban, Zittau zum Bau einer Brücke
unterhalb Oderberg bei^). Markgraf Wilhelm von Meissen schliesst
1399 mit Breslau einen Vertrag, 1404 mit Krakau, durch welchen er
beiden Schutz in seinem Lande zusichert gegen Zoll zu Grossenhain
und Oschatz; 1419 wird die Strasse aus dem Meissnerland über Wal-
tersdorf und Reichenberg nach Böhmen verboten, die über Eönigs-
brück, Eamenz, Löbau, Zittau, Gabel vorgeschrieben. 1442 verhandelt
der geleytman czu Osschatzt mit Pirna "'). 1462 wird durch die schon
erwähnte Zollordnung die Hohe Landstrasse über Naumburg, Lauban,
Görlitz, Bautzen, Eamenz, Eönigsbrück vorgeschrieben, die über Fried-
land und Seidenberg nach Böhmen, die über Sagan und Priebus in die
Mark verboten; die beigefügte „Delineation* giebt für den weiteren
Verlauf Hayn, Merschwitz, Oschatz, Dahlen, Eilenburg, Leipzig an;
gleichzeitig heisst es, die Wagen und Fuhrleute und Eauf leute, welche
von Polen und Schlesien nach Leipzig, Erfurt oder Halle wollen, sollen
dieselbe Strasse über Grimma und Eilenburg fahren^). 1488 werden
die Eauf leute, die von Senftenberg kommen, gezwungen, die Strasse
auf Liebenwerda, Beigern, Eilenburg zu meiden und die Strasse auf
den Hayn, Oschatz u. s. w. zu fahren^). Der Eurfürst eröffnet 1477
zu Grossenhain eine Waidniederlage und lässt keinen Waid auf der
grossen Haudelsstrasse weiter nach Osten gehen, dadurch wurde die
Görlitzer Waidniederlage ernstlich bedroht. 1478 wird zwar auf Ver-
C. d. S. r. II, 8, anno 1291. A. f. s. G. N. F. 2, 1876, S. 200. C. d. S. r. II,
S, 15: 1287 Ranstete foreneis, Markranstädt.
«) C. d. S. r. II, 4, 399; II, 12, 2.
') C. d. S. r. II, 7, 3. Knothe im N. A. f. s. G. 5, 1884, S. 73 f.
*) A. f. 8. G. 7, 1869. 113.
^) Haaptstaatsarchiv Dresd. Loc. 10511, Aufsatz: Die Hohe Landstrasse aus
Pohlen: ebenso 1356, 1377.
*) Scriptores rerum Lusat. N. F. I, 54.
^ C. d. S. r. II, 5»», 111.
«) Hauptstaatsarchiv Dresden. Cop. 7, Fol. 77 ^ 78 ^>, 59^.
•) a. a. 0. Akten 10513.
248
A. Simon,
[76
Wendung des ungarischen Königs dieselbe zurücl^enommen, aber 1491
für immer erneuert ^).
Die Strasse zog also von Leipzig aus entweder über Würzen,
oder weil dieser üebergang zu Zeiten schwierig war, über Eilenburg
oder Grimma, dann über Oschatz, den Fährort Merschwitz, Grossen-
hain, Königsbrück, Eamenz, Bautzen, über Weissenburg oder Löbau^
später nur über letzteres, nach Reichenbach und Görlitz, von hier weiter
über Lauban nach Breslau und Erakau.
Die Bedeutung einer solchen Strasse leuchtet sofort ein. Sie yer-
band schliesslich den Mittel- und Niederrhein mit Schlesien und Polen,
den Westen mit dem Osten. Auf ihr drang anfangs Deutschtum und
Christentum und mit beiden dann ein lebhafterer Handel und die Kultur
schrittweise nach Osten yor, zuerst von der Saale bis zur Mulde, dann
bis zur Elbe, zum Queiss, der Milzenergrenze im Osten, endlich noch
weiter. Fast immer am Nordrand der Mittelgebirge verlaufend, hat
sie ebenso wie die etwas südlicher gelegene Ostweststrasse wohl ursprüng-
lich alte slawische Stammesfesten in Chutizi, deren Lage unbekannt
ist, in Daleminzi (Jahna), in Milzieni (Bautzen), also Mittelpunkte frucht-
barer, darum reich bevölkerter Gaue verknüpft. Diese und deren Ver-
treter hat sie in christlich-germanischer Zeit zu Städten umgewandelt
und zwischen denselben neue Städte entstehen lassen.
Yereinigungs- und Endpunkt der beiden Ostweststrassen , über
Mügeln und über Oschatz, war im 10. und 11. Jahrhundert Meissen.
Zugleich lag Meissen am schiffbaren Eibstrom und an der Strasse aus
Böhmen. Eben deswegen und weil von hier aus die Milzener unter-
worfen werden sollten, der Ort also Mittelpunkt eines ausgedehnten
Landes werden sollte, wurde Meissen Sitz des Markgrafen, dann des
Bischofs. Das wirkte ausserordentlich fördernd auf den Verkehr zurück.
Die urbs, der befestigte Ort, war 928 gegründet zum Schutz des
Landes; von den freien, heerbannpfiichtigen Männern, die in der Um-
gegend erobertes Land erhielten, musste ein Teil zur Verteidigung in
der urbs wohnen, ob auch wie im altdeutschen Gebiet der neunte
Mann, ist nicht zu bestimmen. Die übrigen aber waren angewiesen,
das Land zu bauen, die Stadt mit Lebensmitteln zu versehen, wofOr
sie im Falle der Not, bei Landgeflüchten, in derselben Schutz fanden *).
Nach dem Aufhören der Landesversammlungen zu Gollm war der Bote
Turm zu Meissen ihr Vereinigungspunkt ^). Das alles fahrte eine
Menge Leute nach Meissen. Auch wurde Meissen gefördert durch die
alte Vorschrift der Kirche, aus romanischen Ländern nach Deutschland
gebracht: dass Bistümer nur in Städten angelegt werden sollen. ,Wo
der Dom eines Bistums sich erhob auf deutschem Grund, da musste
die Umgebung mit Menschen gefüllt sein und gegen die Landschaft
abgeschlossen werden. Der Bischof zog an seinen Herrensitz seine grosse
Familie von kunstfertigen Unfreien ; der Heilige, dessen Gebeine in der
Kirche Wunder thaten, sammelte an hohen Festtagen grosse Volks-
») A. f. 8. G. 12, 1874, S. 274. *) Märcker, Burggrafen, 2, 118.
*) a. a. 0. 2, 5.
77] I^ie VerkehrutroBsen in Sachsen. 249
meDffea in den Stsdtraum. Auf freien Plätzen erhoben sich die Buden
der Kaufleute. Sehr früh erwarben die geistlichen Herren für Waren,
die zu den Märkten geführt wurden, auf der Strasse des Königs Schutz
und Zollfreiheit (hier strata regia), die Landschaft gewähnte sich in
die Bischofsstadt zu pilgern, in regem Marktgewdhl zu handeln. Zu-
mal wo Deutsche und Slawen kämpften, erwies sich die Eirche des
Heiligen und die Stadtmauer als das einzige Mittel, die Umgegend
dauernd zu behaupten ').' Alle Feste, alle Konzilien und Konvente sollten
in der Stadt abgehalten werden. Allerdings brachte dieser rege Ver-
kehr, die leichte Verbindung, die wichtige Stellung der Stadt grosse
Gefabren. Das Ziel der anstürmenden Slawen, mochten es Polen oder
Böhmen sein, war stets Meissen. 984 wird es von Böhmen, die von
Ml^eln zurDckkehren, besetzt; 985 muss Bischof Volkold fliehen, erst
987 kehrt er von Merseburg zurück, nachdem Meissen wieder erobert
war. Nach dem Tode des grossen Ekkehard gewinnt der polnisch
gesinnte Gunzelin Meissen durch Bestechung der meist slawischen Be-
wohner; er nimmt zuerst die Unterstadt, suburbium, und dringt dann
durch das nach Osten gel^^ne Waseerthor in die Buig'). 1009 kam
Heissen wieder in die Hand Hermanns, Ekkehards Sohn ; aber die Um-
gebung, das ganze Bistum hatte so gelitten, dass der Bischof keine
Einkünfte haUe "). 1015 erscheinen aufs neue die Polen; die Ein-
wohner lassen ihre Habe in der Unterstadt und flüchten in die Feste;
jene wird verbrannt, diese nur mit äusserster Anstrengung gebalten.
In 14 Tagen wird die zerstörte Unterstadt wieder aufgebaut, ein Be-
weis dafür, dass die Befestigung, wie die Häuser, meist nur aus Holz
bestand. Wie wenig damals die Umgegend vor den Einfällen der
Slawen sicher war, zeigt der Umstand, dass Bischof Eido aus Furcht
vor einer künftigen Verödung der Stadt und einer Schändung seines
Leichnams durch die Barbaren wiederholt bat, nicht in Meissen, son-
deni in Colditz begraben zu werden*). 1031 kehrt dauernder Friede
ein. Die fortwährenden Kriege hatten den Handel geschädigt, nicht
vernichtet.
Schon im 10. Jahrhundert bestand in der Qegend zwischen Beigem
und Meissen zu Lande wie auf der Elbe lebhafter Verkehr; das geht
aus der Urkunde von 983 hervor. Die Ablieferung des Zehnten, die
Abgabe bei Verkäufen zwang zum Verkehr mit der Stadt. Diese
wuchs; 984 stand ausserhalb der Stadt, ,vor dem Thore* eine Kirche,
St. Nikolai ^). Dass sein Handel ausgedehnt, der Geldverkebr bedeu-
tend war, zeigt die Menge der Juden, die sich bald daselbst Süden.
Gimzelin (1002—1009) wird beschuldigt, er habe den Juden die Fami-
lien von Leibeigenen verkauft. Den Juden begegnen wir auch ferner-
hin in Meissen häufig. Auf die Meissner Juden vor allen mag sich
die Judeaordnung Heinrichs des Erlauchten vom Jahre 1265 bezogen
haben, in welcher Christen und Juden rechtlich gleich stehen. Erst
von 1330 an werden von den Juden der Mark Meissen und des Pleissner-
') Freitag, Bilder aus der deuUcb. Vergaogenheit I, 420 f.
') PoBse a. a. 0. S. 50. ") C. d. S. r. I, 1, 62.
*) Tbietmar 7, 15. Posse a. a. 0. 79.
') Thietmar 4, 4.
l
250 A. Simon, [78
landes besondere, dem Landesherren zufliessende Steuern erhoben^).
Der 1370 erwähnte Judenberg zu Meissen wird 1349 vom Markgrafen
j den Bürgern zur Viehweide überlassen; 1377 kommen die hauestete
(Hofstätten) der iudenhüsere an die Bürger; dy iudenschulle, gelegen
in der Pfarre der schon erwähnten Nikolaikirche, wird dem Pfarrer
daselbst gegeben; 1455 giebt der Kurfürst den Judenkirchhoff für (vor)
Missenn zu Lehen*). Wegen der besuchten Märkte zu Meissen war
daselbst früh eine markgräfliche Münzstätte^). Die Frauenkirche wird
1205 und 1213 Marktkirche (ecclesia s. Mariae forensis in Misna) ge-
nannt. Handel und Handwerk waren freilich vom Markgrafen und von
der Geistlichkeit abhängig. 1287 ist der Zins von den Fleischbänken
im Besitz der Kirche, der von gewissen Bierhäusem und von den Brot-
bänken, mastunge, 1292 im Besitz des Markgrafen; letzterer wird
1352 vom Rat gekauft und der Brücke zugewendet. Diese, pons in
Misna, ist 1316 im Besitz des Rates; diesem gehört der Brückenzoll,
der 1355 und 1436 erhöht wird. Der Zoll in der Stadt selbst, thelo-
neum, gehört nach einer Vergabung von 1328 dem Markgrafen *). Der
Zoll der Eibfähre dagegen, theloneum, quod solvitur de transmeatione
fluminis Albiae sub urbe Misnensi, gehört dem Bischof, seit 1160 dem
Domkapitel. Erst 1480 verkauft dieses das furbergk Nedirfehr (Vor-
werk, jetzt Dorf Niederfähre) vor der Elbbrucke zcu Meissen gelegen
mit Zubehör und mit den zwei Jahrdingen und dem Halsgericht da-
selbst an dreizehn Meissner Bürger^). Der Uebergang bei Meissen,
der also später durch Brücke und Fähre zugleich vermittelt vnirde,
scheint alt zu sein. Der slawische Name des gegenüberliegenden Colin
(1225 Colonia, 1355 Kolne) deutet darauf hin: Pfahlhütten«). Das
Bierbrauen der Bürger musste eigentlich in einer Stadt mit so frucht-
barer Umgebung blühen; 1293 werden schon zwei Hopfengärten ausser-
halb der Stadtmauer erwähnt; aber die Bierhäuser waren mit Zins
belastet. Erst 1444 wird den brauenden Bürgern Bannmeile gewährt
Am frühesten werden auch hier die Schuhmacher selbständig; 1329
haben die schuworchtin einen meister (Obermeister), ein schuhuez;
an Stelle des letzteren erbaut der Rat ein neues und zugleich ein
kouf huez '). Ausserdem begegnen wir in Meissen, dem Sitz der Mark-
grafen und des Bischofs, zwei anderwärts noch nicht genannten Berofs-
arten: 1293 ist unter den Meissner Bürgern ein Goldschmied, Wuluekini;
1403 wird dem meister Pawele, markgräflichem aptekere czu Missin,
freie Wohnung und Unterstützung vom Markgrafen zugesichert, damit
er die apteke redlich halten und bestellen soll ®). 1433 kommen für
den margkt die Bezeichnungen Fjmargkt, Zalczmargkt, Frauenmargkt
vor (erinnert an eccl. s. Mariae forensis). Die Stadt hat sich yer-
grössert. 1446 vrird der Neumarkt genannt; doch scheint die Stadt
^) Böttiger-Plathe, Gesch. v. Sachsen I, 275.
») C. d. S. r. II, 4, 31. 38. 53. 108.
») C. d. S. r. II, 1, S. XXVm. *) C. d. S. r. II, 4, 3. 16. 24. 42.
^) C. d. S. r. II, 1, 52; U, 4, 142. ') C. d. S. r. II, 4, 10. 45.
') C. d. S. r. II, 4: 1161 wird ein Weiüberg der Kirche geschenkt; 1355
verkauft der Rat einen Weinberg zu Colin. C. d. S. r. II, 4, 97, 34.
») C. d. S. r. II, 1, 312; II, 4, 68.
79] Die VerkehrBstrasBen in Sachsen. 2f>l
cur Wochenmärkte gehabt zu haben, die allerdings gut besucht waren
Erst 1475 genehmigen die KurfQrsteD jene Verlegung des Lommatzschei
Jahrmarktes in das sichere und bequemer gelegene Meissen ')■
Dass die Stadt von ihrer ersten Anl^e an Festungswerke hatte
dass diese anfänglich nur aus Holz bestanden, haben wir bereits ge-
sellen. Doch wurden sie bald durch Mauern ersetzt; 1285 waren dii
muri urbis Misnensis an vielen Orten vom Alter eingestürzt und be-
durften der Wiederherstellung; die Wasserburg, aquaticum castrum
hat 1267 eine Kapelle*).
Meissen ist also, weil von Anfang an Sitz der Verwaltung unc
kirchlicher Mittelpunkt, früh ein besuchter Handelsplatz. Wie stanc
es dabei um das Bürgertum? Handel und Handwerk waren durci
Abgaben an den Landesherren oder Bischof belastet. Dazu kam seil
Mitte des 11. Jahrhunderts (zwischen 1018 und 1068) ein neuer Herr
der Bur^raf*). Die Verbindung zwischen Stadt und Land war ii
Meissen zu eng. Darum konnte hier gerade der Einäuss der Freier
auf die unfreien (des Markgrafen, Bischofs, Burggrafen), woraus dit
Etädtische Freiheit erwuchs, nur sehr allmählich wirksam werden. 131(
urkundet der Bürgermeister mit Ratspersonen und Geschworenen ; 1423
in demselben Jahre wie in Leipzig, verkauft Kurfürst Friedrich zui
Besserung der Stadt die zwei teÜ des gerichtis in wichbilde zcu Missii
obirste vnd nederste obir hals vnd band, verdingen, das gerichte obii
alle schuld mit allen bussen, wetten, gnyssen, zcugehorungen, zcinsen.
reuten vor 600 Rjnische gülden (Leipzig 1500 Rh. 6.) an die Stadt
1433 ist Wenzel Segii richter der stad Missen. 1458 bestätigt Kur-
fOrst Friedrich II. Bürgermeister und Ratspersonen *). Von den Landes-
herren, die, soweit die Itine rar auf Zeichnungen des Verfassers reichen
alle zu Meissen geurkundet, ist Friedrich II. derjenige, der am meister
in Meissen residiert haben muss (Datierungen von 1433 — 1463). 144t
fordert er den Stadtschreiber und zwei Ratsmitglieder aus Leipzig aul
zu einer Besprechung in Meissen.
Ein Gegenbild zur Entwickelung Meissens bietet in vielen Stücker
die von Leipzig. Leipzig blieb lange unbedeutend neben dem älterer
und früher erblühten Merseburg, dem Ausgangspunkt aller Unter-
nehmungen der deutschen Könige gegen den slawischen Osten. Merse-
bui^ war früh befestigt, hatte 968 wohl schon Markt-, Münz- und Zoll-
gerechtigkeit bekommen; 1004 hatte es dieselben sicher'). Kaufleutf
und Juden mussten dem Stift Zoll zahlen. Leipzig, ein altes Fischer-
dorf, war durch die Lage an der Mündung der Parthe und an dei
Vereinigung der Pleisse und Elster sicher. Dazu war es früh befestigt:
1015 wird urbs Libzi erwähnt^). Es war sogar durch die zvrisches
der urbs und der Parthe und Pleisse liegende Altenburg noch mehi
gesichert. Dies, sowie der Umstand, dass es damals noch Reichsgui
war, während der umhegende Forst seit 974 zu Merseburg gehörte ').
') C. d. S. r. n, 4, 79. 100. 131. *) C. d. S. r. II, 4, 15. 12.
') Märcker. Burggrafentum. *) C. d. S. r. II, 4. 29. 75. 79. 118.
') PoBBC, Markgrafen, 298. ') Thietmar 7. 18.
Ö C. d. S. r. I, 1, 19. A. f. 8. (i. 3, 1865, S. 107.
252
A. Simon,
[80
beweist die Wichtigkeit des Ortes. Die Fiussniederung der Pleisse
und Elster ist hier schmal, wie weit auf- und abwärts an keiner Stelle,
sie biegt hier aus der Nordrichtung nach Westen um ; darum ist hier
der Uebergang der Strasse von Merseburg über Elster und Pleisse zu-
gleich und der von Magdeburg und Halle her über die Parthe. 1017
wurde die (Nikolai-)Kirche zu Leipzig, nach 1150 der Ort selbst merse-
burgisch, ^); er wurde aber dem Markgrafen zu Lehen aufgetragen.
1200 nennt Markgraf Dietrich Leipzig civitas nostra. Unter Markgraf
Otto war die Stadt vor 1170 noch starker befestigt worden*). Am
Ausgang des 12. Jahrhunderts war Leipzig der wichtigste militärische
Stützpunkt zwischen Saale und Mulde. Hierher floh 1194 und 1195
Albrecht; alle seine Festen wollte er schleifen ausser Leipzig^). Als
um 1213 zwischen den selbständiger werdenden Bürgern und dem
Markgrafen Dietrich wegen des neubegründeten Augustiner-Chorherm-
stifts St. Thömä ein Streit ausbrach, versprach 1216 der Markgraf,
weder in noch ausserhalb der Stadt neue Befestigungen anzulegen:
doch wurde die Stadt nach neuem Zwist 1217 gewonnen, die Stadt-
mauer niedergerissen, auf städtischem Boden drei Befestigungswerke
angelegt. Dies war jedoch vorübergehend. Die Bestätigung des Handels
mit fremden Eaufleuten 1268 setzt gute Befestigung, volle Sicherheit
in der Stadt selbst voraus, zumal selbst für den Fall eines Krieges
unbedingte Sicherheit für Person und Ware der Händler vom Landes-
herm zugesagt wird. 1385 beschliesst der Rat, zum Besten der Stadt
vier Hauptleute zu halten, in jedem Stadtviertel einen. Zu Leipzig
blühte nach einer Urkunde von 1395 die Büchsenmacherei. W^en
der drohenden Hussitenkriege werden 1430 die Festungswerke verstärkt;
1453 befiehlt der Rat den Stadtknechten, sich in steter Bereitschaft
zu halten; 1467 wird die Wasserfläche der Stadtgräben vermessen^).
Die Sicherheit des Ortes und die Lage am Vereinigungspunkte
zweier wichtiger Strassen, wie die von Magdeburg und Halle und von
Merseburg, in der sich die von Erfurt und Grossjena-Naumburg und
die von Wallhausen- Allstädt-Schafstädt ^) vereinigten, machten Leipzig
früh zu einem wichtigen Handelsplatz, nicht bloss für die Umgebung,
sondern auch für die weitere Feme. Das Schottenkloster zu Erfurt,
1036 gestiftet, hatte bis 1484 das Patronat über die Kirche St. Jakobi,
die im Anschluss an die Aitenburg vor dem Ranstädter Thore ent-
standen war. Aus der Zeit zwischen 1412 und 1430 sind ims Klagen
der Erfurter Kaufleute überliefert, dass die Amtleute des Merseburger
Bischofs sie belästigen; 1452 belegt der Abt des Schottenklosters zu
Erfurt den Leipziger Rat mit dem Interdikt. 1442 wird zu Leipzig
von Naumburger Bier Geleitgeld erhoben; 1444 werden die Leipziger
Bürger davon befreit^. Schon in dem Privilegium des Markgrafen
Otto wird verboten, innerhalb einer Meile um die Stadt einen Markt
anzulegen (Sachsenspiegel) ; säumige Schuldner der Bürger sollen vor den
^) C. d. S. r. I, 1, 66: Urkunde geHLlscht, Thatsachen aber unzweifelhaft
») C. d. S. r. II, 8, 2. ») C. d. S. r. II, 8, S. XVU.
*) C. d. S. r. II, 8, 6. 91. 171. 304. 418. ») Thietmar 3, 1.
«) C. d. S. r. II, 8, 527. 128. 213.
^jl Die Verkehrsatrassen in Sachsen. 253
markgräflichen Vogt (nuntius) gestellt und gezwungen werden, inner-
halb 14 Nächte zu bezahlen. Gerade letzteres, der Anfang zu dem
allmählich sich entwickelnden Handelsrecht, deutet auf einen grösseren
Verkehr. Deutlich ausgesprochen ist derselbe in dem Privilegium von
12ii8, wo Yon fremden Kaufleuten, woher sie auch seien, geredet wird.
Damit sind die blossen Jahrmärkte von frUher zu wirklichen Messen
geworden ').
Das setzt aber Strassenverbindung nicht bloss nach zwei, sondern
nach allen Seiten voraus. Die alte Strasse von Westen nach Osten,
die durch Leipzig führt, ist die strata regia ; diese wahrscheinlich wird
1284 bei, der Lehensv ergabung Merseburgs an den Markgrafen aus-
geQommen, weil sie dem Reiche gehörte*). Wo die Strasse, die von
Magdeburg und Eisleben, wo 1389 Leipziger Kaufleute beraubt werden,
nach Halle und über Schkeuditz nach Leipzig zog, die Stadt berührte,
wurde ein Zoll erhoben, der sehr bezeichnend durchzolh heisst, er
kommt 1352 an die Stadt; auf einer fwerstraze (13(51), die vom Halle-
scheu Thore zum Johaniiishospital vor dem Grimmaschen Thor leitet,
konnte die Stadt umgangen werden, die Fremden, die von Halle Salz
holten, mussten hier Geleitsgeld zahlen "). Der Weg setzte sich dann
jedenfalls über Holzhausen , Zuckelhausen , Fuchshain , Seifertshain,
Schloss, später Stadt Naunhof {1284 nova curia in den Merseburger
Besitzungen) *) nach Grimma fort. Zum Bau dieses und anderer Wege,
sowie der Brücken im Merseburger Besitz werden 1359 die umliegenden
Dörfer vom Mei'seburger Bischof neu verpflichtet; auf diesem Wege
.sollen 1426 die von Leipzig gestellten Truppen nach Pirna ziehen;
später kommt der Befehl, dass die durch Leipzig ziehenden Hilfsvölker
in Bobritsch bei Freiberg sich sammeln sollen ■''). Das war der kür-
zeste Weg nach Freiberg, Auf diesem bewegten sich später meist
die Wagen, welche von Halle Salz nach Freiberg und Böhmen fuhren
(1448) und Bretter und Schindeln dahin brachten (1472) "0- Ais in der
Zeit der Hussitennot dieser Weg bewacht wurde, schlichen sich 1429
hussitische Brandstifter von Freiberg über Chemnitz und Rochlitz nach
Leipzig. Letztere Strasse, von uns schon wiederholt berührt, führte
über Connewitz, Magdeborn, Borna, Frohburg und von hier wahr-
scheinlich über Geithain und Rochlitz, später über Kehren und Penig
nach Chemnitz. In Borna, wo die ältere Salzstrasse von Eythra-Zwenkau
einmündete , trennte sich von derselben die Strasse , welche zunächst
die Wiera, bei Regis dann die Pleisse Überschritt und an dieser auf-
wärts nach Altenburg, dem deutsch benannten, aber alten Mittelpunkte
des Gaues Plisni, von hier weiter entweder an Meerane vorüber nach
Zwickau oder über Crimmitschau und Werdau nach Plauen und weiter
nach Nürnberg führte. Heber letztgenannte Strasse fehlen ältere An-
gaben; der dapifer de Burne (Truchsess von Borna) erscheint 1254,
1288 als Zeuge in Urkunden des plauenschen Vogtes, 1290 in einer
Urkunde des Markgrafen, welche denselben Vogt und ein Geldgeschäft
') C. d. S. r. 11. 8, 2. 6. Vgl.Hasae, Gesch. der Leipz. Messen. 1885, S.S.
*) C. d. S. r. II. 8. 11. ') C. d. S. r. II, 8, 122. 45. 57.
*) C. d. S. r. II. 8, II. ') a. a. 0, .53, 140. 141. 152.
') C. d. S. r. II, 12, 354. 359. 41-5.
Forscbnagen zur dentachen Landea- und Volhskunde. Vll, s IT
254
A. Simon,
[82
zu Leipzig betrifft; 1357 geht Burne, hues Tnd stat, ebenso Korin, das
hus, und die stat zu Gythen (Oeithain) in Besitz desselben Vogtes über,
der damals Landrichter des Pleissenlandes war ^). Auf eben dieser
Strasse zog im Dezember 1295 König Adolf Ton' Leipzig nach Alten-
bürg, um von hier über Chemnitz Freiberg zu erreichen*). Crim-
mitschau, dessen Schloss die Strasse deckte, muss früh eine gewisse
Grösse erreicht haben; denn 1222 gründete Henricus de Cremazowe
ein Augustinerkloster daselbst; derselbe Henricus de Crimatsowa ist
1225 Zeuge in einer Urkunde des Naumburger Bischofs über die Kirchen
in Greiz und Elsterberg ^). Werdau hatte Verbindung mit Plauen;
1304 überweisen die Vögte von Plauen und Gera dem Kloster Cronsch-
witz bei Weida Zinsen in werde; 1318 übergiebt der Vogt von Plauen
mit Genehmigung des Naumburger Bischofs das Patronatsrecht der
Kirche in werde der Bergkirche in Altenburg. 1351 schwören bei
Ausstellung eines Geleitsbriefes durch den Vogt von Weida-Plauen die
Juden Mayr von Plawen, der Baruch vnd der Veyfel von Werde, des
Mayrs son^). In Neumark verband sich die Strasse mit der von
Zwickau nach Plauen. Jene folgte also bis hierher durchweg dem
Thal der Pleisse. Die letzte Strasse von Leipzig aus wurde von dem
Laufe der Elster geleitet. Sie verband Leipzig mit Zeitz, Gera, Weida,
Plauen, den wichtigsten Punkten in den altslawischen Gauen Puonzowa
(Ciza, Zeitz), Geraha (Gera), Dobna (Wida, Plawe) *). Da von Zeitz
eine alte Strasse nach Naumburg abzweigte, so war die bezeichnete
Strasse die eigentliche und natürliche^ Verkehrsader für den Zeitz-
Naumburger Bischofssprengel. In Gera bog eine zweite Strasse ab,
die über Auma, Schleiz, Gefell nach Hof leitete, eine Parallelstrajsse
für Leipzig-Altenburg-Hof; eine solche war wichtig und vorteilhaft in
Zeiten, wo Krieg oder Pest die eine Strasse für den Handel sperrte %
Die letztgenannte Strasse wurde innerhalb unseres Gebietes gedeckt
durch Zwenkau-Eythra und Groitsch-Pegau, beide zugleich an schvrie-
rigen, aber jedenfalls sehr alten Elsterübergängen gelegen für Strassen
von Merseburg nach Südosten (Leisnig, Chemnitz). Zwenkau soll schon
von König Heinrich II. Markt-, Münz- und Zollgerechtsame erhalten
haben, die aber später vergessen wurden; um dieselben zum Stapel-
recht zu steigern, sperrte Bischof Heinrich von Merseburg 1315 die
Stapelstrasse Leipzig-Pegau ^). In Pegau und Groitzsch wurde die Leip-
ziger Strasse von einer Merseburger gekreuzt, die an der Schnauder
hinauf über Lucka, wo der aus Böhmen ins Osterland einfallende König
Albrecht 1307 geschlagen wurde, nach Altenburg führte. Groitzsch
(vom slawischen grod, Verzäunung, Befestigung, Burg) ist eine sehr
alte Feste; vielleicht ist es dasselbe predium Grothomizi in pago
Chuntizi , welches 1030 König Konrad II. dem Markgrafen Hermann
^) Müller, U. V. PI. 19. 87. 97. 406.
^) Falke, Gesch. der Hohen Landstr. a. a. 0.
») Müller, ü. V. PI. 11. A. f. s. G. 2, 1864, S. 138. N. F. 1, 1875, S. 260.
*) Müller, U. V. PI. 162. 58^, 382.
*) Gaukarte bei Posse, Markgrafen.
•) Heller, Handelswege Innerdeutschlands im N. A. f. s. G. 5, 1884, S. 41.
') Schäfer, Sachsen-Chronik.
^31 I>ie VerhebrutTassen in Sacbseo. 255
schenkt'). 1067 und 1081 wurde das municipium (Stadt?) situm iuxta
Ebtram änvium nomine Groisca dem nachher betühmteQ und reichen
Grafen Wieprecht Übertragen, der nach 1083 auch Leisnig und Dom-
burg erhielt^. Im nahen Pegau gründete er ein Kloster, das 1093
geweiht wurde (1105 ein kleines Eloater in Lausigk)"), das Mutter-
kloster des Bergklosters in Chemnitz, an derselben Strasse gelegen.
Da^ Benediktinerstift Pegau hatte nachher eigene Münze *); es mag
wesentlich zur Förderung und Erweiterung der Stadt Pegau beigetragen
haben. 1367 geraten beide, Stadt und Kloster, Über die Güter des letz-
teren in Streit; 1451 verhandelt der Bürgermeister und Rat zu Pegau
mit Leipzig ^).
In Leipzig vereinigten sich also die Strassen von Halle, Merse-
burg, Naumburg, Zeitz, Altenburg-Borna, Chemnitz-Penig-Boma, Frei-
berg-Leisnig-Grimma , Meissen-Grimma , Oschatz-Wurzen und von den
Ostseestädten über Grossenhain- Würzen oder Über Eilenburg. Wegen
dieser günstigen Verbindungen, zugleich wegen der Geräumigkeit des
Ortes hielten 1190 die Wettiner einen Fürstentag in Leipzig üb. Mitten
in den Zerwürfnissen mit Markgraf Dietrich dachten die Bürger 1216
an ihre Wege und Brücken. 12()8 erwarben sie von den Landesherren
die Freiheit, dass fremde Kaufleute in ihrer Stadt unbedingt sicher
sein sollten. Vor allem suchen sie ihren Handel von fremden Einflüssen
uüd Einschränkungen frei zu machen. Sie erwerben 1270 vom Mark-
grafen das Münzwerk, Grube genannt, hatten also eigene MUnze ''),
1303 den Marktzoll, welchen 1340 ein Weidemann, dann ein Thymc
vou Colditz zu Lehen gehabt hatte. 1349 waren die Kramer zu einer
Innung vereinigt; das Recht eines Meisters der Kramer (Obermeister,
Vorstand) wurde als nutzbares Recht vom Markgrafen zu Lehen ge-
geben; über den Zins an diesen Kramermeister entbrannte 1301 ein
Streit. 1352 kauft die Stadt jenen durchzolh, der zw dem Hellischen
(Holle) thore daselbst zw Leipzeck ausgehet, vom Ritter vom Ende '),
Mit der Zeit erwarben die Leipziger gewisse Niederlassnngsrechte, zuerst
zwischen 1382 und 1401 für Wein, der von Fremden für die Bürget
aliein erst drei Tage lang feil geboten werden musste; 1443 wird das-
selbe den Nürnberger Kaufleuten gegenüber wiederholt und noch ein
Vorkaufsrecht durch den Weinmeister des Rates hinzugefügt*). 1404
erwerben die Bürger endlich vom Kurfürsten eine gemein niderlag und
erlangen zugleich eine Bestätigung ihrer dry iarmarkt, dohin zu seiner
zeidt vill volckes vnd au§Iendischer koufflewt komen. Wer etwa an
der Stadt vorbei nach Halle oder Magdeburg fuhrt, soll die Leipziger
Messen nicht mehr besuchen dürfen. Schon 1418 hatte der Kurfürst
geboten, niemand aus der Mark Meissen solle die zwei neuen Jahr-
märkte zu Magdeburg besuchen. Eine beschlossene Erhöhung des
Zolles an den Schlägen der Stadt (sehlegeschatz) von ein auf drei
Pfennige, kam, jedenfalls auf Betreiben der Bürger, nicht zur Durch-
') C. (1. S. r. I. 1, 73. ') PoBae, Markgrafen, 251 f. C. d. S. r. I, 1, 159.
') A. f. a. G. 3. 1865, S. 102. *) C. d. Ö. r. II, 1, S. XXVIII.
') flauptataaUarchiv Dresd. Dep. P. 5. C. d. S. r. II. 8, 270.
') C. d. S. r. 11, 8, S. XXXV; II, 1, S. XXVIII.
') C. d. S. r. II, 8, 63. 39. 60. 45. ') a. a. 0. 84. 220.
25G
A. Simon,
[84
führung. 1458 hatte ihnen derselbe Kurfürst zu den beiden bestehenden
Märkten zu Ostern und IMichaelis den Neujahrsmarkt verliehen, der
vom 2. — 7. Januar währen sollte; die Leipziger liessen sich diesen neuen
Markt von Kaiser Friedrich III. 14GG bestätigen; doch widerrief der-
selbe 1469 zu Gunsten der Stadt Halle dies Jabrmarktsrecht. Die Leip-
ziger wendeten sich an ihre Landesherren und auf deren Verwendung
wird das Hallesche Privilegium ausser Kraft gesetzt und das Leipziger
von neuem bestätigt ^). 1445 erwerben zwei Bürger von den Kur-
fürsten den fisch-, bering- vnd nußzcoU in Leipzig. In jeder Weise
sucht man den Handel und was damit zusammenhängt, zu fördern, zu
erleichtern. 1391 bekommt Leipzig die Erlaubnis, im Rathaus eine
Kapelle zu errichten und in dieser Gottesdienst zu halten in dem Falle,
dass über die Stadt das Interdikt, über den Rat der Bann verhängt
würde. So konnte dann die Stadt ungestört ihren Handel weiter f&hren,
von fremden Händlern ungestört besucht werden. Da die Sache beim
Propst zu St. Thomas auf Widerspruch stiess, so weihte ein Bischof
aus Meissen 1394 dieselbe. 1419 gewährt der Papst das Recht, das«;
mit dem Kirchenbann Belegte nach Leipzig kommen und sich daselbst
aufhalten dürfen^). 1452 wird erlaubt, da die Schmiede nach einer
Ratsordnung von 1359 ausserhalb der Stadtmauer wohnen müssen, dass
in allen Häusern der Stadt Schlösser und Nägel verkauft werden dürfen.
1454 wird zwar verordnet, dass mit Fremden kein Compagniegeschäft
betrieben werden solle; doch wird 1464 gestattet, dass ein burger mit
einem vMendischen gaste geselschaft haben mag vff ein anczal, der
helfte, eins drittenteils , mynner oder mehr. Wie anderwärts bestand
auch hier eine Ratswage: zu dieser sollen Thorwärter und Wirte (1464)
alle Fuhrleute weisen; dabei dürfen nur geschworene Läder (1454, 1464)
das Zentnergut abladen, aufmachen, wiegen, aufzeichnen und was un-
geöffnet durchgehen soll, versiegeln. Der damals gemachte Vorschlag,
ein Haus zu erbauen mit Kammern zur Niederlage, zur Wage, zum
Handel ausser den Märkten (Transitlager, Zollniederlage, Markthalle),
ging nicht durch. An Stelle des bisherigen Marktvogtes werden jetzt
mehrere bestellt ^). üeber den Kramhandel war so mancher Streit
gewesen. Ursprünglich hatten die Krambuden wie in Halle auf dem
Markt gestanden. Er wurde 1466 freigegeben: hinforder mag eyn
ieglicher burger vnde burgerynne in sinem huße allirley cramerye feil
habin, ap ouch der adir die in den kramen nicht hußir betten, vnde die
kremer (Mitglieder der Krammerinnung) sollin ouch nymants, der anders
burgir ist, dorin haldin noch dorin verhindern; 1484 wird sogar ge-
boten, keiner von der Kramerinnung solle täglich auf dem Markte,
sondern nur an den beiden Markttagen auf dem Markte in Buden feil
halten. Also war schon vorher der auf dem Marktplatz vereinigt ge-
wesene Kramhandel vom Markte weg in die Bürgerhäuser gezogen*).
Zur Förderung des Heringshandels, der bedeutend war, wurde 1467
die Maklergebühr für denselben und das Mass der Heringstonnen (gleich-
zeitig das der Honigtonnen, Honig vertrat damals den Zucker) fest-
') a. a. 0. 371. 253. 331. 398. 427. 432. ^) a. a. 0. 232. 98. 99. 113.
») a. a. 0. 51. 291. 317. 383. *) a. a. 0. S. XXVIII, U. 397.
S5] Die Verkehragtrajsen in Sachsen. 2Ö7
gesetzt und darüber Bericht; erstattet an die stete Herczpergk, Kolo, Berlyn,
Prenczlow, Spremberg vnde Brandenburg. Damit der Gewürzbandel
nicht geschädigt werde, erging 1469 ein Ratserlass, ein vlissigs vffsehen
zcuhaben, das von keyme kauSinanne gefelscht gut vorkaufft oder feyl
gehalten werden soll : saffran, ingeber vnd ander wurtzen, auch gleiche
Wage und gleich Gewicht '). In einem so lebhaften Handelsplatz fehlten
auch die Juden nicht; 1352 überträgt Markgraf Friedrich dem Marschall
Thynio von Colditz die scola ludaeorura; derselbe befreit V.HU den in
Leipzig angesessenen Juden Benjamin und seine Angehörigen von sture
vDd bet« und gewährt gegen entsprechende Bezahlung zwei Juden die
Aufnahme in Leipzig, einem in Altenburg. Herzog Wilhelm erteilt
einen Schutz- und Freiheitsbrief für den Juden Abraham und dessen
Angehörige in allen seinen Ländern, zuerst 1430, dann 143(3 auf acht
Jahre, nach ihrer Nahrung und Gewohnheit zu erwerben und gewinnen
und redlichen Handel zu treiben; wenn ihnen die Wohnung in Leipzig
nicht bequem ist, können sie in eine andere Stadt des Herzogs ziehen ;
sie sind zollfrei gegen eine jährliche Abgabe von 40 rhein. Gulden ^).
Durch diesen Juden Abraham wurde zu Leipzig das Geld ausgezahlt,
als Kurfürst Friedrich II. den grossen Salzzoll zu Pirna aus böhmischen
Händen kaufte^). Natürlich war Leipzig auch Geldmarkt; 12!'0 ver-
spricht Markgraf Friedrieb, ein dem Vogt von Plauen übertri^enes
Gut mit vier Mark zu lösen, welche in Leipzig ausgezahlt werden
sollen *); 1409 übernimmt der Rat zu Leipzig die Kontrahierung einer
Anleihe von 12 000 rbein. Gulden für den Landesherrn. Zu Pirna
wird 1476 geurkundet, eine Geldsumme solle auf der nächsten Leip-
ziger Ostermesse zurückgezahlt werden. Wegen dieser Bedeutung
Leipzigs für den Geldverkehr wurden die landesherrlichen Münzerlasse
immer zuerst in Leipzig verkündigt, so 1438 durch Herzog Wilhelm
filr die Märkte ^). Der Handel konnte ohne Post nicht besteben ; darum
gingen von Leipzig aus, wo später sich die ersten Postanstalten Sach-
sens im heutigen Sinne linden, schon seit Ende des 14. Jahrhunderts
direkte Boten nach Augsburg, Nürnberg, Prag, Wien, Dresden, Kölln
an der Spree (Berlin), Magdeburg, Hamburg, Braunschweig, teils zu
Fu.-s, teils reitend ").
Hand in Hand mit dem Handel entwickelte sich Uns Gewerbe,
daa durch jenen Rohstoffe und Absatz erhielt, ihn aber auch wiederum
förderte durch die gefertigten Waren. Gleichzeitig mit der Kramer-
innung tritt die vereinigte Innung der Schuster und Gerber urkundlich
auf; sie mag viel älter sein; 1349 haben dieselben das Gericht über
die Fleischer und Schuhflicker (Altbuzer); 1352 wird ihre Innung vom
Markgrafen bestätigt mit allen Rechten, wie sie dieselben von alters
her gehabt haben. Leder und Schuhwerk darf nach einer V'erordnung
Ton 1380 von Fremden nur zum Jahrmarkt, sonst Leder nur durch
Gerber aus Leipzig, Schuhwerk nur durch Schuster aus Leipzig ver-
■) a. a. 0. 409. 437. ') a. a. O. 44. C,-|. 60. 170. 188.
') C. d. S. r. 11, 5'', 111. ') Müller, ü. v. PI. 97.
') C. d. S. r. II, 8, 423; 11, 5, S. 4.'i;t; II, 8, 19.5.
') Schäfer, Gesch. des sächs. Pnstwesena 1879, S, 3.
258
A. Simon,
[8t5
kauft werden. 1414 giebt der Markgraf den Gerbern eine besondere
Innung: die früheren Erlasse bleiben in Geltung; die Schuhmacher
dürfen nicht mit Leder handeln, nasses Leder darf nicht auf dem Markt,
nur in Häusern und ausserhalb der Stadt verkauft werden ; nur Gerber-
meister dürfen in der Stadt arbeiten. Für die Schuhmacher baut der
Rat 1419 am Markt ein Schuhhaus ^). Bald nach 1368 bekamen die
Fleischer eigene Innung, wie sie die Schuhflicker (alden schoworchten,
genannt reseler) 1373 erhielten; 1442 wird den Fleischhauern die her-
gebrachte Ordnung bestätigt. Die Bäckerinnung tritt urkundlich zwar
erst 13G8 auf, bestand aber früher; 1288 wird einem Bäcker und zwei
Wollenwebern gestattet, sich in der Jakobsgemeinde vor dem Ranstadter
Thore niederzulassen, alle Bäcker und Wollenweber haben freies Recht
des Kaufs und Verkaufs, ohne Zoll und Belästigung. 1341 erwerben
die Tuchmacher neben dem Rathaus ein Haus, wo sie selbstgefertigte
und bunte Tuche verkaufen. Zu Gunsten der Stadtbäcker wird 1381
der Brotmarkt aufgehoben^). Den Schmieden, die für eine Handels-
stadt damals wichtig, die in grosser Zahl vorhanden waren, gebot 1359
der Rat mit Rücksicht auf die Feuersgefahr, wenn einer sein Haus
umbaut, wenn ein fremder Schmied sich anbaut, solle er sich ausser-
halb der Stadtmauer anbauen ^). Seit 1386 giebt es sicher eine Schneider-
innung. 1423 haben die Weissgerber, 1429 die Hutmacher, 1446 die
Kannegiesser (Zinngiesser) Innungsartikel. 1453 wird den fremden
Töpfern verboten, ausser den Jahrmärkten öfter als einmal im Viertel-
jahr nach Leipzig zu Markte zu kommen ; es bestand also eine Töpfer-
innung. 1459 wird zu Gunsten der Leipziger Bürger das Bierbrauen
auf den Dörfern der Umgebung beschränkt*). Besondere Beachtung
schenkte man dem Tuchgewerbe. Vom Jahre 1469 wird berichtet:
vmbe das hantwerg der tuchmacher zcufurdern, haben wege für sich
genomen vnd gedacht, wie man fremde meyster des hantwerckes, die
mit färbe vnd anderem, zcu den tuchen gehorendt, vmbe zcugehen
wissen, bei sich vnd alher brechte, vnnd haben deren etzHche vflf-
genommen, die dem rate sich noch dem ostermarckte herzcuwenden
zcusag getan haben, 4 aus Zwickau, die freien Umzug, freie Wohnung
auf 2 Jahre, 200 Gulden Vorschuss auf 4 Jahre, Steuerfreiheit auf
4 Jahre und freie Benutzung des Färberhauses wie andere Handwerks-
meister auf 3 Jahre, ausserdem freies Bürgerrecht und Handwerk und
für den Anfang Naturalien bekommen ; ausserdem kommen noch 5 aus
Zwickau mit geringeren Vergünstigungen, 2 aus Rochlitz und 2 ferber
vom Hayne (Leipzig und Grossenhain waren wichtig für den Waid-
handel zwischen Thüringen und dem Osten) *'*).
Nirgends lässt sich so wie hier verfolgen, wie Handel und Ge-
werbe sich zu Selbständigkeit und Blüte emporarbeiten, sich dann sei-
tens des Landesherrn oder der Stadtverwaltung Schutz und Recht er-
werben. Der im stillen aufblühende Handel, die bürgerlichen Gewerbe,
die sich ausbreiten, schaffen unter den Stadtbewohnern Freiheit und
') C. d. S. r. II, 8, 38. 42. 81. 132. ^) a. a. 0. 72. 210. 16. 34. 82.
») a. a. 0. 51. 291. *) a. a. 0. 93. 138. 169. 244. 302. 338.
'') a. a. 0. 426.
)^7] Die Verkehtastragsen in Sachsen. 259
Gleichheit. Noch 1216 gab es HerrenhÖfe mit Feldern in der Stadt
mit verschiedenartig abhängigen Bewohnern, Lehen-, Eigen-, Erbzina-
güter, letztere besonders im Besitz des Tho mask loste rs, edle Geschlechter,
Freie und Ministeriale. Das verlor sich mit der Zeit, wenn auch nur
langsam *). Das BUrgertum strebte nach rechtlicher Selbständigkeit.
Schon in der Ottonischen Urkunde (vor 1170) wird der Stadt halleschea
und raagdebui^aches Recht, Weichbild (Anzahl von Dörfeni, die in
die Stadt zu Gerichte gehen) , ein Schultheiss (decanus) für leichtere,
ein Vogt (iudex) für schwerere Vergehen gegeben; wer in der Stadt
Lehen oder Erbe kauft, darf dasselbe nur nach Weichhildrecht, secundum
fori conventionem , erwerben. Der Zwist, der bei BegrÜudung des
Thomasklosters in der Stadt entstand, weil der Markgraf dieselbe er-
zwingen wollte, ist schon berührt. 1203 erwarben die Bürger Freiheit
von der Gerichtsbarkeit der markgräflichen Vögte, die nur angesprochen
wurden, wenn Bürger und Schultheiss das Recht verweigerten. 1270
haben der Schultheiss und 12 Konsuln das Recht, Ruhestörer, Ueber-
treter der städtischen Gesetze mit Freiheitsstrafen zu belegen. 1354
versetzt Markgraf Friedrich den Leipziger Bürgern seinen voitding. Bei
NeubegrUndung des Augustiner- Chorherrenstiftes St. Thomä 1359 tritt
die alte Feindschaft hervor: kein Bürger soll Vorsprech, procurator,
eines Ordeua oder Klosters in der Stadt sein. Die Stadt kauft 1423,
gleichzeitig mit Meissen, vom Kurfürsten die Gerichte in ihrem Weich-
üilde, wie sie der Markgraf und sein Vogt bisher gehabt haben, auf
Widerruf für 15 000 rheinische Gulden. 1472 wird die Rats- und
SchöfFenschreiberei geteilt, 147G bestätigt der Landesherr den neu-
gewählten Rat*). Der Leipziger Schöppenstuhl war berühmt, nicht
nur in Sachsen, auch in Böhmen, Schlesien, Polen; alle Städte Sach-
sens, mit Ausnahme weniger Städte des Vogtlandes, die auf einige Zeit
nach böhmischen Städten gewiesen waren, führte der Rechtsgang nach
Leipzig. Das kam nicht bloss von der Nähe der alten Städte Halle
und Magdeburg, nicht bloss von seiner guten Strassenverbindung nach
allen Richtungen, sondern auch von der Tüchtigkeit des Schöppen-
ätuhles. 1325 heisst es in Pirna: die Richter und Geschworenen sollen
nach lÖtägiger Erwägung Rechtsmeinung in Dresden holen; wird ein
Urteil verworfen, dann sollen sie zu den Bürgern in Dresden gehen.
Auch Meissen führte der Rechtsgang nach Leipzig (1450), ebenso
Chemnitz (1457). In Leipzig entwickelte sich natürlich auch das Handels-
recht; darum holten die Dresdener 1478 bei den scheppenn zu Leyptczk
Rechtsbelehrung über ein gastding (Fremden-, Handelsgericht). 1432
verordnete Kurfürst Friedrich II. : Da in vnser atat zcu Lipczk ej-ne
hohe schule vnde vil meister dar jnne vnde gelarten des rechtes, so
soll nur noch von den Doktoren der Rechte und anderen Bürgern zu
Leipzig, nicht mehr zu Magdeburg, wie vordem, Rechtsbelehrung geholt
werden*). 1482 wurde vom Kurfürsten Ernst das Hofgericht ^) nach
Leipzig verlegt, dasselbe wurde nach der Landesteilung (1485) schon
U8i) zu Leipzig wieder vereinigt.
') a. a. O. S. XIV f. ') n. a. 0. 5. 7. 4Ö. Ty2. 135. 460. 48«.
') C. d. S. r. II, S»», 15; II, 4. 404; II. 6. 175. 17ti; 11, 5«, 376; II, 8, 176.
') C. d. S. r. II. 12, 482.
260
A. Simon,
[88
Eine Stadt wie Leipzig, die zu den Märkten viele Fremde (von
Augsburg, Nürnberg, aus den Hansastädten, aus Schlesien und dem
ferneren Osten) bei sich sah, hatte geräumige Herbergen. Darum hielten
die Landesherren hier bequem Hof lager, besonders Dietrich von Lands-
berg (nach den urkundlichen Daten von 1263 — 1278), von den Brüdern
Friedrich, Balthasar und Wilhelm meist der erstere (1350 — 1359),
weniger Friedrich der Streitbare, desto mehr Kurfürst Friedrich II.
(1428 — 1461), auch Ernst und Albrecht, obwohl damals Dresden schon
feste Residenz war (1465 — 1485). „Weil der Ort volkreich und ge-
räumig, die Leute wohlgesittet, auch wegen des regen Verkehrs* ^),
nahmen 1 409 Friedrich und Wilhelm 40 Magister und Doktoren nebst
Baccalaureen und Studenten in Leipzig auf; diese Fürsten imd ihre
Nachkommen haben die Universität reich dotiert *). Wegen Geräumig-
keit und guter Verbindung war der erste eigentliche Landtag 1448,
auch der dritte 1454, ebenso einer 1471 zu Leipzig (der zweite 1451
zu Grimma) ^).
Auf die Grösse der Stadt lassen Renten und Jahrbeten, die an
die Landesherren abgeliefert wurden, die Truppenmengen, die Leipzig
zu stellen hatte, schliessen. Es war am Ende des 15. Jahrhunderts
innerhalb unseres Gebietes die wohlhabendste, nach Freiberg die volk-
reichste Stadt, was seiner Lage als Verkehrsmittelpunkt Sachsens ent-
spricht.
An den von Leipzig ausgehenden Strassen entstanden in regel-
mässigen Abständen, meist an Flüssen, die zu überschreiten waren,
Städte. Wo die Strasse von dem alten Burgwart Eilenburg (1000 burg-
wardum Uenburg) *) die Parthe überschritt , entstand früh eine Burg,
civitas Chut, welche durch Otto IL an Merseburg, 1004 aber mit ihrem
territorium sive burgwardium an das Erzbistum Magdeburg kam:
Taucha. Um 1200 erbaute Erzbischof Albrecht die (wahrscheinlich
zerstörte) Burg; der dabei gelegene Flecken wurde von seinem Nach-
folger vor 1284 mit Mauern versehen; 1354 belehnt Erzbischof Otto
die Markgrafen von Meissen mit Taucha und allem, was dazu gehört '"),
Die Strasse nach dem schwierigen Muldenübergang W^urzen führte viel-
leicht einst über das Städtchen Brandis, ein Ort, den Thietmar als
Geschenk Ottos II. an Merseburg aufführt: Borintizi. Würzen war
früh befestigt, 961 civitas, 981 urbs; 961 kam es zugleich mit dem
Muldenübergang Eilenburg an Magdeburg, dann an Merseburg, wiederum
an Magdeburg, zuletzt an Meissen. Es erhellt daraus die Wichtigkeit
des Ortes, an dem eine alte Zollstätte und bereits 1213 der Sitz eines
praepositus der Meissner Kirche war^). Püchau, eine Muldenfeste,
urbs, die schon 981 erwähnt wird, konnte wie so mancher andere
Burgwart unseres Gebietes bei der Nähe Eilenburgs und Wurzens, in
^) Böttiger-Flathe, Gesch. v. Sachs. 1, 344.
2) C. d. S. r. II, 8, 176, anno U32.
') Böttiger-Flathe, Gesch. v. Sachs. 1, 411.
*) C. d. S. r. I, 1, 50.
'^) C. d. S. r. I, I, 55; II, 8, 30. Annal. Pegaw. 269. Thietmar 3, 9. 7.16.
A. f. 8. G. N. F. 3, 1877, 107.
«) Thietmar 8, 1. 9. C. d. S. r. I, 1, 3; II, 1. S. XIX; II, 4, 3.
89]
Die Verkehrsstrassen in Sachsen.
2G1
deren Gerichtsbezirk es lag, nicht zur Stadt erblühen. Die beiden
Muldenfesten Trebsen , das 1292 urkundlich vorkommt, und Nerchau,
das 1291 als villa Nirichouua nominata ultra fluvium Moldaha aus
magdeburgischem Besitz ausgetauscht wird, 997 als burgwardium
wieder an dasselbe kommt, entwickelten sich zwar zu Städten, blieben
aber unbedeutend^). Anders der alte Uebergang Grimma, wo die
Wege von Mutzschen-Meissen, Leisnig-Freiberg , von Eythra-Zwenkau
und von Leipzig sich trafen. 1065 war der Ort befestigt: opidum
Grimmi; 1216 ist Hartmannus de Crime Zeuge in einer Urkunde, die
Leipzig betriflft; 1292 ist Grimme de stat im Besitz des Landgrafen
Älbrecht (wie Zwenkau). Dem Schultheiss und den Bürgern (scultheto
in Grjmmis universisque civibus) wird 1307 Recht und Freiheit nach
altem Herkommen bestätigt. 1325 schenkt Markgraf Friedrich zur
Unterstützung des Burgbaues zuon Dorn (Torna nordöstlich Grimma)
oO Freiberger Talente. Markgraf Wilhelm begnadigt 1390 die Stadt
Gryme mit einem neuen Zoll von Gewand, Wachs, Leder, Wolle, Wein,
Heringen und Fischen ; von den Einwohnern wird die Brücke erhalten;
auf dem Markte wird kein Zoll mehr erhoben. Die zwei hergebrachten
Jahrmärkte bleiben ; von den Wochenmärkten wird einer auf dem alten,
einer auf dem „neuen" Markte abgehalten. Wegen der besuchten
Märkte war zu Grimma früh eine Münze. 1391 verpfändet der Mark-
graf den Bürgern die Gerichte und den dritten Pfennig. Nach dem
ersten Schiedsspruch zwischen Kloster Nimbschen, der Pflege um
Grimma und der Stadt über Brauen und Mälzen darf jeder Kretzschmar
im Umkreis von einer Meile um die Stadt brauen und mälzen für
seinen Ausschank, nicht für den Verkauf in Fässern. 1449 werden
die von Grimma angewiesen , nur in Chemnitz bleichen zu lassen.
Der zweite Landtag im Kurfürstentum Sachsen war 1451 in Grimma;
1458 wird der Rat zu Dresden aufgefordert, zwei Mitglieder zum Kur-
fürsten nach Grimma zu senden. Die Landesherren von Dietrich dem
Bedrängten an hielten sich gern in Grimma auf; 1289 urkundet auch
Bischof Bruno von Naumburg daselbst. 1472 leihen Ernst und Al-
brecht der Stadt einen neuen Jahrmarkt, der vier Tage währt ^).
In der Mitte zwischen der Wiera (Borna, Frohburg, Kohren) und
den nächsten beiden Muldenstädten Colditz und Rochlitz finden wir
Lausigk und Geithain. Die stat zcu Gythen, in der 1209 ein Hospital
bestand, kam 1337 an den Vogt von Plauen; der Zoll daselbst wird 1365
einem Altar in der Marktkirche zu Chemnitz geschenkt. Die Einkünfte,
welche die Stadt dem Landesherren brachte (Jahrbete, Rente), waren nicht
unbedeutend ; 1449 wird den Bürgern , die früher in Chemnitz hatten
bleichen lassen, geboten, die Bleiche in ihrer Stadt abzuthun ^). Colditz
muss früh befestigt gewesen sein; Bischof Fido von Meissen, der 1015
starb , wünschte aus Furcht vor den damals oft in Meissen erschei-
') C. d. S. r. I, 1, 37. 47; II, 4, 24.
2) Hauptstaatsarchiv Dresd. Cop. 7, Fol. 2^—6, Fol. C7. C. d. S. r. II, 1.
XXVIII; II, 5, 285; II, 6, 145; II, 8, 3. 16. Grätsch el, Berichte der Deutsch.
Oesellsch. in Leipzig, 1842, S. 65. A. f. s. G. N. F. 2, 1876, S. 65.
') Haupt«taatsarchiv Dresden 6S02. C. d. S. r. II, 6, 29. 36. 143. 145.
Müller, ü. v. PI. 406.
262
A. Simon,
[90
nenden Polen in Colditz begraben zu werden. Die Herren von Colditz
(domini de Coldiz, Koldyzc) erscheinen 1254 neben den Burggrafen
von Leisnig und dem Truchsetz von Borna in einer in Grimma aus-
gefertigten Urkunde der Vögte von Plauen und Weida, ebenso 1260,
1291 neben XJnarch von Waidenburg. Wird dadurch auf Verbindung
mit Gera und Plauen hingewiesen, so durch eine Urkunde von 1404,
in welcher der Hauptmann und Bürger von Colditz zeugen, auf Ver-
bindung mit Leipzig, durch die Streitigkeiten über die Bleiche auf
Verbindung mit Chemnitz ^). Bedeutender war einst Rochlitz. Früh
befestigt, kommt es mit Strehla um 1000 als AUod an Ekkehard von
Meissen; eben deswegen wird 1009 die urbs Rocholenzi, das Schlos?.
das weniger stark war als Strehla, verbrannt. 1046 urkundet Kaiser
Heinrich III. in Castro Rochider, Rochideh, es führte also wohl eine
Strasse vorüber. Nach Konrad dem Grossen ist Rochlitz Mittelpunkt
einer Grafschaft; eine gefälschte, erst aus dem 12. Jahrhundert stam-
mende Urkunde nennt castrum Rochedez cum adjacente pago *). 142G
giebt es daselbst Bürgermeister und Ratmannen; es stand im Verkehr
mit Leipzig, das 1469 Tuchmacher aus Rochlitz herbeizieht, und mit
Chemnitz, das Rochlitz allein von allen Städten der Umgebung 1449
eine Bleiche für seine eigenen Gewebe zugesteht').
Die wichtigste Stadt des Flachlandes zwischen Mulde und Elbe
war neben dem alten Mügeln Oschatz. Es hütete die an der DöUnitz
herab nach Strehla und Riesa führende Strasse und den Döllnitz-
Übergang der viel wichtigeren via regia, die sich hier nach den ver-
schiedenen Brückenorten der Mulde verzweigte. Darum war es be-
festigt, 1065 Oscechs opidum, hatte besuchte Märkte und eigene Münze,
zumal da in seiner Nähe, bei CoUm, das alte Landding viel Menschen
zusammenführte. 1259 wird ein Kaufmann aus Oschatz (Johannes
mercator in Ossetz, dictus de Kustraze), 1266 Vogt, Schoppen und
Ratsherren der Stadt, der Zins von zwei Fleischbänken nach Oschatzer
Münze (moneta in Ossetz) genannt. 1422 erwerben die Bürger das
Gericht in der Stadt vom Landesherren *) ; 1466 war ein Landtag
daselbst.
Von den vielen Burgwarten der Elbe von Strehla bis Pesterwitz
bei Dresden entwickelten sich nur Strehla und Riesa zu Städten. Die
Befestigungen von Strehla hüteten, wie wir gesehen haben, den in alter
Zeit namentlich für Heere sehr wichtigen Eibübergang (vielleicht eine
Furt, im Gegensatz zu Zehren) und die Grenze der Daleminzier gegen
Norden. 1065 kam der ganze Burgwart Strehla nebst Boritz an Stift
Naumburg, das hier eine Münze errichtete, was auf einen Markt hin-
weist; 1278 soll es zur Stadt erhoben worden sein *). Riesa, zwischen
der DöUnitz- und Jahnamündung gelegen, deren Thäler von Strassen
') C. d. S. r. II, 8, 76. Müller, ü. v. PI. 19. 32. 102. Posse, Mark-
grafen 80.
2) C. d. S. r. I, 146, Anm. 13.
2) Thietmar 5, 22. 6, 36. Posse, Markgrafen, 21. C. d. S. r. 1, 1, 105. 106:
IT, 6, 143. 145; II, 8, 140. 426.
*) Hauptstaatsarchiv Dresd. 6902. C. d. S. r. II, 4, 256. 310. 312; II, 8, 406.
^) C. d. S. r. II, 1, XXVIII. Lindau, Gesch. Dresdens.
.V
91]
Die Verkebrsstrassen in Sachsen,
263
.1
1 1
benutzt und vielfach befestigt waren, tritt trotzdem spät hervor; 1170
wurde daselbst ein Nonnenkloster gegründet; um dieses herum mag
sich das Städtchen gebildet haben, das klein blieb, bis es in unserer
Zeit wegen der Lage am Ausgang jener Thäler zum Bahnknotenpunkt
und deshalb wieder zum grossen Eibhafen wurde.
Jenseits der Elbe war die wichtigste Stadt der Mark Meissen
Grossenhain. Es beschützte zwei Strassen, die „Hohe Landstrasse*,
welche hier die Röder überschritt, und eine zweite, welche an der
ßöder hinauf nach Radeburg, Radeberg und Stolpen lief; eine dritte
kam von Ortrand her und ging nach Meissen, beziehentlich Dresden.
Darum war „Hayn" früh Markt und Münzstätte, Mittelpunkt eines
ausgedehnten Gerichtsbezirks; diese „Haynische Pflege ** wird besonders
unter Heinrich dem Erlauchten genannt: 1274 steht villa Owa (Nieder-
und Oberau bei Meissen) unter dem villicus zu Grossenhain; 1289 wird
civitas Hayn cum districtu erwähnt. Es war eine einträgliche Zoll-
stätte; 1323 erwirbt Markgraf Friedrich 10 Mark, 1326 45 Mark am
zcol zuom Hayn; 1367 bekommen die vogte vnd ampetliute zcu dem
Hayn Weisung, das Spital zu Meissen, seine Leute und Güter nicht
zu beschweren. Der Zoll wurde namentlich im 15. Jahrhundert ergiebig
durch den Strassenzwang , nach welchem der ganze Verkehr aus dem
Osten und Norden nach der östlichen Hälfte der Mark Meissen über
Hayn gelenkt wurde. 1443 bekamen sogar die Herzöge Friedrich und
Wilhelm die Erlaubnis, zu Dresden oder „zum Hayn über Elbe" eine
Niederlage für alle Kaufmannsgüter anzulegen, die allerdings 1455 in
Dresden in Kraft trat; dafür bekam Grossenhain 1477 (1491) die Waid-
niederlage; die Färber daselbst waren so geschätzt, dass 1477 der
Leipziger Rat zwei derselben nach Leipzig rief. „Hayn war damals
ein Knotenpunkt des europäischen Durchfuhrhandels ; doch Leipzig
war schon bedeutender wegen seiner vorteilhafteren Lage gegen den
Süden und Südwesten Deutschlands ^).'* Radeburg und Radeberg sind,
wie ihre Namen sagen, feste Punkte an der Röder. 1223 schenkt ein
Thimo de Radeberch dem Meissner Kapitel ein All od zu Gröbern ; im
Tauschvertrag des Königs Wenzel von Böhmen mit Friedrich, dem
Sohn Heinrichs des Erlauchten, 1289, wird Radeburg oppidum, Rade-
berch castrum genannt; 1300 giebt der Meissner Bischof letzteres mit
dem Friedewald an denselben König zu Lehen. Der Frydewald kommt
132G an den Markgrafen zurück, der dafür stetchen Radeburg und Dorf
und Hof Sak (Sacka an der Strasse von Grossenhain nach Königsbrück)
giebt. Im Tauschvertrag des Böhmenkönigs Karl IV. mit Friedrich,
Balthasar und Wilhelm wird Radeberg neben Elsterwerda und Ortrand
stetichen genannt *). Die Pulsnitz, Grenzfluss zwischen Dalaminza und
Milzieni, wurde von der via regia zu Königsbrück überschritten, das
eben daher seinen Namen haben mag. Es hatte auch Anteil am
Brückenzoll zu Dresden, nach welcher Stadt ihm das Geleit durch die
dürre Heide zustand. 1248 und 1208 erwähnt, Konigsbrucke , ist es
') Hauptstaatsarchiv Dresd. 12214. C. d. S. r. II, 4, 129. 50; II, 12, 25. 69.
Müller. U. V. PI. 253. 280. A. f. s. G. 7, 18G9, S. 113.
^ Hauptsaatsarchiv Dresd. 1244. 2361. 4U36. C. d. S. r. II, 4, 8; II, 5, 9.
ii
M
264
A. Simon,
[92
im 14. Jahrhundert sicher befestigt (1331 Schloss und Städtchen Königs-
brück, 1358 civitas) ; 1449 ging das stedel aus dem Besitz eines Henen
von Polenz an die Herren von Dohna über ^). Der andere Uebergang
über die Pulsnitz, Pulsnitz, wo 1226 eine Kirche, 1347 eine Feste
bestand, verdankt seine Erhebung zur Stadt weniger dem schon vor-
handenen Handel, als seinen Herren, denen dadurch eine günstigtf
Einnahmequelle erschlossen wurde; 1335 erhielt es Jahr- und Wochen-
markt, 1375 auf Ansuchen des Burggrafen von Wettin Stadtrecht -).
Kamenz, Bautzen, Weissenberg und Löbau, Reichenberg, Görlitz
dagegen sind entschieden durch die Hohe Landstrasse, Zittau durch die
Strasse nach Böhmen zu Städten geworden. Während der ganzen Dauer
der wendischen und noch lange Zeit hindurch unter deutscher Herr-
schaft gab es ausser der Landesfeste Bautzen keine Stadt in der Ober-
lausitz. Die Anlegung von Städten fällt hier erst in den Anfang des
13. Jahrhunderts. Urkundlich werden zuerst als Städte bezeichnet:
Löbau 1221, Kamenz 1225, Weissenberg 1228, Görlitz und Reichen-
bach 1238, Lauban 1268; Bernstadt wurde Mitte des 13. Jahrhunderte
angelegt, Stadt Zittau als solche 1255. Alt- und Neu-Ostritz werden
1245 mit Stadtgerechtigkeit erwähnt^). Alle diese Städte sind deutsche
Gründungen; sie bleiben auch deutsch im Gegensatz zur Umgebung,
die sie wesentlich mit germanisieren helfen.
An dem Punkte, wo die alte Handelsstrasse die Schwarze Elster
tiberschritt, lag jedenfalls ein altes Dorf. Die Herren von Vesta, ein
osterländisches Geschlecht, das um 1200 die Besitzung erwarb, er-
bauten unweit des Flusses auf einem Hügel die Burg Kamenz (kamen
= Stein). Sie bauten nach der Urkunde von 1225 *) das vorhandene
Dorf zur Stadt um, und als diese samt der Kirche abgebrannt war.
verlegten sie dieselbe auf eine höhere, sicherer gelegene Stelle ^) ; 1318
traten die Herren, nunmehr von Kamenz, zuerst hus vnd halbe stat,
bald darauf die andere Hälfte der Stadt an den Markgrafen von Branden-
burg, damaligen Herren der Oberlausitz, ab. Seitdem ist Kamenz eine
freie, landesherrliche Stadt wie Bautzen, Löbau, Görlitz. Die Bürger
beteiligten sich lebhaft am Handel, der durch ihre Stadt sich bewegte:
darum erwarben sie 1323 vom Böhmenkönig, dem damaligen Herren,
Zollfreiheit durchs ganze Bautzener Land, schlössen zur Sicherung ihres
Handels gegen Raubritter mit Bautzen und Görlitz, die seit 1329 ver-
bunden waren, ausserdem mit Löbau, Breslau, Neumarkt, Glogau, Ohlau.
Strehlen ein Achtbündnis, das der Böhmenkönig 1339 genehmigte.
') A. f. 8. G. 1, 1863, S. 425. A. f. s. G. N. F. 2, 1876, S. 237 f. C. d. S. r.
II 7 223. 231.
' "^ A. f. *8. G. 12, 1874, S. 274. a. a. 0. N. F. 2, 1876, S. 247.
') Knothe, Germanisation an der Lausitz i. A. f. G. N. F. 2, 1876.
*) C. d. S. r. II, 7», 1.
*) Solche Verlegungen mögen sehr häufig vorgekommen sein; entweder
wurde gleich zu Anfang oder später der Platz der ursprünglichen Anlage, die be-
quemer am Flusse, aber weniger günstig für den Verkehr, weniger sicher vor Ueber-
schwemmung war, verlassen. Die ursprüngliche Anlage wurde dann Stadtteil unter
dem Namen Altstadt, so in Oelsnitz i. V., Waidenburg, Alte Sitte in Zittau» Borna,
Stolpen, oder sie blieb oder wurde wieder Dorf, so bei Löbau, Leisnig, Mflgeln.
Mittweida, Oschatz, Ostritz, Waidenburg, Chemnitz, Lommatzsch.
•i;)] Die VerkebrsBtrassen in Sacbeen. 265
l:l-ji3, in welchem Jahre sich Knmenz enger mit Bautzen und Görlitz
verbindet, damit sie nicht von der Krone Böhmen getrennt werden,
erwerben die Bürger einen Salzmarkt, forum salis, mit gewohnten
Rechten'). Vom Böhmenkönig, welcher 1379 der stat zu Camencz
alle und igliche ire und der stat recht erneuert und bestätigt, kaufen
sie 1383 daa gerichte zcw Camentzs. 1395 erwirbt ein Bürger von
den Herren von Kamenz den halben Zoll, den diese zu Eamenz hatten,
1410 noch ein Achtel desselben *), Nach einem Vertrag zwischen der
Obertausitz und dem Markgrafen und dessen Städten Meissen, Dresden,
Grossenhain sollen Grenzverletzungen in Kamenz entschieden werden.
Weil verschiedene Märkte den Städten Bautzen, Löbau, Kamenz grossen
und merklichen Schaden bringen, werden die Bürgermeister der Sechs-
itüdte 1402 aufgefordert, solche Märkte, die von alters her nicht ge-
we^'n, zu verhindern. Als 1405 die Meissner Markgrafen das Kamenzer
Scbloss kaufen wollten, wehrten sich die Bürger. Der Streit mit den
Herren von Eamenz ging weiter, bis die Bürger endlich 1431 das
Schloss erwerben *). Sie erhalten 1412 die entzogene Ratskilr vom
Böhmenkönig zurtlck und bekommen 1454 einen Jahrmarkt, annuae
nundinae sive forum, der vier Tage dauert. Als der Herr von Pulsnitz
in seinem atettlein PnlEnitz einen Jahrmarkt errichtet hatte, der den
anderen Städten Schaden bringt, wird derselbe 1501 auf Betreihen der
Kamenzer widerrufen *).
Bautzen, fast in der Mitte zwischen Kamenz und Löbau, an dem
Punkte gelegen, wo die Strasse die Spree überschreitet, ist die Stamraes-
t'este der Mitzener, darum die älteste Stadtanlage, administrativer und
religiöser Mittelpunkt in slawischer wie in deutscher Zeit für die Ober-
laiiaitz*). Bei den Zügen der Polen in die Mark Meissen, die fast
alle durch Bautzen hindurch führten, wird die Stadt, Budissin civitas,
von Thietmar zuerst genannt. Eine wohl hölzerne Befestigung (1004)
umschloss die gleichfalls hölzernen Wobnungen. Um diese Zeit entstand
in Bautzen bereits eine Kirche, die älteste im Wendenlande ; um 1213
wurde hier das Kollegiatstift gegründet; 1233 ist der Budisinensis
praepositus Zeuge in einer bi schüflieben Urkunde. Auch für Ver-
waltung und Gerichtspflege blieb Bautzen später der Mittelpunkt; hier
hatte der böhmische Landrichter der Lausitz seinen Sitz: judex pro-
vincialis terrae Budisinensis ; auch noch nach 1268, als zwei Bezirke,
Bautzen und Görlitz, getrennt durch daa Löbauer Wasser, gebildet
wurden, blieb das königliche Hofgericht für Ritterdienstpflichtige in
Bautzen. Am Handel nahm Bautzen den seiner Stellung entsprechenden
Anteil; es hatte eigene MUnze; doch brauchten die Löbauer seit 1306,
wenn sie in Bautzen kauften oder verkauften, ihr Silber nicht mehr
daselbst umzuwechseln. Wegen des Handels schloss Bautzen 1229 mit
Görlitz einen Bund, der mit der Zeit durch Hinzutreten schlesischer
ucd meissnischer Städte ausserordentlich wuchs, sich schliesslich aber
zum Bund der Lausitzer Sechsstädte Kamenz, Bautzen, Löbau, Görlitz,
') C. d. S. r. II. 7«, l. 12. 15. 17. 24. ") a. i
•) a. a. 0. 46. 55. 58- 80. ') a. a. 0. UO. 67.
') N. A. f. 8. G. 5, 1884, S. 73.
266 A. Simon, [öi
Lauban, Zittau verengerte. Bei dem grossen Alter der Stadt läf^
iich die allmähliche Entwickelung der icDeren Selbständigkeit schwer
verfolgen; 1213 werden sieben Ratsmeister angestellt; 1238 wird der
tdvocatus de Budissin genannt. Der Böhmenkönig Karl soll der Stadi
;ro9se Rechte verliehen haben, wie Bierbann, Salzmarkt, Gold- -ati
jilberwechsel ; doch können das, wie aus einer urkundlichen Nachricht
'on 130ti hervorgeht, nur Bestätigungen vorhandener Rechte sein ').
Von Bautzen aus aberschritt die Strasse das Löbauer Wasser
mtweder in Weissenberg oder in Löbau. Weissenberg *) ist, wie dit
lOch vorhandene Heidenschanze andeutet, an Stelle einer alten slawischen
Medelung erbaut, aber ebenfalb eine deutsche Gründung; denn die
kVenden haben, obwohl der Name Beigem (weisser Berg) häufig vor-
romnit, für den Stadtnamen nur die Form Weisspork (Weissenburg)
!)ie deutsche Dorf anläge wurde befestigt, 1228 opidum; es wurde Sitz
tin es Vogtes und Gerichtes: 1828 advocatus de Wizenburch, und damit
andesherrliche Stadt. Im 14. Jahrhundert verlor es diese Stellung und
vurde Vasallen Stadt. Das mochte damit zusamnmnhängen , dass der
lauptverkehr von Bautzen nach Görlitz mit der Zeit die Strasse flb«r
jöbau vorzog. Zugleich mündete in Löbau die königliche (böhmische).
dien Fuhrleuten vorgeschriebene Strasse von Zittau her in die Hohe
jandstrasse ein. Während das ältere Dorf Löbau , jetzt Altlöbau , in
inem Seitenthale liegt, wurde die neue Anlage auf einem gegen i&'
jÖbauer Wasser vorspringenden HUgel errichtet, wo die erwähnten
itrassen den Fluss selbst überschritten. 1221 war dieselbe befestigt:
ipidum Lubaw. Die Stadt war immer königlich; 1328 hat ein könig-
icber Vogt, advocatus de Lubavia, welcher das Land verwaltet, seinen
Sitz in der Stadt. 1306 werden 20, 1317 noch 9, 1390 und 13('7
loch mehr Dörfer zur Stadt gewiesen, so dass 1491 36 Dörfer zum
JÖbauer Stadtgericht kamen, wo kleinere und grössere Urteile ge-
lommen und gelöst wurden ^). So erhielt die Stadt allmählich eis
.usgedehntes Weichbild, 1339 districtus Lobaviensis, 1348 wippild.
leit der Wiedervereinigung mit Böhmen hat die Stadt selbst einen
irbrichter und Schoppen, 1341 judex hereditarius. Die Bürger dürfen
jehnsgUter, die sie erworben oder noch erwerben, seit 13ü0 nach
itadtrecht besitzen. 1420 werden der Stadt die selbstgewählten Rat-
aannen von König Sigismund bestätigt. Löbau war auch kirchlicbei
littelpunkt; es hatte, wie alle Lausitzer Städte ausser Weissenburg,
inen Erzpriester. Das alles führte eine grosse Menschenmenge in die
Itadt; 1348 heisst es ausdrücklich, dass die Adeligen und deren arme
leute ihr Brot, Bier und anderes in der Stadt holen; die Schulden,
ie sie dabei machen , wollen sie in Löbau vor dem Erbrichter ver-
ntworten, nicht in dem entlegenen Bautzen, das komme zu teuer*).
Vegen der zentralen Lage Löbaus (man denke an Zittau) hielten die
Itädte der Lausitz ihre Zusammenkünfte, der Landvogt die Landes-
■) Thietmar 5. 6. 6, 9. C. d. S. r. II, 4, 8; II, T^-, 2. 5. 22. 23. 4ri.
Öttiger-Flathe, Gesch. v. Sachs. I, 266 ff.
*) A. f. B. G. N. F. 6, 1880. S. 2X7.
•) C. d. S. r. II. 7S 1. 2. ti. 9. 31. 34. 92.
') a. a. 0. 12. n, 15. 18. 39.
95] _ Die Verkehrsstrassen in Sachsen. ■ 2lS7
TersammluDgen für Ritterschaft und Städte meist in Löbau ab (letztere
im Franziskanerkloster). Dieser Verkehr , in Verbindung mit dem
Durch gangST er kehr, kam Kaufleuten, Handwerkern und Gastwirten zu
gute; 1311 wird letzteren befohlen, nicht mehr als vier Wagen in einer
Nacht zu beherbergen. Die BUrger der Stadt erhalten 130Ö das Recht,
in Bautzen zu kaufen und verkaufen, was sie wollen. 1354 erneuert
der Böhmenkönig das alte Recht der Löbauer, bei Kauf und Verkauf
iu Bautzen, Kamenz und Königsbrück von Zoll für alle Waren, von
Wegegeld (theloneum sive muta) frei zu sein. 1496 wird verordnet,
eine Meile rings um die Stadt soll niemand Handwerk betreiben noch
neue Wirtshäuser oder Malzhäuser errichten; in demselben Jahre er-
langt die Stadt einen Jahrmarkt ^). Dieselbe, seit 1339 zum Lausitzer
Städtebund gehörig, war gut befestigt, so dass die Hussiten dieselbe
142.1 und 1428 vergeblich bestürmten und erst 1431 nach einem von
ihnen gestifteten Brande Herren der Stadt wurden *).
Zittau war noch bedeutender als Löbau; nach Zittau zogen von
Norden zwei Strassen ; die eine ist schon erwähnt, sie kam von Löbau.
Einen Teil derselben hatten die Löbauer 1367 auf ihre Kosten neu
erbaut "). Sie führte Über Ebersdorf (Ebirhardisdorf prope Lobau),
Ruppersdorf, Herwigsdorf; 13(33 plünderten in beiden letztgenannten
Dörfern die durchziehenden Böhmen, 1419 zündeten Raubritter zwei
Bauernhöfe in Ruppersdorf an. Eine Nebenstrasse aus Meissen über
(Rumburg) Waltersdorf nach Reichenberg in Böhmen wird 1419 ver-
boten. Die zweite Strasse, von Görlitz Über Ostritz nach Zittau, folgte
dem Laufe der Neisse; die Seitenwege zu derselben, von Görlitz Über
Schönberg, Seidenberg, Friedland nach Reicbenberg, werden 1341 von
Seidenberg ab über Zittau nach Reichenberg gelenkt '). Für die Strasse
von Zittau über das Gebirge nach Böhmen erhielten die Zittauer
Kaufleute 1255 Zollfreiheit in ganz Böhmen, was 1305 wiederholt wird.
Die Strasse führte wohl ursprünglich über Lückendorf nach Gabel, von
wo 1312 die Böhmen gegen Zittau heranmarschieren; die Herren von
Leipa aber, die 1303 in den Besitz der Stadt kamen, bauten 1312 zur
Sicherung und Beherrschung der Strasse den Oybin {Owben); es führte
also noch eine Strasse über Olbersdorf und Oybin nach Böhmen. In
der That schreibt Johannes von Guben, der Zittauer Stadtschreiber
und Chronist: 1343 quamen Uisner her in daz laut vnd namen gewant
obene Albrechtstorf (Olbersdorf) vnd morten vnd slugen dy leytelwte
(Geleitsmannachaft) : wenne czu derselben czit worn gutir hande Iwte,
di di wayne beleyteo (Wagen begleiteten) vor dem Oyben ken der
Lrpen ; wenne (denn) czu den gezyten czoch mau die straüe ken Bern
vor die Lype vnd vor di Dobe (also Olbersdorf, Oybin, Leipa, Dauba,
Prag). Die letzte Bemerkung weist darauf bin, dass man früher oder
später anders fuhr. Schon 1347 liess König Karl zur Sicherung der
Gabeler Strasse den Karlsfrid erbauen, jetzt Ruine an der Landstrasse
nach Lückendorf; 1364 sind beide Strassen in Benutzung: in diesem
Jahre werden der Stadt di huzere Karlsfrede vnd Owyn vnd die czolle.
T/.
268
A. Simon,
[%
die in der Stadt und auf dem Gabler (1366 in einer Urkunde: czol
vnder dem newen hus, gelegen auf dem Gabler) übertragen; 1367 reist
König Karl von seinem Schlosse Hirschberg bei Dauba über Zittau nach
Bautzen; 1372 zogen die Böhmen mit Heeresmacht über Zittau in die
Mark. Als 1424 zu Petersdorf, zwischen Lückendorf und Gabel, ein
Heringstransport geplündert wurde , kam ein grosses Heer über den
Gabler, ein harter Kampf fand statt : der Karlsfrid wurde ausgebrannt,
Harte verbrannt, Albersdorf vnd Groth geplündert (Olbersdorf; Har-
thau und Grottau an der Strasse nach Reichenberg); die Zittauer
setzen den Böhmen bis Gabel nach. Bei einem neuen Kampf an der-
selben Strasse im Jahre 1426 eilen die Zittauer durch das Spitelhok
(jetzt Spitalbusch zu beiden Seiten der Gabler Strasse zwischen Eich-
graben und dem Raubschloss) und kommen dadurch den Feinden zuvor.
Wo die Strasse von Böhmen diesseits des Gebirges die Neisse
und Mandau überschritt ^) , standen vf dem werde zwischen den zwei
Wassern kretzschem für Fuhrleute und Handelsleute. Ottokerws sacz
vz dese stat, aber zu klein (deutet auf eine schon vorhandene Siede-
lung); 1255 wurde die Stadt, die erst nur umzäunt war, vergrössert
und ummauert. Von demselben König bekam die Stadt Steuerfreiheit,
Zoll- und Geleitsfreiheit in Böhmen. An die ursprüngliche Anlage
unmittelbar an der Mandau erinnert die Bemerkung aus dem Jahre 1343;
zu dieser Zeit hatte man ein hölzernes Rathaus auf dem merkte kegin
der Mandow (1354 kauften die Schöffen ein Haus und bauten ein stei-
nernes Rathaus). Der Handel der Stadt war bedeutend; Zittauer Bier
ging bis Prag. Von Sigismund (von Ungarn) erhielt die Stadt Handeb-
freiheit bis Ofen^). 1360 errichtet der Rat eyne gemeyne woge (Wage),
wogegen die Tuchmacher protestieren. Zittau wird 1469 mit einer
rechten Niederlage des tonnengutes vnd allerleye fisscherey und mit
zwei Jahrmärkten, je vier Tage lang, begnadet. 1485, also in der
Zeit, in der Görlitz mit Grossenhain über die Waidniederlage verhandelt,
geriet auch Zittau mit Görlitz über weytfure, heringk- vnd f hischnidder-
lage in Streit. Die Handelsverbindung brachte es mit sich, dass Zittau
sich 1846 dem Lausitzer Städtebund anschloss; damit löste sich all-
mählich seine Zugehörigkeit zu Böhmen. Die Handwerker erlangen
hier eine ziemliche Selbständigkeit, besonders die Tuchmacher; 13()7
entstand Zwiespalt zwischen dem Rat und den tuchmachern, fleschem.
schuworten, smeden, snydern; der Rat fürchtete die Einsprache Karls
von Böhmen, die in der Regel sehr teuer zu stehen kam. Derselbe
zog, wie die Angaben über Beten, Renten, Beiträge zu Römerzügen
darlegen, manche Summe von den Städten diesseits des Gebirges, be-
sonders von Zittau, das nach eben diesen Angaben damals die grosste
der Sechsstädte gewesen sein muss. 1359 gebot Kaiser Karl, nach
dem Brande solle man die Häuser wenigstens vorne mit Steinwänden
bis unter das Dach bauen; er unterstützte dabei die Stadt mit Kalk,
nahm derselben aber dafür den Wald und den Zoll. 1366 überliess
\-
^) Jahrbücher des Zittauer Stadtschreibers Joh. von Guben in Scriptor. rer.
Lusatic. N. F. I, 1839.
'} Böttiger-Fiathe, Gesch. v. Sachs. I, 328.
97] Die VerkehrsstrasKen in Sachsen. 269
er der Stadt ^egen entsprechende Leistung: 310 Schock jähilich) auf
zwei Jahre den czol in der stat, den czol under dem newen huse
(Gabler), daz gerichte in der Stadt und auf dem zur Stadt gehörigen
Lande, auch die zur Stadt gehörigen drei Vorwerke; dabei musste die
Stadt noch drei Festen (bei der Stadt, auf dem Gabler, Oybin) unter-
halten und die Leute daselbst beköstigen.
Die östlichste Stadt Sachsens , Oatritz (nach Hey = Ort mit
Schanze [P]), verdankt ihre Entstehung der schon erwähnten Strasse
TOS GörÜtz nach Zittau. UrsprQnglich war Ostritz ein Dorf, dicht
am linken Ufer der Neisse. Hier wurde ein Zoll erholten ; da aber die
Strasse einen grossen Bogen machen musste, um zum Orte zu ge-
langen, wurde I^eu-Ostxitz gegründet und auf dieses die Stadtgerechtig-
keit übertragen. Urkundlich tritt die Stadt erat nach Gründung des
Klosters Marienstem (vor 1234) auf; 1245 wird antiquum Ostros er-
wäliut; 1326 sind Zinsen in antiqua civitate Ostros et in novo Ostros
genannt; 1346 erscheint unter den zu oppidum Ostroz gehörigen Dörfern
auch antiquum oppidum, die Altstadt. Später errichteten die von
Ostntz ein Rathaus, bauten eine steinerne Stadtmauer mit Tboren,
hatten ein eigen Weichbild mit Dörfern, die in Ostritz zu Gerichte
gingen, führten Bier herzu und verkauften das überall auf das Land,
lieasen die Biermasse iiicht mehr zu Zittau eichen. Sie werden des-
halb 1368 von den Sechsstädten nach Zittau vorgeladen ; Schöffen
und Aebtissin erscheinen. Da aber die Verhandlungen fruchtlos sind,
so konunt es zur Fehde zwischen den Sechsstädten und Ostritz *). Es
ist das eines von vielen Beispielen, wie im Mittelalter auch der Handel
zunftmassig fiberwacht, eingeengt und in bestimmte Bahnen geleitet
wurde,
') A. f. 8. G. N. F. I, 1875, S. 202.
*) Scriptor. rer. Lnsatic. N. F. 1, 44.
Ponchnngen tor denUchen Land»- nnd Volkaliiuide. Vll.
S c li 1 u s s.
t
Die Städte, Orte, wo Handel und Handwerk erblühten, die darum
befestigt waren und dadurch allmählich Selbständigkeit erlangten, ent-
wickelten sich, abgesehen von den eigentlichen Bergstädten, an den
Verkehrsstrassen. Diese haben im Bergland wie in der Ebene einen
der Bodengestalt entsprechenden, einen natürlichen Verlauf, in früherer
Zeit noch mehr als später. Inmitten fruchtbarer Bezirke und einer
Anzahl kleinerer Ansiedelungen; meist in gewissen Abständen von-
einander; wo wichtige Strassen zusammenliefen oder eine grosse Wasser-
ader, ein schwieriges Thal kreuzten; wo die Warenzüge das Gebirge,
die Handelsgüter den Wasserweg verliessen : da machten die Eaufieut«
Halt, um zu ruhen, Zoll zu entrichten, zu handeln; da sammelte sich
eine grössere Volksmenge an ; dahin strömte die Bevölkerung der Um-
gegend; da erhob sich die Stadt. Die Strassen und die mit denselben
verknüpften Rechte gehörten ursprünglich dem König, in unserem Gre-
biet den Landesherren ; aber die etwas entwickelten Städte wussten sich
solchen Anteil an denselben zu erwerben, dass sie die Strasse selbst
und deren Handel an sich zogen und dadurch ihren Einfluss ver-
grösserten.
Die Städte Sachsens entstanden der Mehrzahl nach aus Dörfern.
Die Anfänge dieser Entwickelung liegen bei einer kleinen Anzahl im
10. und 11. Jahrhundert, die der meisten im 12. Jahrhundert; der
Hauptfortschritt in der Entwickelung Uegt im 13. und 14. Jahrhundert;
der Abschluss, namentlich die Vollendung der inneren rechtlichen
Selbständigkeit im 15. Jahrhundert. Die von Natur gegebene Lage
zur näheren und ferneren Umgebung, die Bodenbeschaffenheit gaben
den ersten Anstoss, bestimmten die langsamere oder schnellere Ent-
vnckelung und hielten dieselbe hernach innerhalb bestimmter Grenzen.
Die Menschen benutzten jene natürlichen Gegebenheiten und griffen,
soweit dies möglich, fördernd ein. So zeigt sich die Entwickelang der
Städte Sachsens vor 1500 als das Ergebnis der beiden Faktoren, welche
vor allem Gegenstand der geographischen Untersuchung sind : der ge-
gebenen Erdoberfläche und der darauf wohnenden Menschheit.
Die Karte
ist in folgender Weise konstruiert: zuerst wurden die Strassen ein-
getragen nach A. F. Zümers Neuer Chursächsischer Postcharte 1730, auf
welcher Beitpostweg, Fahrpostweg, hohe und ordentliche Landstrasse,
kleine Landstrasse unterschieden sind. Dann wurde das wenige ein-
gezeichnet, was Matthias Oeders Erste Landesvermessung des Eur-
staats Sachsen (1586 — 1607), herausgegeben von der Direktion des
Königlich Sächsischen Hauptstaatsarchivs Dresden, bearbeitet von Rüge,
1889, auf den Blättern 3, 4, 8, 9, 11, 12, 13, 16, 17 bietet. Von
den auf diese Weise erhaltenen Strassen wurden nur die in der vor-
stehenden Arbeit festgestellten Strassen beibehalten, ihr Verlauf, wo
dies geschehen konnte, nach den vorhandenen Angaben geändert. Das
benutzte Eartenmaterial ist auf S. 178 [6], Anm. 1, angegeben.
■m
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6
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BEITRÄGE
ZUR
SI
VON
D« ARTHUR GLOY
IN KIEL.
MIT 2 KARTEN UND 4 TEXTILLUSTRATIONEN.
^\ \(ii^
ihl'}^
•-«:
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENÖELHORN.
1892.
Itr»
Druck der Union Deauche VerlugagegeUBOliaft in Stattgut.
Inhalt.
KiDleitung 277 [5]
I. Hanpttefl 219 [7]
Die Dichte der Bevölkerung . 27U [T]
A. Die Karte der Siedelungsdichte 279 [7]
B. Die Dichte der ländlichen BevSlkerung und ihrer Wobu-
plätze in Schleswig-Holstein 28.". [13]
C. Ki'gebnisse dieser Untersuchung für die Karte der Siede-
lungsdichte Schleswig-Holsteios 293 [21 j
Si^hluaabetrachtung 29.', |23]
II. Hanplteil 297 [25]
Die SIedelungstypen 297 [2-''>|
I. Abschnitt 297 |3.'il
AI Igt^ meine Bemerkungen über SIedelungstypen innerhalb
<ie3 Deutschen Reiches unter besonderer Berücksichtigung
der slaniachen 297 [25]
II. Abschnitt. :iO-i [30J
Die Siede lungs typen Nordalbingiens :!02 |:)0]
A. Deutsche Siedelungs typen ■lO'i [:}01
B. Slawische SiPdelungttj pen 303 [31]
Ergebnisse ... 309 [37]
Einleitung.
Nachdem durch C. Ritter das alte Problem der Wechselbeziehungen
zwischen Natur und Menschheit wieder aufgenommen und die geo-
graphische Seite dieses Problems hervorgehoben worden war, hat es
nicht an Versuchen gefehlt, die meisterhaften Andeutungen und Aus-
führungen Ritters über die Verbreitung und Verteilung des Menschen-
i^eschlechts auf der Erde in ihrer Bedingtheit durch die Bodenverhält-
uisse systematisch weiter auszuarbeiten.
Psychologisch wirksame Elemente für die Vereinigung der Men-
schen in Städten und Dörfern sind der Geselligkeitstrieb und die Not-
wendigkeit der Arbeitsteilung, ein rein geographisches Element: das
massenhaftere Vorkommen von Gegenständen, die dem Menschen nütz-
lich sind. Das gemeinsame Schutzbedürfnis ist sowohl psychologisch
als auch ganz besonders geographisch wichtig, wie denn gerade dieses
fast allen älteren Siedelungen, namentlich denen im Bereiche der an-
tiken Kultur, den Charakter aufgedrückt hat. „Aber diese Anregungen,"
s^agt Ratzel, „schaffen zunächst nur dichte Bevölkerungen über mehr
oder weniger weite Räume hin, vereinzelte Anhäufungen erzeugen sich
dagegen da, wo bestimmte Punkte sie veranlassen, und solche Punkte
werden in erster Linie durch den Verkehr aufgesucht oder bezeichnet,
der sie zu Mittelpunkten, Kreuzungspunkten oder Wechselpunkten seiner
Strömungen macht." — Das hier kurz umschriebene Gebiet hat einen
ersten Bearbeiter bekanntlich in J. G. Kohl gefunden. Sein Buch:
•Der Verkehr und die Ansiedelungen der Menschen in ihrer Abhängig-
keit von der Gestaltung der Erdoberfläche*, Dresden und Leipzig 1841,
welches auf Grund einer reichen persönlichen Anschauung entstanden
ist, hat dann eine Anzahl von Untersuchungen angeregt, in welchen
die von Kohl entwickelten Gesetze nun auf ein bestimmtes Gebiet an-
gewandt und im einzelnen weiter entwickelt worden sind (Jansen,
Hahn, Schlatterer). Ratzeis unschätzbares Verdienst aber ist es, das
gewaltige Gebiet der Anthropogeographie in seiner ganzen Ausdehnung
erfasst und in ein geordnetes System gebracht zu haben.
Nachdem bereits im Jahre 1882 seine Anthropogeographie oder
, Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte" erschienen war, wo
eine grosse Gruppe von Wirkungen der Natur auf den Menschen zur
Darstellung kam, fügte der Verfasser im vergangenen Jahre dem ersten
noch einen zweiten Band hinzu, der .,Die geographische Verbreitung
I V;K:n-
I 1 1 . 1 ' . : ;
Vi
i
K:
278
Arthur Gloy, BeiMge zur Siedelungskunde Nordalbingiens.
['•'
des Menschen" behandelt. In diesem grundlegenden Werke entwirft
Ratzel im ersten Abschnitt „Die Umrisse des geographischen Bildes
der Menschheit**, entrollt sodann im zweiten auf breitester Grundlage
^Das Statistische", wobei die Ursachen der verschiedenen Dichtegrade,
die kartographische Darstellung derselben u. a. auf das eingehendste
erörtert werden. Der dritte Abschnitt behandelt »Die Spuren und
Werke des Menschen an der Erdoberfläche* (Lage, Form, 'Dichtigkeit
der Wohnplätze u. s. w.), der vierte endlich: „Die geographische Ver-
breitung von Völkermerkmalen".
So ist uns durch Ratzel eine ganz neue „Wissenschaftsprovinz*
erschlossen worden, für deren Erforschung und Ausbau im einzelnen
zu sorgen die Pflicht der Zukunft ist. Die wichtigsten Seitenwege
sind, wie Ratzel in der Einleitung sagt, entweder angebahnt oder wenig-
stens mit Wegweisern versehen.
Für Schleswig- Holstein ist das Problem, die Gesetze und Be-
dingungen aufzuzeigen, an welche die Bewegungen, sowie die Nieder-
lassungen der Völker begründet sind, bereits im Jahre 1861 gelöst
worden durch K. Jansen in seiner Schrift: „Die Bedingtheit des Ver-
kehrs und der Ansiedelungen der Menschen durch die Gestaltung der
Erdoberfläche, nachgewiesen insonderheit an der Cimbrischen Halbinsel".
Kiel 1861. — Da sich Jansen in der Hauptsache nur mit der wechsel-
seitigen Bedingtheit des Orts durch den Virkehr und das Strassennetz
beschäftigt, so hat er naturgemäss nur die Städte und stadtartigen
Orte in den Bereich seiner Betrachtungen gezogen. In der zweiten
Auflage seiner Schrift, welche 1886 in den „Forschungen zur deut-
schen Landes- und Volkskunde **, Bd. I, unter dem Titel „Poleographie
der Cimbrischen Halbinsel ** zum Abdruck gelangte, hat Jansen die;?e
Verhältnisse noch etwas weiter ausgeführt. Die ländlichen Siedelungen
aber blieben auch damals noch ganz unberücksichtigt.
So habe ich es denn unternommen, gerade diese einer eingehen-
deren Untersuchung zu unterziehen, indem ich aus der Fülle der von
Ratzel aufgestellten Gesichtspunkte zwei Gebiete heraushob:
I. Die Dichte der Bevölkerung, ausgedrückt durch die der
Wohnplätze und durch die Raumgrösse der Siedelungen.
II. Die Siedelungstypen.
Um die Grundlage für den ersten Hauptteil zu schaffen, galt e>
zunächst eine „Karte der Siedelungsdichte** zu entwerfen. Bei
ihrer Herstellung bin ich nach den von Ratzel, Bd. II, 2, 7, an-
gegebenen Gedanken vorgegangen, wobei sich zugleich eine Kritik dieser
vorgeschlagenen neuen Methode ergab. Es folgt sodann die Unter-
suchung der Ursachen für die verschiedene Dichte der Wohnplätze
und der Bevölkerung überhaupt, mit besonderer Berücksichtigung dej^
von mir kartographisch dargestellten Gebietes.
Bei der Behandlung der ländlichen Siedelungstypen habe ich
namentlich die slawischen berücksichtigt, welche um so mehr Beach-
tung verdienen, als sie von Ratzel unter „Physiognomie der Siede-
lungen " wohl erwähnt werden, aber nicht als im Deutschen R^ich
vorkommend.
I. Hauptteil.
Die Dichte der Bevölkerung.
A. Die Karte der Siedelungsdichte.
Im zweiten Abschnitt des zweiten Bandes der Änthropogeographit
hat Ratzel der Besprechung der bisher angewandten Metboden zui
Herstellung von Karten der Bevölkerungsdichte eiuen breiten Raun:
gewidmet, wobei er gelegentlich seine eigenen Gedanken, wie solchf
Karten eigentlich gemacht werden sollten, durchblicken lässt. — Alles
was bisher an solchen Karten vorhanden ist (abgesehen von Kettier»
und Weyhes gleich zu erwähnenden), lässt sich in zwei grosse Gnippen
scheiden. In beiden wird das Flächenkolorit verwandt zur Darstellung
der verschiedenen Dichte der Bevölkerung kleinerer Bezirke inner-
halb eines grösseren Gebietes, aber mit dem bedeutsamen Unterschiede,
dass in der einen willkürlich abgegrenzte Bezirke (Kreiseinteilung,
Quadrate, Trapeze u. s. w.), in der anderen eine den Boden- und ge-
werblichen Verhältnissen entnommene Einteilung zu Grunde gelegt
werden. Obwohl nun das letztere Verfahren dem ersteren durchaus
vorzuziehen ist, so geht es doch auch hier ohne ein mehr oder mindei
reichlich bemessenes Mass von Willkür bei der Abgrenzung der klei-
neren Bezirke nicht ab. Die beste der in diese Gruppe fallenden
Karten ist ohne Zweifel die von Sprecher von Bernegg'), welche vor
ßatzel als die , geographischste aller jetzt vorliegenden statistischer
Dichtigkeitskarten " bezeichnet wird.
Eine nach dieser zweiten Methode entworfene Karte ist die
Kettlers im Atlas des Deutschen Reichs von Andree-Peschel , Taf. 1-5,
.Dichtigkeit der Bevölkerung im Deutschen Reich". Sie enthält eine
schon ziemlich eingehende Darstellung der verschiedenen Dichte-
stufen in Schleswig-Holstein, freiUch in dem Massstab von 1 : 3000000.
Bleibt man bei diesem kleinen Massstab, so ist im Grunde auch nicht«
gegen Kettiers Verfahren einzuwenden. FUr einen grösseren Mass-
') Die VerteilunK der bodenatändigeii Bevölkerung im Rheinischen Deutsch-
land im Jahre 1820. Ööttingen 1887.
Arthur Gloy, [g
aber lässt sich ein solches Verfahren nicht billigen. Denn, weim
die Ostseite Schleswig-Holsteins, das Gebiet des Geschiebelehms.
•in grosses Granzes sich betrachten und mit einer Durchschnitts-
' bedecken lässt , so stösst dasselbe Verfahren im Westen und in
Slitte doch auf erhebliche Bedenken. Man könnte allenfallB noch
Harschsaum von Wedel bis Ripen als ein unter denselbeD Be-
ingen stehendes Qebiet herausheben und die Bewohner mit einer
dem Durchschnitt gewählten Farbe zur Darstellung bringen, wenn
; ein Umstand dagegen spräche. Es ist dies die unverhältnis-
ig dichte Besiedelung des Geest ran des, welche ihren Haupt-
d nur in der Nähe des fruchtbaren Harschlandes hat. Demnach
ten diejenigen Bewohner des Geestrandes, deren Aecker in der
ch liegen, mit unter die Zahl der Harschbewohner gerechnet
en. Aber wie wollte man dies ohne eine nur zu diesem Zwecke
irt und Stelle vorgenommene Zählung feststellen ^) ?
Han könnte nun daran denken, die Bevölkerung des Geestrande!
:i einen Streifen grösserer Dichte darzustellen, wenn nicht ein
er fortlaufender Streifen den wirklichen Verhältnissen ganz wider-
;he.
Eine noch verkehrtere Anschauung würde entstehen, wenn man
ch das ganze, zwischen Marsch und Geschiebelehm liegende, im
ftltnis zu den beiden genannten allerdings schwächer bevölierte
et mit seinen örtlich durchaus verschiedenen Boden- und Dichte-
ältnissen über einen Kamm scheren wollte. Beginnt man ab«r
hier Gebiete grösserer Dichte auszuscheiden und mit besonderen
en zu bedecken, so ist man genötigt, jene Gebiete, welche natör-
abgegrenzt werden sollten, mit unnatürlichen, willkUrUchen Kurven
m ziehen.
Warum denn nicht das ganze Farbensystem mit seinen Kurten.
Ratzel vorschlägt, kurz entschlossen tlber Bord werfen und alle
inplätze an ihrem Orte zur Darstellung bringen!
Diesen Weg haben bereits Kettler und Weyhe beschritten, letz-
■ mit seiner Bevölkerungskarte der Anhaltischen Lande, ersterer
der kartographischen Darstellung aller Städte des Deutschen Reiches
mehr als 2000 Einwohnern (im Atlas des Deutschen Reiches von
ree-Peschel). Freilich ist dies keine Dichtekarte des Deutschen
ties, und soll auch weiter nichts sein als was der Titel be-
In der Weyheschen Arbeit hätten die ausser den Ortszeichen
benen, durch ein vierfach abgestuftes Flächenkolorit dargest«lllen
h Schnitts zahlen, welche nach der vom Verfasser befolgten Methode
') Aus demselben Grunde bat Kaesemacher, dessen Untersochnng flbei
'^olkadichte der Thüringischen Triasiaulde, in den .Foischungen zur deutKbc::
BS- und Volkakunde", VI, mir erst nach fast vollendetem Abschluaa meber
t bekannt wurde, darauf verzichtet, die geologischen Formationen >.]■
iiten hinzustellen, auf welche die Dichtestufen bezogen werden kflnnten.
verhält sich der Muschelkalk auf der einen. Buntaandstein und Kenper
er anderen Seite (mit ihren günstigeren Bedingungen für die Bildung einfr
Ackerkrume) gerade ao wie der Geestrand in Schleswig-HolBtein ""
II I Beiträge zur Siedelungakuiide Noi-dalbingieiis. 281
der Ausscheidung unkultivierter Strecken u. s. w. eine ganz umfassende
Arbeit erforderten, auf der Karte lieber fortbleiben sollen. Es ist dies
eine Venneogung der geographischen mit der statistischen Darstellung.
und zwar kein Nebeneinander, sondern ein Uebereinander. Mag nun
aber Weyhe vielleicht nur der Raumersparnis wegen so verfahren sein.
so wird doch auch für eine zweite Karte durch diese Methode der
Ausscheidung gar nichts gewonnen, wenn man nicht sehen kann, wo
deoD die ausgeschiedenen Gebiete liegen ').
Die „rein geographische Darstellung der Bevölkerung auf einer
Karte' ist das Ideal Ratzeis, mit zwei Worten ausgedrückt, dass es
sich bei der Herstellung einer wirklich zweckentsprechenden Dichte-
kiirte nicht allein um das Wo ? der Bevölkerung handle, sondern auch
^&az besonders um das Warum? ,Äm passendsten," sagt Ratzel, ,wtlrde
überhaupt die Darstellung durch Punkte verschiedener Dichtigkeit er-
sebeinen, weil hier die Unnatur der scharf abgegrenzten Flächen mit
ihren Farbentönen fortfällt, ' — und was den zweiten Punkt betrifft —
.die Bevölkerungskarte ist aber hauptsächlich für die Auffindung dei
örtlichen Ursachen der Bevölkerungsdichtigkeit zu schätzen." Die Aus-
führung dieses Gedankens ist Bd. II, S. 1S7, angedeutet, wo Ratzel
sich folge ndermassen äussert: ,Rein technisch und gewissermassen
geographisch -handwerklich gesprochen, kann man sich ein Vorgehen
denken, bei welchem die Karte der Bevölkerungsdichtigkeit der Erde
als Pause aufgelegt wird auf eine geologische, eine Gehirgakarte, eine
Geffässer karte, eine Klimakarte, eine politische und eine Verkehrs karte.
Diese unmittelbaren Vergleiche und die Verarbeitung ihrer Ergebnisse
würden wir als Anwendung der geographischen Methode auf die That-
*achen der Bevölkerungsstatistik verzeichnen."
Auf Grund dieser Andeutungen ist die beifolgende Karte, ein
Ausschnitt aus der Provinz Schleswig- Ho Istein, entworfen worden.
Zu Grunde gelegt wurde die Reymannsche topographische Karte
im Massstab von 1 : 200000. Die Einwohnerzahlen beziehen sich aul
die Volkszählung vom 1. Dezember 1885, wie sie im Gemeindelexikon
lür die Provinz Schleswig- Holstein vom königl. statistischen Bureau,
Berlin 1888, veröffentlicht sind.
Der ungewöhnlich grosse, bisher bei der Herstellung von Dichte-
if arten noch nicht verwandte Massstab erwies sich als notwendig
bereits bei der Eintragung der Ortszeichen. Denn auf jeder Ueber-
äichtskarte in kleinerem Massstabe waren die (einen so wesentlichen
Bestandteil der Siedelungen in Schleswig-Holstein bildenden) Einzel-
wohnpMze oder Höfe nicht enthalten; auch hätten sie sich nur mit
Hilfe einer Lupe hineinkonstruieren, dann allerdings ohne eine solche
auch nicht wiederfinden lassen können.
Die Sohr-Berghaussche Karte im Massstab von 1 : tiOOOOO zeigt
') ,Man erhält,' bemerkt Kae.semaoher sein- trefl'end in seiner IjereiU
zitierten Arbeit über die Volkadichte der Thiliinifi sehen Triasmulde, indem ei
Bezug nimmt auf die Trfigersehe Karte von Nied.Tsehlesien, .auf diese Weist
niiht ein Bild der Volkadichte des betreffenden i.Jebietes, sondern vielmehr eint
Diohtekarte geiner Ackerbaugebiete etc."
282 Arthur Gloy, [Iji
z. B. in der Lsndschaft Eiderstedt eine Anzahl von Kirchdörfern daich
kleine Kreise dargestellt; wollte man diese nach der Angabe des Ge-
meindelexikons mit den entsprechenden Signaturen bedecken, so wurdt
ein den thatsächlichen Verhältnissen Tollstandig widersprechendes Bild
entstehen. Die Karte von Schleswig-Holstein aus dem Weimarer Geo-
graphischen Institut im Massstab von 1 : 445 000 nimmt bereits Bück-
Hicht auf langgestreckte oder aufgelockerte Dörfer, aber nur schematisch:
auch unterscheidet sie noch keine Einzelhöfe Ein Versuch, sie im
Grundlage einer Karte der Siedelungsdichte zu verwenden, ist sthi
bald hieran gescheitert.
Erst die Reymannsche topc^aphische Karte im Massstab vun
1 : 200000 erwies sich als ausreichend (vgl. die beigegebene Karte,
die die Siedelungen in acht Grössenstufen wiedergiebt). Aber alle
Schwierigkeiten waren auch durch den grösseren Massstab keineswegs
beseitigt. Beginnen wir wieder mit der Landschaft Eiderstedt. s'
liegen dort, mit Ausnahme einiger weniger geschlossenerer Ort«, «k
z. B. Tating, Welt, St. Peter, die Kirchen meist allein, während sich
die übrigen zur Gemeinde gehörigen Höfe in langer Reihe an den
Binnen- und Aussendeichen, den Gräben, Wegen entlang zerstreut
erstrecken oder auch ganz abgesondert liegen. Wohin ist das Ort^-
zeichen da zu setzen? Hat man andererseits eine grössere Anzahl loc
Gebäuden auf einem Fleck beisammen, während der Übrige Teil des
Dorfes in einer weit ausgedehnten Reihe von Einzel Wohnungen bestehi.
so sieht man .<iicb wieder vom Gemeindelexikon im Stich gelassen, in-
dem es natürlich nicht angiebt, wie viele Einwohner auf den Kem
und wie viele auf das Anhängsel des Dorfes kommen.
Es ist nun hier in der Weise vorgegangen worden , dass die
wenigen, eng bebauten Stellen durch einen mit der bebauten Fläche j^ich
deckenden Kreis, die zerstreuten Einzelhöfe durch einen Punkt he-
zeichnet wurden. Freilich liegt in diesem Verfahren WillkUr. Aber
wie soll man sie vermeiden ? Wollte man auch die eng bebauten Stellen
in die Einzelgebäude auflösen, so wäre der Massstab wieder nicht gross
genug. Der Stadt Garding mit ihren 1800 Einwohnern habe ich die
Signatur für Orte zwischen 1000 und 2000 Einwohnern nicht ror-
enthalten zu können geglaubt, obwohl ich nicht weiss, ob der Keni
wirklich 100(1 Bewohner enthält, und wie viele auf den koraeten-
artigen Schweif zu rechnen sind. Aehnlicb verhält es sich mit Olden^-
worth.
Dieselben Schwierigkeiten traten auch in dem übrigen, grösseren
Teil des hier behandelten Gebietes hervor, wo die eine Einheit bildenden
Wohnstätten entweder zu unregelmässig über eine grössere Fläche zer-
streut waren, als dass sie unter eine Signatur hätten gebracht werden
können , oder wo die Marschen- und Strassenansiedelungen vorhandeo
waren. Im Interesse der grösseren Deutlichkeit des Bildes erwies es
sich als nnthunhch, streng nach dem in Eiderstedt befolgten Prinzip
zu verfahren. War die Zerstreuung der Wohnstätten gross genug, s»
musste, namentlich an der mittleren Treene und in Schwansen, zu einer
vollständigen Auflösung in Punkte geschritten werden, wo dagegen die
bewohnte Fläche einigermassen mit der nach der Einwohnerzahl lo
11] Beiträge zur Siedelungskunde NorclalbingieiivS. 283
setzenden Signatur sich deckte, so wurde letztere gesetzt und die dar-
über hinausgreifenden Einzelwohnstätten durch Punkte angedeutet. So
entsteht aber wieder der Uebelstand, dass man in manchen Fällen nicht
weiss, ob man Punkte als Zahl für sich, als Einzelhöfe, zu betrachten
hat, oder ob man sie unter das nächstliegende grossere Ortszeichen
rechnen soll. Wollte man auf der anderen Seite gleich zu der be-
quemeren Darstellung des ganzen Ortes durch Punkte greifen, d. h.
genau die topographische Karte kopieren, so würde erstens das Ge-
samtbild an Deutlichkeit verlieren, da es schwerer ist, eine mit zahl-
losen Punkten übersäte Fläche nach der Dichtigkeit der Bevölkerung
zu schätzen, als eine mit grösseren Signaturen bedeckte, und zweitens
würde, wie schon gesagt, der Massstab der Karte als zu klein sich
erweisen, indem sie die Gestalt eines enger bebauten Platzes nur sche-
matisch durch Punkte andeutet, die keineswegs immer einem bestimmten
Gebäude entsprechen. — Es bliebe jetzt nur noch ein Weg übrig,
nämlich jedes Dorf, wenigstens jedes enger gebaute, genau in der-
^selben Gestalt (d. h. durch eine genaue Umgrenzung der von ihm be-
deckten Fläche) wiederzugeben, welche es auf der topographischen Karte
hat. Indessen ist es nicht ratsam, auch des letzten Restes statistischer
Darstellung, welche in den schematischen, nach der Einwohnerzahl ab-
gestuften Kreispunkten unserer Karte noch liegt, sich zu begeben. Die
rein topographische Wiedergabe gestattet wegen der teils lockereren,
teils wieder geschlosseneren Bauart der einzelnen Dörfer keinen sicheren
Schluss auf die Einwohnerzahl.
Je weiter nach Osten die Zeichnung vorrückte, desto mehr
schwanden die genannten üebelstände. Es rührt dies einerseits von
<ler grösseren Geschlossenheit der Dörfer des östlichen Holsteins her,
welchen zum Teil der slawische Typus mit eben jenem Hauptmerkmal
zu Grunde liegt, andererseits von dem zahlreicheren Auftreten grösserer
Güterund dem teilweise damit zusammenhängenden selteneren Erscheinen
der Einzelhöfe. Auf der Insel Fehmarn fehlen letztere fast ganz, so-
wie auch die Güter. Die Dörfer bilden dort ein vollständig in sich
geschlossenes Ganzes, so dass die auf der Karte von ihnen bedeckte
Fläche sich fast ganz genau mit der im Verhältnis zu ihrer Einwohner-
zahl zu setzenden Signatur deckt.
Die Dichtekarte eines in dieser Weise besiedelten Gebietes liesse
daher wohl auch einen kleineren Massstab zu. Es würde dies na-
mentlich auf die östlichen Provinzen des Deutschen Reiches An-
wendung finden, wo slawische „Rundlinge", „Strassendörfer" und über-
haupt geschlossenere Dörfer die überwiegende Mehrzahl bilden. Man
mQsste sich dann freilich mit den, besonders in Schlesien, aber auch
in Pommern und im Regierungsbezirk Magdeburg vertretenen, oft
stundenweit sich erstreckenden „Hagenhufendörfern", sowie mit den
Kolonistendörfern in irgend einer Weise abfinden. Eventuell könnten
sie durch Bänder oder starke Linien wiedergegeben werden. Auch im
Elsass, im südlichen Hannover, kurz überall da, wo die Dörfer ge-
s^chlossener und die Einzelhöfe selten sind, wäre ein kleinerer Massstab
wohl verwendbar. Doch kommt es hier überhaupt auf einen prakti-
schen Versuch an. — Als Städtesignaturen habe ich Recktecke gewählt,
284
Arthur Glov,
[12
welche sich der Grösse und Lage nach einigermassen an das topo-
graphische Bild anschliessend Für die grösseren Städte (Kiel, Rends-
burg) habe ich die rein topographische Wiedergabe vorgezogen. Daher
hätte wohl auch die Stadt Schleswig in gleicher Weise behandelt werden
müssen.
Was nun die zweite Frage nach dem Warum? der Be-
völkerung betrifft, so ist dieselbe bei kartographischen Darstellungen
bisher ^) nur leicht gestreift worden, und zwar von Sprecher von Ber-
negg in seiner Dichtekarte der Rheinlande. Man sieht hier allerdings,
wie die Flussthäler und der Fuss der Gebirge sich gegen die Er-
hebungen des Landes scharf abheben, „aber es wird,*' wie Ratzel mit
Recht betont, „doch erst durch den Vergleich mit der topographischen
Karte jene Gliederung, man möchte sagen, das ,Relief erteilt, ohne
welche eine Kluft zwischen jener Durchschnittszahl, deren Farbe den
Bezirk bedeckt, und der wirklichen Verteilung klaffen würde.* Es folgt
dann noch die Bemerkung, dass die Güte einer solchen Karte zuletzt
wesentlich abhinge von einer eigenen Kunst, aus der topographischen
Karte das wesentlich zum Menschen Gehörige herauszulesen.
Alle bisherigen Verfasser von Dichtekarten beschränken sich
darauf, die Ursachen der örtlichen Verteilung der Menschen in dem
beigefügten Texte zu erläutern. Eine wirklich zweckentsprechende
Karte sollte dieses Hilfsmittel eigentlich möglichst entbehren können
(wie weit dies möglich ist, wird sich zeigen), so dass es nunmehr darauf
ankommt, aus der topographischen Karte das wesentlich zum Menschen
Gehörige nicht nur herauszulesen, sondern auch auf der Bevölkerungs-
karte einzutragen, daneben aber auch eine geologische, eine Verkehrs-
karte, eine Klimakarte, eine politische und eine Rassen- und Kulturkarte
zu berücksichtigen und bei der Zeichnung des betreffenden Gebietes
zu entscheiden, wie weit man in der Heranziehung der genannten
Elemente allenfalls noch gehen darf.
Dass bei dem Entwurf des hier behandelten Ausschnittes aus
Schleswig-Holstein von den vier letzten ohne weiteres abgesehen
werden konnte, ist selbstverständlich. Was die Niederschlagsverhält-
nisse betrifft, so sind die Unterschiede im Westen und Osten des hier
in Frage kommenden Ausschnittes zu geringfügig und anderen in Be-
tracht kommenden Faktoren der Fruchtbarkeit gegenüber so verschwin-
dend, dass auch sie vernachlässigt werden können. Dagegen hätten
die klimatischen Unterschiede Berücksichtigung verlangt bei der Zeich-
nung der Dichtekarte einer Gegend mit dem Charakter des Hoch-
gebirges. — Von Wichtigkeit aber sind für unser Gebiet die geologischen
Verhältnisse, nämlich soweit auf ihnen die grössere oder geringere
Kultivierbarkeit des Bodens beruht, und, wenn ein Bild der ganzen
Provinz gegeben wäre, auch soweit die Bergbauprodukte von Segeberg
^) Kaesemacher hat zwar die geologischen Verhältnisse seiner Dicht*?-
berechnung zu Grunde gelegt, aber dabei, mit der einzigen Ausnahme der gol-
denen Aue, die sonst sehr verbreiteten und wichtigen jungalluvialen Ablagerungen,
namentlich auch der Lössgebiete, auffälligerweise nicht unterschieden.
y^'
i:;j
Beiträge zur SiedeluDgskunde Nordalbingiens.
28^5
und Lägerdorf (bei Itzehoe) in Betracht kommen, deren Abbau eben-
falls eine grössere Ansammlung von Menschen bedingt.
£s wird daher nötig sein, auch im einzelnen die Ursachen für
die verschiedene Dichte der Bevölkerung und ihrer Wohnplätze für
Schleswig-Holstein zu untersuchen, um daraus Ergebnisse für die Karte
selbst zu gewinnen.
B. Die Dichte der iändlichen Bevöilcerung und ihrer Wohnplätze.
«Der grosse und berühmte Theologe Claus Harms ^) soll einmal
gesagt haben, Schleswig-Holstein lasse sich am besten mit einem fetten
Schwein vergleichen, das zu beiden Seiten seines mageren Rückens die
fetten Speckseiten habe. Und in der That passt dieser Vergleich voll-
kommen. In der Mitte des Landes die unfruchtbare Heide und Geest,
an der Ostseite das fruchtbare Hügelland, im Westen die noch frucht-
barere, fette Marsch.
, Durch diese drei Landstriche wird Schleswig-Holstein in drei,
fast parallel miteinander von Norden nach Süden verlaufende Land-
bänder geteilt. Das Hügelland begleitet die Ostküste . . . Seine Breite
ist lokal eine sehr verschiedene; etwa in der Mitte Holsteins dürfte
es am breitesten, in der Umgebung der Apenrader und Flensburger
Föhrden wohl am schmälsten sein. Der Hauptsache nach besteht der
Boden dieses schleswig-holsteinischen Höhenlandes aus den Gebilden
des Diluviums, aus dem oberen und unteren Geschiebemergel, sowie
dem sogen. Korallensande.
„An dieses östliche Hügelland schliesst sich ein, etwa mit den
Höhenrücken des Ostens parallel laufendes, von Sauden und Mooren
bedecktes Areal, die Heide und die Geest, an, welches, wenn auch nicht
immer so kahl und öde, wie es beim ersten Anblick erscheinen möchte,
sich dennoch an Fruchtbarkeit nicht im mindesten mit dem vorgenannten
Landstrich, noch mit der westlich gelegenen Marsch messen kann . . .
„Die Marsch, der dritte und letzte der erwähnten, Schleswig-
Holstein in nordsüdlicher Richtung durchziehenden Landstriche, besteht
aus einem mehr oder minder sandigen und glimmerreichen Schlick, dem
Marschklei . . .**
Vergleicht man nun die geologische Karte Schleswig-Holsteins
von Ludwig Meyn, welche die hier nur kurz angedeuteten Verhältnisse
im einzelnen ausgeführt zeigt, mit der Dichtigkeitskarte, so ist es auf
den ersten Blick klar, dass diesen drei geologischen Hauptabschnitten
auch drei Streifen verschiedener Dichte der Bevölkerung im grossen
und ganzen entsprechen, und es ist nur natürlich, dass der fette Marsch-
boden im Westen und im Osten der Korallensand, der obere und nament-
lich der untere Geschiebemergel eine weit dichtere Bevölkerung zu
ernähren vermögen, als die minder fruchtbare Geest und die Heide
') Biese Mitteilung, sowie die nachfolgende kurze geologische üebersicht über
J?chle.swiff-Holstein sind der Schrift von H. Haas: ,Die geologische Bodenbeschaffen-
heit Schleswig-Holsteins', Kiel 1889, entnommen.
1^:.
286
Arthur Gloy,
[U
in der Mitte. Es wäre interessant, die Zahlen der auf diesen drei
geologischen Abschnitten wohnenden und von dem Ertrag des Bodens
sich nährenden Menschen gegeneinander und mit der Gesamtzahl der
ländlichen Bevölkerung Schleswig-Holsteins zu vergleichen. Möglich,
wenn auch umständlich und zeitraubend, wäre diese Rechnung für das
östliche Hügelland, aber bei der Bestimmung der Zahl der Marsch-
bewohner oder vielmehr der aus der Marsch ihren Unterhalt Ziehenden
würde man auf die S. 280 [8] bereits erwähnte Schwierigkeit stossen,
welche sich eben ohne eine nur zu diesem Zweck vorgenommene Zählung
an Ort und Stelle nicht beseitigen lässt. Wenn man daher also auch
auf die Ermittelung der Gesamtzahlen der Bevölkerung in jenen Streifen
vorläufig verzichten muss, so bleibt doch die Möglichkeit, einzelne
Kreise der Provinz, welche am besten ganz oder doch wenigstens
zum grösseren Teil in eins der drei Gebiete fallen müssten, mitein-
ander zu vergleichen.
Vollständig im Gebiet der Marsch liegt nur der Kreis Eider-
stedt, kaum zur Hälfte fallen in dasselbe die Kreise Norderditmarschen
und Steinburg, zum dritten Teil: die Kreise Süderditmarschen und
Husum ; Anteile haben endlich die Kreise Tondern, Pinneberg, Schles-
wig (vgl. Tabelle I, S. 287 [15]). Günstiger für den Vergleich liegen,
bei der grösseren Breite der Mergelbank, die Verhältnisse im Osten,
wo die Kreise Sonderburg, Oldenburg und Plön ganz, Eckernförde fast
ganz im Geschiebemergel liegen, Landkreis Kiel, Schleswig, Flensburg.
Apenrade etwa noch zur Hälfte, Hadersleben etwas über die Hälfte.
Stellt man nun die Landschaft (= Kreis) Eiderstedt mit 35,7 ländlichen ^)
Einwohnern pro qkm (Tönning und Garding abgerechnet) den Kreisen
Oldenburg mit 40,2 oder Plön mit ca. 40 ^) gegenüber, so muss man sich
vor dem Schluss hüten, dass der ostholsteinische Mergelboden, weil er in
diesem Falle eine grössere ländliche Bevölkerung trägt, noch fruchtbarer
wäre, als die Marsch. Der wahre Grund liegt hier in der intensiveren
Bewirtschaftung des Bodens in den Kreisen Oldenburg und Plön, wo 78
bezw. 71,3 ^/o des Bodens als Ackerland verwandt werden, wogegen in
Eiderstedt nur 18,9 "/o, aber als Weideland 7(3,9 ®/o. Besser vergleichbar
mit Oldenburg und Plön sind bereits Norderditmarschen mit 51 länd-
lichen Einwohnern pro qkm und 57 ^|o Ackerland, Süderditmarschen
mit 50,7 Einwohnern und 70 ^/o Ackerland. Einen scharfen Kontrast
bilden diesen fruchtbaren Kreisen gegenüber die Kreise Segeberg,
Rendsburg, Tondern (abgesehen von der Marsch), welche zum weit-
aus grösseren Teil dem mittleren Streifen des Landes angehören.
^) Alle folgenden Einwohnerzahlen beziehen sich, wenn kein besonderer
Zusatz gemacht ist, nur auf die in den Landgemeinden und Gutsbezirken woh-
nenden Menschen. Die Einwohnerschaft der im Gemeindelexikon (1885) unter
Städte und Flecken angeführten Orte ist abgezogen worden mitsamt dem zu-
gehörigen Areal, so wie es im Gemeindelexikon angegeben war. Freilich decJcen
sich die so gewonnenen Gruppen nicht überall mit ländlicher Bevölkerung.
Namentlich wäre für den Kreis Plön und den Landkreis Kiel der Fehler zu gross
gewesen , wenn man die Landgemeinden Gaarden und EUerbek bezw. Dietrichs-
dorf und Neumühlen mit ihrer vorwiegend industriellen Bevölkerung miteinbegriffen
hätte. Daher ist auch die Bevölkerung dieser vier zuletzt genannten Land-
gemeinden abgezogen worden.
i:.]
Beiträge zur Siedelungskuude Nordalbingiens.
287
Eine Tabelle, welche den Vergleich der Zahl der ländlichen Bewohner
mit der Bodenbeschaffenheit gestatten soll, möge die bisher nur an-
gedeuteten Verhältnisse etwas übersichtlicher machen. Die Anordnung
ist derartig, dass die auf der beigegebenen Dichtekarte ganz oder
teilweise enthaltenen Kreise vorangestellt und durch eine Linie von
den übrigen getrennt sind.
Tabelle I.
Durch-
schnittliche
Zahl der Be-
wohner in
den Land-
gemeinden
und Gnts-
bezirken
pro qkm
Anteü am
Hundert der Gesamtfläche
Kreis
I
Lehm-
und
Thon-
boden
11
Sand,
Lehmu.
lehm.
Sand
m
Darun-
ter ent-
halten
Marsch-
boden
IV
Sand
V
Moor
VI
Wasser-
flächen
VII
Ertrag der
steuerpflich-
tigen Lie-
genschaften
pro ha
1
•
Mark
Husum . . .
35,8
34,0
9,4
33,7
42,8
12,8
1,0
22,77
Eiderstedt . .
35,7
94,4
94,4
4,7
0,9
63,84
Norderditm.
51
46,4
10,8
46,3
16
25,3
1,5
34,85
>üderditm . .
50,7
35,7
10,2
35,7
18,8
12,7
2,6
37,47
Schleswig . .
40
26,1
25,8
5,7
30,1
14,1
4,4
18,06
Rendsburg . .
32,5
4,2
21,7
0,5
49,8
23,3
1,0
9,48
Kekemforde
41,9
27,4
36,3
0,4
19,2
12,4
4,7
21,87
Kiel (Landkreis)
ca. 40 ')
13,4
41,6
—
41,6
1,5
1,9
15,51
Plön ....
ca. 40 ')
49,4
28,6
—
9,3
2,3
10,4
22,08
01<lenburg . .
40,2
84,0
5,6
—
1,0
5,5
3,9
40,68
Hadersleben
28,9
22,7
22,0
l,s
52,7
1,8
0,8
14,13
Tondem . . .
26,7
24,9
7,9
24,2
61,3
5,0
0,9
Marech 35
GeePt 9
Äpenrade . .
32,8
23,8
19,8
49,0
6,7
0,7
15,07
Sonderburg . .
59,9
75,8
18,2
—
2,4
2,3
1,3
35,64
Flensburg . .
38,9
26,1
24,0
—
42,9
5,9
1,1
16,80
Steinburg . .
45
43,2
3,7
42,5
37,9
15,1
0,1
Morsch 51,21
Geest 10,or,
Pinneberg . .
04
14,6
26,8
14,6
41,4
16,9
0,3
21,33
Stormarn . .
55
28,0
47,0
—
19,2
5,4
0,4
22,17
Segeberg . . .
29
11,3
33,3
—
42,5
11,3
1,6
11,91
Lauenburg . .
31,9
Durchschnitt .
40
31,4
21,3
12,6
34,9
9,3
1
3,1
21,09
Aus der Tabelle ist deutlich ersichtlich, wie die Einwohnerzahl
der einzelnen Kreise immer im gleichen Verhältnis zu dem Prozentsatz
des Lehm- und Thonbodens steht, im umgekehrten zu dem des Sand-
%•
') Vgl. S. 286 [14], Anm.
gg Arthur Gloj, [lii
id Moorbodens '). Eine Ausnahme von dieser allgemeinen ß«g«l
acht nur der Kreis Pinnebei^. Hier haben wir trotz des vorwiegend*!)
indbodens die höchste durchschnittliche Einwohnerzahl (Ö4 auf das qkm.
ich nach Abzug der Städte) aller Kreise Schleswig- Holsteins vor uns
om Stadtkreis Kiel und Altona natürlich abgesehen), der Einöuss der
ähe Hamburgs und Altonas ist hier unverkennbar. Ueberbaupt wächst
e durchschnittliche Einwohnerzahl Schleswig-Holsteins je weiter nach
üden desto mehr, was schon Jansen in seiner Poleographie herror-
;hoben hat. Das Uebergewicht des südlichen Holsteins wird noch
iutlicher, wenn man die Städte miteinbegreift.
Tabelle II.
Kreis
Einwohnerzahl
pro qkm
Kreis
Einwohneraahl
pro qkm
EckemfBtde .
Oldenburg .
Plön . . .
4n
53
tiCl.8
Stormam . .
Pinneberg .
79,<
8.S,7
iel mit 188 Einwohnern auf das qkm (Stadt- und Landkreis zusammen-
kommen) bildet natürlich eine Ausnahme.
Von der ganzen, in Landgemeinden und Gutsbezirken wohnenden
evölkerung Nordalbingiens entfallen im Durchschnitt 40 auf das qkm.
ie gesamte Landbevölkerung bleibt demnach um '.n hinter dem von
enck (Daa Deutsche Reich S. 378) berechneten höchsten Satz zurück.
onach reine Landwirtschaft und Bodenbenutzung höchstens eine Be-
llkerung von 50 Einwohnern auf das qkm zu ernähren im stände sein
illen. Freilich mössten für einen genaueren Vergleich die von mir
tgebenen Einwohnerzahlen noch etwas modifiziert werden mit RQck-
cht auf eine Berufs Statistik.
Es ist indessen wahrscheinlich, dass bei der durchschnittlich ge-
Qgen Anzahl der auf dem Lande wohnenden Handwerker und In-
istriellen die Modifikation der gegebenen Zahlen nur unwesentlicii
in würde.
Unterwerfen wir jetut hauptsächlich das auf der beigegebenen
arte dargestellte Gebiet einer etwas eingehenderen Prüfung. Be-
nnen wir mit dem Kreise Plön, so ist hier das fruchtbarste Gebiet
e Probstei, deren dadurch bedingte grössere Volksdichte auch auf
einer Karte vorzüglich zum Ausdruck kommt. In derselben RichtuDg.
sm Verlauf der OstseekUste, später dem des Oldenburger Grabens
Igend, schliesst sich eine weitere, die Nachbarschaft an Fruchtbarkeit
>ertreffende Zone an, welche sich ebenfalls durch eine dichtere Beibe
ittelgrosser Dörfer auszeichnet. In gleicher Weise erhebt sich im
') Die hierauf bezüglichen Zahlen sind der amtlichen Denkschrift über i\>
■undsteuerveranlagung der neuen Pi-ovinzen vom 28. November 1875 entnommeti.
•r
■4\
<*\
Yi^ Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens. 289
Kreise Oldenburg die Insel Fehmarn mit 44 (mit der Stadt Burg
56} Einwohnern auf das qkm etwas über die Durchschnittsdichte des
ganzen Kreises (40,2). In den beiden genannten Gebieten, d. h. in
dem Streifen von der Kieler Föhrde bis zur Lübecker Bucht und auf
Fehmarn, haben wir die Formation des unteren Geschiebemergels,
welcher den oberen an Fruchtbarkeit noch übertriflPt. Ersterer ist auch
auf der Insel Alsen, jener „Perle der Ostsee", im Sunde witt, zum Teil
auch im Dänischen Wohld und an den Küstenrändem der Kreise Apen-
rade und Hadersleben vertreten, wo er als nicht zu unterschätzender
Faktor der daselbst die durchschnittliche Volksdichte des Hügellandes
übersteigenden grösseren Dichte sich bemerkbar macht.
Nicht nur mit Bezug auf die Dichte der Bevölkerung über-
haupt, sondern auch auf die der Wohnplätze sind die genannten Ge-
biete interessant. Es bewährt sich hier vollkommen jene überall zu
beobachtende Erscheinung, dass bei gleichmässiger Beschaffenheit
des Bodens auch die Wohnplätze in einigermassen gleichen
Abständen voneinander entfernt liegen, und zwar um so dichter,
je ertragsfähiger das Land. Es trifft dies für die Probstei, die Insel
Fehmarn und den Kreis Eckernförde, namentlich zwischen Rendsburg
und Schleswig vollkommen zu, wie ein Blick auf die Karte zeigt.
Auch scheint es, dass die Bevölkerung eines solchen Gebietes sich auch
innerhalb grösserer Zeiträume ziemlich konstant erhält. Z. B. ist es
für die Insel Fehmarn historisch nachweisbar, dass sich seit dem
Jahre 1231 die Zahl der Dörfer kaum vermehrt hat. Mag nun auch
die Bewohnerschaft der einzelnen Dörfer mit der Vervollkommnung
der Landwirtschaft gewachsen sein, was bei der einmal gegebenen
Form der Dörfer, auf die ich im zweiten Hauptteil noch zurückkommen
werde, nur in geringem Masse geschehen konnte (abgesehen etwa
?on den drei grossen Kirchdörfern), so deutet die genannte Thatsache
doch auf eine annähernd dichte Landbevölkerung der Insel bereits in
jener Zeit.
Dieselben Verhältnisse begegnen uns in denjenigen Gebieten
Schleswig-Holsteins, wo das Hofsystem der Landschaft ihr Gepräge
verliehen hat. In Eiderstedt sind die Höfe in ziemlich gleichen Ab-
ständen über das gleichmässig fruchtbare Marschland verbreitet, des-
gleichen im Kreise Hadersleben, namentlich in dem mittleren Teil, wo
der Geschiebemergel des Ostens sich bis über die Mitte des Landes
westwärts erstreckt und dann allmählich dem Jungdiluvium Meyns
Platz macht. Etwas weiter südlich jedoch, wo Jungdiluvium (Ge-
schiebesand), Heidesand und Moorflächen regellos ineinandergreifen,
beginnt dementsprechend bereits die ungleichmässige , truppförmige,
mit wirklichen Dörfern untermischte Verteilung der Einzelhöfe, indem
sie naturgemäss immer da liegen, wo die günstigsten Bedingungen
vorhanden sind. Natürlich gilt dies auch für die grösseren Siedelungen
des mittleren Heide- und Geestrückens, welcher nicht einheitlich, wie
die Marsch und das Hügelland, sondern, wie schon angedeutet, aus
verschiedenen geologischen Formationen mit ebenso verschiedener Er-
tragsfähigkeit zusanmiengesetzt ist. Die Zusammensetzung dieses
mittleren Rückens ist kurz folgende:
FoTSchangen zur deutschen Landes- und Volkskunde. VII. 3. 20
1^ Artbar Gloy, [lg
Das Heideland besteht in der Nähe des Östlichen GeschiehemergeU
IS Geschiebesand, welcher zur Forstwirtschaft und zum Qetreidebau noth
isreicht; westlich davon folgt ein weisser Sand, der als Ahlformation
id mit noch verschiedenen anderen Lokalnamen bezeichnet wird. E»
t dies meist völlig unwirtbares, nur mit Heidekraut bedecktes Land.
dem auch Sümpfe und Torfmoore reichlich vertreten sind. In der
ähe der Marsch finden sich auch Anhäufungen von Flugsand, die
gen. Binnenlandsdünen.
Nun iat es eine zwar recht einfach erklärliche, aber doch he-
erkenswerte Erscheinung, dasa die grösseren Siedelungen des Mittel-
ckens mit unfehlbarer Sicheirheit entweder in oder unmittelbar an
n inselartig im Sande und im Moor zerstreuten Geschiebemergel-
cken gelegen sind, woneben dann in zweiter Linie die in der Heide
id im Moor liegenden Jungdiluviumgebiete sich besiedelt zeigen. Eigeiit-
;he Heidedörfer sind im allgemeinen seltener und erst da etwas zabl-
icher, wo eben keine Auswahl vorhanden ist, z. B. zwischen Tondem
d Apenrade.
Diese Thatsachen vollständig im einzelnen nachzuweisen, würde
weit führen. Ich werde daher auch aus dem von mir dargestellkn
isschnitt nur einige besonders charakteristische Punkte herausgreifen.
Betrachten wir die nähere Umgebung der Stadt Rendsburg, so
igt sich hier eine kranzförmige Häufung von Dörfern um die Stadt
rum. Dass unter diesen gerade Fockbek über 1000 Einwohner hinaus-
wachsen ist, wird nicht zum mindesten darin begründet sein, das;
r Ort auf einem Flecken Geschiebemergel inmitten des Jungdüuviuins
gt, während sich die Übrigen, kleineren Dörfer in der Rendsburger
mgebung, wo fast alle Formationen der Provinz konvergierend zu-
mmentreten, mit einem Boden von zweiter und dritter Güte be-
,Ogen müssen.
Ferner lässt es sich an den Siedelungen verfolgen, wie die Ge-
biebemergelbank des Ostens stellenweise an die von Hamburg über
iumUnster, Nortorf, Rendsburg, Schleswig nach Norden gehende Bahn,
tiche sich auf der Strecke zwischen Nortorf und Schleswig im grossen
d ganzen als die westliche Grenze des Hügellandes betrachten lässl.
rantritt oder gar ein wenig hinübergreift. Z. B. ist letzteres der Fall
i Nortorf, dem nördlich davon gelegenen Ellerdorf, dann in der Milte
dachen Rendsburg und Schleswig, am dentlicbsten aber südwestlich
n der Stadt Schleswig selbst, wo jener Halbkreis von Dörfern die
sr etwas grössere Ausbuchtung der Mergelbank nach Westen er-
nnen lässt. Interessant ist es auch, die durch den breiten, nur ver-
izelt bewohnten Gürtel von der Bahn geschiedene Kette grösserer
irfer, welche von Haale (16 km südwestlich von Rendsburg) nach
hleswig verläuft, auf die umgebenden Formationen zu untersncben.
ie zu erwarten, sind es entweder Mittel- oder Jungdiluvium-lnseln.
eatlich parallel dieser Kette zieht sich eine zweite Reihe von mittel-
ossen Dörfern, für welche dasselbe gilt. Ueberall aber werden hier.
Vergleich zum Hügelland, die Abstände der Dörfer voneinander
regelmässiger und grösser.
Je weiter wir nun aus dem Heide- und Mooi^ebiet herauskommen
f^- -S"-^
19]
Beiträge zar Siedelungskunde Nordalbingiens.
291
und uns dem westlichen Abfall der Geest in die Marsch nähern, um
so dichter und grösser werden die Siedelungen. Hier tritt zu dem
Grösserwerden der Diluviumflecke (namentlich dör des mittleren Dilu-
viums [= Mergel]) im Vergleich zu den des eben verlassenen Gebietes
noch ein ganz besonders ins Gewicht fallender Faktor hinzu. Es ist
dies die Nähe der Marsch.
Wie bereits oben S. 280 [8] gesagt, ist der eigentliche Geestrand,
der sogen. Don oder Kleve, besonders stark besiedelt. Zur Erklärung
dieser Erscheinung muss man mehrere Umstände in Betracht ziehen.
1. Als die Marsch noch im Entstehen begriffen und der Deichbau
noch nicht so weit fortgeschritten war und solche Sicherheit bot wie
heute, siedelten sich die einwandernden Friesen naturgemäss auf dem
durch seine höhere Lage geschützten Geestrande an.
2. Je mehr Land dem Meere abgerungen und je sicherer sein
Besitz wurde, desto mehr Menschen konnte es ernähren, und es war
nur natürlich, dass man Haus- und Hofräume, sowie Strassenzüge, so
weit es anging, nicht auf den kostbaren Marschboden selbst, wohl aber
möglichst in dessen Nähe, d. h. auf den Geestrand verlegte. Dazu kommt,
dass die Marsch stellen- und zeitweise nicht gerade zu den gesundesten
Aufenthaltsorten gehört.
3. Der Geestrand bedingt durch die einmal gegebenen Siedelungen
und durch die natürlichen Vorteile der Festigkeit und Ebenheit des
Bodens eine Hauptnordsudstrasse des Westens, welche ihrerseits wieder,
namentlich an den Kreuzungspunkten der von Osten kommenden Quer-
strassen, ein weiteres Anwachsen der Siedelungen hervorruft.
Es ist nach diesen allgemeinen Auseinandersetzungen kaum noch
nötig, auf die Einzelheiten nun noch besonders aufmerksam zu machen.
Ich will nur noch bemerken, dass sich um die Stadt Heide herum wieder
so ein eingestreutes Stück Geschiebemergel findet, desgleichen um jenen
Dreidörferkomplex von Pahlen, Pahlhude, Dörpling (südlich von Erfde,
am linken Eiderufer), ebenso um Erfde selbst, sowie endlich um alle
Siedelungen des Geestrandes zwischen der Treene und der Stadt Husum,
wo die Geest unmittelbar an das Meer herantritt. Hier, wo man in
der Nähe des Meeres festen Boden unter den Füssen hatte, wo ferner
die natürliche, dem Geestrande folgende Südnordstrasse an das Meer
herantrat, waren die Bedingungen zu einer grösseren Ansiedelung durch
die Natur gegeben, wenn auch ein Hafen erst künstlich geschaffen
werden musste. Eine ganz analoge Lage hat der Flecken Hoyer
(westlich von Tondem, Sylt gegenüber).
Der grösseren Festigkeit des Bodens und der damit verbundenen,
wenigstens für frühere Zeiten in Betracht kommenden grösseren Sicher-
heit gegen die Meereswogen verdankt auch der Dünensandstreifen von
Garding (vormals Gaardesand) und von dem westwärts gelegenen Tating
seine im Verhältnis zur umgebenden Marsch stärkere Besiedelung. Die
kometenartige Gestalt der Stadt Garding, auf welche S. 282 [10] Bezug
genommen wurde, passt sich der Form jenes Dünensandstreifens voll-
kommen an. Durch die sogen. Süderbootfahrt hat Garding eine Wasser-
strassenverbindung mit Tönning, dem Exporthafen für das in der
Landschaft Eiderstedt gemästete Vieh. Tönning ist Mündungsstadt
292
Arthur Gloy,
[20
der Eider und zugleich Brückenort für das gegenüberliegende — man
möchte sagen — Festland. Ein Analogen zu Tönning ist das etwas
weiter landeinwärts, an der Mündung der Treene in die Eider ge-
legene Friedrichstadt, welches also ebenfalls Mündungsstadt und zu-
gleich Brückenort ist. Hier kommen jedoch auch bereits historisclie
Faktoren in Betracht, wie namentlich auch für Heide. — Ueber diese
Verhältnisse, sowie über die hier einschlägigen an der ganzen Ost-
und Westküste des Landes hat sich K. Jansen in seiner bereits zitierten
Schrift von 1861 und in der Poleographie der Cimbrischen Halbinsel
übrigens schon hinreichend geäussert.
Es bleibt nun noch über die Raumgrösse der ländlichen
Siedelungen Nordalbingiens einiges hinzuzufügen. Als die sie be-
dingenden Elemente kommen hier namentlich in Betracht:
1. Die Art der Bewirtschaftung des Bodens;
2. die Verteilung des Besitzes innerhalb der Dorfflur.
Wenn der Satz richtig ist (vgl. Ratzel H, S. 432 f.), dass die in-
tensive Bewirtschaftung grosse Dörfer hervorruft, extensive dagegen das
zerstreute Wohnen begünstigt, so muss er sich auch für Schleswig-
Holstein bewähren. Greifen wir ein solches Gebiet mit extensiver
Bewirtschaftung, also z. B. Eiderstedt (mit 76 ^V^ Weideland), wo fast
nur Viehzucht betrieben wird, heraus und stellen es einem Lande mit
intensiver Bewirtschaftung, z. B. Norderditmarschen mit 57 ^/o Acker-
land, Süderditmarschen mit 70 V? Plön mit 71 Vi Oldenburg mit 78 ^i-
gegenüber, so ist der Unterschied evident. Auf der einen Seite der
kleinste Raum, den Siedelungen überhaupt einnehmen können, da^i
Hofsystem (in diesem Falle das friesische Haus), auf der anderen Seite
grosse und mittelgrosse Dörfer (vgl. Tabelle III, Kol. I u. HI, S. 293 [21]).
Freilich dürfen Stammesgewohnheit und historische Verhältnisse hierbei
nicht unberücksichtigt bleiben.
Nun fehlt es zwar auch in den Kreisen Oldenburg, Plön u. s. w.
nicht an kleinen Siedelungen; und dies ist der Punkt, wo die Wirk-
samkeit des zweiten Faktors in Betracht zu ziehen ist, nämlich die
der Verteilung des Landes innerhalb der Dorfflur.
Wo sich grössere Landkomplexe in einer Hand vereinigen, da
wird, auch unter Mitrechnung der zur Bewirtschaftung nötigen, durch
Maschinenbetrieb relativ geringen Arbeitskräfte, die Bewohnerzahl nicht
an die eines Dorfes heranreichen, welches im wesentlichen von gleich-
gestellten Bauern bewohnt ist, die gleiche Grösse der Flur in beiden
Fällen vorausgesetzt. Wo also grosse Güter mit ihrem Anhängsel von
Tagelöhnerkathen u. s. w. zahlreicher vertreten sind, da wird sich ihr
Vorhandensein auch auf der Siedelungskarte bemerkbar machen. Ein
Vergleich der beigegebenen Karte zeigt diese Erscheinung, welche im
wesentlichen auf dem angeführten Grunde beruht, im Kreise Eckern-
förde (68 Güter vgl. Tab. HI, Kol. VII, S. 293 [21]), im Kreise Olden-
burg (47 Güter) und im Kreise Plön (40 Güter). Die Häufung der
Güter findet statt im Dänischen Wohld, in dem durch den Oldenburger
Graben abgeschnittenen Komplex und in dem ganzen Streifen südlich
von dem durch jene dichtere Reihe grösserer Siedelungen gekenn-
zeichneten, zwischen der Schwentine und der Lübecker Bucht.
21]
Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens.
293
Tabelle III.
Anteil am Hundert der eingeschätzten Fläche
Ertraf; der
steuer-
pflichtigen
Liegen-
schaften
pro ha
in Mark
VI
Zahl
der
Guts-
bezirke
VII
Kreis
Acker-
land
I
Wiesen-
land
n
Weiden
in
Holzungen
IV
Wasser-
stücke
V
Husum . . .
Eiderstedt . .
Norderditm.
Süderditm. . .
Schleswig . .
Rendsburg . .
EckemfÖrde
Eiel(Landkrei8)
Plön ....
Oldenburg . .
44,3
18,»
57,4
70,0
01,4
56,5
70,0
71,3
78,0
13.1
l.r>
20,1
9,8
19,4
16,8
9,7
10,4
7,8
9,3
40,8
76,9
20,4
15,0
15,9
15,9
10,7
11,4
2,4
1,»
1,1
3,9
2,2
8,9
5,8
8,0
7,8
5,9
0,5
0.7
0,fl
0.8
1,0
2,6
2,2
2,8
11,5
2,2
22,77
63,84
35,85
37,47
18,08
9,48
21,87
15,51
22,08
40,68
3
2
4
9
20
68
15
40
47
C. Ergebnisse für die Karte der Siedeiungsdiciite Schleswig-Holsteins.
Nachdem wir jetzt die Ursachen der verschiedenen Dichte der
Bevölkerung und ihrer ländlichen Wohnplätze für Schleswig-Holstein
untersucht haben, handelt es sich nunmehr um die Entscheidung, was
von diesen verdichtenden oder auflockernden Faktoren in die Karte
der Siedelungsdichte aufgenommen werden soll. Dass die geologischen
Verhältnisse, auf denen, wie schon hinreichend auseinandergesetzt, die
grössere oder geringere Ertragsfähigkeit des Bodens und damit der
Dichtegrad der Bevölkerung beruht, in erster Linie berücksichtigt werden
müssen, braucht kaum noch besonders betont zu werden. Demgemäss
habe ich zunächst die Orenze der Marsch nach der Meynschen Karte
eingezeichnet, wogegen ich auf eine besondere Wiedergabe der West-
grenze des Hügellandes verzichten zu können glaubte, da dieselbe im
wesentlichen (unter den bereits erörterten Modifikationen) mit der von
Neumünster nach Schleswig führenden Bahn sich deckt.
In dem durchweg gleichartigen Marschland kommen, abgesehen
von den Dünensandstreifen in Eiderstedt, andere geologische Forma-
tionen nicht vor, im Hügelland sind Dünensandflecken zwar häufiger,
aber nicht von dem Umfange, dass ihre Aufnahme in die Karte der
Siedelungsdichte notwendig wäre. So blieb der Raum frei für eine
einheitliche, durch keine anderen Farben durchkreuzte Wiedergabe der
Waldgebiete, welche viel anschaulicher zur Erklärung der Lücken zwi-
schen den Siedelungen mitwirken, als es die winzigen Sandflecken je
hätten thun können.
Schwieriger war die Auswahl für das zwischen Marsch und Hügel-
land liegende Gebiet. Hier standen verschiedene Wege offen. Man
Arthur Gloy, [22
le zunächst an eine unveränderte Wiedergabe der geologischen
: denken, woraus ein vielfach sich durchsetzendes Gewirr vier ver-
lener Hauptfarben (Heidesand, Jungdiluviuui, Mittel diluvium, Ält-
um) als Grundlage fUr die Siedolungskarte sich ergeben hätte.
Von dem Betreten dieses Weges habe ich hauptsächlich aus tech-
Bn Gründen Abstand genommen; denn, abgesehen davon, dass die
fe Unterscheidung dieser vier verschiedenen Formationen bei den
en Diluvialgeologen anscheinend nicht mehr so beliebt ist, wi«
r, wären die Siedelungen selbst, namentlich die kleineren und noa
lie Einzelhöfe , auf dieser Grundlage nicht genügend zur Geltung
nmen, während sie doch unter allen Umständen in erster Linie
rtreten raüsaen. Wollte man nun die geologischen FormatioDen
1 möglichst belle Farben oder durch verschiedene Schraf^erungen
Farbe wiedergeben, so wäre wieder, bei der Zerrissenheit und
anderschachtelung der Formationen des Mittel rück ens, eine Ueber-
schwer zu gewinnen. So entschloss ich mich denn, auf eine un-
Ibare Wiedergabe der geologischen Formationen zu verzichten und
ur mittelbar zu berücksichtigen, indem ich ausser den Waldflächen
ie Moorilächen und Heidegebiete, so wie sie auf der topographischen
'. begrenzt waren, einzeichnete. Der Vorteil dieses Verfahrens ist
wiefacher. Erstens, was das wichtigste ist, bleiben die wirklich
leiten Gebiete fast vollständig weiss, zweitens ist es ersichtlich —
nur, wie es bei der Zugrundelegung der geologischen Karte der
gewesen wäre, welche Gebiete für die Kultur mehr oder weniger
uet, sondern — ■ welche Gebiete nun wirklich unkultiviert (richtiger:
Pfluge unberührt) liegen gelassen sind. Da ferner die Moorfläcben
esentlichen der Formation des Alt- oder Süsswasseralluviums, die
iflächen der des Heidesandes entsprechen, wenn man weiter die
gelassenen Räume durch Jung- und Mitteldiluvium sich ausgefällt
;, so hat man ein ungefähres Bild auch von der geologischen Karte,
:h nur ein sehr rohes und im einzelnen sehr zu modifizierendes,
von mir gegebene Bild ist ein gewissermassen negatives, mehr das
rum nicht?" der Bevölkerung erklärendes. Das positive hätte im
itlichen die Jung- und namentlich die Mittel diluviumflecken wieder-
len, würde aber, wie gesagt, die Siedelungen selbst verdunkeln').
Ein zur positiven Erläuterung der Siedelungskarte beitragendes
ent sind endlich die Verkehrslinien, welche ich auf Ratzeis Vor-
g (II, 528) mit eingezeichnet habe. „Ob nun," um mit K. Jansen
jden, ,der Weg den Ort herbeiführt oder der Ort den Zugang
»rruft, immer werden die Siedelungen, von den grössten bis zu den
iten hinab, End-, Wende- oder Ereuzungspunkte darstellen.' Für
urchführung dieser Verbältnisse im einzelnen verweise ich auf die
i wiederholt zitierten Arbeiten von K. Jansen.
') Die Einzelwohnungeii Kind übrigens, wie ich nach dem Druck der Karl?
ke, wider Erwarten klein ausgefallen, obwohl sie den wirklichen Terhält-
so entsprechen. Die beobachtete Vorsicht war also um so mehr geboten.
^T
23]
Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens.
295
Schlussbetrachtung.
Nachdem ich jetzt die Vorteile der von mir befolgten Methode
hervorgehoben habe, halte ich es für angemessen, auch ihre Nachteile
nicht zu verschweigen.
Der schwerstwiegende ist die Anwendung des grossen Massstabes
Yon 1:200000. Die ganze Provinz Schleswig-Holstein, welche doch
die zweitkleinste Preussens ist, käme, in der angegebenen Weise be-
handelt, auf die Grösse einer massigen Wandkarte hinaus, eine grössere
Provinz, das Königreich Preussen oder gar das Deutsche Reich würde
ein ganz ungefüges Gebilde ergeben. Und doch könnte die Haupt-
anforderung, die man an eine zweckentsprechende Wandkarte stellen
darf, nämlich die der Unterscheidbarkeit auf mindestens 3 — 4 m, nicht
erfüllt werden. In dieser Entfernung sind nur noch die grösseren Wohn-
komplexe deutlich, die kleineren Städte nur noch ganz schwach sichtbar,
die Dörfer verschwinden fast ganz, die aufgelösten, sowie die Einzelhöfe
natürlich vollständig. Wollte man nun die Signaturen, welche auf
meiner Karte bereits ziemlich gross geraten sind, vergrössem, so würde
man sich wieder von der Wirklichkeit entfernen, womit uns nicht ge-
dient sein kann. Auf die Sichtbarkeit der Einzelhöfe müsste man trotz-
dem von vornherein verzichten. Demnach würden Teile von der West-
küste, des mittleren Landrückens, Nordschleswigs u. s. w. als ganz
unbewohnt erscheinen.
Die Möglichkeit, diesen nun einmal notwendig gewordenen Mass-
stab nun auch möglichst auszunutzen, indem man alles nur irgend
Belehrende in die Karte eintrüge, ist nach dem oben Gesagten eben-
falls bereits ausgeschlossen. Man muss sich auf einer Karte mit der
Eiozeichnung des Charakteristischen begnügen und, wenn nun mehreres
charakteristisch ist, sich eben dazu entschliessen , nun auch mehrere
Karten nach jenen verschiedenen Gesichtspunkten zu entwerfen. Erst
ihr Vergleich kann sodann eine erschöpfende Erklärung bieten.
Was die hier gegebene Karte betriift, so konnte, da sich die
ländliche Bevölkerung — abgesehen von den wenigen, in jedem Dorfe
vorhandenen Handwerkern und Krämern — ausschliesslich mit Land-
wirtschaft und Viehzucht beschäftigt, von einer Darstellung des Ver-
hältnisses der landwirtschaftlichen zur industriellen Bevölkerung ganz
abgesehen werden. Eine solche Unterscheidung würde übrigens auch
auf grosse technische Schwierigkeiten stossen, wenn wir ein Gebiet
z. B. aus dem mitteldeutschen Gebirge oder aus Schlesien zu zeichnen
hätten, wo auch ausserhalb der Städte stellenweise eine intensive in-
dustrielle Thätigkeit herrscht. Vielleicht wäre es dann möglich, zur
Unterscheidung der landwirtschaftlichen von der industriellen Bevölke-
rung sich verschiedener Farben für die Ortszeichen selbst zu bedienen.
Die Anwendung des Flächenkolorits für diese Verhältnisse ist jeden-
falls aber auf Karten grösseren Massstabes sehr bedenklich, indem
dann viele Orte notwendig mit unter ein Schema gebracht werden, in
das sie gar nicht gehören.
Wollt« man die im Atlas des Deutschen Reiches gegebene Karte
I
f.
v
k
i
r
VI,
t
d
:\
H
tf
96 Ärtlinr Glof, Beitrfige zur Siedelangakuniie Nordatbingiens. [24
ia VerhältoiBses der gewerblichen zur landwirtschaftliclien BevÖlkeruDg
ir Schleswig- Holstein zu Grunde legen, so wQrde eine vollständ^
Ische Vorstellung durch sie erweckt werden können. Sie zeigt Tan
iel nach NeumOnster einen Streifen mit gewerblicher und landwirt-
:haftlicher Bevölkerung etwa im gleichen Verhältnisse. Da nun auf
är angegebenen Strecke auch eine Häufung grösserer Dörfer auftritt,
> könnte man auf die Vermutung kommen, daes dies mit industrieller
hätigkeit der Bewohner dieser Dörfer zusammenhinge. Das ist aber
irchaus nicht der Fall. Das erwähnte Flächenkolorit ist weiter nichb
Is die Ausbreitung der gewerblichen und ArbeiterbeTölkenmg Eteb
ad NeumtlDsters über das dazwischen liegende Gebiet, mit dem sie
ichts zu schaffen hat.
Fassen wir nunmehr das Endergebnis noch einmal zusammen, so
efert uns die nach den Ratzeischen Gedanken entworfene Karte zwar
in wahrheitsgetreues, anschauliches Bild, welches die Ursachen der
erschiedenen Dichtigkeitastufen der BeTölkening teilweise (aber auch
ur teilweise] an die Hand giebt; aber auf ein grösseres Gebiet, einen
rossstaat oder gar einen Erdteil, läitst sich diese Methode leider nicht
Qwenden. Hier wird zur Darstellung der Volksdichtigkeit das Flächeo-
olorit nach dem Muster Sprecher-Beme^e oder Kettlers immer un-
atbehrlich bleiben.
II. Hauptteil.
Siedelungstypen.
I. Abschnitt.
Allgemeine Bemerkungen über Siedelungstypen im Deutschen Reich
unter besonderer Berücksichtigung der slawischen.
Was Tacitus in seiner Germania Kap. 16 von der Art des Woh-
nens der Germaneo sagt: ,colunt discreti ac diversi, ut fons, ut Cam-
pus, ut Demus placuit, vicos locant non in nostrum morem connexis
et cohaereotibus aedificiis; suam quisque dotnum apatio circumdat . . .",
das gilt noch heute im Tollec Umfange fUr die ländlichen Siedelungeo
des nordwestlichen Deutschlands, wo die , Haufendörfer" aus sehr
locker und planlos nebeneinandergelagerten Gehöften bestehen. Sonder-
barerweise ist die zitierte Tacitusstelle bis in die neueste Zeit meistens
dahin ausgelegt worden, dass die Germanen nur in Einzelhöfen gewohnt
hätten. Aber, wenn man auch den ersten Satz, wo eigentlich nur von
zerstreutem Anbau die Rede ist (vgl. Meitzen, Der Boden und die land-
wirtschaftlichen Verhältnisse des preussischen Staates, Berlin 1868,
Bd. I, 346, Anm.), mit einigem Hecht auf Einzel höfe deutet, so beweist
doch die Nennung des Wortes vicus, öaas es neben dem, sei es nun
Einzelhofsjstem , sei es truppförmiger Anbau oder beides zusammen,
auch eigentliche Dörfer gab, die den jetzt sogen, „Haufendörfern" ent-
sprochen haben werden. Ausserdem hat doch schon Cäsar von deut-
schen Dörfern berichtet. Im bellum gallicum deutet eine Stelle deut-
lich darauf hin. Nachdem Cäsar auf der Brücke über den Rhein
gegangen ist, heisst es üb. IV, c. 19; paucos dies in eorum (d. h. der
Sigambrer) tinibus moratus omnibus v i c i s aedificüsque incensis fru-
mentisque succisis se in fines Ubiorum recepit.
Geschlossener sind die Dörfer desselben Typus im übrigen Deutsch-
land. Aber auch sie bilden ein ziemlich regelloses Gewirr von Strassen
und Häusern, wie es dem Typus des urdeutschen „Haufendorfs" zu-
kommt.
298 Arthur Gloy. [26
Ein ganz anderes Bild bietet una der slawische Dorftypus. Sein
Hauptmerkmal ist nebeu der Geschlossenheit die Regel mässigkeit <Ier
Anlage, welche deutlich auf einen bestimmten Plan und eine abge-
grenzte Zahl der bei der Niederlassung beteiligten Menschen hinwei^L
Letzteres gilt namentlich von dem sogen. , Rundling" ') und seinen
Neben- und Uebergangsformen.
Der Erste, welcher sich eingehender mit dieser Art des Slawen-
dorfea beschäftigt hat, ist Victor Jacobi, in den Alten burgi sehet) Stu-
dien, Illustrierte Zeitung 1845, und in der kleinen Schrift: Slawsu-
und Teutscbtum, in kultur- und agrarhistorischen Studien zur Anschauuns
gebracht, besonders aus Lüneburg und Alt«nburg, Hannover lä56.
Seine Untersuchungen betreffen besonders das „Lüneburgische Wend-
land", wobei er gelegentlich auch auf die angrenzenden Gebiete hin-
übergreift.
Der zweite, gewöhnlich als , slawisches Strassendorf* *) be-
zeichnete Haupttypus ist zuerst von A. Meitzen (a. a. 0., Bd. 1.
S. 361) erwähnt, dann kurz charakterisiert worden in der .Anleitung
zur Deutschen Landes- und Volksforschung", ed. Kirchhoff, Stutt-
gart 1889, S. 514, wo auch eine Abbildung gegeben wird. Be-
achtung scheinen diese Dinge nur in engeren Kreisen gefunden lu
haben. Bei Ratzel (Anthr. 11, 441, unter; „Die Physiognomie der
Siedelungen ') ist allerdings von der „Anlage des slawischen Dorfo
in Parallelreihen längs der Strasse oder im Kreis um Kirche und
Markt" die Rede ; aber es wird nicht gesagt, dass und wo dieser Dorf-
typus auch im Deutschen Reich vorkommt, was gerade an dieser Stelle
sehr am Platze gewesen wäre. Auch in der neuesten, mehr für da
grosse Publikum bestimmten Darstellung des Deutschen Reiches tou
0. Richter (Leipzig 1891) wird noch keine Notiz von der Sache ge-
nommen. Für meine eigenen Untersuchungen haben als Grundlage
gedient die vom preussischen Generalstab aufgenommenen Messtisch-
blätter von Schleswig- Holstein, Mecklenburg. Pommern, Westpreussen.
Posen, Schlesien, Brandenburg, Hannover, Sachsen, soweit sie in der
geographischen Lehrmittelsammlung der Universität Kiel vorhanden
waren , eo dass die allgemein gehaltenen Behauptungen auf den fol-
genden Seiten sich immer nur auf die genannten Provinzen beziehen.
Die Messtischblätter von Ostpreussen, vom Königreich Sachsen, von
den Regierungsbezirken Merseburg, Erfurt u. s. w. fehlen der genannten
Sammlung; leider standen mir für Hannover auch die älteren Papeu-
schen Karten (1 : 100 000) nicht zur Verfügung. Eine Untersuchnng
des südlichen Abschnittes der Westgrenze des Slawendorfes könnt« ich
daher nicht unternehmen. Sie würde indessen von grossem Interesse
sein, namentlich wenn man sie mit dem Verlauf des Umes Sorabicus
vergliche.
Um zunächst eine Charakteristik des Rundlings zu geben,
führe ich Jacobis Schilderung desselben an. .Der Grundriss dieser
Dörfer," sagt er, .stellt sich als einen truppförmigen Zusammenbnii
') Vgl. S. 305 [331, Abbildung.
») Vgl. S. 306 [34], Äbbüdung.
27 1 Beiträge zur Siedolungskundt Nordalb ingiens. 299
der Obdächer dar. Die höchste Äuaprägung seiner regelmässigen Form
findet man in dem Bilde eines Hufeisens (oder sebr oft auch völligen
Kreises). Solche regelmässigen Dörfer haben anscheinend stets ur-
sprünglich Zu- und Ausgang vermittelst einer und derselben Oeäiiung
(gehabt; stets liegen in der Mitte ein oder mehrere Wasserbehälter.
Sie sollen zu religiösem Gebrauch gedient haben. Mutmasslich beruht
ihre Anlegungsweise auf strategischen Rücksichten. Die Zahl der
Niederlasscr scheint auf die äussere Gestalt dieser Dörfer von EinSuss
gewesen zu sein. Es drängt sich nämlich die Mutmassung auf, dass
diese Dörfer ursprünglich von einer sehr geringen Zahl von Familien-
häuptern, deren wir im Durchschnitt nicht mehr als fttnf annehmen,
gegründet seien' (lllustr- Ztg. 184ü).
Diese Bemerkung Jacobis Über die Kleinheit der Rundlinge im
Lüneburgiscben und Ältenburgischen gilt auch für die mecklenbur-
gischen. Dagegen beben sich die pommerschen und die märkischen
Kuodhnge zum grösseren Teil recht vorteilhaft ab durch ihre stattliche
Grösse und die, oft den Seiten eines Rechtecks sich anschliessende
Stellung der Gebäude, welche zusammen ein Gehöft bilden (fränkische
Bauart), gegen die bedeutend kleineren lUneburgischen mit ihren, oft
in konzentrischen Kreisen hinterein aander liegenden, dichtgedrängten
Einzelhäusern. V. Jacobi unterscheidet sieben Bestandteile des Rund-
lings, welche ich hier kurz namhaft mache:
1. Den Eingang;
2. den Dorfplatz (böhmisch: nawes = ,auf dem Dorfe");
'6. das Vorhaupt (die in Obersachsen gebräuchliche Benennung),
den Raum zwischen der vorderen Giebelwand des Gebäudes
und dem Dorfplatz ;
4. die Hofrheite oder Baustelle;
5. die Etanzei. den Kreisausschnitt zwischen Hofrhette und
der umgebenden Hecke;
6. das Prising, das Äcker- und Wiesenland ausserhalb der
Hecke ;
7. den Koreitz ^ Anbau, Vordorf (gleichsam ein sack-
gassenartiger Auswuchs des Hauptdorfes , der aber nur zu-
weilen auftritt).
Was den zweiten Typus, das (nach Meitzen) sogen, slawische
ätrassendorf betriEft, so liegen hier die Häuser oder Gehöfte entweder
schnurgerade zu beiden Seiten einer breiten Strasse, oder sie schmiegen
sich der die Kirche, Schule, Schwemme u. s. w. enthaltenden Ausbuchtung
der Strasse an. In den erstgenannten liegen die Häuser rechtwinklig
zur Strasse. Nach hinten hinaus haben sie . der Tiefe nach , gleich
grosse Gärten, welche durch eine, meist geradlinig verlaufende Hecke
von dem ausserhalb liegenden Ackerland abgeschlossen werden (vgl.
Meitzen in der , Anleitung zur deutschen Landes- und Volkskunde").
Ist d^egen die Ausbuchtung der Strasse eingetreten, so liegen die
Gehöfte nicht immer rechtwinklig zur Hauptstrassenlinie , sondern sie
schliessen sich häufig der entstandenen Rundung der Strasse mit ihrer
schmalen Vorderseite an, so dass eine fächerförmige Stellung der Häuser
;00 Arthur Gloy. [ifi
lad eine gleiche Ausbreitung der Elanzeien nach rückwärts eiDtiitt.
e stärker die Ausbuchtung der Strasse und je kürzer die letztere
3t, desto mehr nähert sich der Typus vom Strassendorf dem des ßund-
ings (vgl. Fig. 3, S. 807 [85]), Man könnte den so geschilderten T.ypas
1b Mischform zwischen Rund- und Strassendorf bezeichnet].
Lusserdem lässt sich aus dem deutschen Reichsgebiet noch eine Reibe
on Uebei^angs- und Nebenformen beibringen. Zu den charakteristisrh-
ten gehört das an allen vier Seiten mit einer einfachen Häuser- oder
^ehöftreibe bebaute Rechteck'). Es findet sich in Pommern, Posen
nd Schlesien, ist aber nicht gerade häufig. Beispiele sind: Janken-
orf, Kreis Kolmar, Messtischblatt (abgekUnt: M.B.) Budsin, Regierungn-
lezirk (abgekürzt: R.B.) Bromberg. — Flukawy, Kr. Obomik, M.B. Bad-
in, R.B. Posen. — Zitzmar, M.B. Stuchow, R.B. Stettin. - — Muddelmon.
a.B. Stuchow. — Zizow, Kr. Schlawe, M.B. Rügenwalde, R.B. Kflslin.-
'rettmin, Kr. Kolberg, M.B. Kolberg, R.B. Köslin. — Alt-Lülfitz, M.B-
Jelgard, R.B. Köslin. — LObsow, M.B. Gräfenberg, R.B. Stettin. -
)ro8S- Eoschen, Kr. Hoyerswerda, M.B. Hobenbocka, R.B. Liegnitz. -
?utzig an der Putziger Wik, der Halbinsel Heia gegenüber. Bei
iinigen ist die vierte Seite nicht bebaut, bei wieder anderen näbem
ich die beiden Langseiten an der einen Schmalseite dergestalt, da.«
uweilen ein regelrechtes Dreieck herauskommt (vgl. M.B. Oarlitz.
l.B. Potsdam). Auch kommt es vor, dass die eine der beiden Lang-
eiten gekrümmt ist. In der Anlage des Dorfes Arnsberg, Kr. Greifen-
lerg, R.B. Stettin, begegnet uns eine vollständig ausgeprägte griechische
tennbahn, deren gerade Schmalseite offen ist. — Auf die rechteckige
Anlage werde ich bei der Besprechung der Febmamschen Dörfer noch
urUckkommen.
Mit Bezug auf die Verbreitung und Verteilung der slawi-
chen Dorftypen innerhalb des Deutschen Reichs ist als Haupt-
noment festzuhalten, dass der Rundling im Westen des ehemals slawi-
^hen Gebiets sein Hauptverbreitungsgebiet hat, etwa bis zur Oder.
^.ber auch bis hierher steht er dem Strnssendorf an Zahl nach. Letz-
eres dagegen ist in den östlichen Provinzen, in Westpreussen, Posen,
iinterpommern, Schlesien, namentlich in letztgenannter Provinz fe
>hne Konkurrenz des Rundlings vertreten. In zusammenbängend«!
Komplexen findet sich der Rundling besonders in der Landdrostei Lflne-
)urg, dem noch heute sogen, Wendlande, wo um das Jahr 1550 aul
lern Lande fast ausschliesslich wendisch gesprochen wurde. Noch ITS^'
prachen dort zehn alte Leute die wendische Sprache. Es ist die^
enes Gebiet, welches Jacobi in der bereits angeführten Schrift ein-
gehend untersucht hat. Durch auffallende Häufung der Runddörfer
eichnen sich hier aus die Messtischblätter: Breese, Lfichow, Clenu
ind Schnackenburg. Fast ebenso zahlreich sind sie im R^enugs-
)ezirk Potsdam auf den Messtischblättern Hülsebek, Schmolde, Linden-
)erg und Wilsnack (Priegnitz). Pommern hat, soweit die Messtisch-
dätter vorliegen, nur etwa zehn Rundhnge aufzuweisen, welche ausser
Karaow (R.B. Köslin) im Regierungbezirk Stettin liegen. Der üorf-
') Vgl. S. :117 [43], AlWIcIung.
ifjlj Beiträge zur SiedelunRBkundc Nordalbiagiens. 3(
[ilatz ist in ihnen ungewöhnlich gross, bei einigen heute bebaut, w
ursprQnglich nicht der Fäll gewesen ist. In Schlesien ist mir nur 6
ftundling, nämlich Doranowitz (Kreis Trebnitz) aufgestossen. In Meckle
bürg endlich iijt der Rundling wieder ziemlich häufig, wenn er au
dem Strassendorf an Zahl nicht gleichkommt.
Um auf die Strassendorf er noch einmal zurückzukommen, so w
ich hier noch eine Schwierigkeit betonen, nämlich die, nach ihrer gege
bärtigen Gestalt auf dem Messtischblatt ^u unterscheiden, ob die v
»prüQgliche Anlage slawisch oder deutsch gewesen ist.
Die ebenfalls entlang den Landstrassen erbauten, langge streckte
gut deutschen „Hagenhufendörfer", welche namentlich in Schlesi
stark vertreten sind, aber auch in Posen, Pommern und im R.B. Magd
bürg vorkommen, sind ja leicht vom slawischen Strassendorf durch d'
abweichenden Charakter der Vizinalwege zu unterscheiden, obwohl !
zum Teil offenbar im Anschluss an einen ursprünglich slawischen Ee
entstanden sind, welcher sich zuweilen noch erkennen lässt. D'
slawischen Strassendorf er n sehr ähnlich sind ferner die im ehemt
slawischen Osten von Deutschen angel^ten neuen Kolon istendörf«
Da bei diesen, von den Regierungen geregelten systematischen A
•^iedelungen die Austeilung des Bodens an den Einzelnen in lange
sthmalen Streifen (Hämischen oder fränkischen Hufen) stattfand,
war es nur natürlich, dass ein jeder sein Gehöft am ,Kopf" sein
Streifens anlegte, so dass ganz von selbst eine vor den Gehöften eil
lang laufende Strasse entstand (vgl. Meitzen, Der Boden etc., I, 55(
Das Marschendorf wieder zeigt in der Regel nur eine Hause
oder Gehöftreihe, welche sich dem Verlauf eines Deiches, einer Wett
rung oder eines Weges anschliesst. Vereinzelt ist dieser Typus au
im östlichen Deutschland anzutreffen, z. B. in der Kolonie Bnin in dt
Tbalzuge, den der Bromberger Kanal durchschneidet : die Häuser lieg
unmittelbar unter dem Abfall des Geestufers, welches hier dem Dei
entäpricht. Hat man aber zwei Häuserreihen mit eiuer sie trennend
breiten Strasse, so ist die Verwechselung mit dem slawischen Typ
nicht angeschlossen, wepn nicht der Name unzweifelhaft deutsch i
Freilich kann dieser auch wieder jüngeren Datums sein. Auf d
anderen Seite kann eine rein deutsche Ansiedelung einen slawisch
Namen filhren, welcher entweder der Gegend oder einem in der Nä
liegenden Slawendorf entlehnt wurde. Haben solche Namen weni
Intens den Zusatz: Gross- oder Deutsch -(Dudeschen-) bewahrt, so
immer ein Fingerzeig gegeben. Fehlen diese Anzeichen, so ist m
auf die Hilfe der Geschichte (AusthuungsurkunJen u. dgl.) angewiesE
Typisch slawische Merkmale, die sich indessen, wie gesagt, nie
bei allen slawischen Strassen dörfern finden, sind: Die Ausbuchtui
(ler Strasse und die zuweilen damit verbundene fächerförmi]
Stellung der Gehöfte.
2 ■ Arthur Gloy, [30
II. Abschnitt.
Die Siedelungstypen Nordaibingiens.
A. Deutsche Sledelungrstypen.
Von den bisher als im Deutschen Reiche vorkommend besprochenen
jdelungstjpen sind in Nordalbingien vertreten: der Maradjentypus.
r Einzelhof, das Gut, das Haufendorf und der slawische Tjpuii.
IS Verbreitungsgebiet des erstgenannten Typus ist die Marsch tdd
edel am Eibufer bis nach Ripen hinauf. Dan eben tritt daselb^-t
er auch schon das Hofsystem und das Haufendorf auf, letzt«r^
mentlich in Ditmarschen (vgl. die Karte der Siedelungsdichte). Ueberall.
) sich in der Marsch eine natürliche Erhöhung (Dünensand oder Ge«st|
idet, da trägt sie sicher eine Ansiedelung, weiche dann natürlich nicht
n langgestreckten Marschentypus zeigt, sondern sich der Form und
■össe der Erhöbung anschmiegt, d. h. eine dem Haufendorf ähnliche
tuart aufweist. Eine solche Ansiedelung ist z. B. SUderau in der
bmarsch. Unmittelbar daneben haben wir in Eiskopp den reinen
arschentypua. Wie die inselartig im Altalluvium (Moor) auftauchenden
luviumbrocken „Holme' ') genannt werden, eine Name, welcher dann
der Regel auch auf die, auf diesen „Inseln" liegenden Ortschaften
■ertragen ist, ao werden die in der Marsch zuweilen anstehenden
testbrocken als „Horste" bezeichnet, z. B. Hohenhorst an der Elbe,
i holsteinischen Geestlande aber, wo das Wort allein oder in Zn-
mmensetzungen als Ortsname mehrfach auftritt, bedeutet es einen
ald oder zuweilen gar eine Lichtung in demselben.
Ueber die Verbreitung des Einzelhofsystems ist bereits im
äten Teil das Wesentliche gesagt. Ausser in Eiderstedt, sowie in
deren Teilen der Marsch und im nördlichen Schleswig (und in Süd-
tland) (vgl. Blatt Gramm der Generalstabskarte), wo es am reinsten
sgepr'agt ist, hat es ein zusammenhängendes Gebiet des Vortommens
ch im sUd holsteinischen Heideland, in den Kreisen Segeberg und
nneberg. Vereinzelt sind Höfe in ganz Nordalbingien zu änden, in-
ssen bedeutend seltener im östlichen Holstein, als anderswo. Auf
ihmarn ist es schwer, Überhaupt einen wirklichen Einzelhof auf-
finden.
Dem Hoftypus verwandt ist der Gutstypus. Beiden gemeins:m
die vereinzelte Lc^e und zuweilen auch die rechteckige Stellung
r Wirtschaftsgebäude, welche namentlich ein Merkmal der nord-
bleswigschen Höfe ist. Hof und Gut unterscheiden sich daher in
inchen Fällen nur durch ihre Grösse, wozu dann bei grossen adeligen
item noch das bereits im ersten Teil erwähnte Anhängsel hinza-
mmt.
Ueber das Vorkommen der Güter in Nordalbingien vgl. folgende
jbersicht :
') Vgl. noch aal. hlora, nsl. holm =^ Hügel.
31]
r Siedelungskunde Nordalbingien
Tabelle IV.
K„..
Zahl der
Gutsbezirke
Kreis
Zahl der
Gutabezirki
Husum
Eiderstedt
Norderditm
Siidenütm
f^fhleawig
Rendsburg
Kckernl3rde
Kiel
Plön
Oldenburg
3
2
4
9
20
68
15
40
47
Haderaleben
Tondem
Sonderburg
Flensburg
Steinburg
Pinneberg
Storraam
Segeberg
Laueuburg
5
U
5
3
21
6
7
25
■21
40
Was das , Haufendorf betrifft, so ist dieser Typus der i
Nordalbingien durchaus vorwiegende. Er findet sich überall , sowob
in der Marsch, als in der Mitte des Landes, als auch im ehemal
slawischen Osten.
Ueber die Definition des , Haufendorfes" scheinen sich die For
scher freilich noch nicht einig zu sein. Es wäre sonst unbegreiflicl
wie G. H. Schmidt, welcher selbst Schleswig-Holsteiner ist (jets
Professor in Zürich) in seinem daseibat 1887 erschienenen Buche
-Zur Agrargeschichte Lübecks und Ostholsteins ', zu der Behauptuni
koramt: ,Aber fast kein einziges holsteinisches Dorf (soll wohl heissen
o^tho Istein isch es ; wäre aber auch dann noch nicht richtig) zeigt die bunte
ungeregelte Haufenform, das truppförmige Dorf der Herminonen." -
Statt: ,fast kein einziges" hätte er lieber sagen sollen: fast alle (ab
gesehen natürlich von den bereits namhaft gemachten Typen und de:
noch zu behandelnden slawischen). Und wenn Schmidt auf das Trupp
förmige besonderes Gewicht gelegt wissen will, so mag ein Blick z. B
auf Messtischblatt HSmerkirchen (wo die Kreise Steinburg, Pinneberi
und Segeberg zusammenstossen), oder auf M.B. Barmstedt oder Stuven
born (Kr, Pinneberg) zur Widerlegung seiner Aussage genügen.
B. Slawische Siedelungstypen.
Das Verdienst, zuerst auf die von der deutschen durchaus ab
weichende Bauart der Fehmarnschen Dörfer aufmerksam gemacht z
haben , gebührt Georg Haossen , dem berühmten , noch jetzt in Göt
tingen lebenden Nationalökonomen, In seiner historisch -statistische
Darstellung der Insel Fehmarn, Altona 1832, spricht er die Vermutun;
und in seinen agrarhistorischen Abhandlungen Bd. II die bestimmt
Versicherung aus , dass hier slawisch gebaute Dörfer vorlägen. • De
Beweis habe ich durch den Nachweis de.-iselben Dorftypus auch ir
304
Arthur Gloy,
[32
übrigen, ehemals slawischen Deutschland erbracht (vgl. S. 28 u. 41).
Viel jüngeren Datums ist die Erwähnung slawisch gebauter Dörfer in
Ostholstein. G. H. Schmidt, dessen bereits zitiertes Buch mir im Laufe
der Arbeit bekannt wurde, bemerkt, „dass nach älteren, in verschie-
denen Archiven aufbewahrten Karten und zum Teil auch noch nach den
Messtischblättem des preussischen Generalstabes, im Amte Bordesholm,
im Amfce Reinfeld, bei Segeberg, bei Neumünster, südlich und nördlich
von Nortorf, um Kiel und überall bis auf den Heiderücken Schleswig-
Holsteins sich zahlreiche slawische Rundlinge konstatieren liessen.'
Ich habe im Folgenden den Versuch gemacht, diejenigen, welche noch
heute auf den Messtischblättern slawische Bauart oder deren Spuren
zeigen, herauszuheben.
Da mir die von Schmidt erwähnten, in verschiedenen Archiven
aufbewahrten älteren Plurkarten nicht zur Verfügung standen, so konnte
ich in manchen zweifelhaften Fällen die Entscheidung, ob slawisch
oder deutsch, nicht treffen. Vielleicht würde sich meine Aufzählung
slawischer Dörfer auf Grund solcher Flurkarten noch bedeutend vermehren
lassen. Es kam mir indessen hauptsächlich darauf an, erstens, die wirkhch
typischen Slawendörfer herauszuheben, welche sich auch ohne Berück-
sichtigung des etwa slawischen Namens oder historischer Ueberliefe-
rungen als slawisch erkennen Hessen, zweitens aber, die Westgrenze
dieses Typus festzulegen. Hier war, bei dem allmählichen Uebergehen
des slawischen Typus in den des deutschen Haufendorfes, die Ent-
scheidung durch eine blosse Betrachtung der Anlage selbst nicht immer
zu gewinnen, so dass die Geschichte zur Hilfe herangezogen werden musste.
Bevor ich jetzt die Frage nach der Westgrenze des slawischen
Dorftypus entscheide, welche zugleich interessante historische Aufschlüsse
über das einstige Vordringen der Slawen nach Westen zu liefern ver-
spricht, werde ich eine Uebersicht geben erstens über die Dörfer mit
wirklich typisch slawischer Bauart, zweitens über die wahrscheinb'ch
ehemals slawischen, sowie über die, diese Wahrscheinlichkeit stützenden
Gründe, um dann an der Hand des so gewonnenen Materials die Lö-
sung obiger Frage zu versuchen. Was die gelegentlich erklärten slawi-
schen Ortsnamen betrifft, so sind die lauenburgischen entnommen der
Arbeit von Dr. G. Hey: „Die slawischen Ortsnamen von Lauenburg%
im Archiv des Vereins für die Geschichte des Herzogtums Lauenbui^.
Bd. n, Heft 2, Mölln 1888. Das übrige beruht auf den grundlegenden
Arbeiten von Franz Miklosich und A.Brückner, die mit mecklen-
burgischen gleichlautenden Namen zum Teil auf Kühnel: „Die slawischen
Ortsnamen in Mecklenburg* , Jahrb. d. Vereins für mecklenb. Gesch.
u. Altertumskunde, Jahrg. 46, Schwerin 1881. — Von weiteren Hilfs-
mitteln kommen in Betracht: die ürkundensammlung des Vereins für
Schleswig-Holstein-Lauenburgische Geschichte, das Mecklenburger ür-
kundenbuch, Levercus' Urkundenb. d. Bist. Lübeck, Urkundenb. d. Stadt
Lübeck, Langebek scr. rer. Dan. Bd. V u. VII u. s. w. Unentbehr-
lich war endlich auch die bereits zitierte Topographie der Herzogtümer
von Schröder und H. Biernatzki (Oldenburg 1855).
Die auf den nächsten Seiten gegebene Aufzählung der Slawen-
dörfer ist nach folgenden Gruppen geordnet:
:l;j1 Beitrüge zur Siede) ungskunde fiordalbing
I. [{uuctlinge;
II. Strassendürfer:
ni. Mischformen zwischen Rundling i
(S. 300 [28] ;
IV. Sackgassen.
, Unter diese Rubrik habe ich, obwoh
Rundling und manches Strassendorf
diejenigen DCrfer geordnet, bei dei
artige Form noch heute undurchb:
oder sich doch ganz deutlich als <
durchbrochen darlegt. Sie sind gewiss«
gangsform roni Rundling zum 1
von mir bezeichnet wird als
V, Fehmarnscher Typus.
I. Bandllnge.
Collow iu Laaenburg (abgekürzt in Zukunft: i. I
iüd. 12 km oordweatlicb (d.w.) von Lauenburg. Der Doifp
Alf. fUcherfOnnige Ausbreitung der Elanzeien deutlich ausg
GüIeow i. L- e.e. i~ BÜdÖBtlich) von Collow, 9 km
fin «hemftliger Sundling ; Kirche in der Mitte.
Brunstorf, vormaU (abgekürzt: vorm.) Barunest^
dschblfttt) Hamwarde, 16 km n.tr. Lauenburg (vgl. fig. 1,
hieniebeD), Tjrpus eines Rundling«; Kirche und Teich in
Aa HHte.
Dassendorf i. L., H.fi. Hamberge. 18 km n.w.
I^uenbarg.
Grabfto i. L., M.B. Siebeneicheu , 12 km b.w.
Lauenbarg. Spuren eines Bnndlings sind erkennbar. Der
-Nunc dcher slawiBch vom a^l. (= altslawischen) grab
= Hainbuche, WciBsbache.
Kasseburg i. L., M.B. Schwarzenbek , 30 km
s.w. Mslln, urkuodl. Kerseborch. Das Meestiechblatt zeigt
eiGeo etwas in die Länge gezogenen Rundling, w&brend
iacobi« Zeichnung mehr einem Rechteck nahe kommt.
Elmenhorst i. L. , M.B. Siebsneichen , 13 km
«.V. UflUn, Rondliug mit besondere deutlich ausgeprägten
Kluiieien.
Grove i. L. zwischen Kaesebarg und Grabau.
Kankelau, vorm. Kankelowe i. L., M.B. Siebenei(
bürg; Bsl. Kakoli = Rad«, Lolcb (Unkraut Qberhaupt)
= .Radelaad". In P<wen liegt ein Dorf «nd Rittergut
ßemeindeleiikon).
Kethel, Torm. Eotle, an der oberen Bille, asl. kot
Eoberg, n.e. KSthel.
Pfilitz, Kreis Stormam, M.B. Eichede, 3V> Icm 8.
i«t hente bebaut. Der Name hängt mit poüca, Deminut.
juuneu (vgl. Dorf und Gut POlitz in Mecklenburg- Seh weri
Breslau, und ähnliche mehr.
Sehmadorf, vorm. Sewestorp, Seweneatorp. 3'/'
Klein-Barnitz (vgL Lev. UTkundeub. d. Bist. LQ
be^, an der Trave- Niederung, M.B. Oldesloe.
Willendorf n.fl. Oldesloe.
Cronsforde. 9 km s. Lübeck, deutlich ausgepd
Rücbeite durch die Niedemngsn dee Steckenitikanals ged
FondiiuigeD IDT dentachcn Lmnilea- and Volkskande, VIT. i.
30Ö
Arthur Gloy,
[M
Ekhorat ia Oldenburg, M.B, Hamberge, tj km n.w. Lübeck.
Rethwischdorf i. L., M.B. Eichede, 5 km b.ö. Oldesloe, ßcherRmi^t
Ausbreitung noch deutlich erkennbar; Dorfpliitz heute bebaut.
Sandenneben. vorm. Zaozegnewe, Kr. Stormam, M.B. Trittau; 14 kui
n.w. Mölln.
Alten-GCrs, Kreis Segeberg, 5 km a.ö. Segeberg. ael. gora = B.ig.
gorica, Gßrtz etc.
Hflgeradorf, 2'/» km s.w. Segeberg, daa alte, nm Helmold und urkuml-
lieh mehrmch erwähnte slaw. Cuzalina.
Arfrade i, 0., M.B. Curau. 8 km n.w. Lübeck.
Ohernwoblde n.w. Arfrado.
Klein-Parin n.w. Lübeck i. Oldenburg (vgl. Parin, Meckl.).
Ratekau i. 0., M.B. Schwartau, 9 km n. Lübeck, vorm, Ratecowe. ein
jetit mehrfach durchbrochener, durch Anbauten entstellter Rundling.
Qeescbendorf?, 8 km 6. Segeberg, fächerförmige Stellung der Hlu.^i
aber ein eigentlicher Dorfplati ist, wenigstens auf dem Mesfitischblätf . nicht /u
erkennen.
Stocksee am gleichnamigen See (Ad. v, Bremens Colae?).
Sarkwitz. vorm. Serkevitze, U km. n. LObeck, M.B. Curau, fiicherßrtpi?-
Ausbreitung nach rückwärts (vgl. Cronsforde), Dorfplatr jetzt bebaut.
Zarnekau, 3V> km ö. Eutin, ist in seiner ursprünglichen Anlage, die i'i-
gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts unverändert blieb, unzweifelhaft tic
slawischer Rundling gewesen (vgl. Schmidt, Zur Agrargeech., S. 31).
Fiefbergen und Krummbek, Kreis Plön, M.B. Bentfeld, scheinen verbaute
Rundlinge zu sein. Noch ums Jahr 121(> wohnten in dieser Gegend Slawen (v^L
Schleswig- Ho Istein, Urk. I, S. 191). Der Dorfplatz ist heute in beiden bebaot, inn
mehreren Strassen durchschnitten ; aber die Richtung der in konzentrischen Krei*w
liegenden Gebäude auf den Mittelpunkt unverkennbar,
Gross-Harrie, H.B. Brügge, Kreis Kiel. Die Spuren de« ehemalisr^rL
Rundlings lassen sich in dem Dorfe noch erkennen. Ein freier Dorfplatz ist beulr
nicht mehr vorbanden , aber es ist olTenbar, daw ein
... . solcher existiert bat. Der ehemalige Name des Doite-
"E- '^- war: Harge. Horghe, Groten-Harge. Im Jahre 1141 t.
statigt Bischof Adelbert die Zehnten des Dorfes dem Neu-
münsterschen Kloster, Wahrscheinlich ist das Dorf kui:
vorher (um 113S) den Slawen abgenommen und ronD''iit
sehen (wohl Holsten) bezogen worden. Die früheren Bi-
wobner werden zunficbst das nahe gelegene Klein-Harri'
gegründet haben. Die Thatsache. dasa in der NAbe auct
noch ein Fief- und ein Negen-Harrie liegen, lefjen die Vrr.
mutung nahe, dass die .ejectio Slavorum* hier mehrp;-
Stufen durchgemacht hat.
Raisdorf , zwischen Kiel und Preetz, auch KMr'.-
Haisdorf genannt, vormals Ratwardesthorp <d. h. Toi:'
äiebenbäumsD in Laneu- des Katwardus), wendischen Ratverstorp. Der ^r
bürg (StraBsendort). räumige Dorfplati ist dreieckig.
Schmalatede westlich von Bordetbolm '^■■'■•'
Brügge östlich von B. sind möglicherweise ebenfalls Rundlinge gewesen. Vi'l-
leicht liesse sich dies auf Grund älterer Flurkarten noch beweisen.
II. SlrasBendSrfer.
Schiphorst, vorm. Sciphorft, i. L., MB, Eichede, 21 km w. Ratzeburs.
Im Norden hat Schiphorst einen Anbau (logen. Koreitz). (Vgl, Meckl. l'rkundenb. I
Nr. 3T>'>: Scipborst: Slavi sunt, nullum beneficium est.)
Siebenbiumeni. L., M.B. Cramesse, 18 km n.w. Ratzebnrg (vgl. Fig. 2
Typus eines slawischen Strasaendorfes.
Mustin i. L., M.B. Seedorf, "Vs km ö. Ratzebuiv, fScherRirmige .An'-
breitnng nach rückwärts, zwischen zwei Seeen gelegen, asl. raost = BrOckf 'v^i
:t.'>] Beiträge zur SiedelungEkunde Nordalbin^
Muatin in Mecklenburg-Schwerin, WendUch-Musta, Dorf iir
Vorwerk zum Rittergut Tribberaz, R.B. Stralsund).
Moislin g, 3'li km s.w. Lübeck, an der Trave (vgl.
sien . andere mit Mois zusammengesetzte Ortsnamen häufig
in Lüneburg, Amt Bleckede.
Renaefeld, vorm. Ran zi Tel t, Rensvelde i.D., M.B. i
.\Lisbuchtung der StiMsc mit Kirche und Teich.
Curao, 10 km n.w. Lübeck, Ausbuchtung der Strf
^i-nkrecht zur Stnusenlinie, welcher ihrerseits senkrecht EU
KauptrerkehrBAtraase steht, in welche sie mündet (vgL C u i
und Stettin).
Bentfeld, Kreis Pl6n, ziemlich verbaut (Schleswii
Stakendorf, M.B. Bentfeld, Kreis Pl8n (vgl. 5
S. 191. 21ti. 219.)
III. Mischformen iwlicben Band- nnd Stri
Sa hm«, vorm. Sabeniz, Sabnitze, Sambse i. L. , 1
dem Durchschnitt einer sehr dicken Linse vergleichbar; Ki:
ziiba = Frosch, zabinioi — Froschteich,
1. Havekont i. L., M.B, Schwarzenbek. 17 km n.w.
kost? i. O., M.B. Ahrensbök.)
Tramm i. L., vorm. Tramme, Dramme, s.w. HOUn.
Schmilau, vorm. Smilowe i. L, . M.B. MMln. S
feld'. dem deutschen Ortsnamen „Rethwisch' entsprechend
Siek, vorm. Vulensike. Kreis Stormam, 29 km n.ö.
bui^; die Kirche liegt in der Mitte der Ausbuchtung. D
winer Längsrichtung durchziehenden , konvex gelegenen
Strassen, welche die Kirche um schli essen , steaen senk'
recht zur nahe vorbeiführenden Hauptverkehrsstrasee.
Die Häuser schlieMeu sich der Rundung der beiden Dorf'
Strassen an. Die Gärten sind nach hinten geradlinig ab-
f;eschnitten, so dass das ganze Dorf ein Rechteck bildet.
Eichede, Kreis Stormam, M.B. Kichede, 11 km
ron Oldesloe, vorm. Slamerseken, Kkede (vgl. Fig. 3).
Leezen und Blunk (Bulilunkin), deren Namen
.sicher slawisch sind, weisen noch Spuren dieser Bau-
art auf.
Bissee, vorm. BJstekesse, Bisticse, Groten Byssee.
Kreis Kiel , am Auafluss der Eider aus dem BothkEunper
Se<!. Die eine (Qstliche) Hälfte der Rundung ist noch
sehr deutlich und regelmässig erhalten.
Meimersdorf, Kreis Kiel, 5 km von Kiel, mit ,
deutlicher Ausbuchtung, an welche die Häuser sich sehr
i'^K^Imäsaig anBchiiessen.
Moorsee, vorm. Morse, Kreis Kiel, 2 km s.o. M
IV. Sack ;b8 Ben.
Lanze, vorm. Lantsaze i. L., M.B. Lauenburg, 4 ki
heute mit nur einem Eingang versehen. An der RUcksei
Fahrwege in die Steckenitz-t^ederung hinein (vgL Lanz,
Potsdam. Lanze in Lüneburg, Kreis Dannenberg, Lanzen,
K.B. Köslin). Der Name Lanze kommt indcEj-'^en auch bei I
Gross-Pampau, vorm. Dudeachen-Pampowe i. 1
Vt km n. Lauenburg, noch heute eine huffSrmige Sackga
Klein-Pampau , vorm. Wendisch-Pampow , Slavicum Pampa
lässt keine deutlichen wendischen Spuren in der Bauart m«
g Althur Gloj-, |;lii
»s-Pampau haben wir einen Bichereii Beleg dafür, daaa die einwandemdm
itBchea Ansiedler den Slawen ihre BQrfer ohne weiterea abnahmen und eeUitt
sogen. Die Slawen bauben sich dann gewöhnlich in der Nähe ein sweiUi Dori
:L Über den Namen : Erbpachtbof und Pfarrdorf Pampau (Fampowo) in Hecld«D*
rg-Schwerin),
Güster, urkundlich: Gnztrade; Goatirady — ,de* Gastfreund«' (vgL Hejj.
illeicht hängt dor Name auch mit asl. guäter = Eidechse, nsl. guscer. koicw.
b. gulter , gusterica u. h. w. znsainmen (Miklosich, Denlischr.). Aehnlict
itende Namen sind: Güstin, R.B. Stralsund, GOatow, fünfmal in den B.£. Stettin
i Potsdam, Güatritz in Lüneburg. ~ Das lauenborglsche Güster liegt am Steckenih-
nai; einseitige Ausbuchtung der Strasse, fäcberrärmige Anordnung der Gebände.
Grambeh i. L., M.B. Gudow, 5 km s. Mölln, noch heut« eine abge-
ilossene , in die Niederungen des Steckenitz-Kanales hineinreichende Sadcgise.
deren Knde die Kirche liegt (asl. grambok = Bauer).
Techin i. L., M.B. Zarrenin, 18 km s.d. Ratzeburg. Die Rückseite d»
rfes ist an den Schallsee gelehnt, fUcherffirmige Stellung der Häuser. Für des
men ist (abgesehen von der Endung: in, welche schon allein snm Beweis ive
w. Ursprungs genügt) charakteristisch , da^a alle mit Tech- EU8ammengesetzt«ii
tsnamen nur in den östlichen Provinzen vorkommen.
Lfichau, vorm. Lnchowe, i. L., M.B. Nnsse, 17 km w. Ratzeburg. Da« Dorf
gt abseits von der Hanptstrasse. Die Hiiiter«eit« ist ins Dovenseer Moor hinein'
richtet. Ueber den Namen vgl. russ. lug — Wiese, cecb. lub = feuchter Ort.
ildwiese, poln. lag = Sumpfboden, aserb, Inh — Hoor, Wieeenbrach, usetft,
; = Wasüerpfubl; vgl. noch Lüchow, Stadt in Lüneboi^, Kreis Dannenberg;
■ner: Havelländischea- und Bhin-Lnch im Havelland.
Duvenaee i. L., M.B. Kusse, 0. LQchan, gleichfalls f&cherfOrmig nachhinUD
I Moor hin eingebaut.
Vorrade, 5 km s. Lübeck, am Landgraben,
Schattin. vorm. Scattyn, 9 km s.S. Itlbeck.
Eesdorf, vorm. Eersdorf, Eetstorpe i. 0. Die Rückseite ist an die Schwartau
Lehnt, über welche als zweiter Ausgang eine Brücke fahrt. FicherfSrmige SUl
lg der Häuser.
Febrenbötel, n.w. Begebet^- Aach das etwas Östlich davon gelegene
igembOtel zeigt eine ähnliche ^nart. Eins der beiden DQrfer wird url^il-
h als Slavica villa botele bezeichnet.
Faaseudorf i. 0., n. Eesdorf, an der Rtlckseüe fftcherfOnnige Stellnn;
Ausser den bisher aufgezählten giebt es in Nordalbingien nocb
rei Slawendörfer, welche sich indeeeen nicht unter die von mir ge-
Bchten Gruppen einreihen lassen, sondern sich mehr an den noch za
ihandelnden Fehmamschen Typus anBchliessen. Es sind Qönnebek
td Kropp.
Qönnebek Hegt 3'/» fan b.w. Von Bomhövd. Das Dorf gleicht
aem etwas verschobenen Rechteck oder vielmehr einem Trapez nü
rei rechten Winkeln. Alle vier Seiten sind mit einer schnu^eraden
eihe von Häusern besetzt. Der grosse Doriplatz ist unbebaut. Eme
,ur des Dorfes wird noch heute Wietzig genannt (ein unzweifelhaft
awischer N^ame, vgl. Putzig u. a.).
Eropp zwischen Readsburg und Schleswig, in der Heide ge-
gen, wohl einer jener letzten ZuBuchtsorto der gehetzten, Qberall ton
im guten Boden vertriebenen Wenden. Das Dorf zeigt in seiner
nlage ein regelmässiges Rechteck nach Art der S. 300 [28] anf-
izählten und der Fehmamechen DSifer. Auch der Name Uesae mh
ohl aus dem Slawischen erklären (vgl. Miklosich, ,Die BlawixAie n Orte'
men aus Appellativen", Denkschriften der Wiener Akademie, Xiiü.
■Ji'A Beiträge zur Siedelungskunde Nordalbingiens. 303
S. 188, unter Kr^p = dichtgedrängt). Ein Kropp giebt es auch in
Krain, ein Eropien bei Gumbinnen, Dorf und Rittergut Kroppen im
R.B. Liegnitz, Kolonie Kropusch, R.B. Liegnitz ; daneben giebt es frei-
lich auch ein Kroppach, EtB. Wiesbaden, welches natürlich deutsch ist.
Ergebnisse.
Mit der gegebenen Aufzählung ist die Zahl der schon aus der
Anlage mit Bestimmtheit als slawisch erkennbaren Dörfer Nord-
albingiens nahezu erschöpft. (Auf die Fehmarnscben werde ich noch
za rück kommen.) Nun giebt es aber auf der ganzen Linie von Ham-
burg über NeumOnster, Nortorf nach Rendsburg eine nicht geringe
Anzahl von Dörfern mit freien Plätzen in der Mitte, denen aber die
fächerförmige Stellung der Häuser und die Klanzeien fehlen. Dass
uDter diesen Dörfern das eine oder das andere wirklich auf slawischer
Grundlage beruht, wird zur Gewissheit schon durch die Erwägung,
das9 westlich von der angegebenen Linie Dörfer mit freien Plätzen
nur noch ganz vereinzelt vorkommen, und man muss auch zugeben, dass
ostlich von jener Linie die Dorfplätze grösser und deutlicher aus-
geprägt aind, als es in den vereinzelten Dörfern westlich von der
Linie der Fall ist.
Was zunächst das südliche Holstein betrifft, no begegnet uns
zwischen Bille und Alster, und noch über letztere hinaus, eine ganze
Reihe solcher Dörfer, bei welchen man, ohne die Hilfe der Geschichte
in Anspruch zu nehmen, durch blosse Betrachtung der Dorfaulage nicht
recht wissen kann , ob man sie den Slawen oder den Deutschen zu-
zuschreiben hat. Als auf slawischer Grundlage beruhend, nehme ich
hier in Anspruch zunächst Stellau (vormals Stentoghe) und Hois-
dorf, südlich und nördlich von dem S. ;107 [35] als slawisch nach-
irewiesenen Siek gelegen. Bei dem ganz in der Nähe gelegenen Stapel-
told (18 km n.ö. Hamburg) kommt als verdächtigendes, wenn auch
nicht beweisendes Moment hinzu, dass der Name ursprünglich Olden-
Stapelvelde lautete und dass ein jetzt verschollenes Neu-Stapelfeld
(Nien-Stapelvelde, Klein-Stapelfeld) in der Nähe lag. Wir haben be-
reits erfuhren und werden noch ferner sehen, dass bei solchen gleich-
lautenden Dörfern das eine in der Regel slawisch ist. Als weiteres
Moment ist nicht ausser acht zu lassen, dass zwischen Volksdorf und
ßergstedt (am linken Ufer der Mittleren Alster) der Flurname: Wen-
•tiwhen- Balken (Weensen-Balken) sich erhalten hat. Man wird daher
nicht zu weit gehen , wenn man ausser Voiksdorf und Bergstedt auch
□och Sasel (vormals Zasle) und Ahrensfelde als wahrscheinlich sla-
wisch bezeichnet und die Westgrenze des slawischen Dorftypus im
^'lldlichen Holstein bis mindestens an die Alster heranreichen lässt. —
Latsen doch Wilstedt sUdtich vom Alsterknie, Heunstedt nördlich von
di?r Alsterquelle und Wakendorf nördlich vom Alsterknie dieselbe
Bauart erkennen.
Weiter nördlich mögen noch genannt werden : Tönningstedt,
^ km nördlich Oldesloe: Fredesdorf, 4 km westlich Leezen: Todes-
tlO Arthur Gloy, [;i^
"elde, 4 km westlich Ktikels ; Wahlstedt zwischen Segeberg uad Fehren-
}Ötel ; Willingrade zwischen FehrenböteL und NeumQnster, östlich vod
Trosä-Eummerfeld , wo man auf dem dort gelegenen sogen. Klinken-
jerg slawische Befestigungen entdeckt hat (vgl, .Zeitschr. d. Ges. für
Schleswig- Holstein- Lauenburg, Geacli.', IV, 2l), und V, 148).
Es ergiebt sich also, dass die Westgrenze der Verbrci-
;ung des slawischen Dorftypus genau mit der des östlichen
iieschiebelehms abschliesst. Wo weiter westwärts noch ver-
einzelte Inseln dieser Formation in der üeide vorkommen, da tragen
lie zum Teil auch Spuren der Slawen. Höchst wahrscheinlich ist das
» km nordöstlich Bramstedt auf der grossen, bis hierher sich er-
itreckenden Diluviuminsel gelegene Bimöhlen auch ein Slawendorf
feweaen.
Auch zwischen Neuratlnster und Nortorf ist die West^enze des
Geschieh eleh ms zugleich die ehemalige Slawengrenze gewesen. Von
ilawisch gebauten Dörfern ist hier allerdings heute kaum noch etwas
;u finden; es mUssten denn Schönbek nordwestlich vom Einfelder
iee und Eisendorf nördhch von Nortorf sein. Aeltere Flurkarten aber
veisen deutliche Rundlinge auf, wie Schmidt: „Zur Agrargesch. Lilbecb
ind .Ostholsteins'' bezeugt. Dass Slawen in dieser Gegend bis in die
iweite Hälfte des 12. Jahrhunderts gesessen haben, gebt ausserdem
lus der „visio Godescalci" hervor (vgl. Langebek, scr. rer. Dan. V,
i. 3()7 ff.). Hier ist zunächst von der slawischen Räuberbande der
lakariden die Rede, c. XXII, und im folgenden von der J^d, welche
lie deutschen Bewohner der Umgegend von Nortorf mit Hilfe der
Slawen, ,una cum Slavis, quorum tunc maxima pars in parochia ilU
legebat", auf eben jene Bande machen.
Von grossem Interesse ist nunmehr ein Vergleich der soeben
'estgestellten Linie mit dem Verlauf des ehemaligen sogen.
imes Saxoniae Karls des Grossen. Aber könnte man den Lime^
lur festlegen I Einigermassen sieber ist sein Verlauf nur von der Mfln-
iung der Delvenau in die Elbe bis an die Billequelle (Bilinespringl.
jiudwinestein deutet der f Prof. Handelmann als das nordwestlich von
1er Billequelle gelegene Gehege Steinburg (vgl. „Uitteilungen de^
Lnthrop. Vereins für Schleswig-Holstein", Heft IV). Wisbircon ist
»isher ziemlich allgemein als Klein-Wesenberg an der Trave gedeut«^!
vorden, aber wohl nur auf Grund der (übrigens recht schwachen!
famensäbnlichkeit. Ich halte diese Auslegung keineswegs für sicher.
ibwohl ich auf der beigegebenen Karte (Beilage 2) den Limes
loch bis Wesenberg geleitet habe. Zur Zeit der Anlegung de^
jimes ■ bezw. zur Zeit , wo die dem Adam von Bremen vorliegendt
Jrkunde Über den Verlauf, den der Limes nehmen sollte, ausgestellt
rurde, dürfte nn der Stelle des heutigen Wesenberg, d. h. nur 10 hm
Udwestlich Lübeck, also tief im Slawenlande, noch keine deutsche An-
iedelung bestanden haben. Demnach wäre Wisbircon ein slawischer
fame. Wesenberg aber ist ein rein deutscher, welcher von den spä-
eren deutschen Ansiedlem aus dem westlichen Deutschland mitgebracht
rorden und nicht erst durch Verdrehung eines slawischen entstanden
ät. Es bliebe nur noch die Möglichkeit, dass Wesenberg zufällig auf
lilll lieiträge iiir Siedelungskonde Nordalbingiena, 31
der Stelle des alten Wisbircon entstanden wäre. Uebrigens ist dt
Xanie Wesenberg mit den deutschen Kolonisten auch bis nach Mecklen
bürg gedrungen.
Wir sehen uns also wieder auf Bilineapring oder, wenn man wil
auf das 6ehege Steiaburg zurückgedrängt. Daa nun in der Beschrei
bung Adams folgende Birznig ist freilich als die Bissemtz gedeute
worden (eine Au. welche sich von Süden her in den Warder See ei
j^'iesstl ; ferner Horbinstenon als Garbeb (nördlich vom Warder See
.\ljer bewiesen bat dies noch keiner.
Die weiter folgende silva Travenna ist ja deutlich, giebt ab(
keinen festen Anhaltspunkt; denn ehemals erstreckte sich ein gewal
tiger Urwald an beiden Ufern der Trave entlang, wenigstens bereit
von Barnitz (zwischen Oldesloe und Wesenberg) an (vgl. Levercui
Urkundenb. d. Bist. Lub. Nr. 20, wo von dem Beginn der Rodun;
dieses Waldes im Jahre 1200 die Rede ist), bis über Segeberg nörd
lieh hinaus.
Ich vermute, da»s dieser Urwald die Stelle eines Limes vertrete
hat. Ob innerhalb desselben ein Verhau oder der Verlauf der Trav
auf der in Betracht kommenden Strecke eine bestimmtere Grenze gt
wesen sind, wird nirgends gesagt. Nun bat Handelmann drei natUi
liehe Hügel bei Oldesloe, deren Kranz offenbar durch Menschenhan
v.\i Befestigungzwecken erhöht ist (wie der Klinkenberg bei Grosf
Kummerfeld), ferner die sogen. Schwedenscbanze bei der Molile vo
N'Lltschau (nordwestlich Oldesloe), endlich Steinwälle an der , Faule
Trave* bei Negerabötel (nordwestlich Segeberg} als Reste des ehe
tnaligen Limes angesehen. Mir scheinen sie vielmehr Reste slawische
Betestigungen zu sein. Möglich bleibt es ja aber immerbin, dass di
Slawen den Spiesä umdrehten und die von deutscher Seite befestigte
Punkte des Limes in ihre Hände brachten. Wir sitzen hier eben mi
unserer Kenntnis des Limes vollständig auf dem Trockenen. Wen
ith dennoch auf Beilage 2 durch die punktierte rote Linie (zuc
l'nterjchiede von der gestrichelten) den Verlauf des Limes auch au
dieser Strecke angegeben habe, so will ich damit nur andeuter
dass ich den Westrand der silva Travenna , welcher bis an di
Grenze des Geschiebelehms herangereicht zu haben scheint, für de
Westrand des Limes halte, den ich demnach auf der Strecke vo
Oldesloe nach Segeberg als Grenzstreifen auffasse. Dass die rot
Linie auf der Karte bestimmte Oertlichkeiten berührt, ist natUrlic
nur Zufall.
Die östliche Ausbuchtung der Linie nach Wesenberg erscheir
freilich unter diesen Umständen als sehr unwahrscheinlich. Aber, wi
gesagt, steht Wesenberg als Wisbircon keineswegs fest.
Der nächste gesicherte Punkt des Limes ist jetzt Blunk (Buli
luiikin) zwischen Segeberg und dem Plöner See. Agrimeswidil is
wahrscheinlich das heutige Tensfelderau an der gleichnamigen Au. un
Colse der Plöner- oder auch der Stocksee '). Besondere Befestigunge
312
Arthur Gloy,
[40
werden an den genannten Seeen und an der Schwentine kaum vor-
handen gewesen sein.
Dass der Limes nicht die Westgrenze des slawischen Stamme
gewesen ist, auch nicht zur Zeit Karls des Ghrossen, wie namentlich
ausserhalb Holsteins fast allgemein angenommen wird, brauche ich
nach dem Vorangegangenen wohl kaum noch zu betonen. Die Slawen
haben bedeutend weiter nach Westen gesessen, wie gesagt, bis an den
Westrand des Geschiebelehms, wie ein Vergleich der von mir als sla-
wisch aufgeführten Dörfer mit der geologischen Karte Schleswig-
Holstein von L. Meyn bestätigen kann. Der Limes ist weiter nichts
als die Ostgrenze der von Karl dem Grossen gegen die Slawen er-
richteten Mark, welche indessen nur ganz vorübergehend Bestand ge-
habt hat. Die eigentliche Grenze zwischen Holsten und Slawen i>t
wohl schon seit Karls des Grossen Zeiten der holsteinische Heide-
rücken gewesen. Hätten wir nicht Adam v. Bremens wahrscheicUch
aus alten Urkunden geschöpfte, gewiss nicht aus persönlicher An-
schauung stammende Schilderung (invenimus quoque limitem Sa-
xoniae etc.), so würden wir von einem Limes nördlich von der Trare
gar nichts wissen. Von dem lauenburgischen Limes aber berichtet
noch eine Urkunde (vgl. Mecklenb. Urkundenb. I, Nr. 271) vom
Jahre 10G2. — Heinrich IV. verleiht Herzog Otto von Sachsen ditf
Burg Ratzeburg etc. „salvo per omnia et intacto Saxonie limite, quem
quidem ipsi Saxones a tempore primi Ottonis unquam pos^essione
vel etiam nomine teuere videbantur".
Es bleibt nun noch übrig, auf die in der Nähe des ehe-
maligen Limes vorkommenden slawischen Ortsnamen kurz
hinzuweisen, die jedoch wegen Mangels an Raum nicht alle auf Bei-
lage 2 aufgenommen werden konnten. £s sind folgende:
Neritz, s.w. Oldesloe. — Gut Grabau (vorm. Grabouwe), w.
Oldesloe. — Nütschau, Gut n.w. Oldesloe. — Tralau, Dorf und
Gut n.w. Oldesloe (vgl. Tralau bei Danzig). — Leezen (vgl. Leetza
bei Merseburg und Leetze im R.B. Magdeburg, Leezen in Mecklen-
burg-Schwerin). — Krems, vorm. Crempisz, Kermpetze, s.w. Sege-
berg. — Schwissel, vorm. Zuizele, Huuezle (vgl. Urkundenb. der
Stadt Lübeck, I, Nr. 1), s. Segeberg. — Mözen, vorm. Mozinke, s.w.
Segeberg (vgl. Mötzlich Dorf, im R.B. Merseburg, Mötzow, Gut im
R.B. Potsdam). — Flurname K ahlin bei Fehrenbötel, s.w. Blunk. —
Petluise, Gut bei Blunk, vorm. Patluse (vgl. Putgaarden auf Fehmam.
Putlos, Kreis Oldenburg, Putbus auf Rügen u. a.). — Wietzig, Flor-
name bei Gönnebek. — Bei au, vorm. Below, n.ö. Bomhövd. In der
Nähe lag einst ein Schloss Below (vgl. Top. I, 204), „Dorf des Ma'
(slaw. Personenname). — Calübbe, vorm. Karlubbe (vgl. Kalübbe in
Mecklenburg, asl. halupa = Hütte). — Perdöhl, vorm. Perdole, Pro-
dole, sehr altes (Urkunde von 1220) Dorf am hohen Ufer des Sfcolper
Sees, asl. pr^ = vor, dol = Thal (vgl. P. i. Mecklenb.). — Stolpe.
vorm. Stholpe, am Stolper See; der Name kommt ungefähr 20mal, aber
nur im Osten des Deutschen Reiches, vor; asl. stlup, russ. stolp, poln.
slup = Säule, Fischständer (Vorrichtung zum Fischfang). — Löptin,
vorm. Lubbetin, s.w. Preetz. — Preetz, vorm. Porez, Parez. Poretze
41] Beiträge zur Siedvlungskunde Nordalbingien»> SVi
= ,am Flusse*. Der Name ist im Osten nicht selten. — Lanker See,
asi. Iflta ^ Sumpf(wiese). — Postsee, vorm. Porse, asl, poro ;=
Sumpf. — KOhren, vorm. Kuren, Kurne. — Warnau, vorm. Wamow,
ii. Bissee. — Gross-Barkau, vorm. Boreow, Wendischen Brocowe.
Dai> n^e gelegene Klein-Barkau hiess ehemals auch Ehid eschen- Brocow.
— Zum Schluss mögen noch Honigsee (vorm. Honechse), Moorsee
(vorm. Morse), Drecksee (vorm. Drachse) und Russee (vorm. Rutse),
welche alle südlich von Kiel liegen, Erwähnung finden. Slawische
Namen vergangener Dörfer giebt es in der Umgegend von Kiel noch
mehr. z. B. Cocse, Coccoze und Malugestorp.
Blicken wir noch einmal auf die unter den vier Gruppen auf-
gezählten, wirklich typisch slawische Merkmale aufweisenden Dörfer
zurück, so musB man SE^en, dass das Herzogtum Lauenburg, welches
ausserdem nahezu die Hälfte der aufgezählten Dörfer enthält, den
slawischen Typus am reinsten bewahrt hat. Auffallend ist es, dass
Wt^rien, dieses ehemals ganz von Slawen bevölkerte Land, verhältnis-
mässig wenige noch heute deutlich erkennbare Wendendörfer aufzu-
weisen hat. Es sind Fiefbergen, Krummbek, Stiikendorf, Bentfeld
und Meeschendorf (n,ö. Oldenbui^).
T. Fekmarn scher Tj|infl.
Die Fehmamschen Dörfer zeigen ohne Ausnahme einen durchaus
einheitlichen, von dem des angrenzenden Holsteins aber ganz abweichenden
Tvpus (vgl. aber S, 308 [3tj]). Der erste Blick lehrt, dass man es mit
Itechtecken zu thun hat, in denen schon 6. Haussen a. a. 0. eine sla-
wische Anlage vermutete, Dass dies thatsächlich der Fall ist, beweist.
at^esehen von einigen später zu erörternden slawischen Namen und
der Angabe Adam von Bremens (IV), dass die Insel Vemere einst von
Slawen bewohnt war, eigentlich erst der Vergieich mit den S. 300 [28J
aufgezählten Rechtecken in Pommern, Posen und Schlesien. In Mecklen-
burg ist nur ein einziges solches Rechteck zu erwähnen, nämlich Blie-
venstorf, M.B. Sarenzin, Mecklenburg-Schwerin. — Die folgende all-
(femeine Charakteristik der Fehmarnschen DiJrfer istG. Haussen,
.Historisch- statistische Darstellung der Insel Fehmarn", Altona 1S32,
entlehnt. Dort sagt er S. 102: ,Die Landschaft Fehmarn zählt vierzig
Dörfer, welche alle eine und dieselbe, auf nationalen, wahrscheinlich
wendischen Ursprung hindeutende Form und Bauart haben. Es sind
geschlossene Quadrate oder Oblonge, welche an zwei gegenüberstehenden
oder an allen vier Seiten mit Häusern besetzt sind. Neben jedem Haus
liegt die Scheune: vor beiden befindet sich, bis zur Dorfstrasse reichend,
ein geräumiger gepflasterter Platz, zur Auffahrt und' Miststätte bestimmt.
Brücke {.Brocken") — in Burg Schild genannt, dem Vorhaupt in den
Rundlingen entsprechend — : ,in der Mitte des Dorfes befindet sich
die gemeinsame Viehtränke und der Dingstein, der Versammlungsort
lier Beuerschaft, mitunter auch noch das Schulhaus. Das ganze Dorf
ist mit Steinwällen eingefasst und hat zwei Ausgänge nach den gegen-
überstehenden Himmelsgegenden, welche abends geschlossen werden,
SU
Arthur Gloy,
[42
damit das Jungvieh frei des Nachts im Dorfe und auf der Dorfstrasse
weilen kann. Neben den Ausgängen liegt die Wohnung eines Insten.
welcher zur nächtlichen Thorbewachung verpflichtet ist."
Fehlte es ganz an historischen Beweisen und könnte man diesen
Typus aus anderen ehemals slawischen Gegenden nicht belegen, so
müsste man sich mit der Hervorhebung folgender, echt slawischer Merk-
male begnügen:
1. Die geschlossene, rechteckige Anlage;
2. die Umwallung;
3. die ursprünglich auf zwei beschränkte Zahl der Aus^nge:
4. der freie Dorfplatz;
5. die Brücken (= Vorhaupt).
In den meisten Fällen sind die Dörfer an allen vier Seiten, zu-
weilen nur an drei Seiten bebaut. Wo nur zwei Seiten mit Häusern
besetzt sind, sind gewöhnlich auch die beiden Seiten näher aneinander-
gerückt, so dass das Dorf mehr einer geradlinig verlaufenden Strassen-
ansiedelung gleicht. Der innere Dorfplatz ist gleichsam als der ge-
meinsame Wirtschaftshof anzusehen, über welchen alle Fuhren u. s. w.
gehen, da den Gebäuden nach hinten hinaus keine Wege oflFen stehen.
In der Mitte zwischen den Häuserreihen der beiden Längsseiten läuft
die grosse Dorfstrasse. Sind die Kurzseiten unbebaut, so bilden die
Endpunkte der Strasse den einzigen Aus- bezw. Eingang des Dorfes,
sind sie mit Häusern besetzt, so gabelt sich die Strasse dicht vor diesen
Kurzseiten, um an den Ecken des Rechtecks auszumünden (vgl. Fig. 4.
S. 815 [43]).
Von 40 heute bestehenden Ortschaften sind nicht weniger als 37
mit Sicherheit bereits aus „Kong Waidemars Jordbog** (d. h. aus dem
Jahre 1231) nachzuweisen. Trotz des Schweigens der gleichzeitigen
Schriftsteller und der Urkunden wird man annehmen dürfen, dass die
Insel durch Waldemar I. oder seinen natürlichen Sohn Christoph unter-
worfen worden ist. Von ihren Kriegszügen gegen ,die Wagern und
die übrigen Ostseeslawen ** wird uns berichtet. Dass Fehmarn, ein See-
räubemest, wie kein zweites, nicht auch mit aller Kraft von den Dänen
bekriegt und früher unterworfen worden wäre, wie die übrigen Slawen,
würde uns wundern. Aber ausser der durch das „Erdbuch" zu kon-
statierenden Thatsache sind über die früheren Zustände keine Nach-
richten überliefert. Aus den Ortsnamen lässt sich entnehmen, dass
ganze Dörfer an dänische Lehnsträger vergeben worden sind, deren
Namen dann auf das Dorf übergingen (vgl. villa Cubonis = Kopendorf,
villa SuUonis = Sülsdorf u. a.).
In den ausdrücklich als villae Sclavorum bezeichneten Dörfern,
in denen danach eine kompakte wendische Bevölkerung sitzen geblieben
sein muss ^), wird ohne Ausnahme nach unci gezählt, in den übrigen
nach mansi oder hovae, in Klausdorf (villa Nicholai) nach mansi und
unci. Demnach sind in jenem Dorfe Kolonisten und Wenden neben-
einander angesiedelt gewesen. Dass diese Kolonisten schon damals
wenigstens vorläufig.
ii\ Beiträge zur Siedeluugekunde Nordalbingieaa. ^1,'')
nicht nur aus Dänen, sondern liauptsächlich aus Deutschen (wohl Frie-
aen, wofür die noch heute auffallende Körpergrösse der Fehmaraner
spricht), bestanden hätten, welche im Änschluss an die Kolonisation
Wagriens auch nach Fehmarn hintib ergewandert wären, ist schon mehr-
fach und mit Recht angenommen worden. Eine Nachricht aber giebt e.s
hierüber nicht.
Eine kurze Uebersicht der Fehmanischen Dörfer möge die bisher
im allgemeinen angedeuteten Verhältnisse im einzelnen beleuchten.
An allen vier Seiten bebaute Rechtecke sind:
Weatermarkelsdorf in Wald. .Krdbuch' (abgekürzt: W.K.) Mar-
Dänschenaorf. W.E. Daenakaethorp, villa alavica.
Bisdorf. W.K. villa cpiscopi (vgl. Fig. 4)-
Todendorf, W.E. Todaenthorp, SchleBwig-HoIateiniBche Urkundensamm-
lung II, 173. Tödindorp, Thodendorpe (aal. Personenname Tod, ceeh. Toda? vgl.
Toddin in Mecklenburg).
Futgaarden, W.E. Potgardae, villa alavica, asl. pod = hinter, aal.
gnd = hortue, urbs. nal. caatellum, kommt als gorod, grod.
grütz in vielen slawiachen Ortnamen vor. ^. .
Stabersdorf, W.E. Stobaerthon> , aal. stobor ''S- *■
- ääule, bulg. stobor - Haum vor dem Hause, serb. =Hof.
An drei Seiten aind bebaut:
Kopendorf, W.E. Kubbaenthorp, villa Cubonis.
^\m SQdweetende etwas zusammengebogen , grosser Teich
in der Mitte.
Sulsdorf, W.E. Villa Sullonia. wie Kopendorf.
GoUendorf, W.E. viUa Godeacalci.
Lemkendorf, W.E. Lymaekaenthorp , villa
» 1 n V i c a : die Ausgänge liegen an den Enden einer
IKagonale.
Wulfen, W.E, Wollwe.
AU-Jellingsdorf, W.E. Jaldaensthorp.
Oammendorf, W.E.Gamaenthorp, villa slavica.
Was den Namen betrifil, so ist es schwer, aus der reichen Auswahl von
Möglichkeiten daa Richtige herauszufinden. Da das Dorf ausdrücklich als villa
EJacica bezeichnet wird, ao könnte man an eine Ableitung aus dem Slawischen
(lenken. Hier stehen zur Auswahl : kamien = Stein und gaba = Schwamm. Da
die Seiten des Dorfea Wiesengrund einachlies^en, so kannte die Ableitung von Iclz-
Isrem Wort als nicht ganz ungereimt erscheinen, Kühnel leitet den Namen ,Die
liiunm", eine muldenförmige Senkung zwischen Brahlstorf und Boizenburg (Mecklen-
burg), femer den Namen der Insel Werder (vorm. Gammenwerder) im Kölpinsee
von ^be her, welches er als .Mund* erklärt (bei Miklosich: .Schwamm*). — Im
R.B. Potsdam , Kreis Oberbamim, giebt es einen .Gam engrund*, ebenfalls eine
muldenförmige Senkung; im R.B. Oppeln liegt eine Kolonie Gamroth, also eine
Rodung in einer Game; im R.B. Köln giebt ea einen Weiler Gammersbach (vgl.
nmh die beiden El bwardcr Alte und Neue Gamrae). Nach alledem halte ich
fc^ für richtiger, das Wort aus dem Deutschen zu erklären. Viel-
leicht ist ea identisch mit gam — Gaumen ? Der ^'ergleich einer Mulde mit dem
Hiiumenbecken liegt nicht gerade so fern. , Eine letitte Möglichkeit wure. daes das
Wort , wenigstens für Gammendorf auf Fehmarn , von den Dänen mitgebracht
Kurden wäre. Im Dänischen freilich bedeutet gnmnien die Freude, Lust, womit
nicht viel anzufangen ist; aber in Lappmarken und Finnmarken werden die Zelte
der Lappen von den Eingeborenen selbst Gammen genannt. Das Wort scheint in
dieser Bedeutung also tinniscb üu sein , könnte aber von den Dänen herüber-
gebracht sein. Ich halte aber diese letzte Erklärung für recht unwahrscheinlich.
Vadersdorf, W.E. Fathaersthorp.
316
Arthur Gloy, BeitrSge zur Siedehmgeknude Nordalbingiena.
[-W
Hinrichsdorf, W.E. Haenric-Scaerpingesthorp, «Dorf des Henricu!»
Scaerpin^*.
Nientorf, W.E. Nyaenthorp.
Gahlendorf, W.E. Galaenthorp, villa slavica.
Vitsdorf, W.E. Davidthorp.
Zweiseitigbeb autsind:
Wenkendorf, W.-E. Waenaekaenthorp (Personenname Weneco).
Bojendorf, W.E. Boyaenthorp, S. H. Urk. II, 173: Bogyndorp. Bogeii-
dorf kommt dreimal im R.B. Liegnitz vor, mit Bog- zusammengesetzte Ortsnamen
nur im Osten, sl. Bog = Gott.
Püttsee, W.E. Pudrae (wohl verschrieben aus Pudsae). An einer Stelle
des , Erdbuches ** wird auf Fehmam ein Pudzae genannt, welches wohl mit ersterem
identisch sein wird.
Albertsdorf, W.E. Elbaemaesthorp.
Avendorf, W.E. Ouenthorp. Der Name ist, wenn man nicht .Wentorf*
annehmen will, wohl von dem dänischen Petsonennanien Uwe abzuleiten. Die Notiz
des Erdbuches: „dominus Ouae et f rater eius habent X mansos**, bezieht sich wsüir-
scheinlich auf Ouenthorp.
Blieschendorf, W.E. Blisaekaenthorp , asl. bliz = nahe , oder slawischer
Personenname Blizek (vgl. Blieschow , ein Vorwerk zum Rittergut Dulnitz , RB.
Stralsund).
Teschendorf, W.E. Tessikaenthorp. slawischer Personenname Tesek?
Mummendorf, W.E. Mummaenthorp.
Westermarkelsdo rf, S. H. Urk. II, 172: Marlonisthorj) , „Dorf dn
Mario*.
Bannesdorf, W.E. Bondemaerthorp.
Presen, W.E. Praezniz (Puzniz). Nach G. Haussen sollen sich die B^
wohner des Dorfes noch damals (1832) von den übrigen Fehmaranem unter-
schieden haben.
Meeschendorf, W.E. MizaenÜioi'p (vgl. Meeschendorf n.ö. Oldenburg).
Klausdorf, W.E. Niclawsthorp o^er villa Nicholai.
Sahrensdorf, W.E. Ziamaesthorp (vgl. Sahrensdorf bei Harburg).
Schlagsdorf, W.E. Slawaesthorp, S. H. Urk. Schlagelsd örp.
Bei Petersdorf, W.E. Pethaersthorp , und Landkirchen, deu
beiden grössten Kirchdörfern Fehmarns, ist die ursprüngliche Anlage
bereits etwas verwischt.
In Waidemars „ Erdbuch *" werden endlich noch genannt eine villa
Lymeconis, heute Lemkenhafen, und Gel, heute Gold, ein Ladeplatz
(asl. gol = nackt, kahl, Gola = Blosse, häufiger Dorfname im slawi-
schen Osten).
Nicht erwähnt sind Strukkamp und Neu-Jellingsdorf: auch
Landkirchen ist als damals bestehend nicht sicher nachzuweisen, wenn
auch eine slawische Ansiedelung dort gelegen haben mag. — Sie zeigen
aber doch denselben Typus, wie die übrigen Dörfer Fehmams. — Auf
dem gegenüberliegenden Zipfel des Festlandes weist denselben noch
auf: Grossenbrode, vormals Brode, ein aQ allen vier Seiten bebautes
Rechteck. Anlage und Name sind unzweifelhaft slawisch (asl. brod
= Fürth), der Ort liegt an einer seichten Einbuchtung der Ostsee.
In der Nähe befindet sich die Fähre, welche den VerJEehr von und
nach Fehmam vermittelt. Der Ort trägt seinen Namen also keines-
wegs mit Unrecht. Analog mit Bezug auf Namen und Lage ist
Stahlbrode in Vorpommern, Rügen gegenüber.
gligr , Beiträge nur Sigdelmi|«lDntde Xorajnnnj^igti«
Befla^eg..
Vonclin^.sur De\ttaclieii Laxidp«- u.T&Jk»Tnmdn Bd.V][.H.3.
eeofrafh. Anstalt rrm. ^ntpUBT 1» DeTws. Leifti^
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NADELWALDFLORA
NORDDEUTSCHLANDS.
EINE
PFLANZENGEOGEAPHISCHE STUDIE.
VON
DK F. HO CR
IN LUCKENWALDE.
XT SX3^TSXt ^.A.XtTEL
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1893.
1'
^1
A.
Dnek dei DdIos DentscLe VailagageKllialiart In Stattgut.
Herrn Prof. Dr. V. ASOHERSOX.
DEH USERMtlDLICHES ERFORSCHER UER FLORA KORDDEIITSCHLAS
IN DANKBAREB HOCHACHTUNG
VOM VERFASSEU
Inhalt
3«ita
1. GeoiraphlsohB Verbrelbino der norddeirtaohBii Nadelhülier .... 10 [3S
2. B«|l«itpflMzen der NadeIhBIzer In HorddeiittchlMd 20 [33
a) Kieferawftldpflanien 20 [33
b) Pflanzen der Fichten- und Tannenwälder 40 [35
3. fitHBMRMhanen Innerhalb der Nadelwaldflora NorddeiteohlHnda . 45 [36
Sehliu 51 [36
Anhing : Kurze Uebenicht Ober daa Verbalten der wichtigsten
Begleitpflanzen der Kiefer in einigen Grenzgebieten des
BaumCB 52 (36
EiRlflt BeneriuMien lur Karte 56 [37
Vorwort
Angeregt wurde vorliegende TJntersuchiuig hauptsächlich durch
lie höchst interessantea Arbeiten £. H. L. Krauses über die Verbreitung
ler Kiefer in Korddeatschland. Verschiedene Arbeiten Drudes ver-
inlassten mich dann, das Verhalten der Kiefernbegleiter zu den dort
Hifgestellten Grenzen zu prüfen. Dass dies in eo weitem Masse mir
üblich wurde, wie die vorliegende Arbeit zeigt, verdanke ich nur der
jüte des Herrn Prof. Ascbereon, der mich nicht nur mit Litteratur,
•andern namentlich auch durch Mitteilungen aus dem reichen Schatze
»iner Erfahrung aufs freundlichste unterstützte. Wenn ich daher mir
irUnbe, ihm diese Arbeit zu widmen, so ist dies nur ein geringer Be-
reis des Dankes fUr die vielen Freundlichkeiten , die er mir bei der
Anfertigung derselben erwies. Dass ich auch noch anderen Forschem
für Mitteilungen zu Dank verpflichtet bin, ist mehrfach in der Arbeit
l[esagt.
Wenn trotz dieser vielfachen Unterstützung die Arbeit noch be-
lentende Mängel aufweist (namentlich hinsichtlich der Tannen- und
Pichtenbegleitpflanzen) , so beruht dies wesentlich darauf, dass ich nur
TerhältmsmSssig geringe Teile des Gebietes aus eigener Anschauung
kenne. W^en dieser Mängel erbitte ich die Nachsicht der Fach-
Dass ich die Arbeit, trotzdem sie wesentlich den Botaniker inter-
essierenden Stoff behandelt, ftlr diese , Forschungen ' bestimmte, ist
dadurch bedingt, dass Drude gerade Untersuchungen über ganze ,GIe-
822 F- H6ck. NadelwaiaBora Norddentschlandi. |i,
nossenschatten' als besonders wertvoll för die Erforschung der Lande*-
kande bezeichnet , die vorliegende Arbeit aber wesentlich den Zweck
hat, die Genossen der norddeutschen Nadelhölzer und deren Beziebungec
zu diesen selbst zu erforschen. Mögen daher auch manche der Eiiii«l-
heiten die Gec^p^phen wenig interessieren, so glaube ich doch, im
die Hauptaufgabe der Arbeit durchaus in das Gebiet der Geographie.
speziell der Vaterlandskunde, ^It.
Ginleitung.
Als , Waldgebiet des östlichen Kontinents' bezeichnet
Grisebach in der einzigen bisher Torliegenden ausführlicheren Be-
arbeitnnf^ der „Vegetation der Erde' das Florengebiet , dem nosei
g&Dzes Vaterland angehört; unter dem Kamen , Mitteleuropäisches
Waldgebiet' gliedert Drude in der , Anleitung zur deutschen Landes-
und Volksforecbung' den europäischen Anteil dieses Gebietes. Den Wald
bezeichnen beide hervorragenden Pflanzen geographen als wichtigstes
Charakteristikum unseres Florengebietes. Seine Grenze nach Norden
hin bietet die natürlichste Scheide gegen die arktische Oede. Auch dem
von Sflden her kommenden Fremdling fiel schon vor zwei Jahrtausenden
die Menge der Wälder in unserem Heimatlande auf. Wenn nun auch
seit den Zeiten des Tacitus viele unserer Wälder unter der Ast ge-
fallen sind , so ist doch sicher noch heute keine Vegetationsformation
fOr Teile unseres Vaterlandes so charakteristisch wie der Wald, der
einer Landschaft in erster Linie ein besonderes Gepräge verleiht, oft
daher auch zur Benennung beigetragen hat (Spreewald, Schwarzwald,
Fichtelgebitge u. a.). Sicher ist auch, dass viele jetzt waldentblösste
Orte sofort nach Aufhören der Kultur wieder in Wald übergehen
worden , wie es HofFmann durch den Versuch nachgewiesen hat ').
Das Studium der Wälder unseres Vaterlandes ist daher unstreitig
eine Aufgabe, die in den Rahmen der Arbeiten dieser , Forschungen'
hineingehört. Schon ein Heft derselben beschäftigt sich auch mit den
Charakterpflanzen dieser Formation, den wichtigeren Waldbäumen
(Bd. ni, Heft 1). Da dieses sich indes ganz auf die Leitpäanzen der
Wälder, die Bäume, beschränkt, schien daneben eine Untersuchung
Ober die gesamte Waldflora wünschenswert, besonders um zu zeigen,
in welchem Grade die untergeordneten Glieder der Formation von
ihren Uauptcharakterpflanzen abhängig sind.
Eine derartige Untersuchung über sämtliche deutsche Wälder
würde, wenn sie Oberhaupt Über das allgemein Bekannte hinausgehen
und neue Gesichtspunkte liefern sollte , weit Über den Rahmen einer
') Vgl. Thomö, Thier- und I'flanaengeographie S. 582 tf.
324
F. Hock,
[S
Arbeit dieser „Forschungen** hinausgehen. Es war daher eine Be-
schränkung von vornherein wünschenswert. Bei der üebemahme
dieser Arbeit habe ich daher sofort nur die Wälder des norddeutBchen
Tieflandes in Aussicht genommen, zumal da ich nur diese, wenigstens
in einiger Ausdehnung, aus eigener Anschauung kenne, Mitteldeutsch-
land nur vorübergehend, Süddeutschland gar nicht besucht habe, aber
auf alle Fälle von eigener Anschauung auszugehen für geraten hielt
wenn diese auch natürlich bei weitem nicht allein ausreichen konnte.
Doch auch in der Beschränkung auf die Wälder Norddeutschlaods
ergab sich schon bei den Vorarbeiten so viel Material, dass es un-
möglich war, dasselbe auf dem hier beschränkten engen Räume zu
bewältigen, es musste eine Teilung eintreten. Mit Einwilligung des
Herausgebers dieser „Forschungen^ habe ich mich daher vorläufig auf
eine Gruppe unserer Wälder beschränkt. Für diese weitere Teilung
hielt ich mich an die von Drude in der „Anleitung zur deutschen
Landes- und Yolksforschung'* gegebene Formationsabteilung, nach
welcher immergrüne Nadel- und sommergrüne Laubwälder als Haupt-
gruppen unterschieden werden. Obwohl ich mir sehr wohl bewusst bin«
dass die mannigfaltigsten üebergänge zwischen diesen beiden Formations-
arten bestehen, schien mir für den vorliegenden Zweck einer Unter-
suchung der gesamten Waldflora Norddeutschlands gerade in ihrem
geselligen Auftreten dieselbe doch die natürlichste. Wie in der bio-
logischen Systematik müssen auch hier erst künstliche Trennungen all-
mählich zur Erkennimg des von Natur Zusammengehörigen führen.
Die vorliegende Arbeit ist daher ganz auf die „Nadelwaldfiora
Norddeutschlands'* beschränkt^). Die Abgrenzung des Gebietes nach
West, Nord und Ost geschah, da natürliche Grenzen fehlen, aus rein
praktischen Gründen^) durch die politischen Grenzen, was indes kaum
in Betracht kommt, da, wie sich zeigen wird, nach Nord und West
von ursprünglichen Nadelwäldern überhaupt nicht die Rede sein kann,
nach Ost dagegen dieselben ziemlich unverändert sich über die Grenze
des Gebietes fortzusetzen scheinen. Nach Süd hin wurde die Grenze gegen
die Mittelgebirge und deren Vorberge angenommen; doch war natür-
lich eine gelegentliche Berücksichtigung aller Grenzgebiete nicht aus-
geschlossen ; nur wurden solche Pflanzen fast oder ganz unbeachtet ge-
lassen, welche wesentlich nur Bewohner der Berge und ihrer Ausläufer
zu sein schienen.
Die Untersuchung der Nadelwälder verlangte natürlich zunächst
eine solche über die Verbreitung der Nadelbäume, bei der aber selbst-
verständlich die von Borggreve schon erörterten Verhältnisse möglichst
*) Hoffentlicb ist es mir vergönnt, eine Untersuchung über die Laubwald-
flora desselben Gebietes später folgen zu lassen, wozu ich schon einige Vorarbeiten
unternommen. In dieser würde dann auch erst der (vielleicht häufigste) Misch-
wald nähere Berücksichtigung finden kOnnen, was hier nur gelegentlich geschieht
Kaum möchte ich mit Krause (Naturw. Wochenschr. 1891) annehmen, dass U'-
sprflnglich alle Wälder gemischte Wälder waren; gerade hier in Brandenbug
scheinen mir viele doch ursprünglich wenigstens sehr vorwiegend aus Nadelhölzern
gebildete Wälder zu sein, wenn auch Birken u. a. Laubbäume wohl nie ganz darin
fehlten.
^) Mit Rücksicht auf die mir ausreichend zu Gebote stehende Litteratur.
<)l Nadelwaldflorn Norddeutschland 9. 32!
ausser acht gelassen wurden, soweit sie nicht mit Rücksicht auf die wer
teren UnterBuchiugeD ein genaueres Eingeben verlangten. Ganz uD'
abhängig von jener Arbeit sind selbstTerständlich die Untersuch ungei
ober Verbreitung der anderen Pflanzen unserer Nadelwälder und Ubei
die Abhängigkeit derselben von den Leitpäanzen , welche naturgemäsi
den üauptteU der Arbeit ausmachen.
Dass eine Arbeit wie diese grossenteils auf Litteraturstudien be-
ruhen muss, ist einleuchtend, ebenso dass sie nicht lauter neue Resul-
tate zu Tage fördern kann , sondern in vielen Fällen nur zusammen-
stellt. Ist es doch auch eine Hauptaufgabe dieser , Forschungen"
Material zu sammeln. Es war daher weniger mein Bestreben, Selb-
ständiges zu liefern , als möglichst zu suchen , das thatsächlicb Fest-
stehende zusammenzustellen. Daher habe ich mich häufig in zweifel-
haften Fällen an Spezialforscher gewandt, die dann meist auch bereit-
willigst mir Auskunft lieferten. Selbstverständlich habe ich in solcher
Fällen immer gewissenhaft die Quellen genannt ') , während bei aller
Ei nzelan gaben aus Floren oder ähnlichen Werken dies nicht immei
möglich war, ohne den Umfang der Arbeit zu sehr auszudehnen.
') Nar bei den recht zahlreidien Einzelangnben seitens de^ HeiTD Prof
AschersOD, die oft auf Berichtigung der von mir aufgestellten Uebersicbtei
und Grenzlinien binaualiefen, war dies nicht in jedem Einzelfall möglich.
1. Geographisclie Verbreitung der norddeutschen Nadel-
hölzer.
Um möglichst genaue Angaben über die Verbreitung der nord-
deutschen Nadelhölzer zu erlangen, habe ich in einer yorläufigen
Arbeit (Natur 1892) die in der mir zugänglichen Litteratur vorliegendeD
Angaben gesammelt und zu ergänzen gesucht ; ich hoffte dadurch, das$
ich auf die zweifelhaften Punkte hinwies, zur Lösung derselben bei-
zutragen. Doch sind mir wenige Ergänzungen seit dem Erscheinen
jener Arbeit zugegangen. Deshalb mache ich noch einmal hier auf
die noch zweifelhaften Punkte der Verbreitung innerhalb des Gebiete
aufmerksam. Da für die Entscheidung der Frage, wie sich die Begleit-
pflanzen zu den Nadelhölzern, in deren Beständen sie vorkommen, auch
die Verbreitung ausserhalb unseres Gebiets von Bedeutung ist, mag
auf diese ebenfalls kurz eingegangen werden. Hierbei kann ich mich
meist an die ausgezeichnete , Forstliche Flora *" von Willkomm an-
schliessen, werde ausserhalb des norddeutschen Ebenengebiets kaum
eine wesentliche Ergänzung zu den dortigen Angaben liefern können.
daher diese auch nur als Materialsammlung betrachten und demgemäss
möglichst kurz behandeln ^). Schon in meiner vorläufigen Mitteilung
über diesen Gegenstand wies ich darauf hin, dass wahrscheinlich nnr
fünf Nadelhölzer als einheimisch in Wäldern Norddeutschlands zu be-
trachten seien. Eine sechste Art, die Lärche ^), steigt zwar häufig in
die Ebene hinab, ist aber wohl nirgends innerhalb derselben als wild
zu betrachten, während eine andere vereinzelt in Norddeutschland (ob
wirklich spontan ?) vorkommende Konifere, die Krummholzkiefer (PiDiis
montana), als Moorpflanze hier bei einer Untersuchung der Wälder gar
nicht in Betracht kommt. Auch von den übrigen fünf Arten ist eine,
die Eibe (Taxus baccata), nur sehr sporadisch innerhalb des norddeutschen
Tieflandes in spontanem Zustande verbreitet;. Für Westpreussen ist die
') Vorläufig beschränke ich mich ganz auf die thatsächlichen Aogabeo,
theoretische Erörterungen bis zum letzten Abschnitt verschiebend.
') Die in der , Natur* gemachte Angabe über Verbreitung der Lärche in
früheren Erdzeitaltem nach Lauenburg hin beruht nach ,t. Fischer-ßensoo.
Moore der Provinz Schleswig-Holstein ", auf früherer falscher Bestimmung.
k
11] F. H6ck, Nadelwaldflora NorddeutecblandB. ^2
Verbreitung dieser Art in sorgfältigster Weise neuerdings durch Conwent
nachgewiesen (Abhandlungen zur Landesiiuitde der Provinz Westpreusset
Heft in, Danzig 1892). In dieser Arbeit fasst er sämmtliche Vor
kommnisse der Eibe in Westpreussen in drei grössere Gebiete zu
sammen: 1. ein kassubisches (westlich von Danzig und Dirschau'
2. die Tucheier Heide und 3. die Hammersteiner Heide ^).
CoDwentz erwähnt in jener Arbeit, dass sich nach Durchsicht de
Herbars im Königlichen Botanischen Garten zu ESnigsberg für Ost
preussen 20 Standorte des Baums ergeben. Auf meinen Wunsch teilt
er mir gütigst diese mit, obwohl er ausdrücklich erwähnt, dass e
keinen derselben aus eigener Anschauung kenne, also nicht Ober dere
Natur urteilen kdnne. Sie verteilen sich auf die Kreise : 1. Allensteir
2. Braunsberg, 3. Darkehmen, 4. Friedland, 5. Ooldap, 6. Heilaberg
7. Labiau, 8. Lyck, 9. Neideoburg, 10. Oletzko, 11. Rössel*). Da
Hauptgebiet der Eibe in Ostpreussen scheint im Kreis Heilsbei^ z
liegen, von wo Ausläufer westwärts bis Mehlsack, noch Ost und Nord
Ost in die Kreise Rössel und Friedland, sowie nach SUden in Allen
stein und Neidenburg gehen. Ein zweites Hauptf^ebiet scheint nah
der Oatgrenze, ostwärts von Spirding und Mauersee und sfldwärts to
der Pissa in den Kreisen Darkehmen, Goldap, Oletzko und Lyck vor
banden zu sein, während der Fundort im Kreise Labiau isoliert liegt
Ob indes nicht einige verbindende Standorte sieb finden und wie wei
diese Gebiete als einheitliche zu betrachten sind, muss eine Unter
stichung an Ort und Stelle lehren.
Auch in der westlich an Westpreussen grenzenden Provin
Pommern sind noch Eiben vorhanden, doch, wie es scheint, nur a:
wenigen Orten. Marsson nennt die Eibe nur vom Dars und als Irflhe
verbreitet in der südwestlichen Stubnitz^). Willkomm nennt sie (nacl
Seebaua) aus Mischwäldern im Osten des Dammschen Sees, des Papen
waasers und des grossen Haffs (besonders in den Ibenborst genanntei
Waldorten beim Dorfe Pribbernow und des Rehager Reviers, docl
ist, wie Herr Professor Ascherson mir sagte, auch im Westen der Ode
ein solches Vorkommnis vorhanden, das schon 1824 von Rostkoviu
und Schmidt erwähnt wurde. Andererseits teilte mir Professor Gonwent
noch als sicheren Eibenstandort einen bei Wamim unweit Gross-Tjchoi
im Kreise Beigard mit, sowie einen mit dem Rostkowiusschen am Neu
warperSee wohl identischen bei der Oberförsterei Rieth(KreieUckermUnde]
') Sicher nacbgewievene Standorte sind: I. Stsinsee. Wyffoda, Miechutschir
Lnbianen, Sommerbei^ ; II. Eibendamm , Eichwald, Neuhäus, Ciabuach; III. Qc
orgenbOtte und Ibenwerder. — Bezüglich des Uinfangn der VorkommniMe mus
aaf die Original arbeit verwiesen werden.
') Die einzelnen Fundorte lind nach den Kreisen geordnet folgende : 1. Foril
revier Parden, ferner zwischen Lemkendorf und Derz ; 2. MehUack ; 3. Dombrowkei
und Kennaschiener Wald; 4. Friachingforst bei Friedland; 5, Golduper Wald
6- Retacher Wald, Miasberg bei SOsaenberg, Liewenberg, Golm zwischen Neuendoi
nnd Workeim, Seeberg. Scbwengen; 7. SchSnbruch; 8. Milcbbuder Forst; 9. Hsrtigt
walder Forst; 10- Wensöwen : 11. LackmUhter Wald bei Bischof^tein und Rösseltch
Forat, — Aach an dieser Stelle spreche it-h Herrn Prof. Conwentz fllr sein
Hitteilnns meinen besten Dank aus.
') Nach Ross (Verh. d. bot. Vereins v. Brandenburg 1884) da noch wild.
328 F. Hack. [12
Westwärts von Ponunem ist meines Wissens nur ein Vorkommnia
in dem Tieflandsgebiet aus der Rostocker Heide bekannt, denn die
mir nach den Floren bekannt gewordenen Orte westwärts derselben
gehören, soweit ich deren L^e überhaupt habe feststellen können,
sämtlich dem Gebirge oder seinen Ausläufern an.
Wie in Schleswig -Holstein ^), fehlt die Eibe jetzt wohl ganz in
Brandenburg und Posen'). Von den für das Königreich Sachsen von
Wünsche angegebenen Fundorten befindet sich keiner (selbst Löbau
kaum) ausserhalb des Berglandes; ebenso steht es um die Eibenfund-
orte in Hannover °), welche zum Oebiet der Vorberge zu rechnen sind,
wie auch die thüringischen Standorte.
Nur die schlesische Ebene scheint noch einzelne spontane Eiben-
vorkommnisse aufzuweisen , und zwar sollen diese jetzt auch ganz auf
Oberschlesien (bei 1. Oppeln, 2. Rosenberg, 3, Lublinitz, 4. Guttentsg,
5. Tost und 6. Tamowitz *) beschränkt sein, wie mir Dr. Schübe auf aus-
drückliche Erkundigung hin freundlichst mitteilte; die beglaubigten
Standorte für Niederschlesien (Thommendorf bei Bunzlau und Harte-
berg bei Frankenstein) sind jetzt ganz mit Eulturwald bestanden, daher
nach Schubes Ansicht nicht als spontane zu betrachten. Die Vorkomm-
nisse in der schlesischen , Ebene" liegen aber teils auf festem Gesteio.
teils in dessen Nähe, so dass man auch hier die Eibe fast als Gebii^-
baum betrachten kann. Nur da bei diesem im Aussterben begriffenen
Baum vereinzelte Vorkommnisse in einem Gebiet, dem er sonst fast
ganz fehlt , von grösserer Bedeutung sind , mag hier auf diese hinge*
wiesen werden. Ihrem jetzigen Vorkommen nach ist die Eibe in
Deutschland eine Gebirgspflanze, die in dem kältesten Teil der Ebene,
dem Nordosten, noch einmal auftritt, dort aber nach Osten hin etwas
an Häufigkeit zuzunehmen scheint. Sie zeigt in dieser Beziehung einige
Aehnlichkeit mit der Buche, deren Hauptgebiete wenigstens im Ge-
bilde und um die Ostsee herum liegen, die aber umgekehrt im balti-
schen Gebiet im Westen häufiger ist. Ob sie zu dieser aber weitere
Beziehungen zeigt, kann hier nicht erörtert werden. Erwähnt werden
inuss nur noch, dass die Eibe weder selbst bestandbildend auftritt, noch
auch an einen bestimmten Bestand gebunden zu sein scheint^).
') Während sie in jQtland, worauf Herr Prof. Aschereou mich anfaeii-
sani macht«, unweit Veite von Lange »^gegeben ist,
') Vgl. Conwentz a. a, 0.; Qber frühere Verbreitung vgl. auch Bolle.
Freiwillige Banm- und Strauchvegetation der Provinz Brandenburg. Doch üfilt
ABcbergon kein einziges Vorkommen jetzt noch für spontan, vielleicht wbre ein
solche«! noch bei Stavenow i. d. Priegnitz zu erwarten, wo (wie ihm Prof. Con-
wents mitteilte) die Eibe noch vor 30 Jahren vorkam.
') In Oldenburg anscheinend früher vorhanden (vgl. Bot. Jahreaber, IT,
1876, 8. 1004, R. 82), was Ea^ena auch aue Ortenamen schlieset.
') Oenaneree vgl. in Pieks Flora. — Auch Herrn Dr. Schübe nirecbe
ich an dieser Stelle für seine wiederholten Mitteilungen meinen besten Dau am.
') Im übrigen sei bezüglich dieser Art und ihres allgemeinen Verballeiu
noch einmal auf die erwähnte, hfichat wertvolle Arbeit von ConwentE verwieeoi.
die zwar auf Westpreussen beschränkt, dennoch vielerlei allgemein Wichtig« ent-
hält und verachiedene althergebrachte falecfae Ansichten über die Pflanze beridi-
tigt. — (Ueber die mutmassliche Grenze dieser Art zur Zeit von Christi Gebnrt
T^. Krause in Globus Bd. 62. Nr. 10/11.)
13] NadelwaldSora Nord deutsch lands. 3{
Bine zweite Art unserer Nadelhölzer, der Wacholder (Juniperi
communis), tritt ebenfalls als Bestand bildender Baum wohl kau
innerhalb Norddeutschlands auf. Baumförmig ist er dort überhau
nur im Osten, tritt dann aber meist untergeordnet auf, besonders
Kiefernwäldern '). Bestandbüdend findet er sich gewöhnlich in Strauc
form innerhalb der Heiden, in Gemeinschaft vieler anderer sonst <
der Kiefer zugesellter Pflanzen. Dieser Art gleicht er in der Verbri
tung sehr (so besonders in Russland) ; innerhalb unseres Ebenengebii
fehlt er nur ini äussersten Nordwesten. Wie schon in der Torläufig
Mitteilung gesagt, soll nach Beobachtungen Buchenaus er nördlich d
Linie Harburg— Rotenburg— Achim— Wildeshausen —Papenburg nur seit
(meist nur in einzelnen Büschen) vorkommen und auch in Ostfriesla
fast ganz fehlen. Im allgemeinen ist die Zahl seiner Individuen v
West nach Ost in Zunahme begriffen.
Nächst dem Wacholder ist innerhalb unseres Gebietes die Kiel
am weitesten verbreitet, und sie ist als herrschender Baum in der weits
giössten Zahl unserer Nadelwälder die wichtigste Pflanze ftlr die v(
hegende Arbeit. Deshalb habe ich ihre Verbreitung auch zunächst g
nauer studiert und eine Untersuchung darüber, welche sich auf <
neueste vorli^ende Litteratur^) stützte, schon im Helios 1891 vt
öffentlicht.
Um mich kurz zu fassen, beschränke ich mich hier auf Anga
der Resultate, während ich betreffs der Quellen auf die frühere Arb
verweise. Einer der schwierigsten Punkte hinsichtlich der Verbreitu
der Kiefer ist gerade die Angabe der Grenzlinie der spontanen V<
breitnng dieses Baumes in Norddeutschland. Nicht nur ist dersel
jetzt durch Anpflanzung weiter über seine natürliche Grenze bins
verbreitet und gedeiht da wie eine heimische Pflanze, sondern Fun
aus früheren Zeitaltem unseres Planeten haben gezeigt, dass er
früheren Jahrtauseoden in Gebieten lebte, wo er jetzt nur durch Kuli
wieder eingeführt ist. Trotz dieser Verwickelung ist es dem Scha:
sinn E. H. L. Krauses gelungen, mit ziemlicher Sicherheit die Qrei
linie der spontanen Verbreitung dieses Nadelholzes in Norddeutschla
festzustellen, namentlich auf Grund urkundlicher Studien. Wenn au
hiemach in Bezug auf die Umgebung von Magdeburg, Halbersta
Quedlinburg, Uansfeld und Halle nur sehr spärliche Nachrichten ül
Waldbäume vorliegen, in Bezug auf Altmark und Priegnitz das i
sprOngliche Vorkommen der Kiefer sehr zweifelhaft ist, so kann do
mindestens sicher die Linie Harz') — Drömling— Wendland — Göhrde
') Herr Prof. Conwenti teilt mir mit, dua Jnnipema in den Kiefe
wUden Westprenaaeua nicht selten banmartig sei (Äehnliches gilt fOr OatpreuBsf
er aU hOchBtes Ekemplar einen 10 m hohes Baum am rechten Weichaelufer
Belauf Walddorf nflrdlich von Graadenz beobachtete.
1 BeaonderB Willkomm, Forstl. Flora von Deutschland und Oeaterreii
KSppen,Holzgew&cIuie Rnsalands; Krause, Zur Verbreitung der Kiefer (in Ei
lera bot Jahrb. XI u. XIII), sowie verschiedene Einzelreferate aus den neues
Jahr^ngeu des bot. JahreaberichtH.
*] Die Verbin dungalinie Harz- DrOmling ist noch unaicher (vgl. Krau
in Petermanna Mitteilungen 1893, Heft 10, welche Arbeit Referent nur noch z
Schlnn (namentlich fOr die Karte] verwerten konnte), wie dos apontane V
330
F. Hfick,
[14
Geesthacht als äusserste Westlinie der Verbreitung der Kiefer in Nord-
deutschland betrachtet werden, die vielleicht wohl an manchen Orten
eine Rückwärtsschiebung nach Osten verdiente, sicher aber nicht wesent-
lich weiter westwärts zu verlegen sein wird. Wie schwierig die genaue
Feststellung ist, mag das eine Beispiel von Gifhom zeigen, wo es im
vorigen Jahrhundert ausgedehnte Nadelwälder gab, die aber nachweis-
lich damals nicht alt, also vermutlich nicht ursprünglich waren. Als
äusserste Nordgrenze der Kiefer in Norddeutschland muss nach Krauses
Untersuchungen die Linie Geesthacht— -Batzeburg — (Wesloe bei Lü-
beck?^) — Wittenburg — Güstrow — Schwann — Rostock betrachtet werden.
Von hier aus zieht sich die Verbreitungsgrenze des Baumes vermuÜicli
mit Ausschluss aller dänischen Inseln ') sowohl als Rügens nach Skandi-
navien hinüber; doch kann man, wenn man ein einheitliches Kiefem-
gebiet einschliessen will, dieselbe durch Sund, Kattegat^) und Skager-
rack ziehen, um durch eine westliche Ausbuchtung nach Hochschott-
land hin diesen nördlichsten Teil der britischen Inseln als einzigen von
Nadelhölzern ursprünglich bewohnten mit einzuschliessen und sie dann
in ähnlicher Weise, wie es Drude auf der Florenkarte von Europa zeich-
net, weiterführen. Auf der Westküste Norwegens reicht die Kiefer
nordwärts bis Alten (70 ^ n. Br.). Von da erhebt sich die Polargrenze
tiefer landeinwärts am Parsanger Fjord bis 70^ 20' (wo sie übrigens
nach Schübeier nur buschförmig auftritt), erscheint bei Enontekis in
kommen der Kiefer im Harz, üeber die etwaige Verbreitung dieses Baumes, so-
wie der Tanne und Fichte im Harz und in Tharingen verdanke ich eine Reihe
von Angaben nach mir nicht zugänglicher Litteratur Herrn Prof. Leimbach,
wofür ich ihm auch an dieser Stelle bestens danke. Hiernach sprechen sich fSr
die Heimatsberechtigung der Kiefer im Harz aus: Thal (Sylva Hercjnica 1568)*
Sporleder (Verzeichn. d. i. d. Grafschaft Wernigerode wildwachs. Phanerog. 1882),
A. V. Haller (Enumeratio Plantarum horti et agri Gottingensis 1753); für die
Heimatsberechtigung der Kiefer in Nordwest-Thüringen treten Möller (Flora Ton
Nordwest-Thüringen 1873) und Schönheit (Taschenbuch der Flora Thüringens)
ein. Daffegen sprechen der Kiefer die Heimatsberechtigung im Harz ab: Zimmer-
mann (Das Harzgebirge in besonderer Beziehung auf Natur- und Gewerbskunde
1834) und Hampe (Flora Hercjnica 1873). Letzt-erer sagt sogar ausdrücklich,
dass von Nadelhölzern nur Taxus und Juniperus im Harz heimisch seien, die
anderen yor Jahrhunderten aus dem Voigtlande eingeführt seien, nachdem die
Laubwälder zu sehr zu Zwecken des Bergbaues abgeholzt waren. Auch Petry
hält am Kyffhäuser die Kiefer nicht fQr heimisch; ebenso VockeundAngelrodt
bei Nordhausen. Jedenfalls wird die Frage noch weitere Untersuchung verdienen ;
doch liegt sie ja eigentlich ausserhalb des Rahmens dieser Arbeit. Dass die Kiefer
in Thüringen heimisch, bezeugen auch noch Olearius (Von amstädtischen Ge'v^chsen
1701), Rupp (Flora Jenensis 1745), Alt (Tractatus de arboribus coniferis 1679), wie
von neueren Autoren u. a.Met8ch (Flora Hennebergica 1845), Nicolai (Verzeichn.
d. Pflanz, bei Arnstadt 1836 u. 1872), Bogenhard (Taschenbuch der Flora von
Thüringen 1850), Georges (Flora d. Herzogt. Gotha 1882) und Rottenbacfa
(Zur Flora von Thüringen 1889), während I r m i s c h (Flora von Sondershausen und
Frankenhausen 1846) an ihrer ürsprünglichkeit zweifelt.
') Vgl. dazu Prahls ausführliche Erörterung in seiner kritischen Flora
von Schleswig-Holstein II, S. 269 ff.
') Dass ich in diesem einen Falle auch so genau die Grenze ausserhalb des
Gebietes bespreche, geschieht nur mit Rücksicht auf die zahlreichen, im zweiten
Abschnitt hiermit zu vergleichenden Pflanzen.
') Auf Läsö wurde im 17. Jahrhundert der letzte dänische Kiefernwald ver
nichtet (vgl. Krause in Englers bot. Jahrbüchern XIV, S. 522).
15] NadelwaldSora Norddeut achlanda. 331
Lapplaod &uf (58 " 50' herabgedrUckt und verläuft dann gegen Ostnordost
zum Sodufer des Enaresees und längs des Nendamajokiflusses zum
PasTigfjord 69 " 30' am Eismeer '). Von da an senkt sich die Linie
allmählich schwach nach Südost und von der OstkDate Eolas an stärker,
entspricht eine Zeitlang etwa dem 67." n. Br., schneidet wiederholt den
Polarkreis, um vielleicht etwas weiter nördlich den Ural zu tlber-
ächreiten *), doch finden sich noch jenseits dieser Linie, die zusammen-
hängende Kiefernwälder umgrenzt, vereinzelte Vorkommnisse des Baumes.
Weiter gebt die Polargrenze durch Sibirien, den Ob etwas nördlich
von öü" und nach geringer Senkung die Lena etwa unter gleicher
Breite Oberschreitend , senkt sich dann weiter ostwärts stellenweise, so
un Ijeiko bis 154 " n. Br. und erreicht den östlichsten Punkt am Sud-
abhang des Werchojanski sehen Gebirges. Von da beginnt die Ost-
grenze, die südwärts vom Stanowoigebii^e und von da durchs Qebiet
der Seja zum oberen Amur hinzieht, an dessen linkem Ufer sie sich
weit südwärts erstreckt. Die Südgrenze scheint sich am Nordrand des
ceotralasiatischen Steppengebiets hinzuziehen, da die Kiefer noch in
dem sibirischen Baikalgebiet und Altai '') nachgewiesen ist. Von da finden
dich bis zur Kirgisensteppe Kiefern inseln , in denen Birken, Espen,
Ulmen, Schwarzpappeln und Weiden den Kiefern bei